Unentschieden?

Heinrich Schmitz erklärt in seiner samstäglichen Kolumne, warum er mit einem „Früher war alles besser“ nicht viel anfangen kann. Unser Kolumnist Uwe Fischer möchte sich seine schönen Erinnerung an diese Zeit nicht nehmen lassen und hält nicht ohne ein Augenzwinkern dagegen.


Bild von Foto-RaBe auf Pixabay
Heinrich Schmitz beschäftigt sich in seiner Kolumne mit der Behauptung, dass früher alles besser war und widerlegt sie anhand einiger Beispiele. Ich möchte dagegen halten und mir die Illusion des nörgelnden älteren Herrn nicht mal eben so zerstören lassen.

Quote, Klick, Quote, Klick

Ja, heute gibt es Dinge, die tatsächlich besser sind und vieles von dem kritischen Blick auf die heutige Zeit mag damit zu begründen sein, dass die Medien Meldungen zu Ereignissen schon verbreiten, bevor sie überhaupt stattgefunden haben und dann – Quote, Klick, Quote, Klick – Dramen und Schlechtigkeiten gerne in den Vordergrund rücken. Und das nicht nur bei dem bedruckten Altpapier mit den vier blutroten Buchstaben, das ganze Internet ist ein Hort solcher Verderblichkeiten mit dem einzigen Ziel, uns zu deprimieren.

Fußball

Aber! Ich muss nicht lange überlegen, um zu meiner Gegenrede zu gelangen und den kolumnistischen Ausgleichstreffer zu erzielen, womit ich mit einem großartigen Wortspiel schon beim ersten Thema bin: Fußball war früher definitiv besser.
Die Frisuren der Spieler lasse ich mal außen vor, ein Blick in unserer eigenen Fotoalben aus der guten alten Zeit liefert die Erklärung dafür. Wer ohne grauenhafte Frisur war, der werfe den ersten Kamm.
Aber es gab zum Glück verschiedene Mannschaften, die um die deutsche Meisterschaft gespielt haben und nicht nur eine, die diesen Titel im Dauerabo gebucht hat. Die Fans mussten also nicht überlegen, wann die Bayern Meister werden sondern mitfiebern, wer Meister wird. Selbst der Verein vom „Ernst Kuzorra sein Frau ihr Mann sein Weg“ hat mal für ein paar Minuten an der Meisterschaft geschnuppert. S05 fast Meister, okay, das ist kein Beleg für bessere Zeiten, aber Ihr wisst, was ich meine.
Es gab keinen Klon wie diesen Zombieclub aus der Marketingabteilung eines Chemiekonzerns, dessen Plörre angeblich Flügel verleihen kann (Jägermeister ist Kult und eine ganz andere Geschichte). Schiedsrichter waren nicht nur Objekte der anhaltenden Kritik, sie wurden sogar dadurch geadelt, dass eine Getränkekombination nach ihnen benannt wurde und eine Kneipe. Betrunken ein Spiel zu früh abpfeifen? Heute unvorstellbar, da sitzen, so sagen Fans von Vereinen der ersten beiden Ligen,die Betrunkenen höchstens gut abgeschirmt von der Öffentlichkeit in einem ominösen Keller in Köln.

MSV

Vor allem hat auch der glorreiche MSV Duisburg („Wo Meiderich liegt, wo Meiderich liegt ist überall bekannt.“) noch in der Bundesliga gespielt, was für Euch klar erkennbar das gewichtigste meiner Argumente ist.

Ich glaube auch nicht, dass eine Kindheit wie meine heute möglich ist. Im Kindergartenalter spontan mit Freunden treffen und durch den Stadtteil streifen, das in einer Großstadt? Heute unvorstellbar, oder? Und das auch noch, ohne dass Eltern die Termine ihrer Kinder verwaltet haben wie die eines zeitlich völlig verplanten Topmanagers. Die Mutter als Sekretärin gab es nicht, wir waren die Katzen und nicht die Hunde, wir hatten die Herrschaft über unsere Freizeit und sind nicht nur Gassi gegangen, wenn Frauchen das wollte. Heimkehr war, wenn die Straßenlaternen angingen, Kohlenstaub und Rheinaroma abgeduscht und ab an den Tisch zum Abendessen. Vater machte das Bier auf und das Kind lag pünktlich zur Tagesschau im Bett. Frisch geduscht und trotzdem glücklich.

