Gentechnik: Deutschland steigt aus
Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ist in Deutschland verboten. Das ist keine gute Nachricht für Wissenschaft und Demokratie.
Bis zum 3. Oktober hatten die EU Mitgliedstaaten Zeit, in Brüssel Bescheid zu geben, dass sie keine Gentechnik wollen. Deutschland und 16 andere Staaten haben von dieser neuen Opt-out Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die Hersteller des gentechnisch veränderten Saatguts sind jetzt aufgefordert, für diese Länder auf einen Zulassungsantrag zu verzichten. Tun sie es nicht, hilft ihnen das auch nichts. Dann wird der Anbau eben verboten.
Auf deutschen Äckern ändert sich dadurch nichts. Denn hier wurden auch bisher keine gentechnisch veränderten Pflanzen kommerziell angebaut. Bevor es die Möglichkeit gab, sich von den EU-Zulassungen für das Saatgut befreien zu lassen, wurden sie durch nationale Verbote außer Kraft gesetzt. In deutschen Supermärkten und Küchen ändert sich allerdings auch nichts. Denn hier wird auch weiter ein Großteil aller Produkte mit gentechnischer Hilfe erzeugte Bestandteile enthalten. Schließlich gibt es weder ein Importverbot noch Gesundheitsrisiken.
Wissenschaft hat ausgedient
Ende vorigen Jahres zog das Bundesforschungsministerium ein Fazit aus 25 Jahren biologischer Sicherheitsforschung mit über 300 Forschungsprojekten, an denen über 60 Hochschulen und Forschungseinrichtungen beteiligt waren. Es lautet: Gentechnisch veränderte Pflanzen bergen nicht mehr und nicht weniger Risiken als konventionell gezüchtete.
Aber Wissenschaftlichkeit ist in Deutschland schon lange kein Kriterium mehr, wenn es um Entscheidungen zur Gentechnik geht. Darauf hat die EU reagiert. Während bisher die Zulassung von neuen Pflanzensorten nach einer wissenschaftlichen Prüfung erfolgte und EU-weit gültig war, steht es den Mitgliedstaaten jetzt frei, den Anbau aus nicht wissenschaftlichen Gründen abzulehnen. In Deutschland dominiert dabei ganz klar ein Argument: Der überwiegende Teil der Bevölkerung sei dagegen. Also sei die Gentechnik abzulehnen. Wir sind dagegen, weil wir dagegen sind. Und woher weiß man das? Die nicht gewählten Repräsentanten der Bevölkerung in den Anti-Gentechnik NGOs haben es der Regierung verraten und mit entsprechend konstruierten Meinungsumfragen belegt. Für den offiziellen Antrag musste natürlich noch ein bisschen Prosa hinzugefügt werden. Die EU-Richtlinie bietet dafür folgende Gründe zur Auswahl: umweltpolitische Ziele, Stadt- und Raumordnung, Bodennutzung, sozioökonomische Auswirkungen, Verhinderung des Vorhandenseins von GVO in anderen Erzeugnissen, agrarpolitische Ziele und öffentliche Ordnung.
Unser Landwirtschaftsminister hat sich für zwei Gründe entschieden. Erstens sei der Anbau „unvereinbar mit der in Deutschland üblichen Ackernutzung“, was immer das bedeuten soll. Zweitens gelte es zu vermeiden, dass das Risiko der Verunreinigung „heimischer landwirtschaftlicher Erzeugnisse“ steige. Wir werden also vor Risiken geschützt? Ja, aber nur einige von uns. Nicht die Verbraucher, denn es geht nicht um Gesundheitsrisiken. Auch nicht die Umwelt, denn es geht nicht um Umweltrisiken. Geschützt werden nur Biobauern, die nach den sich selbst auferlegten Regeln ihre Öko-Produkte nicht mehr solche verkaufen dürfen, wenn versehentlich ein paar Körner GVO-Mais darunter geraten sind. Es geht also um den Schutz eines sehr spezifischen und willkürlich konstruierten Geschäftsmodells, das auf einer Art heiligen Reinheit des Produkts beruht, das nicht befleckt werden darf. Und es geht um den Schutz einer Weltanschauung, die auf Naturverehrung beruht und rationale Naturbeherrschung als Bedrohung sieht.
