Voll cringe!

Teilweise zum Fremdschämen fand Henning Hirsch die Sendung „Nuhr im Zweiten“ und sagt: Intellektuelle Überheblichkeit ist nicht gleichbedeutend mit feinsinnigem Humor. Die aktuelle Jammerboomer-Kolumne.

Bild von Hanna auf Pixabay

Hast du dir am Freitagabend die Böhmermann-Parodie auf Nuhr angesehen, fragt mich die Chefredaktion.
Ne, da hab ich mir nen koreanischen Serienkiller-Film angeschaut; der war gar nicht schlecht, schreibe ich zurück.
Macht nichts, gibt’s in der Mediathek.
Und dann soll ich was drüber schreiben?
Klar, andernfalls bräuchtest du dir die Sendung ja nicht in der Mediathek anzusehen. Und beeil dich ausnahmsweise mit dem Schreiben. Der Beitrag soll heute Abend raus.
HEUTE ABEND?
Ja!
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Um es vorneweg zu sagen:
(a) ich schau mir deutsche Comedy recht selten an (weil ich sie, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung, überwiegend als langweilig empfinde)
(b) die Sendung Nuhr im Zweiten habe ich mir nachträglich in der Mediathek angesehen.

Um 1 Sendung zu beurteilen, reicht es aus, diese 1 Sendung angeschaut zu haben, weshalb (a) im Zusammenhang mit dieser Kolumne unwichtig ist.
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Was war geschehen?

Jan Böhmermann nutzt den Freitagabend-Platz im ZDF, um seine Sendung Magazin Royale komplett der Persiflage seines Satire-Kollegen Dieter Nuhr zu widmen. Zusätzlich treten auf (Parodien von): Lisa Eckhart, Luke Mockridge, Abdelkarim Zemhoute* und irgendein Kleinstadt-Komödiant, den ich auf die Schnelle (Text soll heute noch raus!) jedoch nicht recherchiert bekomme. Alles, was die 5 Parodie-Spezialisten in den 30 Minuten von sich geben, beruht auf Originalzitaten der Parodierten. Das Publikum klatscht teils wie wild, bricht in lautes Gelächter aus, Tränen der Freude rinnen manchen über die Wangen. Endlich werden Nuhr & Co. demaskiert!

[* EDIT: im Nachgang erreichte mich ein Leserbrief, dessen Schreiber darauf hinwies, dass es sich bei der Persiflage nicht um den o.g. Abdelkarim Zemhoute, sondern Özgür Cebe handelt. Die Erwähnung des Erstgenannten gründet auf einem Beitrag des SPIEGELs.]

Und bei mir, dem Jammer-Boomer-Kolumnisten, welches Gefühl beherrscht mich, während ich mir das „Spektakel“ ansehe? Ich weiß nicht, wie ich es korrekt beschreiben soll. Ist was Diffuses, oszilliert zwischen „lustig ist was anderes“, Fremdscham und „Kollegenschelte finde ich eigentlich Scheiße“.

Wenn wir die Parodie sezieren – was wir hier nur grob und oberflächlich tun werden, denn bei diesem Text handelt es sich um eine Kolumne und nicht einen Fachaufsatz zum Thema „Welche Faktoren bestimmen den deutschen Humor?“ –, lassen wir uns am besten von meinen oben genannten 3 Gefühlen leiten:

Lustig ist was anderes

ICH habe mich in den 30 Minuten nur mäßig unterhalten gefühlt und dachte oft: DIESER Satz reicht aus, um ihn zu persiflieren? Gibt’s da nichts Gravierenderes, was man durch den Kakao ziehen kann? Ist man heutzutage schon parodierenswert, wenn man sich kritisch zum Gendern und zu fluiden Geschlechtsidentitäten äußert? Wenn man die neue feministische Außenpolitik aufs Korn nimmt? Was war an dem türkischstämmigen Comedian derart verkehrt, dass er ne linke Persiflage verdient? Gänzlich schizophren wird das Ganze bei Lisa Eckhart. Die ist ja ein Liebling vieler deutscher Linksliberaler. Warum muss sie dann als Zerrbild einer rechten Kabarettistin herhalten? Weil sie vor einigen Jahren gezielt antisemitische Klischees bediente (was ihr die Linke aber großenteils durchgehen ließ), oder aber weil sie jetzt Witze über Männer reißt, die sich zu Feministen erklären (ein Feld, bei dem die identitätsfixierte Fraktion keinen Spaß versteht)? Man muss kein Jammer-Boomer sein, um hier ein linkes Humor-Dilemma zu erkennen. Über Luke Mockridge und den anderen Komiker lohnt es nicht, mehr als 1 Satz dazu zu schreiben: zu banal, zu platt ist deren Klamauk, als dass er es auch nur ansatzweise wert wäre, ihn mittels einer Parodie zu adeln.

Voll cringe

Fremdscham – neudeutsch-denglisch auch Cringe genannt – überkam mich v.a. beim Publikum. Wie kann man darüber bloß so in Wallung geraten, dachte ich. Waren die Leute auf Glücksdroge, kriegten die Geld fürs Applaudieren, war das ne Nordkorea-mäßig orchestrierte Veranstaltung oder reicht dem mitteleuropäischen Zuschauer echt so ne fade Performance, um sich vor Lachen zu schütteln? Um es an dieser Stelle noch schlimmer zu machen: einige der Originalsätze von Nuhr und Eckhart fand ich wirklich ganz witzig, während ich deren Persiflage als typisch deutsch iSv. ernsthaft um Humor bemüht, aber halt trotzdem nicht lustig, einstufte. Aber was versteht ein Jammer-Boomer schon von Humor?

