I like Chopin

Wenn Sie glauben, hier gäbe es etwas über die 80er-Pop-Schmonzette von Gazebo zu lesen, können Sie sich gleich wieder… Halt! Bleiben Sie hier! War doch nur ein kleiner Scherz! Ein Schabernack! Sie sind doch genau die Zielgruppe!


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Also um Gazebo geht es hier zwar nicht. War ein klitzekleiner Clickbait, Tschuldigung. Aber um Chopin schon. Ehrlich. Versprochen. Keine Fake-News.

Trotzdem machen wir kurz einen (wirklich ganz ganz kleinen) Schlenker zu Robert Schumann. Der war nämlich nicht nur als Komponist von nicht hoch genug einzuschätzendem Einfluß, sondern auch als Publizist/Musikkritiker und Förderer anderer Komponisten (wobei hier an allererster Stelle natürlich Johannes Brahms zu nennen wäre). In der Allgemeinen Musikalischen Zeitung von 1831 schrieb der 21jährige Schumann in einer poetischen Rezension über die Variationen „La ci darem la mano“ des gleichaltrigen Chopin (geschrieben hat der die allerdings schon 1827, also mit 17) den berühmt gewordenen Satz

„Hut ab, ihr Herren, ein Genie!

Wie? Sie haben „La ci darem la mano“ schon mal gehört, aber das sei doch gar nicht Chopin? Also doch Fake-News? Sehen Sie, ich hab Sie völlig zurecht nicht unterschätzt! Das „Original“ ist natürlich von Mozart aus dem Don Giovanni, und wir sehen uns zur kleinen Erinnerungsauffrischung mal schnell an, wie der Maltschik Don Giovanni die Dewotschka Zerlina verführt, righty right? (Arie nach dem Rezitativ ab ca. 2:48)

 

So, jetzt aber genug mit der Schlenkerei, sonst springen Sie mir hier noch ab und zappen rüber zu Tichy oder noch Schlimmerem!

Bei Genie waren wir stehengeblieben. Schumanns Musikrezensenten-Kollege Helmut Mauro bedauerte in der Süddeutschen Zeitung vom 21. August 2017 , dass die Einschätzung als Genie Komponisten vorbehalten bliebe, auch wenn man im Falle von Daniil Trifonovs Wiedergabe gerne eine Ausnahme machen würde. Ich mach die aber einfach trotzdem. Und Herr Mauro oder zumindest der/die für die Überschriften verantwortliche Redakteur/in hat die in der Süddeutschen Zeitung vom 15. Oktober 2013 auch schon selbst gemacht, in einer mit „Klaviergenie Daniil Trifonov“ überschriebenen Rezension eines Konzertabends in München (Trifonov war da schon wesentlich älter als Schumann und Chopin oben, nämlich schon 22). Und das natürlich völlig zurecht. Und er führt dort weiter aus:

Man muss in der Geschichte der Klavierkunst weit zurückgehen, womöglich mehr als 100 Jahre, um auf diesem genialischen Pianisten vergleichbare Phänomene zu stoßen. Derzeit steht Daniil Trifonov als singuläre Erscheinung am musikalischen Sternenhimmel.

So sieht´s aus.

Nun also endlich, liebe geduldige Leser*innen, Chopins La ci darem-Variationen mit Daniil Trifonov: „Hut ab, ihr Herr*innen, zwei Genies!“

 

Tja. Unglaublich. Siebzehn! In Worten: 17! Trifonov war bei der Aufnahme schon grenzsenile 26, der alte weiße Mann. Die beiden kleinen Hosenscheißer. Hat man Töne?

Nur unwesentlich älter, nämlich 19 bzw. 20, war Chopin, als er seine beiden (leider einzigen, chnüff) Klavierkonzerte schrieb. Also eigentlich war er 20 bzw. 19, er hat nämlich erst das zweite und dann das erste Klavierkonzert geschrieben. Das lass ich jetzt mal so geheimnisvoll stehen, damit Sie was zum Googeln haben.

