Der Sinn der Schöffen
Ehrenamtliche Richter sind keine überholte Tradition sondern eine sinnvolle Einrichtung des Rechtstaates.
Vor knapp zwei Wochen hat Heinrich Schmitz an dieser Stelle gegen die Arbeit ehrenamtlicher Richter argumentiert. Man würde sich, so sein Argument, ja auch nicht von Laien operieren lassen. Ein merkwürdiger Vergleich: bei einem Chirurgen sollte man bekanntlich annehmen, dass er ausschließlich das Wohl des Patienten im Sinn hat, und nicht etwa ausschließlich die Regeln und die Erhaltung des Gesundheitssystems. Beim Richter liegen die Dinge etwas anders – ihm geht es um die Einhaltung des Regelsystems, nicht um das Wohlergehen des Beklagten oder des Klägers. Schon die Tatsache, dass den Richtern zwei Parteien gegenübersitzen, die streiten, sei es die Staatsanwaltschaft und ein Beklagter, seien es zwei verstrittene Geschäftsleute, oder sei es das Finanzamt und ein Steuerbürger, macht klar, dass der Chirurgenvergleich nicht trägt.
Der Schreiber dieser Zeilen ist selbst seit Jahren ehrenamtlicher Richter, und zwar an einem Finanzgericht, da sitzen im Senat drei Berufsrichter und zwei Schöffen. Er hat zudem sehr enge familiäre Beziehungen zu einer erfahrenen ehrenamtlichen Handelsrichterin am Landgericht, da sitzt ein Berufsrichter mit zwei ehrenamtlichen Richtern im Senat. Aus dieser Erfahrung heraus ein paar Sätze zur Praxis und zum Sinn dieser Konstruktion.
Auch wenn die ehrenamtlichen und professionellen Richtern formal gleichberechtigt sind, haben die Berufsrichter natürlich praktisch das Sagen. Sie bereiten den Fall vor, sie können ihren ehrenamtlichen Kollegen die Rechtslage erklären, sie schreiben, wie Schmitz richtig erwähnt, die Urteile. Die Schöffen werden der Verhandlung so zugeordnet, dass eine vorherige oder systematische Abstimmung zwischen ihnen nicht möglich ist. Mir sind zudem bisher ausschließlich ehrenamtliche Kollegen begegnet, die ihre Aufgabe ernst nehmen und entsprechend ihres Eides, den sie zu leisten haben, tätig sind.
Man kann fragen, warum es überhaupt Schöffen gibt, wenn doch die Berufsrichter die Sache so viel besser einschätzen können als die Ehrenamtlichen. Für die Interessenvertretung der Beklagten sind doch deren Anwälte da – so meint vielleicht Heinrich Schmitz. Und wenn die Richter falsch entscheiden, geht man halt in die nächste Instanz.
Ganz davon abgesehen, dass der Weg zur nächsten Instanz auch verbaut sein kann, ist der aber immer mit Aufwand, Risiken und Kosten verbunden. Und die Richter können sich die Argumente der Anwälte zwar geduldig anhören, dann aber eben entscheiden, wie sie es für richtig halten. Überzeugen müssen sie weder die streitenden Geschäftsleute, noch den Beklagten oder die Staatsanwaltschaft, auch nicht das Finanzamt.
Die ehrenamtlichen Richter aber müssen überzeugt werden: Vom Finanzamt, von der Staatsanwaltschaft, vom Anwalt des Beklagten, von den Streitenden – vor allem aber von den Berufsrichtern, denn die brauchen die Stimmen der Laien fürs Urteil.
Urteile müssen so sein, dass sie einleuchten, dass sie einen unparteiischen Laien, der die Aufgabe hat, über dieses Urteil mit abzustimmen. Das ist der Sinn der Schöffen-Beteiligung. Durch sie wird das Gerichtsverfahren nicht zum juristischen Sandkastenspiel zwischen studierten Verfahrensbeteiligten, sondern zur Rechtsprechung, in der die Regeln des Rechtsstaates so angewandt werden, dass sie für Laien auch akzeptabel sind. Das kann aufwändig sein, vor allem für den Senat und für die Laienrichter. Auch ein Anwalt wie Schmitz mag es ärgerlich finden, dass er seine juristischen Argumente nicht nur seinen ehemaligen Studienkollegen auf der Richterbank und von der Staatsanwaltschaft erklären muss, sondern auch zwei Laien. Aber dem Rechtsfrieden schadet das ganz sicher nicht.