Vorschule für ALLE wäre mal ein Gedanke
Grundschulverbot für einige oder verpflichtende Vorschule für alle fragt sich Kolumnist Henning Hirsch
Der Unionsfraktionsvize im Bundestag, Carsten Linnemann (42) hat der Rheinischen Post (Düsseldorf) vorgestern ein Interview gegeben, in dem er sich u.a. zur Frage der Integration äußert, und das im Nachgang hohe Wellen in den sozialen Medien schlug.
Interview löst hitzige Diskussion aus
Hier die entsprechende Passage im vollen Wortlaut:
RP: Wo muss sich die CDU profilieren?
Linnemann: Ganz klar bei der Integration. Die Vorfälle in Freibädern, die Tat auf dem Frankfurt Bahnsteig, die Schwertattacke in Stuttgart – das alles wühlt die Menschen auf und befeuert die Sorge, dass neue Parallelgesellschaften entstehen könnten. Dem müssen wir jetzt vorbeugen. Nur ein Beispiel: Wenn wir in jeder Sonntagsrede erzählen, wie wichtig die Sprache für die Integration ist, dann müssen bei uns alle Alarmglocken schrillen, wenn bei Sprachtests in Duisburg über 16 Prozent der künftigen Erstklässler gar kein Deutsch können, und bei Vergleichstests in Berlin nahezu jeder dritte Grundschüler beim Lesen und Zuhören nicht einmal den Mindeststandard erreicht. Die Probleme werden immer größer, wir erleben neue Parallelgesellschaften in vielen Bereichen des Landes. Bis tief hinein in die Mittelschicht erlebe ich Eltern, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken, weil das Niveau an staatlichen Schulen sinkt.
RP: Was tun?
Linnemann: Es reicht nicht nur, Sprachstandserhebungen bei Vierjährigen durchzuführen, sondern es müssen auch Konsequenzen gezogen werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen. Hier muss eine Vorschulpflicht greifen, notfalls muss seine Einschulung auch zurückgestellt werden. Das kostet Geld, aber fehlende Integration und unzureichende Bildung sind am Ende viel teurer.
RP: Sie meinen, dass zu viel Zuwanderung die Qualität der Schulen hemmt?
Linnemann: Diese Formulierung ist mir zu pauschal, zumal die Qualität der Schulen von vielen Faktoren abhängig ist. Aber wenn der Deutsche Philologenverband davor warnt, dass ein Migrationsanteil ab 30-40 Prozent häufig mit einer Absenkung des Leistungsniveaus einhergeht, dann sollten wir diese Zusammenhänge gerade in Zeiten verstärkter Zuwanderung aus anderen Kulturen nicht unter den Teppich kehren. Die oftmals so eilig hervorgeholte Rassismus-Keule nützt hier niemandem. Auch nicht den Kindern von Zuwanderern, die sich hier eine Zukunft aufbauen möchten.
Es fällt folgendes auf:
- Linnemann, studierter Wirtschaftswissenschaftler, der sich in der CDU schwerpunktmäßig mit Mittelstandspolitik beschäftigt, redet über ein Thema, von dem er vermutlich wenig bis keine Ahnung hat. Okay, von Schule und Deutsch haben wir alle ein bisschen Ahnung, aber ob das Bisschen ausreicht, um sich qualifiziert über die dringende Notwendigkeit von Vorschulunterricht auszulassen, wage ich zu bezweifeln.
- Er stellt – ob bewusst oder unbewusst kann hier nicht beantwortet werden – einen Zusammenhang zwischen Gewaltverbrechen à la Frankfurter HBF, schiefgelaufener Integration und mangelhaften Sprachkenntnissen der Migrantenkinder her.
- Wichtiger als die gelingende Sozialisierung scheint ihm der Aspekt des drohenden Absinkens des schulischen Leistungsniveaus zu sein, sobald der Anteil ausländischer Kinder in einer Klasse die kritische Schwelle von 30 Prozent übersteigt.
Die Medien verkürzten seine obigen Aussagen zu: „Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule nichts zu suchen“ oder gar: Linnemann fordert Grundschulverbot für Flüchtlingskinder.
