Eine gerechte und akzeptable Wehrpflicht ist möglich
Eine akzeptable und gerechte Wehrpflicht in Deutschland ist möglich. Dazu müssen mehr Jahrgänge berücksichtigt und Rückstellungsgründe akzeptiert werden.

Die Wehrpflicht für Männer steht im Grundgesetz, über die muss eigentlich gar nicht gestritten werden. Hier geht es um die reale Durchsetzung dieser Pflicht, und die muss akzeptabel und gerecht sein. Niemand in der Politik ist ehrlich, wenn es um eine gerechte und akzeptable Wehrpflicht geht. Und offenbar ist auch niemand in der Lage, einen Plan zum Aufbau einer leistungsstarken modernen Armee zu entwickeln, der gerecht und akzeptabel ist.
Zwei Wahrheiten über die allgemeine Wehrpflicht
Zwei Dinge müssen klar ausgesprochen werden. Erstens: Deutschland braucht eine Armee, die ungefähr doppelt so groß ist wie die heutige, und diese Armee darf nicht nur aus Offizieren und Spezialisten bestehen, sie braucht vor allem Soldaten: Infanteristen, Artilleristen, Matrosen, Leute, die in Panzern sitzen, die an den Geschützen der Korvetten und Fregatten stehen. Der Ukraine-Krieg zeigt unübersehbar, dass der Krieg, der verhindert werden soll, auf dem Feld, an der Front stattfindet. Zudem muss die Bundeswehr im Kriegsfall Drohnen bekämpfen und Infrastruturen verteidigen. Deshalb brauchen wir nicht nur eine aktive Truppe, sondern auch eine starke Reserve, die dann die Territorialverteidigung übernimmt, die die Logistik und die Infrastruktur der NATO-Truppenbewegungen auf deutschem Boden sicherstellt. Eine solche Reserve wird aber nur auf der Basis eines professionellen, effektiven Wehrdienstes gebildet, gefolgt von regelmäßigen Übungen. Die Fähigkeiten, die dabei erworben werden, sind auch nützlich bei Sabotageakten, in Katastrophenfällen und Krisen, die auch ohne erklärten Krieg passieren werden.
Zweitens: Die Bundeswehr ist heute gar nicht in der Lage, im eigentlich benötigten Umfang Wehrdienstleistende auszubilden. Es gibt keine Ausbilder, kein Material, keine Infrastrukturen, keine ausreichenden Truppenübungsplätze, nicht genug Kasernen.
Wehrpflicht muss akzeptabel und gerecht sein
Ohne das zuzugeben, versucht die Regierung nun irgendwie einen Wehrdienst auf die Beine zu stellen, der der Situation gerecht wird. Das kann nur scheitern, und diesem Scheitern schauen wir gerade zu. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so gefährlich wäre.
Wenn man die Situation ernst nimmt und zugleich mit der notwendigen Offenheit gegenüber Volk und Wählern agiert, bleibt eine einfache Lösung, die akzeptabel und gerecht ist: Wehrdienst für alle – zunächst bis zur Grundgesetzänderung für alle Männer – im Alter von 18 bis, sagen wir, 35 Jahren, weil die heute 36jährigen die letzten waren, die noch der Wehrpflicht unterworfen waren. Das heißt, jeder in diesem Alter ist wehrpflichtig. Gezogen werden aber zunächst nicht die jüngsten, das wäre die ungerechteste Lösung angesichts der Tatsache, dass diese Jahrgänge während ihrer Schulzeit am meisten unter den Corona-Maßnahmen leiden mussten.
Zuerst werden die einberufen, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Wenn der Wehrdienst zunächst 6 Monate dauert, ist das zu verschmerzen. Das sind dann typischerweise Menschen, die zwischen 22 und 30 Jahren alt sind. Und das sind natürlich mehr, als die Bundeswehr in den nächsten Jahren verkraften kann. Deshalb wird es eine Reihe von Rückstellungsgründen geben können. Das können z.B. familiäre Gründe sein, Kinderbetreueung wäre der erste Grund, Pflege von Angehörigen auch. Zudem weitere Ausbildungsschritte, wichtige berufliche Verpflichtungen beim Übergang von der Ausbildung zum Erwerbsleben. Sodann kommen Aktivitäten in anderen gesellschaftlich wichtigen Bereichen, THW, DRK, soziale Dienste in Frage. Wer sich irgendwo bereits ernsthaft gesellschaftlich engagiert, kann befreit oder zurückgestellt werden von der Wehrpflicht, das kann auch die Leitung eines Chores, einer Theatergruppe oder die Arbeit als Trainer im Sportverein sein.
Wichtig ist: Die akzeptable und gerechte Wehrpflicht ist allgemein, aber es gibt gute Gründe, mit denen man von ihr befreit werden kann, wenn man etwas anderes gesellschaftlich Nützliches oder familiär Sinnvolles tut.
Man wird einwenden, dass das einen großen Prüfaufwand erfordert und dem Betrug Tür und Tor öffnet. Das mag sein, und wenn es so ist, dann haben wir in der Gesellschaft noch ein ganz anderes Problem. Aber zunächst reicht es ja, wenn auf diese Weise im Jahr ein paar tausend, später ein paar zehntausend Wehrdienstleistende zusammenkommen. In der ersten Phase kann man also nachsichtig sein, zumal diejenigen, die nicht zur Truppe müssen, erstmal nur zurückgestellt werden. Später, wenn auf diese Weise nicht genügend Wehrdienstleistende gewonnen werden, kann man strenger werden und genauer hinsehen. Auch das kann man offen und ehrlich von Anfang an sagen.
In jedem Fall ist ein solcher Ansatz ehrlicher und akzeptabler als eine Wehrpflicht im Losverfahren. Sie trifft nicht willkürlich ein paar wenige, sondern wählt nach einem nachvollziehbaren Verfahren aus einer großen Zahl von Wehrpflichtigen aus. Freiwillige können bevorzugt und diejenigen, die auf andere Weise Verantwortung für das Gemeinwesen übernehmen, können befreit werden. So schafft man eine gerechte und akzeptable Wehrpflicht.
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