Ermächtigungsgesetz? Ach was

Am 18. November 2020 beschloss der Bundestag einige Änderungen des Infektionsschutzgesetzes. Für manche das Ende der Demokratie. Aber besteht wirklich Grund zur Besorgnis? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von Alexandra_Koch auf Pixabay

Manchmal kann Gesetzgebung ganz flink gehen. Bundestag, Bundesrat und Bundespräsident schafften die Änderung des Infektionsschutzgesetzes innerhalb kürzester Zeit. Mit heißer Nadel gestrickt: Hält manchmal nicht allzu lange. Und auch bei dieser Reform gibt es neben den sogenannten Querdenkern einige ernsthafte Stimmen, die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Änderungen äußern.

Zunächst zu denjenigen, die ernsthaft glauben, am Mittwoch sei ein „Ermächtigungsgesetz“ verabschiedet und damit die Demokratie beerdigt worden. Fallen Sie bitte nicht auf eine derart plumpe Propaganda herein. Und auch, wenn Sie sich von Feinden der Demokratie zeigen lassen, dass in dem Gesetz steht

Das Bundesministerium für Gesundheit wird im Rahmen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite unbeschadet der Befugnisse der Länder ermächtigt,…“

ist das kein Grund zur Besorgnis.

Dazu müssen wir einen kleinen Exkurs in das allgemeine Verwaltungsrecht machen. So was lernt man ja aus unerfindlichen Gründen nicht in der Schule, obwohl es vielleicht wichtiger zu wissen wäre, als manche chemische Verbindung, der man im Laufe seines Lebens außerhalb der Schule nie mehr begegnen wird. Aber gut. Ich mach‘s ja möglich.

Die Basis

Basis allen staatlichen Handelns ist das Grundgesetz. Das ist unsere Verfassung. Wenn Ihnen jemand etwas anderes erzählen will, ignorieren Sie das am Besten einfach. Es macht keinen Sinn mit Menschen zu streiten, die meinen, Deutschland habe keine Verfassung. Das dürfen die gerne glauben, sie dürfen diesen Glauben auch auf der Straße oder im Internet äußern, aber auch das macht ja nun aus Scheiße keine Wahrheit. Also nochmal: das Grundgesetz ist die Basis von allem.

Und gleich am Anfang des Grundgesetzes in den ersten 20 Artikeln stehen die wichtigsten Regeln der Verfassung, die sogenannten Grundrechte. Das sind in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat. Der soll die Finger von unseren Grundrechten lassen und diese möglichst nicht einschränken und schon gar nicht ernsthaft verletzen.

Es gibt auch kein Supergrundrecht, wie das frühere Innenminister mal mit dem Recht auf Sicherheit zu erkennen glaubten, sondern prinzipiell sind die Grundrechte gleichrangig, stehen also auf einer Stufe. Und wenn es Konflikte zwischen mehreren Grundrechten gibt, dann muss eine Abwägung erfolgen, es ist nicht etwa so, dass ein Grundrecht ein anderes übertrumpft.

Nun ist es aber nicht so, dass die Grundrechte unantastbar wären. Es wäre ja auch absurd, wenn z.B. eine Haftstrafe nicht möglich wäre, weil Art. 2 GG die Freiheit der Person garantiert. Viele Grundrechte enthalten Gesetzesvorbehalte, d.h. sie erlauben es der Gesetzgebung (Legislative), selbst in die Grundrechte einzugreifen, oder aber ermächtigen die Verwaltung (Exekutive) oder die Gerichte (Judikative) zu Eingriffen in die Grundrechte. Uih, da ist ja wieder das böse Wort, aber der Begriff Ermächtigungsgrundlage hat nichts mit Nazis und Diktatur zu tun, sondern er beschreibt eher das Gegenteil.

Stoplinien

Und auch vor einer überbordenden Phantasie des Parlaments bei der Beschränkung von Grundrechten müssen wir uns nicht fürchten, denn Art.19 GG enthält da einige Stoplinien.