Politik der Meinungen und Stimmungen
Wo ist das Problem? Wenn das Volk die Gentechnik nicht will, wird der Anbau verboten. Funktioniert so nicht Demokratie? Nein, so funktioniert Populismus. Die Politik nimmt das Stimmungsbild auf und verpackt es in auf die eigene Klientel abgestimmter Weise: Die NPD lehnt „riskanten Genfraß“ ab, Horst Seehofer folgt der ihm eigenen Regionallogik („In Bayern bin ich gegen Gentechnik“), Barbara Hendricks will „keine Experimente mit und in der Natur“, die Linke weiß von „hohen gesundheitlichen, ökologischen, ökonomischen und sozialen Risiken für Landwirte, Gärtnerinnen und Gärtner, Imker und Imkerinnen, Verbraucherinnen und Verbraucher“ (unklar bleibt, warum Landwirtinnen nicht gefährdet sind), Angela Merkel hat nach den guten Erfahrungen mit dem Atomausstieg im Mai 2014 auch für den Gentechnikausstieg zumindest ihr Placet gegeben. Den Grünen geht es um die Freiheit: „Die Freiheit von Gentechnik-Konzernen darf nicht zur Unfreiheit von Bäuerinnen und Bauern, von Verbraucherinnen und Verbrauchern führen, die frei von Agro-Gentechnik produzieren und konsumieren wollen.“ Mit anderen Worten: Wenn der Bauer die Wahl hat zwischen herkömmlichen und GVO-Pflanzen, ist er unfrei. Wenn er keine Wahl hat, weil GVO verboten ist, ist er frei.
Umweltministerin Hendricks weiß noch ein zweites Argument für das Anbauverbot: „Unsere Bauern brauchen keine Gentechnik.“ Stimmt, sind ja bisher auch ohne ausgekommen. Sie brauchen auch keinen Mais anzubauen. Warum dann nicht gleich auch konventionellen Mais verbieten? Ist ohnehin eine in Deutschland komplett unheimische Pflanze aus dem fernen Mexiko. Was der Bauer nicht braucht, das kriegt er nicht.
Es werden in jahrelangen Angstkampagnen Meinungen produziert und diese Meinungen werden dann zum Maß der Dinge erhoben. Sollten wir hier das alte Prinzip der wissenschaftlichen Risikobewertung wirklich ersetzen durch das neue Prinzip der weltanschaulichen Einsortierung? Sollten wir, statt Toxizität zu prüfen, lieber Meinungsumfragen machen, ob die Menschen Dihydrogenmonoxid im Essen ablehnen? (Wer nicht weiß, um welche Substanz es sich handelt, klickt bitte auf den Link)
Die gleiche Logik liegt auch der Kennzeichnung zugrunde. Kennzeichnung war früher noch damit begründet, dass etwas in großen Mengen gefährlich sein könnte oder für bestimmte Personengruppen ein Risiko bestand. So dient der Hinweis auf allergieauslösende Substanzen klar und nachvollziehbar dem Schutz von Allergikern. Bei der Gentechnik hat sie diese Funktion nicht mehr. Hier dient Kennzeichnung zwei anderen Zielen. Sie soll erstens unvoreingenommene Verbraucher verunsichern und es zweitens Gegnern der Gentechnik ermöglichen, ihre Ablehnung beim Einkauf zu dokumentieren und sich ihrer Weltsicht zu vergewissern. Die Diskreditierung der weltweiten wissenschaftlichen Forschung wird als Kollateralschaden in Kauf genommen.
Die Erde dreht sich weiter
Ungeachtet der deutschen Ablehnung wurden 2014 weltweit auf 181 Mio. Hektar gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut. Seit der Einführung von GVO-Sorten 1996 nimmt die Fläche kontinuierlich zu. Bei Soja beträgt der GVO-Anteil weltweit mittlerweile 82 Prozent, bei Baumwolle sind es 68 und bei Mais und Raps jeweils 25 Prozent.
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