Seehofern – Über den Unfug, ständig Gesetze verschärfen zu wollen
Man könnte meinen, Bundesinnenminister Seehofer habe nur auf die Schläger von Amberg gewartet. Nun will er innerhalb kürzester Zeit eine verfassungsfeste Gesetzesänderung für effektivere Abschiebungen präsentieren. Dabei gäbe es ganz andere Möglichkeiten.
Amberg, eine Kleinstadt in Bayern, taucht selten in den bundesweiten Medien auf. Da passiert nicht viel. Eine Stadt mit sechs Friedhöfen und vier Brauereien, die das Bergfest und das Bierfest ausrichten, einer Stadtmauer um die malerische Altstadt und einer handvoll Kirchen. Die Kriminalitätsrate ist seit Jahren gesunken und lag 2016 bei insgesamt 2900 Delikten bei rund 44000 Einwohnern. Das sind ungefähr 30% der Zahl in meiner Heimatstadt Euskirchen, die auch schon recht sicher ist. Man kann sich also sehr sicher fühlen in Amberg.
Jedenfalls bis vier Flüchtlinge in der vorigen Woche besoffen durch den Ort prügelten und insgesamt 12 Personen verletzten. Seit dem ist Amberg ein Symbol für – ja für was eigentlich?
Im Mai 2017 verkündete der Oberbürgermeister Michael Cerny aus dem Sicherheitsbericht des Jahres 2016, dass es ein Problem mit Gewalt in Amberg gebe. Er bezeichnete das als „urbane Effekte“ und meinte damit
Bisher hat das in Amberg niemand übermäßig in Wallung gebracht, warum auch? Alkohol und Schlägerei gehören halt zum bayerischen Kulturgut, wie Politik und Bierzelte. Und auch im Rest der Biertrinkernation Deutschland ist die Kirmes- oder Schützenfestklopperei langjähriger Bestandteil der Gewaltkultur. Was ist nun also so wesentlich anders als die üblichen wochenendlichen Schlägereien, die Amberg schon immer kannte, ohne sich großartig Gedanken darüber zu machen, was man dagegen tun könnte?
Flüchtlinge
Die Täter sind „Flüchtlinge“, jedenfalls werden sie so genannt. Wie der genaue Status der vier festgenommenen Tatverdächtigen ist, kann ich nicht sagen. Nach Angaben des bayerischen Innenministers handelt es sich um einen noch minderjährigen Afghanen, bei dem das Bundesamt für Asyl und Flüchtlinge (BAMF) ein Abschiebungsverbot ausgesprochen habe, bei zwei weiteren Tatverdächtigen handele es sich um zwei volljährige Afghanen, deren Asylverfahren noch laufen. Der vierte Tatverdächtige sei ein seit dem 30. Dezember 2018 volljähriger Iraner, der nach Ablehnung seines Asylantrags seit Februar 2018 ausreisepflichtig sei. Sein Abschiebungsverfahren liefe bereits. Jedenfalls sitzen sie nun alle in U-Haft.
Und nicht nur, dass nun in Amberg angeblich eine von der NPD initiierte Bürgerwehr aufmarschiert, nein, noch verrückter ist die Reaktion des Bundesinnenministers, der ausgerechnet diesen Fall zum Anlass genommen hat, erneut Gesetze verschärfen zu wollen.
Er seehofert wieder
Nun seehofert er also mal wieder. Frei von Ahnung, frei von Kompetenz, aber immer in die Vollen. Was will der Mann eigentlich? Will er Tatverdächtige ohne rechtskräftige Verurteilung abschieben? Will er Menschen, bei denen ein vom BAMF festgestelltes Abschiebehindernis vorliegt, in Tod oder Folter abschieben, weil sie geprügelt haben? Oder will er nur ein paar Stimmen am rechten Rand abfischen? Diesen Quatsch hat er bereits vor der Bayernwahl praktiziert und ist dabei derb auf die Schnauze gefallen. Welche Gesetze sollen denn bitteschön geändert bzw. verschärft werden.
Die gemeinschaftlich begangene Körperverletzung ist als gefährliche Körperverletzung bereits mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten und einer Höchststrafe von 10 Jahren ausreichend heftig sanktioniert.
§ 224
Gefährliche Körperverletzung
(1) Wer die Körperverletzung
1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4. mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5. mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
Was man da noch verschärfen sollte, weiß der Teufel.
Auch die Abschiebemöglichkeiten für straffällig gewordene Asylbewerber sind bereits verschärft worden. Hier reicht bei Gewaltdelikten schon eine Verurteilung von einem Jahr zu einer Ausweisung. Wer da noch weiter verschärfen will, muss schon in einen Bereich gehen, in dem ihm das Bundesverfassungsgericht ein paar Worte zu Art. 1 GG sagen wird. Abschieben ohne Verurteilung und ohne Verfahren, schuldig bei Verdacht? Da ist dann Ende mit Rechtsstaat.