Art. 19

(1) 1Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. 2Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

Die Verwaltung – und auch die Regierung ist nichts anderes als eine Verwaltung, wenn sie regiert – darf nicht einfach tun und lassen, was sie möchte. Sie darf vielmehr nur das tun, was ihr ausdrücklich durch Gesetze erlaubt ist. Beim Bürger ist das ganz anders. Dessen Freiheiten gehen viel weiter, denn der darf alles tun, was ihm nicht ausdrücklich durch ein Gesetz verboten ist. Wenn Sie in Mengenlehre gut aufgepasst haben, dann sehen Sie, dass die Handlungsmöglichkeiten des Bürgers wesentlich weiter gehen als die der Verwaltung. Wenn Sie sich gerne die Haare blau färben möchten, dann können Sie das tun; eine Verwaltung darf Ihnen aber nicht vorschreiben, sich die Haare färben zu lassen, nur weil ihr das Spaß macht.

Ermächtigungsgrundlage

Und die Möglichkeiten, die der Gesetzgeber der Verwaltung einräumt – und nur diese – , sind die Grundlage für die Tätigkeit der Verwaltung, also die Ermächtigungsgrundlage. Nichts Neues, ganz im Gegenteil, ein Begriff den das Verwaltungsrecht schon immer kannte. Das Ermächtigungsgesetz der Nazis diente hingegen nicht dazu, die Republik handlungsfähig zu machen, sondern – ganz im Gegenteil – sie abzuschaffen, um die Nazidiktatur zu ermöglichen. Wer das mit dem Infektionsschutzgesetz in Verbindung bringt, hat entweder in Geschichte gepennt, oder er will ganz bewusst die Demokratie beschädigen.

Beim BInfsG wurde nun im Wesentlichen der § 28a hinzugefügt. Das ist ein langer Paragraph, aber ich denke, dass es dennoch sinnvoll ist, den hier komplett mal einzubinden. Schon einfach, damit niemand sagen kann, er habe etwas anderes gelesen:

Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG)

§ 28a Besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)

(1) Notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) können für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 durch den Deutschen Bundestag insbesondere sein

1.

Anordnung eines Abstandsgebots im öffentlichen Raum,

2.

Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht),

3.

Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum,

4.

Verpflichtung zur Erstellung und Anwendung von Hygienekonzepten für Betriebe, Einrichtungen oder Angebote mit Publikumsverkehr,

5.

Untersagung oder Beschränkung von Freizeitveranstaltungen und ähnlichen Veranstaltungen,

6.

Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzurechnen sind,

7.

Untersagung oder Beschränkung von Kulturveranstaltungen oder des Betriebs von Kultureinrichtungen,

8.

Untersagung oder Beschränkung von Sportveranstaltungen und der Sportausübung,

9.

umfassendes oder auf bestimmte Zeiten beschränktes Verbot der Alkoholabgabe oder des Alkoholkonsums auf bestimmten öffentlichen Plätzen oder in bestimmten öffentlich zugänglichen Einrichtungen,

10.

Untersagung von oder Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Veranstaltungen, Ansammlungen, Aufzügen, Versammlungen sowie religiösen oder weltanschaulichen Zusammenkünften,

11.

Untersagung oder Beschränkung von Reisen; dies gilt insbesondere für touristische Reisen,

12.

Untersagung oder Beschränkung von Übernachtungsangeboten,

13.

Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen,

14.

Schließung oder Beschränkung von Betrieben, Gewerben, Einzel- oder Großhandel,

15.

Untersagung oder Beschränkung des Betretens oder des Besuchs von Einrichtungen des Gesundheits- oder Sozialwesens,

16.

Schließung von Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne von § 33, Hochschulen, außerschulischen Einrichtungen der Erwachsenenbildung oder ähnlichen Einrichtungen oder Erteilung von Auflagen für die Fortführung ihres Betriebs oder

17.

Anordnung der Verarbeitung der Kontaktdaten von Kunden, Gästen oder Veranstaltungsteilnehmern, um nach Auftreten einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 mögliche Infektionsketten nachverfolgen und unterbrechen zu können.

(2) Die Anordnung der folgenden Schutzmaßnahmen nach Absatz 1 in Verbindung mit § 28 Absatz 1 ist nur zulässig, soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erheblich gefährdet wäre:

1.

Untersagung von Versammlungen oder Aufzügen im Sinne von Artikel 8 des Grundgesetzes und von religiösen oder weltanschaulichen Zusammenkünften nach Absatz 1 Nummer 10,

2.

Anordnung einer Ausgangsbeschränkung nach Absatz 1 Nummer 3, nach der das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zeiten oder zu bestimmten Zwecken zulässig ist, und

3.

