Helden und Demokratie
Moderne Demokratien scheinen ohne Heldentum auszukommen. Aber es kann sein, dass sie ohne Helden an sich selbst ersticken.

Zu den vielgeliebten und zugleich selten hinterfragten Zitaten des Dichters Bertolt Brecht gehört der kleine Wortwechsel gegen Ende des Stücks Leben des Galilei, indem ein enttäuschter und verächtlicher Andrea Sarti sagt „Unglücklich das Land, das keine Helden hat“, worauf der alte Galilei erwidert „Nein, unglücklich das Land, das Helden nötig hat“. Die Beliebtheit des letzten Satzes zeigt, dass viele der Ansicht sind, ein gutes, halbwegs vernünftig eingerichtetes Land wäre daran zu erkennen, dass es in ihm keine Helden gibt, weil es keine Helden braucht. Die Demokratie braucht keine Helden, könnte man somit meinen. Werden aber Helden gebraucht, dann ist das Land eigentlich schon verloren, dann ist es schon im Unglück.
Heldentum ist in Verruf geraten
Deshalb meint man gerne, eine moderne Demokratie, als die etwa die Bundesrepublik gern gesehen wird, brauche keine Helden. Über die Jahrzehnte, in denen man meinte, in einem demokratisch eingerichteten, friedlichen, halbwegs funktionierenden, menschlichen und somit auch ziemlich glücklichen Land zu leben, ist das Heldentum sogar in Verruf gekommen. Man schätzt vielleicht noch den Bergretter im ZDF-Frühabendprogramm, aber schon der ist ja etwas anachronistisch. Im Feld des Politischen, der gesellschaftlichen Entscheidungen und Handlungen jedenfalls, werden Helden argwöhnisch betrachtet, die richtigen Lösungen sollen nicht durch Heldentaten herbeigeführt, sondern durch Argumentationen, Verhandlungen und Sachentscheidungen erreicht, das Böse soll nicht durch mutiges Heldentum, sondern durch Gerichte und die Polizei gestoppt werden.
Allerdings sehen wir, dass der Heldenfreie Staat nicht glücklich macht. Kaum jemand wird behaupten, dass die legalen und legitimen Verfahren der Entscheidungsfindung die anstehenden Probleme lösen, dass sie sie auch nur benennen und nicht unter den Teppich kehren. Könnten da Helden helfen?
Wer oder was ist ein Held? Jemand, der Gefahren riskiert und ernsthafte und langfristige Nachteile oder Schäden für sich in Kauf nimmt, die Konsequenzen einer Handlung sind, die er für moralisch geboten hält. Zum Heldentum gehört, dass man sich vorher bewusst ist, dass diese Nachteile drohen. Wer nur aus Naivität zum Helden wird, ist trotzdem einer, wenn er dann heldenhaft die Konsequenzen erträgt.
Der Bergretter – Vorbild für Demokratie-Helden?
Ist der Bergretter ein Held? Man könnte sagen, dass er sich nicht ernsthaft in Gefahr bringt, nicht nur, weil das Drehbuch ja dafür sorgt, dass am Ende alles gut geht, sondern vor allem, weil er, als Figur der Geschichte, hervorragend ausgebildet ist und all die Techniken beherrscht, die es ihm ermöglichen, ohne Verletzungen oder gar den Tod befürchten zu müssen, moralisch ausgezeichnet zu handeln. Leute wie er sollen ja gerade nicht zum Helden werden, sie sollen nur tun, was ihnen möglich ist, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Bergretter, Feuerwehrleute und Ärzte sind sozusagen die Grenzgänger, die gerade noch erlaubt sind in einer Welt, die Helden nicht nötig haben will.
Wenn man nach dem Heldentum fragt, das für Länder, für die moderne Gesellschaft mit demokratischem Anspruch nötig wäre, dann geht es aber ohnehin nicht um Aktionen, die man so einüben kann, dass einem keine Gefahr droht. Die Gefahr kann hier nicht vermieden werden, weil sie zur Heldentat dazugehört, weil sie die Tat überhaupt heldenhaft macht. Schon der Widerruf des Galilei, um den es oben ja geht, zeigt es: Man kann das Widerrufen nicht üben, damit es ungefährlich wird. So ist es auch mit denen, die hier und heute heldenhaftes tun: Aktivisten, die in Schlachtbetriebe einbrechen, um skandalöse Bedingungen zu dokumentieren, Leute, die sich an Bäume ketten, damit die nicht gefällt werden. Das ist allerdings nicht immer so ganz heldenhaft, wenn man weiß, dass einem damit vielleicht ein paar Unannehmlichkeiten drohen, aber keine langfristigen Nachteile.
Aber was ist mit den Aktivisten der ehemaligen Letzen Generation? Ihnen drohen immerhin Prozesse mit Geld- womöglich sogar Haftstrafen. Sie haben eine Menge riskiert, Verzögerungen in der Berufsausbildung, Verlust der sozialen Einbindung, Strafvollzug. Sie tun dies für einen moralisch guten Zweck, nämlich dafür, die Dringlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen ins öffentliche Bewusstsein zu bringen.
Die (un)geliebten Helden in der Demokratie
Sind sie Helden? Hier kommt nun eine andere scheinbar selbstverständliche Eigenschaft von Helden ins Spiel. Weit verbreitet ist die Ansicht, dass Helden etwas tun, was viele für richtig und notwendig halten, sich aber nicht trauen. Wieder ist der Bergretter ein tolles Beispiel: Menschen auf Bergnot retten ist zweifellos eine gute Tat, aber kaum jemand traut sich das, was der Held da tut. Was die Letzte Generation getan hat, halten nur wenige für gut und richtig, auch wenn die Ziele von vielen durchaus unterstützt werden.
Man könnte allerdings einwenden, dass Helden, die mit ihrer Tat Missstände offensichtlich machen wollen, zunächst auf Ablehnung stoßen werden, wenn die Abschaffung der Misstände für viele unbequem ist. Erst im Nachhinein, im Rückblick stellt sich vielleicht heraus, dass die Mutigen wirklich Helden waren.
In einer bürgerlichen Demokratie, die den Bürgern ein ruhiges und angenehmes Leben verspricht und in der man meint, keine Helden zu brauchen, ist der Held zunächst immer Störenfried. Solange in so einer Gesellschaft alles halbwegs gut läuft, meint man, keine Helden zu brauchen, man diskreditiert sie gern als vorlaut, pathetisch und ruhmsüchtig. Gerade, wenn das Heldentum in Vergessenheit geraten ist, ist es für die Helden auch schwer, die richtigen Aktionen zu finden, die wirklich Wirkung erzielen. Das ist umso schwerer, als die Aktion der Helden immer symbolisch ist, sie hat keine unmittelbare gute Wirkung, sie versucht nur, unmissverständlich zu zeigen, dass etwas getan, dass etwas anders werden muss.
Wir brauchen Störenfriede
Der demokratische Politikbetrieb mit seinen Parteien, Koalitionen, Fraktionen, Gesetzentwürfen und Vermittlungsausschüssen ist aber in die Krise geraten. Er versucht, so weiterzumachen wie es seit Jahrzehnten irgendwie funktioniert, aber er produziert keine Lösungen für anstehende Probleme mehr. Vielleicht müssen Helden her, die das laut und unübersehbar sichtbar machen, die das System durchschütteln, damit der Staub abfällt. Vielleicht braucht eine moderne Demokratie immer wieder Helden, damit sie am Leben bleibt und nicht an sich selbst erstickt.
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