Nun möchte ich nicht den Eindruck erwecken, als seien die Körperverletzungen von Amberg Lappalien. Das wäre schon den willkürlich betroffenen Opfern gegenüber schändlich. Nein, das sind Straftaten, die auch entsprechend bestraft werden müssen. Das ginge übrigens auch nicht, wenn man bereits als Tatverdächtiger abgeschoben werden könnte. Warum sollten Asylbewerber gegenüber anderen Straftätern bevorzugt werden, indem sie die Strafe mit der Abschiebung geschenkt bekämen? Warum sollten die Opfer nicht ihre Ansprüche auf Schmerzensgeld, Verdienstausfall etc. geltend machen können, wenn die verurteilten Täter einmal in Lohn und Brot sind?
Bei den Tatverdächtigen aus Amberg handelt es sich um Jugendliche oder Heranwachsende, d.h. für sie greift das Jugendstrafrecht. Ein Strafrecht, dass nicht an die Strafdrohungen für Erwachsene gebunden ist, sondern dem Erziehungsgedanken folgt. Dafür ist vollkommen unerheblich, ob der Jugendliche oder Heranwachsende Deutscher oder Ausländer ist. Jeder Fall muss einzeln geprüft werden und kann und darf nicht über eine Pauschalisierung abgehakt werden. Der Gesetzgeber war klug genug zu wissen, dass Jugendliche und Heranwachsende noch formbar sind. Daran kann auch der Innenminister nichts ändern und das ist auch gut so.
Harter Maxe
Statt immer nur den harten Maxe zu geben, täte der Innenminister gut daran, sich einmal mit der Entwicklung und Entstehung von Gewaltdelikten auseinanderzusetzen. Dabei würde ihm folgendes ganz schnell auffallen. Gewalt hat immer mehrere Ursachen. Monokausale Ansätze sind in der Kriminologie längst widerlegt. Sicher ist aber, Alkohol erhöht immer das Risiko, Gewalttäter oder Gewaltopfer zu werden. Bei ca. einem Drittel aller Gewalttaten ist Alkohol im Spiel.
Alkohol
Ja, Herr Seehofer, das ist dieser Stoff über dessen Dunstschwaden Sie in den Bierzelten ihre markigen Reden schwingen. Das ist dieser Stoff unter dessen Einfluss auch schon mal CSU-Generalsekretär einen Menschen totfährt, ohne dass jemand nach einer Verschärfung von Strafen für fahrlässige Tötung gerufen hätte. Es ist der Stoff, von dem rund 1,77 Millionen Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland abhängig sind und an dem 74.000 Menschen, alleine durch riskanten Alkoholkonsum oder durch den kombinierten Konsum von Alkohol und Tabak, in Deutschland sterben. Effektiver als jeder Terrorismus tötet diese Substanz und lässt Hirne verblöden. Ich halte jede Wette, dass die Zahl der Gewaltdelikte drastisch gesenkt werden könnte, wenn der Alkoholkonsum insbesondere bei jungen Männern dramatisch eingeschränkt werden würde.
Außerdem könnten Sie noch die Krankheitskosten senken. Die direkten und indirekten Kosten alkoholbedingter Krankheiten werden pro Jahr auf 40 Milliarden Euro geschätzt.
2016 ereigneten sich insgesamt 13.403 Alkoholunfälle mit Personenschäden. Bei diesen Unfällen wurden 16.770 Menschen verletzt. Insgesamt starben 225 Menschen durch Alkoholunfälle.
Statt nach unsinniger Verschärfung von Strafen und sonstigen Sanktionen zu rufen, könnte man, wenn die Maß mal abgesetzt ist, ja auch mal an die Ursachen von Gewalt gehen, statt nur im Nachhinein rumzuplärren. Die liegen nämlich weder in der Hautfarbe noch in der Nationalität.
2016 wurden insgesamt 40.007 Gewalttaten unter Alkoholeinfluss verübt. Das sind 27,3 Prozent aller aufgeklärten Fälle im Bereich der Gewaltkriminalität. Insbesondere bei schwerer und gefährlicher Körperverletzung prägt Alkoholeinfluss weiterhin die Tatbegehung in erheblichem Umfang. Das ist auch kein Geheimnis. Auf die Idee, da mal ran zu gehen und zum Beispiel ein komplettes Werbeverbot für Alkohol zu beschließen, kann man natürlich nicht kommen, wenn im eigenen Bundesland der Suff zur Leitkultur gehört und die Brauereien im Wahlkreis Arbeitsplätze garantieren. Warum ist Alkohol so billig? Innerhalb der letzten 40 Jahre sind alkoholische Getränke im Vergleich zur den übrigen Lebenshaltungskosten um 30 Prozent billiger geworden. Die Verbraucherpreise für Wein sanken um 38 Prozent, für Spirituosen um 33 Prozent und für Bier um 26 Prozent. Dass es hier eine offensichtliche Korrelation zum Anstieg von Gewaltdelikten gibt, kann man auch mit zwei Maß im Kopf nicht übersehen.
