Frau Lambrecht, Sie wissen nicht, was Sie reden
Wolfgang Brosches sehr persönliche Erwiderung auf eine Programmbeschwerde
Im Französischen gibt es den eigenwilligen Ausdruck, „une porte condamnée“. Wörtlich übersetzt : eine verurteilte Tür. Gemeint ist eine Tür, die unpassierbar ist, blockiert. So ein vernageltes Tor hängt auch bei mir, hängt vor jeder Herzkammer, die an meinem Geburtstag verbarrikadiert wurde. Auf ewig. Keine Roßkur, auch keine Schreibkunst wird sie aufbrechen. Auch nicht der Mensch, der bereit wäre, mich zu lieben, schaffte sie – die Tür eben dieses Wissens der Wertlosigkeit – aus der Welt. Denn ich und jeder andere mit einer ähnlich vernichtenden Erfahrung, würde die Liebe nicht zulassen. Riecht sie doch nach Unheil, nach Todesangst. Sie ist nicht Liebe, sie ist der Tod. Sich der Liebe ausliefern als Liebender oder als Geliebter hieße, ins offene Messer rennen. Deshalb die Tür. All diejenigen, die bedenkenlos und unverbrüchlich geliebt wurden, nennen unsereins einen Feigling. Sie wissen nicht, was Sie reden.
Andres Altmann, „Das Scheißleben meines Vater, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“ (2011)
§ 219a bei Anne Will
In der Anne Will-Sendung vom 3. Februar diskutierten Franziska Giffey (SPD), Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP), Christina Hänel, Ärztin, Theresa Bücker, Chefredakteurin des feministisches Magazins „Edition F“ und als einziger Mann der Politikerdarsteller Phillip Amthor (CDU) über die „Nichtabschaffung des Paragraphen 219a“, der die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche, so nennen es die „Lebensschützer“, unter Strafe stellt. Nebenbei gesagt, ein Paragraph, der den völkischen Zuchtwahn der Nazis schon 1933 im Gesetzbuch implementierte.
Die Ärztin Christina Hänel, die auf ihrer Praxiswebseite bloß darauf hinwies, daß sie Abbrüche vornehme, wurde von fanatischen Abtreibungsgegnern bereits mehrfach aufgrund des Paragraphen 219a verklagt und sogar verurteilt. Sie ging an die Öffentlichkeit, was zu einer erneuten politischen Diskussion des Paragraphen führte, die aber realiter keine Veränderung bewirkte, schon gar keine Streichung.
Im Grunde versuchen die Lebensschützer die seit bald 50 Jahren andauernde Diskussion um den Hauptparagraphen 218 am Kochen zu halten. Sie kommen mit den immer gleichen Argumenten angekrochen, um ihren Hoheitsanspruch auf die Körper und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen zu behaupten. Es handelt sich dabei um gebetsmühlenartig vorgetragene Versatzstücke eines Schattenkampfes für die Zygote.
Um nicht gar zu reaktionär zu wirken als einziger Mann in der Frauentalkrunde, konnte sich Philipp Amthor immerhin zu einem sowohl als auch durchringen und outete sich sowohl als Gegner der Abtreibung, aber auch als Befürworter des Zugangs der Frauen zu kompetenter medizinischer Versorgung und Aufklärung über den Eingriff.
Da Männer und männerfolgsame Frauen ihre Projektionen zur Fortpflanzung und deren Unterlassung nicht aufgeben wollen und immer weiter mit Gedanken, Werken und Worten in den Unterleibern der Frauen herumwühlen, suchen sie permanent und penetrant nach Mitteln und Wegen ihre Vorstellungen allen aufzudrücken. Neuerdings kommt aus dem Hause Spahn die Nachricht, daß schon wieder eine Studie erstellt werden soll über die längst widerlegten depressiven Langzeitfolgen der Abtreibung für die Frauen. – Zu vermuten steht, daß es eher die Männer sind, die an solchen Langzeitfolgen ihrer gekränkten Männlichkeit leiden.
Programmbeschwerde von Lebensschützern
Nun interessiert mich das müßige TV-Geplänkel überhaupt nicht, sondern eine Reaktion darauf, die die Verlogenheit der Frömmler entlarvt.
Die bayrische Landesvorsitzende der „Christdemokraten für das Leben“, Christiane Lambrecht (CDL), hat sich so über die Anne-Willsendung empört, die ja nun wirklich nicht ein Gran Neues bot, wie der Grabenkrieg vor Verdun, daß sie eine Programmbeschwerde bei der ARD eineichte.