19! Zwanzig! Oder andersrum, völlig wurscht. Das ist doch eigentlich eine Lebensphase, in der man noch freitags zur Schule geht oder sich maximal als Erstsemester darauf vorbereitet, mal irgendwann ordnungsgemäß was Schlaues zu werden, mit dem man die dann die Welt verbessern kann. Indem man zum Beispiel Reihenmittelhäuser baut.

Das kann man so machen, und gegen Mittelmäßigkeit gibt es auch nicht wirklich etwas einzuwenden. Man kann aber durchaus auch in jungen Jahren schon Großes erreichen, wenn man bereit ist, dafür auf eine Allerwelts-Reihenmittelhaus-Sandkastenplaymobilkindheit zu verzichten, wie wir etwa auch an den musikfremden Beispielen „Methode der kleinsten Quadrate/Carl Friedrich Gauß/18“, „Wimbledonsieg/Boris Becker/17“ oder „How dare you/Greta Thunberg/16“ sehen.

Groß sind beide Klavierkonzerte. Ich zeig Ihnen nur eins, und die Wahl ist mir ziemlich schwergefallen. Ich hab mich für das erste entschieden. Also das zweite.

Natürlich gespielt von Daniil Trifonov. Ich kenne die Aufnahme vom Chopin-Wettbewerb 2010, bei dem Trifonov den dritten (den dritten! Nicht den ersten! How dare you!) Platz belegt hat, ich habe es live gehört in einer Fassung mit reiner Streicherbegleitung (Kremerata Baltica), ich kenne natürlich die CD-Studioaufnahme mit neuer Orchestrierung von Michail Pletnev und einige weitere (also alle, die man irgendwie im Internet finden kann) – alle herausragend, die allerallerschönste Aufnahme aber bleibt für mich die vom Rubinstein-Wettbewerb (erster Platz! Yes we can!) in Tel Aviv 2011. Mit 20. Sen. Sa. Tio. Nell.

Für uns Tastenheinis ist Chopin so etwas wie der Schutzheilige. Zwar gibt es auch andere Komponisten, die für die Entwicklung der Klavierliteratur von fundamentaler Bedeutung sind (allen voran Beethoven, aber auch Liszt). Aber Chopin ist DER Klavierkomponist. Außer den beiden Klavierkonzerten (Klavier und Orchester), den La ci darem-Variationen von oben (im Original ebenfalls Klavier und Orchester, den Orchesterpart übernimmt Daniil da einfach gleich mit), einer Handvoll Lieder (Klavier und Stimme, posthum veröffentlicht) drei Werken für Klavier und Cello und einem Trio für Klavier, Cello und Violine hat Chopin ausschließlich für das Klavier solo komponiert. Keine Symphonien. Keine Messen. Keine Streichquartette. Keine Opern. Nix. Klavier pur und gut.

Chopin war natürlich selbst auch Klaviervirtuose (wie Liszt, die beiden müssen unglaublich gut gewesen sein – es gibt leider keine Aufnahmen, sehr wahrscheinlich sind sie zwei der Leute, die dafür in Frage kommen, vor mehr als 100 Jahren mit Trifonov in der Hyperleague gespielt zu haben), und hat entsprechend komponiert, so daß große Teile seines Werks rein pianistisch außerhalb der Reichweite des durchschnittlich begabten Klavierschülers liegen.

Anderes liegt aber durchaus in dieser Reichweite, etwa einige aus den Preludes, den Walzern, den Nocturnes oder den Mazurken. Und eine der technisch leicht zu bewältigenden Mazurken hören wir uns nun an, in einer Interpretation vom anderen Stern.

 

Zum Niederknien. Try this at home. Und gleich noch eine, an der wir sehen, dass „technisch bewältigen“ und „Musik machen“ zwei Paar Sandalen sind.

 

DAS, liebe Kinder, ist „Musik“. Das andere nennt man „Klavierspielen“ oder „Klimpern“.