Untersagung des Betretens oder des Besuchs von Einrichtungen im Sinne von Absatz 1 Nummer 15, wie zum Beispiel Alten- oder Pflegeheimen, Einrichtungen der Behindertenhilfe, Entbindungseinrichtungen oder Krankenhäusern für enge Angehörige von dort behandelten, gepflegten oder betreuten Personen.

Schutzmaßnahmen nach Absatz 1 Nummer 15 dürfen nicht zur vollständigen Isolation von einzelnen Personen oder Gruppen führen; ein Mindestmaß an sozialen Kontakten muss gewährleistet bleiben.

(3) Entscheidungen über Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) nach Absatz 1 in Verbindung mit § 28 Absatz 1, nach § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 und den §§ 29 bis 32 sind insbesondere an dem Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems auszurichten. Die Schutzmaßnahmen sollen unter Berücksichtigung des jeweiligen Infektionsgeschehens regional bezogen auf die Ebene der Landkreise, Bezirke oder kreisfreien Städte an den Schwellenwerten nach Maßgabe der Sätze 4 bis 12 ausgerichtet werden, soweit Infektionsgeschehen innerhalb eines Landes nicht regional übergreifend oder gleichgelagert sind. Die Länder Berlin und die Freie und Hansestadt Hamburg gelten als kreisfreie Städte im Sinne des Satzes 2. Maßstab für die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen ist insbesondere die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100 000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen. Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind breit angelegte Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine schnelle Abschwächung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. Unterhalb eines Schwellenwertes von 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen kommen insbesondere Schutzmaßnahmen in Betracht, die die Kontrolle des Infektionsgeschehens unterstützen. Vor dem Überschreiten eines Schwellenwertes sind die in Bezug auf den jeweiligen Schwellenwert genannten Schutzmaßnahmen insbesondere bereits dann angezeigt, wenn die Infektionsdynamik eine Überschreitung des jeweiligen Schwellenwertes in absehbarer Zeit wahrscheinlich macht. Bei einer bundesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind bundesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben. Bei einer landesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind landesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben. Nach Unterschreitung eines in den Sätzen 5 und 6 genannten Schwellenwertes können die in Bezug auf den jeweiligen Schwellenwert genannten Schutzmaßnahmen aufrechterhalten werden, soweit und solange dies zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erforderlich ist. Die in den Landkreisen, Bezirken oder kreisfreien Städten auftretenden Inzidenzen werden zur Bestimmung des nach diesem Absatz jeweils maßgeblichen Schwellenwertes durch das Robert Koch-Institut im Rahmen der laufenden Fallzahlenberichterstattung auf dem RKI-Dashboard unter der Adresse http://corona.rki.de im Internet veröffentlicht.

(4) Im Rahmen der Kontaktdatenerhebung nach Absatz 1 Nummer 17 dürfen von den Verantwortlichen nur personenbezogene Angaben sowie Angaben zum Zeitraum und zum Ort des Aufenthaltes erhoben und verarbeitet werden, soweit dies zur Nachverfolgung von Kontaktpersonen zwingend notwendig ist. Die Verantwortlichen haben sicherzustellen, dass eine Kenntnisnahme der erfassten Daten durch Unbefugte ausgeschlossen ist. Die Daten dürfen nicht zu einem anderen Zweck als der Aushändigung auf Anforderung an die nach Landesrecht für die Erhebung der Daten zuständigen Stellen verwendet werden und sind vier Wochen nach Erhebung zu löschen. Die zuständigen Stellen nach Satz 3 sind berechtigt, die erhobenen Daten anzufordern, soweit dies zur Kontaktnachverfolgung nach § 25 Absatz 1 erforderlich ist. Die Verantwortlichen nach Satz 1 sind in diesen Fällen verpflichtet, den zuständigen Stellen nach Satz 3 die erhobenen Daten zu übermitteln. Eine Weitergabe der übermittelten Daten durch die zuständigen Stellen nach Satz 3 oder eine Weiterverwendung durch diese zu anderen Zwecken als der Kontaktnachverfolgung ist ausgeschlossen. Die den zuständigen Stellen nach Satz 3 übermittelten Daten sind von diesen unverzüglich irreversibel zu löschen, sobald die Daten für die Kontaktnachverfolgung nicht mehr benötigt werden.