Darin, ich kann es nicht anders bezeichnen, und nein, ich bin auch nicht mehr freundlich, findet sich das übliche Salbadern der patriarchalen Lebensschützer, die ständig vom „ungeborenen“ Leben schwätzen, die aber das geborene nicht einen Deut interessiert.
Ein Aspekt ist allerdings neu – ein Aspekt, den Frau Lambrecht auf böswillige Weise verdreht und mit dem sie ihren Lebensschutzfanatismus entlarvt. Die Ärztin Christina Hänel hatte das Schlußwort in der Sendung und betonte, sie könne Frauen, für die die ungewollte Schwangerschaft Sorge und Not bedeutet, nicht allein lassen. Und dann sagte sie den entscheidenden Satz FÜR das Leben: sie wolle,
…daß Kinder, die auf die Welt kommen, gewollt sind, daß sie geliebt sind! […] Das ist mein Traum!
Die Bösartigkeit der Frau Lambrecht macht daraus in ihrer Programmbeschwerde, daß Abtreibung selbst „ein schöner Traum werde!“ Und sie versteigt sich zu der infamen Pseudoschlußfolgerung: „Nicht geliebte Kinder dürfen [also] mit gutem Gewissen abgetrieben werden!“ – Und wieder gibt sie eine Zygote als Kind aus!
Nebenbei hantiert sie noch mit den Menschenrechten und fuchtelt herum mit der Forderung, Abtreibung dürfe kein Menschenrecht werden!
„Apage spiritu!“
Hier schleudere ich ihr und den Lebensrechtlern mein „apage spiritu“ aus dem Exorzismus-Ritus entgegen; da sie zumeist fanatische Rechts-Katholiken und Evangelikale sind, werden sie sich damit auskennen.
Nur am Rande empört mich Frau Lambrechts Wissens- und Wissenschaftsfeindlichkeit, die sich am deutlichsten zeigt in der Ablehnung der Evolutionsforschung (die längst keine Theorie mehr ist, sondern tausendfach belegte Gewißheit), aber eben auch zeigt im Falle der Abtreibung; denn es wird kein Kind abgetrieben, sondern eine nicht selbsttätig lebende Zygote. Offenbar hängen die Lebensschützer noch immer fest an der patriarchalen Vorstellung, mit der Leuwenhoek als erster aufräumte. Der konnte nämlich mit seinem Mikroskop nachweisen, daß sich im Ejakulat des Mannes keine kleinen Homunculi befanden, die in die Frau zum Ausbrüten eingespritzt werden, wie man bis dahin glaubte – womit dann auch noch die Hierarchie der Geschlechter zunichte war. Wenngleich – es braucht ja noch 250 Jahre bis zum Beginn der Frauenbewegung.
In einem Punkt aber hat Frau Lambrecht Recht: die Abtreibung soll in der Tat ein späteres Kind verhindern. Ein Kind, das nicht gewollt ist – aus welchen Gründen auch immer. Die Gründe dafür sind jeweils andere und individuell; ich habe kein Recht, eine Frau dafür sie zu kritisieren, daß sie keinen Nachwuchs will, ob zu einem bestimmten Zeitpunkt oder überhaupt.
Das nicht-gewollte Kind ist immer ein ungeliebtes!
Ein nicht-gewolltes Kind ist immer ein ungeliebtes, im besten Falle halbgeliebtes, mit Widerwillen geliebtes – NEIN, ich muß es deutlicher sagen: es gibt keine Halbliebe, Liebe mit Widerwillen exerziert. Ein solcher Mensch ist, wird und bleibt nicht angenommen.
Dieses Nicht-Angenommensein ist die größte Hypothek des Lebens. Ein nicht angenommener Mensch wird niemals glücklich werden. Darum hat Schiller Recht, wenn er sagte „Das Leben ist der Güter höchstes nicht!“!
Ein solcher Mensch leidet an seinem Leben; die Psychologie und die Erforschung der Kindheit haben nachgewiesen, daß das Unglücklichwerden im und am Leben, ein früher Auftrag der Eltern ist, an dem diese Kinder und die späteren Erwachsenen mitarbeiten. Darum laufen auch soviele unglückliche und verzweifelte Menschen durchs Leben. Bei vielen schlägt dieses Minderwertigkeitsgefühl, das nie wirklich aufgelöst werden kann, in Aggression um und schadet auch noch anderen. Wir finden diese Menschen überall: da ist der kleine Schulhofbully, der miese Chef, da sind die durch die Bank destruktiven und rachsüchtigen AfDler oder die Ikonen der Unmenschlichkeit wie Hitler, Pol Pot oder Stalin.
