Aktivrente – verfassungswidrig mit Ansage

Die Bundesregierung hat die sogenannte Aktivrente auf den Weg gebracht. Eine gute Idee ist das in dieser Form allerdings nicht. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.

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Die Idee der Bundesregierung lautet so: Jeder sozialversicherungspflichtige Rentner soll künftig monatlich 2000€ steuerfrei dazu verdienen können. Die Diskussion um die Steuergerechtigkeit in diesem Zusammenhang wird immer wichtiger. Selbständige, Freiberufler und Beamte gucken in die Röhre. Ist das mit dem Gleichheitssatz und dem Grundstaz der Steuergerechtigkeit zu vereinbaren, oder ist das verfassungswidrig?

Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG)

Der zentrale Punkt ist der allgemeine Gleichheitssatz aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes:

„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“

Daraus folgt das Gebot der steuerlichen Gleichbehandlung. Der Staat darf Steuerpflichtige nicht willkürlich unterschiedlich behandeln, wenn sie sich in wesentlichen Hinsichten gleich befinden.

Nehmen wir ein Beispiel: Hinz und Kunz sind Freunde seit dem Kindergarten. Sie machen gemeinsam Abitur. Sie studieren gemeinsam Medizin und arbeiten beide als Ärzte in ein und derselben Hausarztpraxis. Diese Praxis gehört allerdings Hinz, der sie von seinem Vater übernommen hat. Kunz ist dort angestellt. Beide habe gleich hohe Beträge in die Ärzteversorgung eingezahlt und erhalten deshalb eine identische Rente aus dieser. Da in der Region ein massiver Hausärztemangel herrscht und beide noch fit genug sind, beschließen sie, auch nach der Rente ein paar Jahre dranzuhängen.

Und dann kommt die lustige Aktivrente. Während Hinz weiterhin das wirtschaftliche Risiko der Praxis trägt, bleibt Kunz weiter angestellt. Zum Dank dafür erhält Kunz einen Bonus, indem er künftig 24.000€ im Jahr steuerfrei verdient, während Hinz den Betrag in voller Höhe versteuern muss. Kann das unter dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit richtig sein?

Steuerpflichtige

Arbeitnehmer, Freiberufler, Beamte und Selbständige sind alle Einkommensteuerpflichtige.

Sie erzielen zwar unterschiedlich qualifizierte Einkünfte (nach §§ 13–18 EStG), aber ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist prinzipiell vergleichbar.

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Wenn also ein Steuerfreibetrag dazu dient, die Existenzsicherung oder die Minderung der Steuerlast bei geringem Einkommen zu gewährleisten, oder als Anreiz zu weiterer Berufstätigkeit im Alter zu dienen,  dann muss er allen Steuerpflichtigen mit vergleichbarer Leistungsfähigkeit offenstehen.

Ein Ausschluss von Selbständigen oder Freiberuflern ist aus meiner Sicht nicht sachlich gerechtfertigt und damit willkürlich.

Fehlende sachliche Rechtfertigung

Eine Ungleichbehandlung ist nur dann mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn sie auf einem sachlichen Grund beruht, der dem Ziel der Regelung angemessen und verhältnismäßig ist.

Mögliche Rechtfertigungen wären z. B.:

// die Förderung bestimmter Personengruppen (etwa Familien oder Behinderte)

// die Kompensation besonderer Belastungen.

Im Fall eines Freibetrags nur für sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer würde ein solches Privileg  aber allein daran anknüpfen, dass sich jemand in der gesetzlichen Sozialversicherung befindet. Das ist jedoch kein sachgerechtes Kriterium für steuerliche Leistungsfähigkeit.

Ich könnte z.B. eine AnwaltsGmbH gründen und dort als angestellter Anwalt dasselbe machen, was ich jetzt auch mache, bekäme aber einen Freibetrag von 24.000€ im Jahr. Das ist absurd und wirft Fragen zur Steuergerechtigkeit auf.

Freiberufler oder Selbständige tragen ihre sozialen Risiken (Krankenversicherung, Altersvorsorge) privat – oft auf eigene Kosten und nicht günstiger als Angestellte. (Ich zahle z.B. als freiberuflich tätiger Rechtsanwalt seit Beginn meiner Berufstätigkeit weiter in die gesetzliche Krankenversicherung ein, weil ich mir damals mit mehreren Kindern einfach keine private Krankenversicherung leisten konnte.)

Es gibt also keinen objektiven Grund, warum sie steuerlich schlechtergestellt werden sollten.

Die Differenzierung wäre unverhältnismäßig und nicht am Leistungsfähigkeitsprinzip (§ 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 GG) orientiert.

Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip

Das Leistungsfähigkeitsprinzip ist ein verfassungsrechtliches Leitprinzip der Einkommensteuer. Es besagt: Jeder Bürger soll nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen.

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Wenn ein Freibetrag nur Arbeitnehmern zusteht, obwohl Selbständige die gleiche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit haben können, wird dieses Prinzip eklatant verletzt, was ein ernsthaftes Problem für die Steuergerechtigkeit darstellt.

Ein solcher Freibetrag würde nicht die Steuerlast nach objektiver Leistungsfähigkeit, sondern nach der Art der Erwerbstätigkeit staffeln – das ist aber systemwidrig.

Weitere mögliche Grundrechtsbezüge

Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit):
Eine steuerliche Benachteiligung von Selbständigen könnte faktisch die Ausübung freiberuflicher oder unternehmerischer Tätigkeit erschweren.

Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip):
Die Steuererhebung muss auf logisch konsistenten und sachgerechten Kriterien beruhen. Eine willkürliche Differenzierung zwischen Steuerpflichtigen verletzt auch das Gebot der Rechtsklarheit und Folgerichtigkeit.

Ein Steuerfreibetrag ausschließlich für sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer wäre aus meiner Sicht verfassungswidrig, weil:

// Er gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt,

// keine sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung besteht,

// das Leistungsfähigkeitsprinzip der Einkommensteuer verletzt wird, und

// er ggf. Berufsfreiheit und Rechtsstaatsprinzip beeinträchtigen könnte.

Fazit: Der Gesetzententwurf ist demnach mal wieder für die Tonne und steht im Widerspruch zur Idee der Steuergerechtigkeit.

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