Pressefreiheit – das meist missverstandene Grundrecht

Kaum ein Wort wird in öffentlichen Debatten so oft beschworen – und so gründlich missverstanden – wie die „Pressefreiheit“. Dabei wird die häufig missverstanden. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.

Pressefreiheit was ist das
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Jeder scheint die Pressefreiheit zu kennen, viele berufen sich auf sie, und fast niemand hat sie je wirklich gelesen. Sie steht im Grundgesetz, Artikel 5, also gleich neben der Meinungsfreiheit und noch vor der Kunstfreiheit – das heißt, sie ist offiziell wichtiger als die nächste Netflix-Serie, aber weniger unterhaltsam.

Art 5
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Und doch: Ohne Pressefreiheit keine Demokratie, keine Kontrolle der Mächtigen, keine Aufdeckung von Skandalen. Stattdessen: Machtmissbrauch, Korruption, Desinformation.

Aber bevor wir das Grundrecht feiern, sollten wir klären, was es eigentlich bedeutet. Und vor allem, was es nicht bedeutet. Denn um die Pressefreiheit ranken sich Mythen, Halbwahrheiten und Stammtischweisheiten, die so zäh sind wie eine Talkshowrunde nach 23 Uhr.

Was Pressefreiheit tatsächlich ist (und was sie gern wäre)

Pressefreiheit bedeutet, dass der Staat JournalistInnen nicht vorschreiben darf, worüber sie berichten oder wie sie das tun. Sie schützt also vor staatlicher Kontrolle – nicht vor schlechtem Journalismus.

Niemand garantiert, dass Medien objektiv, fair oder gar klug berichten. Pressefreiheit heißt: Sie dürfen es versuchen. Oder grandios scheitern. Beides ist gleichermaßen geschützt.

Zum Paket gehören außerdem Dinge wie Quellenschutz, Informationsfreiheit und das Recht, Redaktionen zu betreiben, ohne dass ein Ministerium vorher das Manuskript absegnet. Aber, und hier folgt die bittere Pointe: Die Pressefreiheit endet nicht erst, wenn jemand ein Diktator wird. Sie endet schon da, wo andere Grundrechte beginnen – etwa das Persönlichkeitsrecht. Wer also glaubt, dass man „wegen der Pressefreiheit alles sagen darf“, der verwechselt ein Grundrecht mit einem Freifahrtschein für Schmähkritik.

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Die populärsten Irrtümer – oder: Pressefreiheit für Fortgeschrittene

Irrtum 1: „Pressefreiheit heißt, ich darf alles schreiben!“

Wunderbar. Nach dieser Logik dürfte man auch alles fahren, nur weil man einen Führerschein hat. Pressefreiheit schützt journalistische Arbeit, aber nicht jede verbale Entgleisung im Internet. Volksverhetzung, Beleidigung oder Falschbehauptungen bleiben auch dann rechtswidrig, wenn sie in einem hübsch layouteten Magazin mit Spalten und Überschriften erscheinen. News und NIUS sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Der Unterschied zwischen Journalismus und Geschwätz ist eben nicht nur die Schriftgröße.

Irrtum 2: „Wenn Politiker Medien kritisieren, ist das Zensur!“

Zensur – das Lieblingswort des 21. Jahrhunderts. Alles, was einem nicht gefällt, ist sofort „Zensur“. Tatsächlich bedeutet Zensur nur, dass der Staat Inhalte vor der Veröffentlichung überprüft oder verbietet.

Wenn ein Minister einen Zeitungsartikel doof findet, ist das keine Zensur – es ist schlicht Meinungsfreiheit. Ironischerweise also genau das, was dieselben Menschen oft verteidigen wollen.

Natürlich kann Kritik an Medien problematisch sein, wenn sie in Druck oder Drohung umschlägt. Aber die bloße Tatsache, dass Politiker Medien doof finden, ist ungefähr so überraschend wie ein kritischer Kommentar unter einem YouTube-Video.

Irrtum 3: „Private Plattformen müssen jede Meinung stehen lassen!“

Ein Klassiker der Internet-Logik. Wenn Facebook oder X (vormals Twitter, vormals relevant) einen Beitrag löschen, heißt es sofort: „Das ist gegen die Pressefreiheit!“ Nur schade, dass Pressefreiheit den Staat bindet – nicht private Unternehmen. Facebook ist kein Grundgesetz, sondern eine Firma mit AGB. Und wer deren Bedingungen verletzt, fliegt raus – nicht weil Zensur, sondern weil Hausrecht. Wer wirklich ungehindert schreiben will, kann jederzeit seine eigene Website eröffnen. Kostet nicht viel – aber dann merkt man schnell, dass „Meinungsfreiheit“ ohne Publikum nur wie ein Selbstgespräch mit Kommentarspalte klingt.