An dieser Stelle muß ich mal eine meiner Lieblingsanekdoten einstreuen von meiner innig geliebten Klavierprofessorin. Ich spielte ihr mal im Unterricht was vor (was, hab ich vergessen), und das war mir ganz gut gelungen. Also man spürt beim Spielen ziemlich gut, ob man wirklich drin ist, oder ob es so lala ist oder ganz ok, und dieses Mal fühlte es sich ziemlich gut an. Ich guck danach zu ihr rüber und sehe (wenn man mit jemandem eng verbunden ist, sieht man das ziemlich schnell), daß es auch ziemlich gut rüberkam, und sie sagte:

Oh Clemens, was für ein Jammer, daß du nicht Klavierspielen kannst.

Was für Außenstehende auf den ersten Blick wie eine Kritik wirkt, in Wahrheit aber das allerschönste Kompliment war, an das ich mich erinnern kann.

Fakt ist nämlich, daß ich pianistisch 1 Lauch bin. Und um etwas wirklich Geiles von sich via Klavier in die Herzen (jaja, pathetisch, scheiß drauf) oder Seelen (jaja, pseudoreligiös, sch… Sie wissen schon) oder meinetwegen auch Gehirne der Zuhörer zu transportieren, braucht man eigentlich beide Sandalen: Die technische und die musikalische Sandale. Man kann noch so vor Musikalität aus allen Poren tropfen: Wenn die technischen Mittel zur Übertragung nicht vorhanden sind, bleibt das Zeug in den Poren oder spätestens in der Unterwäsche hängen. Und man kann vor technischer Brillanz strahlen wie eine Supernova: Wenn man nichts zu sagen hat oder ein emotionaler Depp ist, bleibt es brillantes leeres Hohlgeklimper. Darum, liebe begabte Kinder: Euer ganzes Talent nützt euch gar nix, wenn ihr nicht auch über Fleiß und Disziplin verfügt. Das sagt euch einer, dessen Kernkompetenz im Ignorieren dieser beiden Tugenden besteht.

Üben, üben, üben. Außer Freitags. Musikmachen auf hohem Niveau ist Leistungssport, also harte Arbeit. Und um euch zu schleifen, hat der Teufel die Etüden ersonnen.

Und der Heilige Gral unter den Etüden, unter den Werkzeugen, euch zu quälen, euch zu knechten, euch zu demütigen, euch Blut, Schweiss und Tränen aus dem Leib zu prügeln, sind die Chopin-Etüden. Anders als die Daumenschrauben von Czerny oder Burgmüller (ich habe es gehasst, also GEHASST) oder anderen Folterknechten sind die Chopin-Etüden aber zusätzlich auch musikalische Kleinodien. Wenn auch nicht das technisch schwierigste unter dem Himmel, decken Sie doch so ziemlich das gesamte Spektrum pianistischer Herausforderungen ab – und sind eben vor allem wunderwunderschön.

WIE wunderschön die sind, zeigt uns jetzt Daniil. Der kleine Hosenscheißer.

Der hat beide Sandalen. Größe 50+. Und dazu vollständige Hingabe und die Bereitschaft, ALLES zu riskieren im Dienste maximal möglicher Übermittlung der Botschaft, die zudem auch noch eine wunderschöne frohe Botschaft ist. Hab ich schon mal erwähnt, daß ich den Jungen liebe? Also so richtig liebe? Hab ich? Ok, ist mir aber egal, lieber zweimal zu viel als einmal zu wenig: Ich liebe ihn. Ich liebe ihn.

Wissen Sie was? Das ist ein tolles Schlusswort.

Chopin liebe ich auch. „I like“ ist zu wenig. Sokolov auch.

Vielen Dank, Frederic. Vielen Dank, Grigory. Vielen Dank, Daniil.

Ich liebe Euch.

Clemens Haas

Clemens Haas, geb. 1968, hat Mathematik und Philosophie durchaus studiert mit eifrigem Bemühn, dann aber doch zurück gefunden zur ersten Liebe, Klavier und Tonmeisterei und dieses Studium dann auch abgeschlossen. Er arbeitet als freier Toningenieur und Komponist für ÖR und private Rundfunk- und Fernsehanstalten und für die Werbeindustrie.

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