Rechts außen – Die V-Männer des deutschen Verfassungsschutzes

Ganz offensichtlich stecken wir in einem Dilemma, wenn es um die Beobachtung der rechten Szene in unserem Land geht. Wir müssen reden über das System der V-Leute in den Ämtern unseres Verfassungsschutzes. „Rechts außen“ – Der heutige Gastbeitrag unserer Autorin Isabel Wiest


Gefährdet die Beobachtung der Neonazi-Szene unsere Demokratie?

Deutschland, wir müssen reden. Wir müssen reden über ein Thema, das nicht gerne angefasst wird, weil es undurchsichtig erscheint, geheim und unschön. Weil es aufzeigt, in welchem Dilemma wir offensichtlich stecken, wenn es um die Beobachtung der rechten Szene in unserem Land geht. Wir müssen reden über das System der V-Leute in den Ämtern unseres Verfassungsschutzes. Nicht zuletzt der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke, die Ermittlungen und die zahllosen Berichte über den mutmaßlichen Täter Stephan E., seine Kontakte und seine Vergangenheit, haben uns erneut die Präsenz und die enorme Vielfalt der Neonazi Netzwerke in Deutschland vor Augen geführt.

Wenn man zu dem Thema recherchiert, zieht es einen sogartig hinein in unzählige Geschichten, die so haarsträubend sind, dass man sich fragt, wie es eigentlich um das Gewaltmonopol des Staates, um Verfassungsschutz und Justiz bestellt ist.  Man liest sich durch die Protokolle der Verhandlungstage des NSU Prozesses, der NSU Untersuchungsausschüsse der Länder, durch Anträge, Anfragen, durch die Seiten diverser Recherchenplattformen, durch zahllose Zeitungsartikel…

Verstrickungen und sog. Einzelfälle – Hannibal, Prepper und der militärische Abschirmdienst

Eine der besonders haarsträubenden Geschichten ist uns allen noch präsent. Sie handelt von KSK Elitekampf-Einheiten der Bundeswehr und ihrer Nähe zum rechten Hannibal Netzwerk , der Prepperszene , zu dem, immer noch als gemeinnützig anerkannten Verein Uniter und zu Franco A. Das Debakel wird garniert von der Beziehung, eines wohl rechtzeitig vor Razzien warnenden MAD Mitarbeiters zu seiner eigenen, unglückseligen Auskunftsperson bei der Eliteeinheit – André S. Der wiederum scheint kein geringerer zu sein, als der Kopf der weit verzweigten Schattenarmee – des Hannibal Netzwerkes höchstselbst. Der Mann also, der u.a. vom Gelände der Graf Zeppelin Kaserne in Calw aus , via Chatgruppen, ein Netzwerk von Preppern unterhalten haben soll, die u.a. Todeslisten fertigten, sich für den Tag X vorbereiteten und Lagerhallen für die Internierungen ihrer Feinde auskundschafteten.

Die Verbindung des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg zum umstrittenen Verein Uniter e.V. ist zu guter Letzt auch unbegreiflich. Das Innenministerium in Stuttgart teilte mit, dass das ehemalige Vorstandsmitglied von Uniter e.V. bereits seit 2015 beim LfV tätig ist. Der LfV-Mitarbeiter gründete den Verein im Mai 2016 und wurde Vorstandsvorsitzender.

Man ist schlicht sprachlos.

Viel zu schnell ist dieser Skandal verhallt und man fragt man sich, was die Lehren solcher Vorfälle sind. Vor allem aber fragt man sich, wie groß eigentlich der unsichtbare Teil des braunen Eisbergs in unseren staatlichen Institutionen wohl sein mag, der unbemerkt und unbehelligt sein Unwesen treibt.

Kaum zwei Jahre sind vergangen, da liest man über SEKs der Polizei in MV, die Dienstmunition an die Prepperszene weitergegeben haben sollen und bei denen derzeit geklärt wird, in wieweit sie selbst in die rechtsradikalen Kreise verstrickt waren. Wir blicken auf ein Netz aus Kameradschaften, Sektionen, Länderabteilungen, Nordkreuz , Ost-Süd-Westkreuzen, Blood and Honour Nachfolgestrukturen wie Combat 18 , neogermanischen Artgemeinschaften, arischen Bruderschaften, Sturm 18, Sicherheitsdiensten wie Hardcore/Streetfighting Crews und Frontline , freien Widerstandsgruppen, Turonen und Garden u.s.w. Das Ganze kommerziell aufs Feinste umwoben von Versandhändlern, Merchandise Herstellern, Musiklabeln, Bands, Kampfevents, Sonnenwendfeiern, Rechtsrockkonzerten wie dem Eichsfeldtag und vielem anderen mehr.