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Irrtum 4: „Öffentlich-rechtliche Medien sind regierungstreu, weil sie vom Staat bezahlt werden!“

Ein besonders zähes Gerücht. Öffentlich-rechtliche Sender werden durch Beiträge finanziert, nicht durch Regierungsanweisungen. Ihre Unabhängigkeit ist gesetzlich garantiert – was allerdings nicht verhindert, dass sie Fehler machen, gelegentlich tendenziös berichten oder Talkshows mit immer denselben Gästen besetzen.

Doch daraus eine Staatsnähe zu konstruieren, ist ungefähr so logisch wie zu behaupten, der TÜV arbeite für Volkswagen, nur weil beide Räder mögen. Natürlich kann man über die Qualität streiten. Aber wer glaubt, die Tagesschau würde im Kanzleramt abgenickt, verwechselt Deutschland mit Nordkorea – und selbst dort wird inzwischen Netflix geschaut.

3. Die unsichtbare Grenze: Freiheit und Verantwortung

Pressefreiheit ist kein Synonym für Chaos. Sie ist ein Balanceakt: Freiheit auf der einen Seite, Verantwortung auf der anderen. Ein freier Journalismus lebt davon, dass er kritisiert werden darf – aber auch davon, dass man ihn ernst nimmt.

In einer Zeit, in der jeder ein „Content Creator“ ist – wie ich zu dieser zweifelhafte Ehre gekommen bin, weiß ich auch nicht – und Informationen in Sekunden viral gehen, wird es immer schwieriger, zwischen Pressefreiheit und purer Meinungsproduktion zu unterscheiden.
Wer täglich fünf Meinungen, drei Skandale und ein Meme produziert, hält sich bald selbst für einen Journalisten. Leider schützt die Pressefreiheit nicht vor Selbstüberschätzung und galoppierendem Wahnsinn.

4. Medienkritik ja – aber bitte mit Verstand

Medien zu kritisieren ist nicht nur erlaubt, sondern notwendig. Pressefreiheit heißt auch, dass man über die Presse selbst frei sprechen darf.

Aber Kritik setzt auch ein Mindestmaß an Verständnis voraus. Es ist einfach, „Lügenpresse, halt die Fresse!“ zu rufen – es ist schwieriger, zwischen redaktioneller Fehlleistung, tendenziöser Auswahl und echter Manipulation zu unterscheiden.

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Die meisten journalistischen Fehler entstehen nicht aus böser Absicht, sondern aus Eile, Überforderung und einem algorithmischen Zwang zur Klickzahl. Die eigentliche Gefahr für die Pressefreiheit ist deshalb nicht der Staat, sondern die Gleichgültigkeit oder der verinnerlichte Hass des Publikums. Wenn niemand mehr den Unterschied zwischen Journalismus und Meinung kennt, kann man sich das Grundrecht auch auf ein T-Shirt drucken und es als Ironie verkaufen.

5. Fazit: Pressefreiheit ist anstrengend – und das ist gut so

Pressefreiheit ist kein bequemes Recht. Sie nervt. Sie produziert Widersprüche, Debatten, Empörung und manchmal auch grottenschlechte Artikel.

Aber gerade das ist ihr Zweck: dass niemand die Deutungshoheit über die Wahrheit hat.
Wer Pressefreiheit ernst nimmt, muss aushalten, dass andere anders berichten, anders denken, anders werten. Es ist kein Wohlfühlrecht, sondern ein Zumutungsrecht – die Garantie, dass wir uns in einer freien Gesellschaft gegenseitig auf die Nerven gehen dürfen, solange keiner den anderen mundtot macht.

Und wer glaubt, Pressefreiheit sei nur dann gut, wenn sie die eigene Meinung bestätigt, der hat sie nicht verstanden – sondern nur instrumentalisiert.

Kurz gesagt: Pressefreiheit ist wie Demokratie – laut, unbequem, widersprüchlich. Ohne sie wäre alles viel einfacher – für Autokraten.

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