Kinderbanden

Wenn man damals einer der verfeindeten Kinderbanden über den Weg lief, gab es ein paar Ohrlaschen, vielleicht eine blutende Nase und das Thema war durch. Heute fängt „der Spaß“ erst richtig an, wenn jemand auf dem Boden liegt und ein Messer kommt auch gerne mal dazu. Selbst vor über 2 Jahrzehnten sprach mein Sohn, da gerade in der Grundschule, von den damals besseren Zeiten. Auch früher war es also auch früher besser.

Wenn wir an die Trinkhalle gingen (nicht Kiosk, sondern Trinkhalle oder Büdken), konnte man 10 Knöterich und 10 Veilchenpastillen für 20 Pfennig kaufen und musste nicht von Mutti – heute hat jede Mutti natürlich einen SUV – zum nächsten EKZ gekarrt werden, um dort zwei Tüten von den Leckereien für vier Euro zu kaufen. Und Pommes, meine Lieblingsspeise, gab es für 50-5-5 (fünfzig Pfennig die Pommes, 5 die Mayo, 5 der Ketchup) in Spitztüten mit einer Holzgabel. Holz und kein Plastik, die Menschen waren früher auch klüger! Ohne sich dabei zu beschmieren und dann die Tüte auszulecken ging es nicht. Macht das mal heute in einem Restaurant mit den Tellern!

Leckmuschel

Und ganz ehrlich, die nette Frau in der Trinkhalle würde ich mich heute nicht mal hinter vorgehaltener Hand, flüsternd und mit verstellter Stimme zu fragen trauen, ob sie einen braunen Bär oder eine Leckmuschel hat! Kostbare Zeit der Unschuld.
Ja, die Trinkhallen, was waren die doch für eine wunderbare Institution. Beim Herrn Kölken habe ich mein allererstes Mickey Mouse Heft gekauft und durfte es sogar umtauschen, nachdem ich es gelesen hatte und langweilig fand. Begeistert war er nicht, aber man kannte sich und hatte Vertrauen. Ich war ja auch ein süßer Fratz, wenigstens das konnte ich über die Jahre mitnehmen.
Üblich war es auch, dass Sparkästen an der Wand einer Trinkhalle hingen, dass es anlässlich der Leerung eine Party gab oder dass nahezu der gesamte Bedarf des täglichen Lebens auf nur wenigen Quadratmetern gedeckt werden konnte.

Büdken

Wenn ich während der Schulzeit nach meinem sonntäglichen Zeitungsverkauf an einem solchen Büdken mitten in Duisburg-Bruckhausen das Kleingeld in Scheine getauscht habe, konnte ich es erleben. Da kamen erst die Arbeiter von Thyssen rüber, tranken schnell ein Pils und einen Flachmann, kauften eine große Cola und eine kleine Flasche Korn. Dann wurde die Hälfte der Cola weggekippt und mit dem Schnaps aufgefüllt. Auf dem Rückweg ins Werk wusste der Werkschutz am Eingang Bescheid und lächelte wissend. Es war ja nur eine Flasche Cola. Dazu kamen später verschlafene oder verkaterte Hausfrauen, um ein Glas geschälte Kartoffeln, ein Glas Rotkohl, eine Dose Gulasch und ein Paket Eis für das mit großer Sorgfalt und viel Liebe zubereitete Sonntagsmahl zu kaufen. Auch Kinder mit ihrem Kleingeld oder mit dem Schein für die EVE 120 für Mutti oder die Peter Stuyvesant für Opa. „Wie alt bist du?“ gab es nicht, man kannte sich doch! Wer das nicht erlebt hat wird auch nicht verstehen können, was früher wirklich besser war.

Ein Kultbüdken im Stadtteil meiner Kindheit:

Ich hatte definitiv eine glückliche Kindheit mit so vielen Abenteuern, wie sie nur noch in den Romanen von Astrid Lindgren oder denen mit Tom Sawyer zu finden sind.

