Von dunklen Tech-Lords und schwindelfreien Populisten
Sobald altgewordenen Gesellschaften das Erfolgsversprechen ausgeht, bricht in der Weltgeschichte immer die Zeit der Regelzerstörer und Demagogen an, behauptet Politologe & Politikberater Giuliano da Empoli. Henning Hirsch hat sein eben in 3-ter Auflage erschienenes Werk ‚Die Stunde der Raubtiere‘ gelesen.

„Wenig Text fürs Geld“, sagt die Tochter, die mir freundlicherweise Giuliano da Empolis neues Werk „Die Stunde der Raubtiere“ in einer Kölner Buchhandlung besorgt hat, und sonderlich umfangreich ist das Buch tatsächlich nicht. Ich nehme es sofort zur Hand, denn düstere Tech-Lords à la Darth Vader finde ich seit Kindheit hochspannend.
Was es braucht, um Gesellschaften zu destabilisieren
Der „dunkle Fürstenspiegel“ (so steht es im Klappentext) ist in 12 Kapitel unterteilt, in denen der Autor anhand persönlicher Begegnungen mit den Spitzen aus Politik und Hochfinanz nachzuweisen versucht, dass wir uns am Übergang der regelbasierten Periode – wie wir sie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kannten – in eine Phase des Social Media getriebenen Chaos befinden. Da die meisten Kipppunkte bereits unwiderruflich überschritten sind, ist die Rückkehr zur alten Ordnung unwahrscheinlicher als der Eintritt ins Zeitalter ungezügelter Geldgier und zunehmender Brutalität.
Die neue Ära wird bestimmt von Tech-Lords und Populisten, die einander bedingen. Ohne Musk & Zuckerberg keine Trump & Bukele, ohne Cambridge Analytica keine zielgenaue Manipulation des individuellen Wahlverhaltens, ohne superschlaue Algorithmen und künstliche Intelligenz keine Abstiegsängste der Mittelschicht. Während das Silicon Valley den Nährboden für die Demagogen bereitet, verschonen diese, sobald sie an den Schalthebeln der Macht sitzen, die Tech-Branche vor jeglicher Regulierung: Hass und Hetze werden nicht gesetzlich sanktioniert, sondern gelten als legitime Manifestationen des Rechts auf freie Meinungsäußerung, K.I. – obwohl längst als gefährlichste Waffe seit Erfindung der Atombombe ausgemacht – wird in den Händen der Privatwirtschaft belassen, anstatt sie strikter staatlicher Kontrolle zu unterziehen. Den offenkundigen Arbeitsplatzverlusten in traditionellen Branchen aufgrund von immer mehr Technik wird kein öffentliches Konjunkturprogramm entgegengestellt; man lässt die Sache einfach weiterlaufen. Wer nicht clever genug ist, sich vom Taxifahrer zum Smartphone-App-Programmierer umschulen zu lassen, landet auf der Straße. Ohne jegliche Alimentierung. Survival of the fittest.
Da Empoli stellt 4 Thesen auf:
(I) (Tech-) Milliardäre & Demagogen benötigen Chaos, um erfolgreich handeln zu können
(II) Aktion (oft erratisch wirkend) tritt an die Stelle von Diplomatie
(III) Angriffswaffen werden immer billiger -> Krieg lohnt sich
(IV) Das Zeitalter unregulierter Gewalt steht unmittelbar bevor.
