Autonomes Fahren – die Zukunft ist fast da.

Wie wir uns die Zukunft vorstellen, ist in einigen Dingen klarsichtig, wenn wir unsere jetzigen Ängste bewahren. Das Thema „autonomes Fahren“ ist eine seit Jahrzehnten erwartete und erst jetzt aber immer näherkommende Entwicklung. Immer näher. Und näher. Was liegt aber noch näher? Eine Kolumne von Chris Kaiser

Autonomes Fahren Autonomous driving

Ich bin in Sachen Autofahren ein late bloomer. Ich habe bis vor wenigen Jahren das selbst Autofahren wie die Pest gemieden. Ich habe mit anderen gesprochen – die ähnlich ängstliche Augen bekommen, wenn sie darüber reden, wie ich noch vor ca. 5 Jahren, also ist es keine ganz individuelle Erfahrung.

Dass es bei mir nicht mehr so ist, liegt an diversen Faktoren, einige davon mit meinem Lebenslauf verbunden, der im ersten Corona-Jahr einen erfreulichen Schub erfuhr, andere liegen am Auto, das wir zufällig seither haben, und dann gibt es Faktoren, die sich aus den ersten beiden ergeben, wie dass ich zu meinem Job mit unserem Auto eine kurze, aber anspruchsvolle Strecke habe, die mir inzwischen viel Sicherheit beim Fahren gibt.

Elektronische Helferlein

Ein sehr wichtiger Faktor liegt darin, dass viele kleine elektronische Helferlein das Autofahren wahnsinnig erleichtern. Angefangen beim Navi. Ich bin recht gut im Kartenlesen und in der Orientierung, so dass ich in Zeiten des Autoatlas als Beifahrer gute Dienste erwiesen habe. In vertauschten Rollen ging das eher schief. Das Navi lässt mich hingegen als Fahrer nicht im Stich und ist verlässlich und immer gleicher Laune.

Selbstverständlich fahren wir Automatik, und ich schätze Auto-Hold, Spurhalte-Assistenz und den Tempomat mit Abstandsregelung. Inzwischen gibt es noch weit mehr Hilfen, die eingebaut werden, ich freue mich darauf, wenn wir unsere jetzige, treue Familienkutsche in einem Jahrzehnt mit der Zukunft eintauschen. Bis dahin könnte es womöglich schon autonomes Fahren geben.

Natürlich ist das Auto umweltschädlich

Übrigens – wer meint, es sei ganz schön umweltschädlich weiterhin am Auto festzuhalten – dann hat er/sie absolut Recht. Aber solange nicht nur die Fernzüge der Deutschen Bahn einem jeglichen Rest von Autonomie beim Reisen wegnehmen, indem die eigenen Pläne ständig Makulatur werden, sondern auch die entsprechenden Informations-Systeme im Internet (und all die vielen Apps, die man in jeder Stadt neu herunterladen muss) nicht einmal zuverlässig Ausfälle des Öffentlichen Verkehrssystems kommunizieren, solange wird die individuelle Motorisierung das wichtigste Verkehrsmodell bleiben.

Halten wir fest – dieser Diskussionsstrang über öffentliche Verkehrsmittel ist noch nicht am Ende und er verdient sicherlich seine eigene Beachtung. WENN man sie aber erstmal auf die Seite legt, dann kann man dem roten Faden zur Zukunft des Autos auch mal folgen. Es ist sowieso ein Gedankenexperiment, das vielleicht Klarheit auch in anderen Bereichen bringt.

