Heimat
Gibt es ein Recht auf Heimat? Was ist überhaupt meine Heimat?
Bild von Chris Wiedenhoff auf Pixabay (Schnitt: Heinrich Schmitz)
Die Menschen in Hoyerswerda und der ganzen Lausitz wissen, dass sie der Berliner Politik nichts bedeuten. Ihre Heimat wird dem Klimaglauben geopfert.“
so schrieb der sächsische AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Dr. Maximilian Krah, auf seiner Facebookseite.
Ich kommentierte das ganz spontan, ohne groß nachzudenken, mit
Die Heimat wird weggebaggert.
Nachdem mir dann noch von einem Kommentator vorgehalten wurde, ich hätte doch sonst auch nicht viel mit Begriffen wie „Heimat und Bewahren“ im Sinn, antwortet ich
Wie kommen Sie denn darauf, dass ich meine Heimat nicht bewahren möchte?
was für allgemeine Erheiterung sorgte.
Das machte mich dann allerdings nachdenklich, da ich mich durchaus als heimatverbundenen Rheinländer und Eifeler empfinde, auch wenn mir jegliche Deutschtümelei komplett abgeht.
Was ist also meine Heimat und was möchte ich davon bewahren?
Heimatrecht?
Da die Kolumne sich ja hier überwiegend mit Rechtsthemen beschäftigt, suchte ich erst nach dem Begriff der Heimat in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht.
Und siehe da, der Begriff tauchte in einer Entscheidung zum Braunkohleabbau in meiner Heimat auf. Garzweiler dürfte in der gesamten Republik ein Begriff sein. Nicht nur in der Lausitz werden gewachsene Orte zertsört. Und da stellt das Gericht ziemlich klar fest:
Ein eigenständiges Recht auf Heimat im Sinne des mit dem gewählten Wohnsitz dauerhaft verbundenen städtebaulichen und sozialen Umfelds (in diese Richtung Baer, NVwZ 1997, S. 27 <30 ff.>; Pernice, in: Dreier, GG, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 11 Rn. 17) gewährleistet Art. 11 Abs. 1 GG nicht.
Das Grundgesetz selbst kennt kein Recht auf Heimat. Das bedeutet nun aber nicht, dass es keine Heimat gäbe oder dass man die nicht bewahren dürfte. Und das ist auch mehr als ein städtebauliches und soziales Umfeld.
Heimatkunde
In meiner Volksschulzeit (für die Jüngeren, so hießen früher mal die Grundschulen) hatten wir ein eigenes Fach „Heimatkunde“. Das war so eine Art Erdkunde für die nähere Umgebung. Wir lernten viel über unsere Heimatstadt, die umliegenden Orte, die Flüsse und Bäche, Berge und Täler (okay, so richtig hohe Berge gibt‘s hier nicht), aber auch über die Geschichte, die Industrie, die Bodenschätze und über die lokalen Bräuche. So lernten wir unsere Stadthymne „Öskerche,Öskerche, Heimatstädtche fein“ genauso wie Martinslieder, Weihnachtslieder usw. im örtlichen Dialekt, obwohl man im übrigen Unterricht angehalten wurde „richtig“ zu sprechen, was den meisten Dorfkindern und einigen Stadtkindern erst nach einiger Zeit gelang.
Wenn die Kölner Band Brings singt,
Denn ich ben nur ne Kölsche Jung
un mie Hätz, dat litt mer op d’r Zung
Op d’r Stross han ich ming Sprooch jeliehrt
und jedes Wort wie tättowiert
op minger Zung
ich ben ne Kölsche Jung
(Übersetzung: Denn ich bin nur ein Kölscher Junge
und mein Herz, das liegt mir auf der Zunge,
Auf der Straße hab ich meine Sprache gelernt
und jedes Wort wie tättowiert
auf meiner Zunge )
dann trifft es das ganz genau. Hier kann ich auch heute noch im Ortsdialekt sprechen und werde verstanden, während man in anderen Regionen Deutschlands mutmaßt, ich käme aus Holland oder Schweden. Im eigenen Dialekt fühlt man sich zu Hause.