Ja – die Legenden, in denen behauptet wird, all diese Leute hätten eine liebevolle Kindheit gehabt, sind von A bis Z erstunken und erlogen – ich verweise hier immer auf die schrecklichen Fallbeispiele, die Alice Miller in ihrem gesamten Werk immer wieder anführt: den Sohn von Moritz Schreber, den schrecklichen Mörder Jürgen Bartsch oder eben auch Adolf Hitler…. Sie alle waren ungeliebte Kinder, die sich für die in sie gepflanzte Wertlosigkeit schadlos hielten an ihren Opfern, die sie entwerteten, wie sie selbst einmal entwertet wurden. Sie alle haben auch ihr ganzes Leben lang gezeigt: die Wunde der Wertlosigkeit, der Ungeliebtheit, heilt niemals und wird zum gefräßigen schwarzen Loch in der Gesellschaft.
Zumeist aber sind diese Ungeliebten ihr eigenes Schlachtfeld oder wüten in ihrer nächsten Umgebung, bei ihren Freunden oder ihrer Familie.
DAS hat Cristina Hänel gemeint, als sie von ihrem Traum sprach: daß nämlich nur gewollte Kinder geboren würden! Das würde nicht bloß für den einzelnen Menschen von Vorteil, sondern vor allem für die gesamte Gesellschaft.
Lügenmärchen von der Liebe
Frau Lambrecht und die Lebensschützer haben ihrer Frömmelei nur Lügenmärchen von der Liebe zu bieten und Vorwürfe an die prospektiven Mütter, denen sie ein schlechtes Gewissen machen, wenn sie kein Kind bekommen wollen, wenn sie „dieses“ Kind nicht bekommen wollen – die Väter bleiben bei ihnen sowieso draußen.
Mütterliche/väterliche/elterliche Liebe kann man nicht erzwingen, weder durch Gesetze oder durch naive Gebote wie „Liebet Euren Nächsten!“ – denn Eltern sind immer ein Produkt der Umwelt, die mit solchen Schandmärchen von der Mutterliebe die Menschen in Bedrängnis bringt.
Die fanatische Lebensschützerin Birgit Kelle nannte genau in solcher Manier ihr letztes Buch „Muttertier“ und beschwor damit das schauerhafte Bild der „Mutter dentata“, der Mutter, die dem Kind kein Leben läßt, die sich nur übers Kind definiert. Vor allem setzte sie die Begriffe Mutter und Liebe in Eins.
Diese Hypothek aus Kitsch, Frömmelei und Zwang bedrückt aber nicht nur die Kinder, sondern zuerst die potenziellen Mütter. Darum ziehe ich vor jeder Frau, die sagt, sie verweigere sich diesem giftigen Ideal, meinen Hut. Die Frauen aus der Generation meiner Großmutter und Mutter sind oft genug daran kaputtgegangen. Kaputtgegangen an den Zwangslebensvorschriften, die den Lebensschützern im Kopfe herumspuken. Und ich fürchte, es geht auch heute noch vielen Frauen so, denn das Leid, das daraus hervorgeht, setzt sich als Tradition über Generationen fort!
Traditionslinien der Lebens-und Liebeslügen
Meine Großmutter wurde 1926 ungewollt und unverheiratet im erzkatholischen Paderborn schwanger. Um „die Schande“ auf keinen Fall publik werden zu lassen, wurde sie Hals-über-Kopf verheiratet mit einem Mann, der sie gar nicht wollte und den sie nicht wollte.
Konnte sie das Kind, daß sie erwarten mußte, überhaupt lieben? Sie hat es nicht geliebt – und der Sohn, den sie bekam, war ein so traurig ungeliebtes Kind, daß er die größte Geborgenheit bei der Hitlerjugend fand und sein Leben lang seine uneheliche Geburt als Scham empfand und noch mit achtzig Jahren darüber in Tränen ausbrach; lebenslänglich ein weinerliches, ungetröstetes Kind geblieben, das niemand zu trösten vermochte.