(5) Rechtsverordnungen, die nach § 32 in Verbindung mit § 28 Absatz 1 und § 28a Absatz 1 erlassen werden, sind mit einer allgemeinen Begründung zu versehen und zeitlich zu befristen. Die Geltungsdauer beträgt grundsätzlich vier Wochen; sie kann verlängert werden.

(6) Schutzmaßnahmen nach Absatz 1 in Verbindung mit § 28 Absatz 1, nach § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 und nach den §§ 29 bis 31 können auch kumulativ angeordnet werden, soweit und solange es für eine wirksame Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erforderlich ist. Bei Entscheidungen über Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) sind soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit einzubeziehen und zu berücksichtigen, soweit dies mit dem Ziel einer wirksamen Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vereinbar ist. Einzelne soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bereiche, die für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, können von den Schutzmaßnahmen ausgenommen werden, soweit ihre Einbeziehung zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) nicht zwingend erforderlich ist.

(7) Nach dem Ende einer durch den Deutschen Bundestag nach § 5 Absatz 1 Satz 1 festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite können die Absätze 1 bis 6 auch angewendet werden, soweit und solange sich die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) nur in einzelnen Ländern ausbreitet und das Parlament in einem betroffenen Land die Anwendbarkeit der Absätze 1 bis 6 dort feststellt.

In Absatz 1 steht zunächst einmal, dass die Schutzmaßnahmen nur

für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 durch den Deutschen Bundestag.

Die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite fällt also in den Kompetenzbereich des Bundestags. Das Parlament hat hier seine Rechte ganz deutlich gemacht und sich die Entscheidung darüber, ob eine epidemische Lage vorliegt, selbst vorbehalten. Das ist das krasse Gegenteil vom Ende der Demokratie.

Nach der alten Fassung des Gesetzes waren die Behörden in der Wahl der Mittel der erforderlichen Schutzmaßnahmen ziemlich frei, denn da gab es nur eine sogenannte Generalklausel. Ich hatte dazu im März bereits eine Kolumne geschrieben, auf die ich zur Vermeidung von unnötigen Wiederholungen verweise. https://diekolumnisten.de/2020/03/21/grundrechte-in-zeiten-von-corona/

Konkret

Nun hat der Gesetzgeber die Maßnahmen selbst ein gutes Stück konkretisiert und damit vorgegeben, was die Behörden an Schutzmaßnahmen „insbesondere“ erlassen können. Auch hier hat sich das Parlament gerade nicht selbst entmachtet, sondern seine und die Position der Bürger gestärkt. Gleichzeitig werden einige der verfassungsrechtlichen Bedenken wegen der Unbestimmtheit der alten Vorschrift abgeräumt – wenn auch nicht alle.

Die Maßnahmen sind zu begründen und zu befristen. Auch das eine Verbesserung.

Andererseits ist durch das „insbesondere“ natürlich auch klargestellt, dass die im Gesetz enthaltene Aufzählung möglicher Maßnahmen keine abschließende ist. Damit kann die Verwaltung sich auch noch andere Maßnahmen ausdenken. Aber eben – wie bei der alten Version auch – immer nur solche, die notwendig, geeignet und verhältnismäßig sind. Es gibt in einem Rechtsstaat keinen Freifahrtschein für die Verwaltung, und jede Maßnahme kann von den betroffenen Bürgern einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden. Das garantiert wiederum der Art. 19 GG; diesmal der:

Absatz 4

(4) 1Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. 2Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. 3Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

Die Behauptung, mit dem Gesetz vom Mittwoch sei der Rechtsweg für den Bürger abgeschafft, ist falsch. (Ursprünglich hatte ich hier statt falsch „gequirlte Kacke“ geschrieben, aber ich möchte ja nicht die zarten Seelen der um ihre Grundrechte besorgten Bürger verletzen).

Keine Impfpflicht

Übrigens ist im Gesetz an keiner Stelle die Rede von einer Impfpflicht und eine solche wäre wohl auch kaum verfassungsgemäß. Allerdings wird der Anspruch eines jeden auf eine kostenlose Impfung gesetzlich garantiert. Diesen Anspruch muss aber niemand in Anspruch nehmen. Und mir ist völlig egal, ob andere sich nicht impfen lassen, solange ich meine Impfung bekomme. Das GG garantiert auch das Recht, an oder mit Corona zu sterben. Das ist völlig okay, solange man andere nicht gefährdet. Man darf sich auch ungestraft eine Frikadelle ans Knie nageln.

