Jim Reeves – Kein Mord – Ein verstörendes Urteil

In der Nacht zum 1. Februar 2016 wurde Jim Reeves umgebracht. Die Täter wurden vom LG Berlin wegen Totschlags in einem besonders schweren Fall verurteilt. Der BGH bestätigte nun dieses Urteil und damit, dass die Tat kein Mord war. Warum eigentlich? – Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Jim Reeves war in Köln und Umgebung seit den 90er Jahren, nach gemeinsamen Auftritten der 4 Reeves mit den Bläck Föös  und später mit Squeezer, bekannt wie ein bunter Hund. Gerade die Kölner hatten die „vier schwazze Kölsche“ in ihr Herz geschlossen, spätestens nach ihrem Auftritt beim legendären „Arsch Huh“- Konzert am 9.11.1992. 

Reeves wurde am 1.2.2016 in einem Hostel am Stuttgarter Platz in Berlin von zwei polnischen Wanderarbeitern getötet, nachdem er zuvor mit diesen gefeiert hatte. Die Art und Weise wie diese Tat begangen wurde, löst selbst bei hartgesottenen Menschen Übelkeit aus.

Reeves wurden von den Tätern 15 Rippen gebrochen – von denen eine die Lunge punktierte – und ihm wurde mehrfach ein Stuhlbein in den After gestoßen, was zu inneren Blutungen führte. Reeves erlag diesen Verletzungen. In dem Prozess vor dem LG Berlin gaben die Täter an, sie hätten Reeves zusammengeschlagen, weil der bisexuelle Sänger ihnen sexuelle Avancen gemacht hätte.

Totschlag

Obwohl die Tötung Reeves auf widerliche und ekelhafte Weise verübt wurde, verurteilte das Landgericht die beiden Tätern nicht etwa wegen Mordes, sondern „nur“ wegen Totschlags in einem besonders schweren Fall zu 13 bzw. 14 Jahren Freiheitsstrafe. Die Staatsanwaltschaft war gegen das Urteil in Revision gegangen, weil sie eine Verurteilung wegen Mordes erreichen wollte, die Verteidiger, weil ihnen die Strafen zu hoch erschienen. Der BGH hat die Revisionen zurückgewiesen.

Das liegt daran, dass das Gericht keine Mordmerkmale sicher feststellen konnte, denn widerlich und ekelhaft sind eben keine Mordmerkmale.

Grausam

So sah das Gericht zunächst das Mordmerkmal „grausam“ nicht als gegeben an.

Grausam tötet, wer dem Opfer besonders starke Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung, die ihn jedenfalls bei der Tat beherrscht hat, zufügt, die nach Stärke und Dauer über das für die Tötung notwendige Maß hinausgehen.

Nach den Feststellungen des Landgerichts war Reeves zu dem Zeitpunkt, zu dem er mit dem Stuhlbein mehrfach penetriert wurde, bereits bewusstlos, d.h. in diesem Moment konnte er das, was die Täter mit seinem Körper veranstalteten, nicht mehr spüren. Da das aber eine Voraussetzung dafür ist zu leiden, konnte das Tatbestandsmerkmal der Grausamkeit nicht mehr greifen, denn

Da es sich objektiv um die Zufügung von schweren Leiden handelt, ist Grausamkeit immer da zu verneinen, wo das Opfer jeder Möglichkeit, Leiden zu empfinden, verlustig gegangen ist. (Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 7. Auflage 2018, I. Die Tötungsdelikte im Einzelnen, Rn. 38)

Wer also an einem bewusstlosen Sterbenden herumhantiert, diesen zerschneidet oder in seine Einzelteile zerlegt, der handelt nach der Definition der Rechtsprechung nicht grausam. Dass das auf Widerspruch stößt, ist mehr als verständlich.