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Kurzer Einschub an dieser Stelle: ich fand bspw. gestern Abend auf Netflix sehr lustig, als sich Wednesday (ein Mitglied der Addams Familie) dermaßen über die Blödheit ihrer Mitschüler aufregte, dass sie denen beim Schwimmsport Piranhas ins Becken warf, womit sie ein kleines Blutbad anrichtete. Ohne übrigens Rücksicht darauf zu nehmen, ob sich sensible Zuschauer durch das (kleine) Blutbad verletzt fühlen könnten. Da musste ich grinsen (merke: männliche Boomer schmunzeln nicht. Ist ein Verb, das man als Autor nicht nutzen sollte. Und falls man es doch tut, dann tunlichst nur bei Frauen. Einen schmunzelnden Kerl kann niemand erstnehmen. Selbst linksliberale Frauen nehmen einen schmunzelnden Mann nicht Ernst).
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Kollegenschelte ist Scheiße

Ja, ist sie. Und natürlich ist eine Parodie nichts anderes als eine Sonderform der Schelte – du ewig gestriger rechter/konservativer Comedian sagst politisch derart unkorrekte Sachen in deiner Show, dass wir guten Linken nicht drumherum kommen, dich auf die Schippe zu nehmen. Kann man natürlich tun – also Kollegen dissen. Ist ja schließlich nicht qua Gesetz verboten. Wenn wir damit mal anfangen – weshalb nicht auch: Fußballreporter Meier wirft Fußballreporter Müller vor, von Fußball keine Ahnung zu haben? Nachrichtensprecherin Schulze beklagt, dass Nachrichtensprecherin Seifert keine schöne Stimme hat, wenn sie die Nachrichten vorliest. 5-Sterne-Koch Großmann berichtet vor laufender Kamera, dass 4-Sterne-Koch Mittelmann deshalb keinen 5ten Stern erhält, weil er zu billige Zutaten in seinen Speisen verwendet. Und, mein aktueller Liebling, Kolumnist B (oder C oder X oder Y. Suchen Sie sich einen Buchstaben aus) erklärt, dass Kolumnist H vom Kolumnenschreiben keinen blassen Schimmer hat etc. etc. Hat was von Rapper-Beef oder Hip-Hop-Battle. Dem Publikum gefällt das. Das Publikum muss aber auch nicht in den Ring. Das begnügt sich mit Voyeurismus, hämischen Zwischenrufen und Daumen rauf/runter. Ich persönlich halte Kollegenschelte für schlechten Stil und lasse davon, auch wenn es mich bei mancher Kolumne manchmal juckt, die juckenden Finger tunlichst weg von der Tastatur und kratze mich stattdessen lieber zwischen den Beinen.

Um zum Schluss zu kommen – denn mehr als maximal 1000 Wörter ist die jüngste Böhmermann-Sendung nicht wert –: ICH fand’s überwiegend peinlich. Wenn einem humoristisch echt nichts mehr einfällt, als seinen Kollegen an deren Comedian-Beine zu pinkeln – oh weh! Die Skriptschreiber scheinen geistig erschöpft zu sein. In diesem Fall rate ich zu ner mehrmonatigen Auszeit wahlweise auf einer unbewohnten thailändischen Insel oder im australischen Outback, um da in der Abgeschiedenheit wieder zu Kräften u.v.a. auf neue pfiffige Ideen zu kommen.

Zumal durch die Persiflage ja der Eindruck erweckt wird, es gibt guten (Böhmermann) und bösen (Nuhr) Humor. Was für eine Scheiße ist das denn? Wer bestimmt, was guter Humor ist – das ZDF mit seinem Magazin Royale? Die linksliberale Intelligenz, die schon bei Lisa Eckharts Kokettieren mit antisemitischen Klischees meilenweit daneben lag? Warum dürfen keine Witze über Klimaaktivisten gemacht werden? Weil’s aus dem Blickwinkel der Zeitgeistavantgarde politisch unkorrekt ist? Um Gottes Willen! Ne Menge Jokes sind unkorrekt. Um nicht zu sagen: 90 Prozent des weltweiten Humors lebt von seiner politischen Unkorrektheit. Wer das nicht mag, verabredet sich halt nur noch mit den 10-Prozent-Resthumor-Gleichgesinnten.

Ich empfinde das, was Jan Böhmermann am vergangenen Freitagabend getan hat, als zutiefst unkollegial, hart an der Grenze, dass ich mir ihn in Zukunft nicht mehr ansehen werde (um jetzt noch ein bisschen Verwirrung am Ende der Kolumne zu stiften: inhaltlich stimme ich weit öfter mit ihm als Dieter Nuhr überein. Aber diese penetrant zur Schau getragene intellektuelle Überheblichkeit geht mir doch stark auf den Sack).

PS. sollte es sich um ein abgekartetes Spiel zwischen Böhmermann und Nuhr handeln – wie bereits einige Facebook-Eingeweihte hinter vorgehaltener Hand raunen –, um mittels gegenseitigen Persiflierens die Einschaltquoten in die Höhe zu treiben, will ich das Voranstehende natürlich nicht gesagt haben und behaupte in meiner nächsten Kolumne was anderes.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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