Und ich vermute, dass Heimat sehr viel mehr mit Sprache, Gefühl und Erinnerung und weniger mit der Wohnumgebung zu tun hat. Mein Heimatstädtchen ist lange nicht so „fein“, wie es die Ortshymne besingt, aber es ist halt das Heimatstädtchen meiner Kindheit und Jugend. In den vergangenen Jahrzehnten hat der Ort sich sehr verändert. Er wurde größer, moderner und verlor zu meinem großen Bedauern einige seiner alten historischen Gebäude zugunsten von Stahlbetonklötzen. Trotzdem ist er Teil meiner Heimat geblieben.
Ich kann sehr gut die Menschen verstehen, die sich gegen einen – mittlerweile nur noch dem Profit der Stromkonzerne und nicht mehr dem Gemeinwohl dienenden – Tagebau wenden, der sich von Dorf zu Dorf frisst und den gigantischen Schaufelradbaggern all die Orte opfert, die die Heimat dieser Menschen waren.
Heimaterinnerungen
Heimat ist eben auch Ort von Erinnerungen. Die Parkbank, auf der man seine erste Zigarette geraucht hat. Das Kino in dem man zum ersten Mal geknutscht hat, die Kneipe, in der man das erste Kölsch vom Fass getrunken hat – natürlich bevor man es durfte. Es ist der Bach in den man mit dem Schlitten gelandet und sickenass geworden ist. Keiner von den genannten Orten existiert hier in Euskirchen heute noch in der Realität, aber in meiner Erinnerung sind sie unsterblich und eben Teil meiner Heimat.
Ja, diese Heimat ist mir was wert. Und deshalb sehe ich auch nicht ein, warum ich so tun soll, als sei mir diese Heimat nicht bewahrenswert, nur weil irgendwelche Clowns meinen, die Heimat sei etwas, was in erster Linie dazu dient, andere Menschen von ihr auszuschließen. Denn darum geht es denjenigen, die von einem Recht auf Heimat reden, in erster Linie. Googeln Sie mal spaßeshalber „Recht auf Heimat“ und gucken sich an, was da für ein Suchergebnis kommt. Da tummeln sich Reichsbürger, Identitäre und sonstige Heimattümler, die meinen, Heimat sei etwas, was man gegen Fremde isn Feld führen und bis aufs Blut verteidigen müsse. Gerade im Rheinland kann ich über so einen Quatsch nur herzlich lachen.
In meiner Kindheit gab es hier in meiner Heimatstadt eine große Glasfabrik, die ganz gezielt Arbeitskräfte aus Portugal anwarb. Das hatte zur Folge, dass es plötzlich jede Menge Portugiesen in der Stadt gab, die sich über die Jahre hier fest etablierten, Häuser bauten und Familien gründeten. Es gab eine ganze Schulklasse, die nur aus Kindern mit portugiesischen Kindern bestand. Die hatten halt neben Deutsch auch noch Portugisischunterricht Und, gab es mit denen Probleme? Nö, gab es nicht. Und sie trugen auch dazu bei, die Heimat mit ihrer Arbeit am Leben zu erhalten. Es gab Sportvereine, Kulturclubs usw., ohne dass das irgendwem geschadet hätte. Einer dieser Portugiesen aus Euskirchen ist übrigens heute ein deutscher Anwalt und wütet seltsamerweise in den sozialen Netzwerken mit geändertem Nachnamen gegen Muslime und sieht in jeder Straftat, die von einem Muslim verübt wird, ein kulturelles Problem. Muss man nicht verstehen. Gerade der müsste doch kapiert haben, wie einfach es sein kann, eine neue Heimat zu finden, ohne die alte Erinnerungsheimat aufgeben zu müssen.
Das Rheinland war immer Einwanderungsland und wie ein kluger Mensch schrieb, „ohne die Römer würden die Germanen heute noch hinter dem Baum scheißen“. Immer wieder kamen hier Menschen aus aller Welt hin und integrierten sich. Ob das nach dem Krieg Vertriebene oder später die sogenannten Gastarbeiter waren, alles kein Problem. Das Rheinland ist bunt und weltoffen und gerade, weil das so ist, ist es meine Heimat.