Wie es eben so passiert, wenn man solche Interviews gibt. Linnemann als Politprofi müsste eigentlich wissen, wie Schlagzeilen fabriziert werden, beschwert sich aber trotzdem, er sei massiv missverstanden worden. Wurde er das tatsächlich?
Vorschule nur für einige?
Natürlich hatte er kein generelles Grundschulverbot für nicht Deutsch sprechende Kinder gefordert, sondern „nur“ angeregt, diese ein, zwei Jahre später einzuschulen. Er hatte auch nicht explizit von ausländischen oder Migrantenkindern gesprochen. Aber welche Personen sollen mit der Formulierung „Kind, das kaum deutsch spricht und versteht“ sonst gemeint sein? Man muss nicht alles konkret beim Namen benennen, um bei der Zielgruppe, die man mit einer Aussage erreichen will, dennoch konkret verstanden zu werden.
Was ist mit den Kindern, deren Eltern 24/7 RTL schauen, zu Hause auch so reden wie die F-Promis aus den Reality Shows und diesen limitierten Sprachschatz eins zu eins an ihren Nachwuchs weitergeben? Gilt für diese – vermutlich gar nicht so kleine Gruppe – ebenfalls das Linnemannsche Einschulungsverbot?
Warum redet Linnemann nicht darüber, dass Kinder, egal ob mit biodeutschem oder ausländischem Hintergrund, korrektes Deutsch ohnehin oft erst in der Schule beigebracht bekommen? Weshalb erwähnt er nicht, dass Kinder Sprache am Schnellsten in von kompetentem Fachpersonal geführten Klassenverbänden erlernen? Wenn man schon Parallelgesellschaften beklagt – ist es dann sinnvoll, das Leben in dieser Parallelwelt durch Vorschulklassen einzig für Migrantenkinder künstlich nochmal um ein, zwei Jahre zu verlängern? Verbindliche Schulpflicht mit 6: soll die für Flüchtlingskinder ausgehebelt werden? Stellt fehlerfreies Deutsch überhaupt den einzigen Indikator dar, ob man schultauglich ist? Liegt es an den Flüchtlingen, dass die schulischen Leistungen in einigen Bundesländern Jahr für Jahr neue Tiefstände erreichen? Fragen über Fragen, auf die Linnemann mit keinem einzigen Wort eingeht. Oder weiß er das alles etwa überhaupt nicht und wollte bloß mal schnell was zum Thema „Deutsche Leitkultur“ raushauen?
Vorschule für alle wäre ein Gedanke
Diskutierenswert ist die Frage der einjährigen Vorschulpflicht nämlich durchaus. Jedoch ohne Herkunftseinschränkung für ALLE Kinder; obligatorisch im Jahr vor Eintritt in die Grundschule. Also in etwa beginnend mit Vollendung des 5ten Lebensjahres. Einerseits um den nicht für jeden einfachen Übergang vom Kindergartensandkasten zur harten Schulbank emotional abzufedern, andererseits um individuelle Defizite vor der Einschulung zu erkennen und weitestgehend zu eliminieren bzw. auf Normalstand zu bringen. Was beim einen die wacklige Sprache, kann beim anderen das mangelhafte Zahlenverständnis und beim Dritten das Fehlen von Musikalität sein. Hier ein Jahr vor Schulbeginn gezielt zu unterstützen, ist ganz sicher sinnvoll. Aber davon hat Herr Linnemann halt nicht gesprochen.
So, wie es der Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung formuliert hatte, geht es ihm nicht um das gezielte Fördern ALLER Kinder und die damit einhergehende spielerische Integration der Töchter und Söhne aus Migrantenfamilien, sondern vielmehr darum, ausländische Kinder von deutschen Grundschulen fernzuhalten, damit unser eigener Nachwuchs nicht in seiner Leistungsentfaltung gehindert wird. Als ob Kevin aus dem 24/7-RTL-Haushalt schneller das ABC versteht, wenn Omar aus Damaskus nicht neben ihm sitzt und Klein-Kevin beim Lernen stört.
Ob das eine Form von Rassismus ist, fragen Sie mich? Nein, ist es nicht. Es handelt sich Gottseidank bloß um Ausgrenzung und Diskriminierung. Integration von Migranten ist eben immer nur lästig, und wird von konservativen Politikern so gut wie nie als Chance oder gar kulturelle Bereicherung begriffen. Schade!