Auf ihr zweites Kind projizierte meine Großmutter all ihre Hoffnungen, da es doch ehelich geboren werden sollte, also mehr wert war als der erste Sohn. Aber dieses zweite Kind starb nicht mal dreijährig an Diphtherie. Da mußte das dritte herhalten, aber es war „nur“ eine Tochter und konnte einen reinen Sohn nie ersetzen. Diese Tochter, meine Mutter, versuchte ihr ganzes Leben lang, ein Junge zu sein, der von seiner Mutter geliebt wurde und scheiterte daran… Als sie dann als Junge Frau mich bekam, verlegte meine Großmutter, zu meiner Freude ihre ganze Liebe auf mich. Und meine Mutter, die die Jungen haßte, die sie selbst nicht werden konnte, haßte mich, weil sie soviel Schmerz und Zurückweisung erleiden mußte, weil sie selbst kein Junge war –Jungen also waren für sie der Hort der Mißachtung. Und obendrein verachtete meine Mutter sich selbst, weil sie die Mutter nicht sein konnte war, die zu sein die Gesellschaft und das Umfeld ihr auftrugen..
Heute, zwanzig Jahre nach ihrem frühen Tod, empfinde ich für ihr Dilemma tiefes Mitleid, aber keine Liebe. Denn wie konnte ich sie lieben, wenn sie sich selbst so verachtete und mit sich selbst auch mich. Daran ist sie psychisch und physisch, kaputtgegangen. Sie wollte diesen Sohn nicht und zwar schon ganz früh, seit dem ersten Tag, an dem sie merkte, daß sie schwanger war. Zwangsgeborene Kinder, die diese Hypothek mit ins Leben bekommen, können nicht glücklich werden.
So einfach allerwerteste Frau Lambrecht, ist das also nicht mit der Schwanger-und Mutterschaft, mit der Liebe, die angeblich alle Probleme löst. Das tut sie NICHT. Sie schwebt nicht im Raum herum, damit man sie fangen könnte – sondern ist immer gebunden an die Erfahrungen der jeweiligen Menschen. Liebe kann man nicht in Gang setzen wie einen Apparat…
Das Scheißleben…
Der Schriftsteller Peter Andreas Altmann hat ein schwarzes Buch über die fehlende Liebe geschrieben, über die falschen Erwartungen, den quälenden Zwang und das lebenslange Gefühl nicht dazu zugehören, nicht angenommen zu sein – und zwar vom Moment der Zeugung an.
„Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißeben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend,“ (2011) beschreibt die grausamen Rituale des verlogen-strengen Katholizismus, der ja angeblich die Religion der Liebe ist – das ist er nicht, er ist die Religion der Herrschaft – wie alle Religionen.
Altmann wurde über Jahrzehnte von düsteren Gefühlen und Ängsten verfolgt – bis er seine Mutter nach völlig sinnlosen Therapien, aber gedrängt ahnungsvoll zur Rede stellte und sie eingestand – sie habe unmittelbar nach der Geburt, weil sie ihr Kind zutiefst verabscheute, ja haßte, versucht, ihn noch im Krankenhaus zu ersticken. Der Autor erzählt über Ursachen und Gründe dieses Hasses und beschreibt die Not seiner Mutter. All das wäre nicht passiert – und ja, der Geborene Altmann hätte nicht lebenslang leiden müssen – wenn seine Mutter die Zygote aus ihrem Leib gekriegt hätte.
Das Leben ist der Güter höchstes nicht
Und da schleudere ich Frau Lambrecht, ihn und Ihren Kombattanten ins Gesicht: es wäre in der Tat besser, daß die Ungeliebten, die erst zukünftigen Kinder, nicht geboren wären. Sie würden nicht leiden; jetzt leiden sie an der Ignoranz und Arroganz der Lebensschützer, an deren Drang zur Herrschaft über Zygote und Uterus. Oder, um es mit Emil Cioran noch deutlicher zu sagen:
Es hat keinen Wert Suizid zu begehen, weil man sich immer zu spät umbringt!
Nur die fanatisch Gläubigen rührt das Leid der Ungeliebten nicht. In diesem Sinne ist der von Christiane Lambrecht so niederträchtig umgedeutete „schöne Traum“ von Christina Hänel, daß ausschließlich Kinder auf die Welt kommen, die gewollt und geliebt sind, ein Satz der denkbar größten Humanität und Lebensschutzes.
Die Programmbeschwerde von Christiane Lambrecht (CDL)
http://www.kath.net/news/mobile/66867
Leseproben aus dem Buch von Andreas Altmann:
http://www.andreas-altmann.com/leseproben/das-scheissleben-meines-vaters