Heimatmenschen
Heute kommen Menschen aus anderen Teile der Welt, als Flüchtlinge, als Asylbewerber. Sie fliehen wegen Verfolgung oder einfach, weil sie in ihren Ursprungsländern keine Perspektive sehen. Ich kann das niemandem verübeln. Aber auch die wurden hier vor Ort von der Mehrheit der Bevölkerung mit offenen Armen empfangen. Sie bekamen Kleidung, Hilfe beim Deutsch lernen, feierten mit Karneval und lernten hier zurechtzukommen. Leider müssen diese Menschen aber auch erfahren, dass es andere Menschen gibt, die ihnen alleine aufgrund ihrer anderen Hautfarbe oder Religion feindselig begegnen. Ich habe einen Mandanten, einen sehr lieben Menschen aus Afrika, der alle naselang von der Polizei kontrolliert und teilweise sehr rüde angegangen wird, ohne dass es dafür irgendeinen Grund gäbe, außer einem gewissen Rassismus bei bestimmten Polizisten. Dem auch ein Mitarbeiter des Ausländeramts jeden Stein in den Weg legt, den es irgendwo ausbuddeln kann und der oft genug weinend bei mir gesessen hat, weil er nicht versteht, weshalb er so mies behandelt wird. Auf der anderen Seite gibt es aber eben auch viele Menschen, die ihn unterstützen, ihn mal in den Arm nehmen, sich für ihn einsetzen und ihm Mut machen. Diese Menschen sind auch meine Heimat.
Rechtliche Heimat
Neben den Orten, den Menschen, den Liedern, der Sprache und den Erinnerungen, gehört aber auch der rechtliche Rahmen zu meiner Heimat. Klingt seltsam? Ist es aber nicht. Ja, ich bin immer noch davon begeistert, dass ich in einem Land leben darf, dessen rechtliche Grundlagen das wunderbare Grundgesetz liefert. Das die Menschenrechte, die Menschenwürde als unantastbare Basis garantiert, die eben nicht daran gebunden sind, dass man „von hier“ ist. Eine Verfassung die ganz zwingend zum Antidiskriminierungsgesetz geführt hat.
Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
Achten Sie einmal darauf und Sie werden feststellen, dass all denen, die so gerne vom Schutz der Heimat schwafeln, dieses Gesetz ein Dorn im Auge ist. Die meinen mit Heimat „Germany first“.
Das sollte aber kein Grund sein, den Begriff der Heimat diesen reaktionären Figuren zu überlassen, es sollte vielmehr ein Grund sein, sich dafür einzusetzen, dass der von den Nationalsozialisten als Begründung für die Vernichtung von Millionen Menschen missbrauchte Begriff, wieder eine ganz andere, positive Bedeutung erhält, nämlich die von einem Ort, an dem jeder sich wohlfühlen, einfach heimisch fühlen kann . Kein Begriff der Ausgrenzung, sondern einer des Zusammenhalts.
Ein Lied der Bläck Fööss, das für mich auch viel über meine Heimat aussagt, ist der „Kölsche Stammbaum“. Und da heißt es im Refrain
Su simmer all he hinjekumme,
mir sprechen hück all dieselve Sproch.
Mir han dodurch su vill jewonne.
Mir sin wie mer sin, mir Jecke am Rhing.
Dat es jet ,wo mer stolz drop sin.
(Übersetzung:
So sind wir alle hierher gekommen,
wir sprechen heute alle dieselbe Sprache
Wir haben dadurch soviel gewonnen.
Wir sind wie wir sind, wir Jecke am Rhein.
Das ist es etwas, worauf wir Stolz sind.
Ja, wir sind nicht stolz darauf deutsch zu sein, da kann nämlich niemand etwas für, aber wir sind stolz so zu sein, wie wir sind. Wer uns Böses will nennt uns verächtlich Buntmenschen oder Gutmenschen, aber damit kann ich leben. Ich habe auch keine Angst davor, dass fremde Menschen, die in meine Heimat kommen, mir diese Heimat wegnehmen können. Wie sollte das auch gehen? Wer davor Angst hat, den mangelt es an Selbstbewusstsein. Aber ich habe schon etwas Angst davor, dass andere Menschen, mit einem eher ungesunden, ausgrenzenden Heimatbegriff, versuchen werden, diese Menschen wieder zu vertreiben, um eine ethnisch „reine“ Heimat zu installieren. Das wäre dann aber eben gerade nicht mehr meine Heimat. Und die will ich bewahren.