Keine bahnbrechend neuen Erkenntnisse
Das sind keine brandneuen Einsichten; wer aufmerksam die Zeitung studiert oder hin und wieder Dokus auf Arte schaut, hat das alles schon mal gelesen und gehört. Dass Musk & Trump, auch wenn sie sich mitunter um Aufmerksamkeit buhlend auf ihren Plattformen bis aufs Blut fetzen, dennoch Best buddys bleiben, hat seinen Grund darin, weil sie beide voneinander abhängig sind: die Meinungsmache in X und die Milliarden von Musk bewirken hohe Zustimmungswerte für handwerklich schlechte Politik, und diese Politik wiederum garantiert, dass der Tech-Lord ungebremst weiter agieren kann, ohne staatliche Beaufsichtigung seines mitunter dubiosen Geschäftsgebarens befürchten zu müssen. Dass der US-amerikanische Präsident keine Memos studiert, bevor er ans Rednerpult tritt und oft Sachen sagt, die altgedienten Diplomaten den Angstschweiß auf die Stirn treiben – das ist ebenfalls bekannt. Drohnen revolutionieren die Kriegsführung nicht nur, sie machen Angriffskrieg vor allem rentabel. Der Verteidiger muss jetzt mehr Geld aufwenden als der Aggressor. Und die Verächtlichmachung von Völker- & Menschenrecht führt natürlich in der Konsequenz zu Grausamkeiten à la Krieg in der Ukraine und dem allmählichen Schleifen des Minderheitenschutzes in Ländern, die von Autokraten gekapert werden.
Neu sind die einzelnen Thesen des Autors also nicht; neu ist allenfalls ihre Synthese in gestraffter Form.
Französische Könige, Condottieri & Konquistadoren
Da Empoli widersteht dem Reflex, die 20-er Jahre des 21-sten Jahrhunderts mit den frühen 30-ern des 20-sten gleichzusetzen, sondern springt stattdessen 500 Jahre zurück an den Beginn der sog. Neuzeit, als Franz VIII mit Hilfe der damals die Kriegsführung revolutionierenden schweren Artillerie weite Teile Italiens eroberte und eine längere Periode des Friedens auf der Apennin-Halbinsel abrupt beendete, Konquistadoren wie Cortez & Pizarro mit kleinen Mannschaften – aber technisch überlegen – die großen Reiche der Azteken und Inkas quasi im Handstreich in die Knie zwangen und schillernde Figuren wie Cesare Borgia die Bühne der Politik betraten, wo sie eine Zeit lang schwindelfrei agierten, bevor sie von der nächsten Generation machthungriger Thronanwärter beseitigt wurden.
Das ist eine durchaus gelungene historische Analogie und man möchte nachträglich Henry Kissinger applaudieren, der auf die Frage, wie man sich am besten darauf vorbereitet, eine führende Rolle in der Weltpolitik zu spielen, antwortete: „Studieren Sie Geschichte, studieren Sie Geschichte, studieren Sie Geschichte!“ [Bonmot wird ursprünglich Churchill zugeschrieben].
Autokratie mit Tech-Lords als politischer Normalzustand?
Wer Bekanntes – unter der Voraussetzung, Sie lesen regelmäßig Zeitung und schauen Dokus auf Arte – in geraffter Form präsentiert haben möchte, dem sei „Die Stunde der Raubtiere“ durchaus ans Herz gelegt. Unser unaufhaltsamer Marsch ins neue Zeitalter von Disruption & Brutalität wird von da Empoli unterhaltsam geschildert, er verliert interessanterweise kaum Worte darüber, was man hätte anders machen können, wo (vertane) Chancen bestanden, den Prozess im letzten Moment zu stoppen. Der Weg in die Autokratie quasi als politisches „Natur-“ Gesetz. Der Aufbau des Buchs – alle Kapitel schildern persönliche Begegnungen mit Staatsmännern und Top-Unternehmenslenkern – wirkt ein bisschen eitel: schaut her, welche Politpromis ich kenne und mit wem ich schon alles geredet habe. Aber das sei dem Autor verziehen. Dessen Conclusio ist übrigens pessimistisch:
Wir hatten das große Glück, eine lange Zeit des Friedens und der Demokratie zu erleben. Aber der Glaube, dass dieser Zustand normal ist, ist falsch. Tatsächlich ist das erfolgreiche Fernhalten der Raubtiere in der Geschichte eher die Ausnahme als die Regel. Es gibt immer wieder Phasen, in denen die Raubtiere frei umherstreifen, unterbrochen wiederum von Phasen, in denen sie gebändigt werden können.
© Giuliano da Empoli im Interview: „Jetzt kommt die bitterböse Rechnung“
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Giuliano da Empoli: Die Stunde der Raubtiere
Verlag C.H. Beck
127 Seiten
3. Aufl., Sep. 2025
ISBN: 978-3-406-83821-7

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