Kritik erlaubt

Das bedeutet nun aber nicht, dass eine Kritik an dem neuen Gesetz verboten oder gar schändlich wäre. Im Gegenteil, durch konstruktive Kritik können Gesetze immer infrage gestellt und verbessert werden. Zunächst einmal kann man kritisieren, dass das Gesetz tatsächlich etwas holterdiepolter entworfen wurde und – vermutlich gerade deshalb – immer noch einige juristische Bedenken hervorruft. Ob der Katalog der aufgelisteten Maßnahmen in dieser Form wirklich geeignet ist, die Anforderungen an den Bestimmtheitsgrundsatz zu wahren, darf man anzweifeln. Ebenso sind die Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Schutzmaßnahmen nicht sauber ausformuliert. Da hätte man sich sicher präziser ausdrücken können. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Verbesserung

Gleichwohl ist das neue Gesetz eine echte Verbesserung gegenüber der alten Version, und es wäre auch nicht das erste Gesetz, dessen eventuelle verfassungsrechtliche Mängel durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts wieder eingefangen und geglättet werden.

Fallen Sie nicht auf die allzu durchsichtigen Fakenews von sogenannten Querdenkern innerhalb und außerhalb des Parlaments herein. Denen geht es nicht darum, die Demokratie oder die Rechte des Parlaments und schon gar nicht Ihre Rechte zu stärken. Denen geht es um Desinformation und Beschädigung des seit über 70 Jahren funktionierenden Systems. Und die Expertise instagramender und telegramender Barden und eines merkwürdigen Kochs mit den Initialen des Führers kann allenfalls zur allgemeinen Belustigung, keineswegs aber zu einer ernsthaften verfassungsrechtlichen Diskussion beitragen. Lassen Sie sich von den Hirnfürzen öffentlich kommunizierender Promis nicht aus der Ruhe bringen. Die haben nicht den Hauch einer Ahnung, dafür aber eine große Reichweite. Das unterscheidet sie u.a. von mir.

Und nein, es gärt auch  nicht in der Gesellschaft, es gärt nur in einigen Köpfen, die ernsthaft glauben, die Pandemie sei einzig eine Erfindung des Establishments zur Knechtung und Versklavung der Völker. Diese Menschen sind sehr laut und in den einschlägigen Medien sehr stark vertreten, aber sie sind bloß ein verschwindend geringer Teil des Volkes, für dessen Sprachrohre sie sich fälschlicherweise halten. Mit denen zu reden ist ungefähr so sinnvoll, wie mit einer leeren Mülltonne zu kommunizieren. Kann man tun, bringt aber nichts. Vergebliche Müh und auch gar nicht notwendig.

Vielleicht wäre es schon hilfreich, wenn die vielgescholtenen Mainstreammedien von der sogenannten Lügenpresse es langsam einfach dran gäben, diese Rattenfänger vorführen zu wollen. Ja, es ist ja lustig, wenn die Schwurbler sich vor der Kamera ereifern, dass man ihnen ins Gesicht regiert, aber wie man sieht, finden selbst die beklopptesten Vögel  immer noch genug Menschen, die ihnen den Schwachsinn abnehmen und sich einbilden, ihre Versklavung sei bereits geschehen. Nun hätten sie nichts mehr zu sagen. Das können sie aber auch sagen, und sie können sogar dafür demonstrieren. Auch das ist ein Grundrecht, das selbst in der Pandemie nicht ausgehebelt wird – auch wenn es manchmal schwerfällt, mit anzusehen, wie da Menschen ohne Masken und ohne Abstand, um von Anstand gar nicht zu reden – andere gefährden und nicht ansatzweise bereit sind, die Auflagen, die ihrer eigenen Gesundheit dienen, einzuhalten.

Die Pandemie macht allen Menschen bereits genug Kummer, da brauchen wir nicht noch gezielte Desinformation. Ein Trump ist schon schlimm genug, aber auch der ist bald weg vom Fenster. Lassen Sie sich nicht jeck machen. Bleiben Sie entspannt und vor allem gesund.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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