Bei all dem, fällt es zunehmend schwer, den immer gleichen Textbausteinen der Beurteilungen der Verfassungsschutzämter Glauben zu schenken. Besonders, wenn nach kaltblütigen Morden in typischer NSU Manier immer wieder reflexartig von „bedauerlichen Einzelfällen“, einem sich wohl im stillen Kämmerlein „selbst radikalisierten Einzeltäter“ oder von „nicht vorhandenen bzw. nicht erkennbaren Organisationen im Hintergrund“ gesprochen wird, die dann nach und nach für alle sichtbar werden. Es scheint, als wolle man aus den Geschichten der vielen enttarnten und abgeschalteten V-Männer der Neonazi-Szene nicht lernen, deren Berichte aufzeigen, wie ihre Arbeit den rechten Gruppierungen oft mehr nutzte, als dass sie ihnen geschadet hätte.

Ein paar Grundkoordinaten des Systems der V-Leute

Um an Bild-, Ton- oder Gesprächsaufzeichnungen sowie relevante Informationen aus der Szene zu kommen, setzen die Landesämter für Verfassungsschutz, das Bundesamt für Verfassungsschutz, der Militärische Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst private Vertrauensleute für die dauerhafte, planmäßige und dritten gegenüber nicht bekannte Zusammenarbeit ein. Die Rechtsgrundlagen finden sich u.a. in §9b des BVerfSchG, §5 MADG und §5 BNDG.

Die Behörden werden meist im Zusammenhang mit begangenen Straftaten auf die potentiellen V-Leute aufmerksam und werben sie gezielt an. Die V-Männer haben dann sogenannte V-Mann-Führer, VP-Führer genannt, mit denen sie sich regelmäßig treffen. Ihre Zuarbeit besteht beispielsweise darin, regelmäßig Berichte zu schreiben, zu erzählen, zu Events zu reisen, in Parteien einzutreten und allerlei Arbeitsaufträge im Milieu auszuführen.

Bezahlt wird das Ganze selbstverständlich auch. Dem Stern lag mal ein 25-seitiges vertrauliches Papier des BKA mit dem nüchternen Namen „Allgemeine Grundsätze zur Bezahlung von V-Personen und Informanten“ vor, welches ausführlich regelt, welche On-Top-Summen man beispielsweise für das Auffinden eines Kilos Kokains/Heroins (1540 €) oder eines Maschinengewehrs (382 €) zusätzlich zu den monatlichen Zahlungen und den Spesen erhält. Die Bewirtschaftung geschieht über den Titel 532 04 für Zwecke des Verfassungsschutzes. Die Beträge werden an die V-Leute meist in bar und gegen Quittung gezahlt. Sie sind natürlich steuerfrei, denn was sollte man auch in der Steuererklärung angeben. Die Länder führen stattdessen diskret 10 % Steuern pauschal an den Bund ab. Der mittlerweile abgeschaltete V-Mann Kai-Uwe T. alias „Ares“ gab einmal an, für seine Tätigkeit beim Landesverfassungsschutz Thüringen monatlich 1000€, sowie für 41 Berichte 16.000€ erhalten zu haben.

Vielfältige rechtliche, psychologische und politische Kritikpunkte

V-Leute sind dabei Verwaltungshelfer und ihre Handlungen sind dem Staat zurechenbar. Und genau hier ergeben sich die ersten Probleme.

Milieubedingte und milieunahe Straftaten, die im Zusammenhang mit dieser Arbeit durch die V-Leute begangen werden, werden nicht unterbunden. Stattdessen sieht man sogar mittels eines gesetzlichen Rechtfertigungsgrunds von der Strafe ab, solange die Taten nicht in Individualrechte eingreifen. Man argumentiert damit, dass der V-Mann womöglich auffliegen würde, wenn er beim Faschokonzert in der grölenden Masse nicht ebenfalls artig den verbotenen Hitlergruß zeigen oder bei Aufmärschen den blanken Hintern in Kameras halten würde, wie seine Kumpels das nunmal so tun. Dass es womöglich ebenso auffällig für den V-Mann sein könnte, wenn anschließend gegen alle anderen ermittelt wird, nur gegen ihn nicht, wird hingegen eher selten diskutiert.

Ebenfalls problematisch erscheint die strafrechtliche Privilegierung der Ex-Täter auch mit Blick auf die zugrundeliegende Güterabwägung zwischen der Schwere der begangenen Straftat und der Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts. Hier besteht viel Argumentationsspielraum im Rahmen einer Zusammenarbeit, der allzuoft die gebotene kritische Distanz abhanden gekommen zu sein scheint. Die strafrechtliche Privilegierung bekannter Täter, ihre Straferlasse und die Sperrung der Beweismittel gegenüber anderen Behörden, sind in einem Rechtsstaat – vor allem den Opfern gegenüber – schwer vermittelbar. Dass die unterschiedliche Verfolgung der Straftaten zudem in Widerspruch zum Gerechtigkeitsgrundsatz des Strafrechts steht, scheint leider auch nur noch ambitionierte Studenten der Rechtswissenschaft zu interessieren.