Entwicklungen erst nach und nach möglich

Der beschriebene Pfad der Entwicklung hin zu immer mehr Erleichterungen des Fahrens mit dem Auto wird sich bis zum autonomen Fahren fortführen. Einige erst nach und nach eingeführten Erleichterungen sind derart, dass man sich fragt, warum sie nicht schon früher da waren. Warum man sich immer noch auf die Gangschaltung versteift – ist schon kurios. Sicher, es gibt Situationen, da möchte der Fahrer kurzfristig eher Motorleistung und Beschleunigung als sparsames Fahren, und manchmal eben umgekehrt – und die Automatik ist dazu nicht flexibel genug. Doch diese Situationen sind überschaubar und durchaus auch größtenteils automatisierbar. Übrigens braucht ein Elektro-Fahrzeug sowieso keine Gangschaltung mehr. Kein schwerfälliges Dreh-Element, das erst die Geschwindigkeit durch verschiedene Phasen und Übertragungen erreicht. Die limitierenden Faktoren sind lediglich die thermische Robustheit der Elektrik, die Trägheit des schweren Autos und die Bodenhaftung der Reifen.

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Navigationssystem und GPS

Das Navi hingegen ist erst möglich, seit wir einen leistungsstarken Computer in wenig Volumen packen können und das ehemals militärisch wichtige Ortungssystem (GPS) für Otto Normalverbraucher zugänglich gemacht wurde. Weil jeder inzwischen sowieso ständig mit dem Internet verbunden ist, kommen noch in Echtzeit Informationen herein (und auch oft heraus) über Unfälle, Staus, Baustellen und alles andere, was für die kurzfristige Planung der Reise notwendig sein kann.

Die perfekt geplante Route

Aber jetzt stelle man sich vor, es gibt nicht nur eine Automatik, die das Getriebe im Optimum fährt und der kleine Computer mit Internet im Auto tauscht sich nicht nur mit dem zentralen System aus, was größere Ereignisse auf der angegebenen Route anbelangt. Sondern diese Automatik arbeitet mit dem Computer zusammen, und dieser mit allen anderen Computern in den anderen Autos in der Nähe, aber auch mit digital ausgestatteten Verkehrsschildern, ja sogar Fahrbahnen. Alle diese Informationen ergeben zusammen mit dem Wunsch des Fahrers, von A nach B zu gelangen, in optimaler Geschwindigkeit und Sicherheit, eine oder ein paar wenige perfekt geplante Routen.

Und mit „Routen“ meine ich die Zentimeter-genaue Führung zwischen all den Autos, Abfahrten, Ortschaften auf der Straße, und mit „perfekt geplant“ meine ich, dass das neuartige Navigationssystem an Bord des Autos alles an Informationen in Betracht zieht und für die Aufgabe durch den ihn besitzenden Menschen in iterativer Form plant. Deswegen iterativ, weil zugleich mit mir auch noch Tausende andere Menschen ihren Autos diese Aufgabe geben. Und mehrere Tausende während der Zeit, in der ich bei B ankomme. Und meinen Weg kreuzen werden. Somit werden jeden Augenblick diese Entscheidungen wieder revidiert und neu gefällt. Unsichtbar für uns, in Hochfrequenz für „das System“, das alle Autos führt.

Gläserner Fahrer für andere

Gruselig? Schon. Warum eigentlich genau? Machen wir Menschen das nicht auch so? Jede Sekunde treffen wir neue Entscheidungen, die – nach unserer Kapazität – die neuen Informationen zu den alten hinzustellen und in neuen Zusammenhang bringen. Immerhin erfassen wir nur die Informationen, die uns unmittelbar „vor Augen“ geraten. Während ein solches Automatisierungssystem des künftigen autonomen Fahrens die gesamte Strecke in den Blick nimmt und alle anderen Teilnehmer im System, die zu dieser Strecke passen, mit hinzunimmt. Ist das das Gruselige? Dass nicht nur die Tausende Autos, die unseren Weg kreuzen, für unsere Fahrt in Betracht gezogen werden, sondern weil UNSER Auto für Tausende andere in Betracht gezogen wird. Unser A und unser B für alle diese Autos offen liegt und für andere Menschen grundsätzlich jederzeit extrahierbar. Schauderhaft?