Saufkultur

Fußball und Trinkhalle, kommen wir also wieder zum Alkohol, auch darüber muss gesprochen werden. Wer früher ein Bier bestellt hat, wusste auch, was er bekam: Wasser, Hefe, Hopfen, Malz, Gott erhalt’s. Dazu eine schöne Schaumkrone, die Rede ist ja von Bier und nicht von Kölsch, und hoch die Tassen! Heute? Alkoholfreies Bier mit Zitrone, Guarana und Melisse, mit Honigmelone und Spekulatius, mit Drachenfrucht und Achselschweiß. Alle Welt regt sich auf, wenn vegane Wurst Wurst genannt wird, so eine Plörre aber darf Bier genannt werden? Wer das früher getrunken hätte, wäre nie wieder in der Gesellschaft angekommen, jede Eckkneipe, die das angeboten hätte, wäre pleite gegangen. Ich bin ja wirklich tolerant, aber irgendwo muss es auch gut sein.

Promis

Warum Heinrich als bekennender Fan von Trash TV Sendungen wie Dschungelcamp, Big Brother und bestimmt auch GNTM und Let’s Dance dieses Thema ausgeklammert hat, ist verständlich, doch auch das war mal besser. Früher waren Menschen entweder prominent oder nicht. Heute gibt es ja diese Promikategorien von A bis Z, es gibt schon einen Stern auf dem Promi Walk of Shame, wenn sich die Mutter nicht in einer Besenkammer an den Ergüssen eines richtigen Promis verschluckt hat oder sich das nähere Kennenlernen mit einem solchen auf einem handgeknüpften Seiden Ghom mit 500.000 Knoten/m2 bei Teppich Luder im Lager ereignete. Sollte es jemanden geben, der oder die unsere Geschicke lenkt: es ging Andy Warhole um 15 Minuten Ruhm für jeden Menschen, bitte dreh nochmal daran! Nur um 15 Minuten und nicht um die Dauer von 15 Trashformaten!

Wenn ich mich als Kind mal vor Angst hinter der Couch versteckt habe, dann schlich Belphégor durch die Katakomben oder es dröhnte aus dem Fernseher: „Hier spricht Edgar Wallace!“ Jetzt zieht man sich ebenfalls vor Angst die Decke über den Kopf, wenn Florian Silbereisen angekündigt wird oder Carmen Nebel nicht im Nebel einer Programmstörung verschwinden mag, Heidi Klum ihre Mädels zusammenfaltet oder sich Schauspieldoofies durch angebliche Dokus stümpern und die getreue Leserschaft des schon erwähnten Schmierblatts darin das wahre Leben erkennt. Aber gut, irgendwer muss ja schließlich die AfD wählen, da haben wir sie!
Ausdrücklich ausgenommen von meiner Kritik sind natürlich die Ludolfs, das war nun wirklich eine Sendung von Format. Außerdem spielte da ein Uwe mit, hallo!

Wer heute alles so über die Bildschirme geistert und eine Existenzberechtigung erhält! Nichts mehr mit Peter Frankenfeld und Hänschen Dalli Rosenthal, kein Rudi Carrell und kein Dieter Hildebrandt, kein Loriot und kein Kishon. Selbst Fips Asmussen wäre noch ein Upgrade zu Elton, Mario mit dem langen Barth, dem ollen Mobber Pocher, dem abgehalfterten Dieter Nuhr und wie sie alle heißen.
Das war der Vorteil der eingeschränkten Auswahl an Fernsehsendern, es gab halt nicht einen Kanal pro Promideppen.

RTL Samstag Nacht? Tutti Frutti? Alles nichts oder? Die Sportschau? Geblieben ist nur die gute alte Space Night des Bayrischen Rundfunks, aber ich bin ja längst aus dem Alter raus, um diese Zeit nach dem frühzeitigen Endes eines wüsten Wochenendes hackedicht vor dem TV zu hängen, tolle Weltraumaufnahmen zu spacigen Klängen zu genießen und langsam dahinzudämmern.

Und darüber, dass die Musik früher besser war, sollten wir gar nicht diskutieren müssen, oder?

Einigen wir uns auf ein Unentschieden, Heinrich?

Uwe Fischer

Nach 18 Jahren als Kundenbetreuer im Außendienst, 15 Jahre davon bei einem mittelständischen Unternehmen aus der Lebensmittelbranche, hieß es „back to the roots“ mit einer späten Ausbildung zum Logopäden. Heute betreibt Fischer seit 2008 gemeinsam mit seiner Partnerin eine Praxis für Logopädie in der Eifel.

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