Aber auch wenn das nun auf den ersten Blick völlig bescheuert klingen mag und vom allgemeinen Begriff von Grausamkeit sicher abweicht, auf den zweiten sieht es schon etwas anders aus. Dass bei jeder Tötung ein Mensch so verletzt wird, dass er an den Verletzungen stirbt, ist schon Bestandteil des gesetzlichen Tatbestandes. Das ist sozusagen nichts zusätzlich besonders Strafwürdiges. Nur wenn über diese „notwendigen“ Verletzungshandlungen hinaus zusätzliche Qualen und Schmerzen verursacht werden und der Täter das auch vorsätzlich tut, entsteht das besondere Mordmerkmal der Grausamkeit.

Das Mordmerkmal „grausam“ kennzeichnet zum einen eine bestimmte Gesinnung des Täters und zum anderen bestimmte Tatumstände, die es bedingen, dass dem Opfer besondere Schmerzen oder Qualen zugefügt werden.

Kein Einzelfall

Solche Fälle gibt es immer wieder. Auch im folgenden, ziemlich krassen Fall hat der BGH das Merkmal der Grausamkeit verneint:

Aus einem nicht näher feststellbaren Anlaß kam es sodann zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Angeklagte mit massiver Gewalt auf die Geschädigte einschlug und sie würgte. Er schlug bzw. trat die Geschädigte gegen Hals und Kopf und würgte sie, so daß es zum Bruch des linken und rechten Kehlkopfhorns sowie zu Verletzungen am linken Auge und in der Mundregion kam. Dies tat er so lange, bis das Opfer bewußtlos war. Sodann ergriff der Angeklagte entweder das später im Geschirrspülbecken aufgefundene große Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 13 cm oder ein anderes Messer und stach mit Tötungsabsicht mehrfach auf sein Opfer ein. Dazu hatte er der Geschädigten ihr T-Shirt nach oben über den Kopf sowie die Leggins und den Slip nach unten über die Knie gezogen. Der Angeklagte fügte Frau K. schwerste Stich- und Schnittverletzungen am gesamten Oberkörper zu und öffnete danach deren Brust- und Bauchraum, wobei er unter anderem das Herz, die große Körperschlagader sowie die Lungenarterien verletzte. Er schnitt sodann ein Stück Darm heraus und legte dieses direkt neben der Toten ab. Das Tatopfer verstarb letztendlich am Verbluten nach innen und außen infolge der Stiche des Angeklagten und der Teileröffnung der Brusthöhle. “ Als der Angeklagte auf sein Opfer einstach und es „regelrecht aufschlitzte“ hat die Geschädigte zwar noch gelebt, war aber bereits bewußtlos und hat keine Schmerzen mehr verspürt. (BGH, 07.08.2001 – 1 StR 174/01)

Also nix mit „grausam“.

Niedrige Beweggründe

Ebenfalls verneint hat das LG Berlin bei Jim Reeves Tötung das Vorliegen „niedriger Beweggründe“.

Der BGH hat die niedrigen Beweggründe in seiner Entscheidung BGH, 15.05.2003 – 3 StR 149/03, Rn. 4 wie folgt definiert:

Beweggründe sind im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig“ sind und – in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag – als verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 35, 116, 127 [BGH 02.12.1987 – 2 StR 559/87]; BGH StV 1996, 211, 212). Gefühlsregungen wie Wut, Ärger, Haß und Rache kommen nach der Rechtsprechung in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 16; Eser in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 211 Rdn. 18 m. w. N.).

Bei den Tätern im Fall Reeves hat das Landgericht diese niedrigen Beweggründe – vom BGH unbeanstandet – nicht angenommen, weil das Hauptmotiv der Täter deren Wut auf sexuelle Avancen von Reeves gewesen sei und nicht Hass auf Homo- und Bisexuelle. Wie das Landgericht dies im Einzelnen festgestellt hat, kann ich nicht sagen, weil ich weder die Akte kenne noch in der Hauptverhandlung war. Jedenfalls ist es die Aufgabe des erstinstanzlichen Gerichts ,die Tatsachen festzustellen und es ist sehr schwer, in der Revision an dieser Tatsachenfeststellung zu kratzen. Das hätte man sicher auch ganz anders sehen können. Woher denn bitte diese Wut, wenn die Täter nicht von einem regelrechten Schwulenhass erfüllt waren? Aber, okay, hat man halt nicht festgestellt.