KI vergisst den durchschauten Fahrer

Was aber, wenn die künstliche Intelligenz (und davon reden wir offensichtlich die ganze Zeit) alle diese Autos gar nicht als Gefäße mit Menschen sieht, sondern einfach als Optimierungsaufgabe mit kleinen „Punkten“ ohne Dimension? Wenn die Information, die sie über mein A und mein B und somit über mich selbst ihr so unwichtig ist, dass sie sofort „vergisst“, was mein Auto, ich, A und B speziell anbelangt, sondern „nur“ das Ergebnis und die Anweisung, die an jedes einzelne der x-Tausende Autos zurückgeht, um „optimal“ zu fahren, bekannt ist?

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WIE aber die KI zu diesem Ergebnis kommt, nicht mehr nachvollziehbar ist? Dann wissen wir doch gar nicht mehr, ob diese Einzelentscheidung, die an das einzelne Auto geht, wirklich das Optimum ist. Weil jeder Punkt an dem Verlauf des Verkehrssystems einzigartig ist und aufgrund der xTausenden fluiden Inputs und Interaktionen zwischen den Autos und ihren As und Bs einen echten chaotischen Zustand herstellt. Also in dem Sinne, dass es keine Wiederhol- und keine Vorhersehbarkeit mehr gibt.

ChatGPT weiß auch nicht was es getan hat

Es heißt jetzt schon, dass die Large Language Models (ChatGPT und Co) bei Antworten zu Fragen durch die User nachher selbst nicht mehr angeben können, wie sie auf diese Antwort gekommen sind. Und ihre Schöpfer sowieso nicht mehr. Dieselbe Frage zu verschiedenen Zeiten, oder durch verschiedene User an dasselbe LLM gestellt, kann verschiedene Antworten generieren.

Die Erklärung dieses Phänomens liegt vor allem darin, dass LLMs eben nicht „verstehen“, was die Frage an sie bedeutet, ebenso dass sie nicht „verstehen“, was Sprache selbst ist, oder warum beim Sprechen so und nicht anderes richtig ist. Sondern sie geben eine Antwort, die in ihrem gesamten Korpus der Trainingsdaten statistisch in der Nähe der Wörter vorkommen, die in der Frage vorkamen. Ebenso nutzen sie eine Grammatik, die STATISTISCH angeeignet, höchstens zusätzlich noch mit Regeln angereichert ist. Insofern sind Antworten eben nicht eindeutig, sondern in einem probabilistischen Feld nach Vorkommnissen des Inputs in den Trainingsdaten. Grammatik ist weniger individuell, ergibt also immerhin eine etwas stabilere und engere Auswahl in diesem Spektrum des wahrscheinlichen Richtig.

Verkehrs-KI vs. LLMs – weniger Trainingsdaten

Nun sind die „Trainingsdaten“ eines Verkehrsmodells sicher ein bisschen anders. Hier haben wir durchaus eindeutigere Formen der Optimierung. Erstens gibt es die unumstößlichen Verkehrsregeln. Ebenso die Ampelschaltungen, die festgelegt sind. Häuser und Straßen sind etwas stabilere Daten, selbst Baustellen. Das Auto selbst ist ein recht stabiler Datensatz, wenn der Mensch darin nicht eingreift. Auch wenn es eine große Menge an Daten ist, so sind sie endlich und wenn nicht heute, dann sicher von künftigen Rechenmaschinen erfassbar. Aber! Abgesehen davon, dass wir, selbst wenn wir Faktoren wie Wildwechsel oder ein Oldie ohne Navigationssystem nicht in das Modell einbeziehen, haben wir bei dieser Art von Navigationskooperation durch die Autos ein offenes Modell, kein geschlossenes. Jederzeit kann ein Mensch entscheiden, er möchte sein Auto in das System einbringen, so dass es meine Strecke von A nach B kreuzt. Und verändert somit die Entscheidung. Jederzeit und ständig. Für jeden anderen auch.