Wer sich mit den Lebenswegen und den Aussagen enttarnter oder abgeschalteter V-Männer beschäftigt, der muss sich manchmal fragen, ob das eigentliche Verbrechen nicht darin besteht, diese Jungs viele Jahre lang bewusst und mitunter gegen ihren Wunsch in einer Szene zu halten, die sie einst zu Kriminellen gemacht hat. Viele von ihnen sind suchtgeneigt oder Alkoholiker, haben gebrochene Biographien, lange Vorstrafenregister, zerrüttete Elternhäuser und eine versaute Kindheit. Man sollte ihnen eher ein vernünftiges Aussteigerprogramm (vielleicht eins, was nicht zwangsläufig das BfV oder die Landesämter für den Verfassungsschutz anbieten), einen Entzug und eine Ausbildung angedeihen lassen, anstatt sie jahrelang staatlich bezahlt zu Besäufnissen, Rechtsrock-Konzerten oder in Vereinshütten in der Walachei Thüringens zu schicken, wo sie bloß wieder neue Gruppen oder Verlage mit seltsamen Namen gründen. Sie anschließend zu Verrätern ihrer Kumpels machen zu wollen, ist Teil eines Systems, das an Selbsttäuschung grenzt, solange nicht ideelle Motive wie Rache oder Konkurrenzdenken eine Rolle spielen.

Einer der erwähnenswerten und tragischen Fälle dieser Art ist wohl der, des 2014 verstorbenen V-Mannes Thomas Richter, alias „Corelli“ .
Die ausführliche Behandlung einzelner Fälle kann hier aus Platzgründen nicht erfolgen. Nur so viel: Um die Täter des NSU herum soll es an die 40 V-Männer gegeben haben , deren Namen auch im Fall des Stephan E. aktuell vereinzelt wieder präsent wurden.

Ob sich die oft geltungssüchtigen Täter-Persönlichkeiten überhaupt eignen, um aus der Szene heraus realitätsnahe Berichte zu fertigen, die verwertbare Erkenntnisse liefern, sei an dieser Stelle dahingestellt. Es gab mal einen V-Mann, der nach seiner Enttarnung erzählte, die Berichte für seinen V-Mann Führer aus den Monatsberichten der NPD kopiert zu haben. Ein anderer gab an, er hätte sie von den Seiten antifaschistischer Rechercheplattformen im Internet abgeschrieben. Das hatte zumindest eine gewisse Komik.

Aber auch politisch ist die Sache durchaus relevant. Besondere Kritik erfuhr die V-Mann Praxis in den beiden NPD Verbotsverfahren. Ein nicht unwesentlicher Grund für deren Scheitern (zumindest des ersten) war nämlich die Tatsache, dass die gerichtliche Verwertung und Zuordnung, der akribisch gesammelten verfassungsfeindlichen Zitate der Mitglieder und Funktionsträger nicht möglich war. Beim zweiten legte man den V Mann Einsatz gegenüber dem Bundesverfassungsgericht zumindest frühzeitig offen. Von Seiten verschiedener Ämter für den Verfassungsschutz hatte man ganze 11 V-Leute in die Führungsriege der Partei geschleust, deren rechtzeitige Abschaltung aber erneut fragwürdig war.

Auch hierüber kann man eigentlich nur sprachlos den Kopf schütteln.

Fazit

Zu den oben genannten Kritikpunkten treten noch weitere hinzu. Das System ist in sich falsch. Überzeugte Täter mit auffallenden Vorstrafenregistern hat ein Staat nicht mit Geld und Strafvorteilen zu belohnen. Er hat sie nicht jahrelang in der rechtsradikalen Szene zu halten, so dass eine Resozialisierung nahezu unmöglich ist. Der Verfassungsschutz hat diese Leute nicht in Parteien zu delegieren, nicht in die Führungsriegen politischer Organisationsstrukturen und schon gar nicht in Gruppierungen der Neonazi Szene. Er hat sie nicht dazu zu bewegen Organisationen zu gründen, Verlage oder sonstwas. Es darf auch nicht sein, dass man andere nachrichtendienstliche Möglichkeiten der Erkenntnisgewinnung aus bloßen Kostengründen ungenutzt lässt.

Innerhalb sowieso schon bedenklicher Parteien, führen die V-Leute als Lockspitzel mit ihren Anreizhandlungen und radikalen Aussagen zu unverantwortlichen Radikalisierungsprozessen und bringen Politik bewusst mit der rechten Szene zusammen. Ausserdem gefährden sie mögliche Verbotsverfahren wenn dem Staat das Verhalten seiner eingeschleusten V-Leute zuzurechnen ist. Nicht zuletzt wird durch die finanzielle und logistische Ausstattung der Strukturaufbau vorangetrieben, was das BKA zuletzt 1997 einmal als „Brandstiftereffekt“ bezeichnete .

Kurz: Es entsteht ein hochgefährliches, sich selbst befeuerndes System, das dringend auf den Prüfstand gehört.

Isabel Wiest

Isabel Wiest ist Wirtschafts- und Verwaltungsjuristin. Um das nötige Drama hinzuzufügen, schrieb sie als Ghostwriterin böse Witze für eine bekannte Late Night Show. Derzeit ist sie Abgeordnete in einem Hamburger Bezirk und kämpft wo es nur geht für politische Erleuchtung.

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