Besonders schwerer Fall

Immerhin hat das Landgericht es nicht bei einem „einfachen Totschlag“ belassen, sondern dann doch einen besonders schweren Fall angenommen.

Zu den Voraussetzungen des besonders schweren Falles des Totschlags hat der BGH sich in der Entscheidung BGH, 07.08.2018 – 3 StR 47/18 wie folgt geäußert:

Ein besonders schwerer Fall des Totschlags setzt voraus, dass das in der Tat zum Ausdruck kommende Verschulden des Täters außergewöhnlich groß ist. Es muss ebenso schwer wiegen wie das eines Mörders. Dafür genügt nicht schon die bloße Nähe der die Tat oder den Täter kennzeichnenden Umstände zu gesetzlichen Mordmerkmalen. Es müssen vielmehr schulderhöhende Gesichtspunkte hinzukommen, die besonders gewichtig sind (vgl. BGH, Beschluss vom 7. August 1986 – 4 StR 371/86, BGHR StGB § 212 Abs. 2 Umstände, schulderhöhende 1; Urteil vom 25. April 1991 – 4 StR 110/91, BGHR StGB § 212 Abs. 2 Umstände, schulderhöhende 3; Beschluss vom 20. Januar 2004 – 5 StR 395/03, NStZ-RR 2004, 205, 206).

Das bedeutet, dass auch das Landgericht Berlin die Schuld der Täter als ebenso schwerwiegend wie die von Mördern eingestuft hat, auch wenn  Mordmerkmale nicht nachgewiesen werden konnten und man die Täter deshalb juristisch nicht als Mörder bezeichnen darf. Vielleicht besänftigt das ja ein wenig die Gemüter und mildert die Aufregung über die Entscheidung. Privat dürfen Sie die nennen, wie Sie wollen.

Beim besonders schweren Fall des Totschlags stand dem Gericht nach § 212 Abs. 2 StGB als Sanktion auch eine lebenslange Freiheitsstrafe wie beim Mord zur Verfügung. Dass es diese nicht ausgesprochen hat, liegt daran, dass die erhebliche Alkoholisierung der Täter strafmildernd berücksichtigt wurde.

Ganz so skandalös und unverständlich ist die Entscheidung also gar nicht. Sie zeigt allerdings ein weiteres Mal, dass die Tötungsdelikte einer dringenden Reform bedürfen. Mordmerkmale, die der normale Mensch gar nicht auf Anhieb verstehen kann und die – wie die niedrigen Beweggründe – nicht gesetzlich definiert und extrem von der Auslegung der Gerichte abhängig sind, sollten in einer modernen Strafgerichtsbarkeit nicht existieren. Der Mordparagraf ist nicht nur aufgrund seines Freislerschen Hintergrundes ein Ärgernis; er umfasst dann auch noch nicht einmal furchtbarste Taten, wie die Tötung von Jim Reeves. Besser wäre es, den strafrechtlichen Mordbegriff komplett zu streichen und den Strafrahmen des Totschlags, einschließlich der besonders schweren Fälle, anzuwenden. Die gesetzliche Stigmatisierung von Tätern als „Mörder“ hat keinen Nutzen und ist gänzlich überflüssig. Die Reform steht seit langer Zeit an, aber  passiert ist nichts. Dass es für eine solche Reform jemals eine Bundestagsmehrheit geben wird, wage ich angesichts der mehrfach gescheiterten Reformanläufe aber zu bezweifeln.  Schade. Denn so lange sich da nichts tut, werden wir immer wieder auf den ersten Blick völlig unverständliche Urteile erleben müssen.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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