Unmögliches Ziel

Somit ist ein solches System – abgesehen, dass es jedem gruselig wegen seiner scheinbaren Allwissenheit erscheint – nicht bis ins Detail implementierbar. Es kann schlicht seinen anvisierten hypothetischen Zweck nicht erfüllen. Und hat dafür eine Unmenge an Ressourcen verbraucht, und die Rechte des menschlichen Bürgers (wer weiß, ob wir nicht in Zukunft auch nichtmenschliche haben werden) schon arg bedrängt, wenn nicht sogar gebrochen. Es ist schlicht überdimensioniert.

Pünktlichkeit und ihr Preis

Wenn mir schon heute mein Besuch mit Blick auf sein Navi meistens genau auf die Minute sagen kann, wann er da ist, dann haben wir doch schon ein recht gutes Optimum erreicht in der Hinsicht. Ob wir Menschen aber nicht nach und nach doch die absolut perfekte Angabe der Ankunft erwarten, ist nochmal eine andere Sache.

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Wir werden vielleicht doch lieber den Grusel des gläsernen Fahrers in Kauf nehmen, um pünktlich zu sein. Nicht weil wir Pünktlichkeit als Tugend sehen, sondern weil wir für den Kauf eines Autos und eines Vorhersagesystems zur Ankunft das perfekte Erlebnis erwarten. Weil wir Menschen Ansprüche an die Welt stellen, die wir nicht an uns stellen. Und den hohen Preis den wir zahlen, nur in einer Dimension sehen, nämlich im Geld.

Dass wir unsere Freiheit des „ich bin dort, wo keiner weiß, wo ich bin“ hergeben, damit wir die Sicherheit des „ich bin dort, wo ich vorher wusste, dass ich sein werde“ haben, tritt da besonders zutage. Heute. Morgen, wenn wir das haben werden – werden wir das nicht mehr sehen oder einfach ignorieren.

Abhängiges Fahren

Das „autonome Fahren“ wird eigentlich ein „völlig abhängiges Fahren“ sein. Von dem Navi, dem steuernden zentralen System, von der Information durch andere Autos …

Ich bin gar kein großer Pessimist, und schon gar nicht in Bezug auf technologischen Fortschritt. Ich bin überzeugt davon, dass jede Entwicklung, die stattfindet, so wie es bisher auch lief – ganz andere Probleme und ganz andere Lösungen aufweisen wird, als wir uns jetzt vorstellen können. Es wird irgendeine unwahrscheinliche Technologie („Das Internet ist nur ein Hype!“ oder „Das iPhone wird nie ein Erfolg. Keine Chance!“) geben, die sich plötzlich breit macht und alles andere zur Makulatur wird. Den Alltag so bestimmen, dass wir nicht mehr wissen, wie das „vorher“ war. Und alle Gedanken, die man vorher zur Zukunft OHNE diese Technologie hatte, werden obsolet.

 Was wenn aber ….

Aber kommen wir zurück zum öffentlichen Verkehrssystem und vor allem zu den Fernzügen auf Schienen. Mit festgelegtem, getakteten Weg von A nach B nach C nach D und zurück, ohne Gegenverkehr oder Spurwechseln, ein paar überschaubaren Überkreuzungen, meistens in A, B, C und D und so weiter. Überschaubar viele Probleme, die auftreten können, alles Daten in Jahrzehnten gesammelt, die als Trainingsdaten herhalten können.

Vielleicht lassen wir die Ingenieure des autonomen Fahrens in Autos noch ein-zwei Jahre an ihrem überdimensionierten Ziel arbeiten und verzweifeln. Und dann kommt vielleicht der eine oder andere auf die Idee, alle diese Forschung für ein naheliegenderes und viel kleineres Modell anzuwenden. Das wäre doch mal eine Zukunft. In der ich vorher genau weiß, wann wir am Bahnhof D ankommen, wenn ich in A und meine Freundin in B einsteigen.

In der vorigen Kolumne von Chris Kaiser ging es ums Sprachensterben und den Verlust der sprachlichen Identität.

 

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