Und, kommt da was von Ihnen, Herr Seehofer? Oder halten Sie es eher mit ihrem Parteifreund Beckstein, der ernsthaft meinte
Wenn man zwei Maß Bier, also zwei Liter, in sechs, sieben Stunden auf dem Oktoberfest trinkt, ist Autofahren noch möglich.“
Klar ist das möglich. Es ist auch möglich, ordentlich zu saufen und dann eine zünftige – so nennt man das doch bei Ihnen – Wirtshaus- oder Bierzeltschlägerei anzufangen oder durch die Stadt zu torkeln und Blumenkübel in Schaufenster zu werfen und alles vollzukotzen.
Ach geh, ich glaube ja nicht daran, dass es Ihnen wirklich darum geht, die Ursachen von Gewalt zu bekämpfen. Dann würden Sie weniger martialisch verbal auf Taten von Asylbewerbern oder andere Ausländer reagieren, sondern eventuell mal darüber nachdenken, dass es sinnvoll wäre, wenn Asylbewerber arbeiten dürften, statt vor Langeweile dem billigen Gerstensaft zusprechen zu dürfen. Dass die jetzt auch schon saufen liegt garantiert nicht am Islam, sondern eher an einer – soll man wirklich sagen – gelungenen Integration. Oder Sie könnten dafür sorgen, dass es für alle Jugendlichen und Heranwachsenden vernünftige Betreuungsmöglichkeiten gibt. Wie wäre es mit mehr Streetworkern, finanziert aus einer Verdoppelung der Alkoholsteuer? Nicht populär genug? Ja, kann sein. Aber populistischen Bullshit zu verbreiten, der NPD und der AfD in die Hände zu spielen, indem Sie die Ursache für Amberg in zu weichen Gesetzen für Asylbewerber behaupten, das soll was bringen? Klar, es bringt etwas mehr Hetze und Rassismus, wenn der Konsument der Tagesschau seinen Innenminister über eine Verschärfung von Gesetzen labern hört und dann denkt, wenn ein demokratischer Politiker mit Regierungsverantwortung so was sagt, ja dann müssens diese Ausländer ja gefährlich sein. Ja dann brauchts vielleicht a Bürgerwehr.
Radikal
Lassen Sie doch mal die erfassten Gewaltdelikte wissenschaftlich analysieren und dann radikal, also von der Wurzel her, angehen. Mag sein, dass das nicht so gut ankommt, wenn Sie im Bierzelt statt von Gsuffa davon sprechen, dass diese elende Sauferei dumm und aggressiv macht. Aber genau das tut sie und das tut sie insbesondere, je jünger die Konsumenten sind. Ich nehme Sie gerne einmal mit in eine Einrichtung für Menschen mit einem Korsakow-Syndrom. Nee, das ist nicht der lustige Hock-Tanz der Russen, dass ist eine Erkrankung des Gehirns, die sich vor allem durch starke Gedächtnisstörungen äußert. Auftretende Gedächtnislücken füllen Betroffene meist mit erfundenen Inhalten (Konfabulieren), also Fake-News. Die Krankheit tritt meist bei Menschen auf, die jahrelang zu viel Alkohol konsumiert haben. Ist nicht lustig, wenn sie sehen, wie der Suff die Menschen zugrunde richtet und der Innenminister seine Maß erhebt.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich trinke ebenfalls gerne ein Bier oder einen Wein und rufe nicht nach Verboten. Für ein Engelbräu oder einen Heinrich der Kempter mit Clemens Haas, fahre ich auch bis nach Kempten, wir wissen aber, wann es genug ist. Aber mehr Aufklärung über die schädlichen Folgen des Suffs und weniger Politiker, die in der Öffentlichkeit trinken, fände ich schon ganz hilfreich.
Ich hatte ja schon an so etwas wie Einsicht geglaubt, als ich las, die CSU-Stadtratsfraktion in München denke über ein Alkoholverbot am Viktualienmarkt nach.
Aber weit gefehlt, dabei geht es offenbar nur darum, den „illegalen“ Verkauf zu verhindern und die Standl-Besitzer vor Pöbeleien zu bewahren und Ihnen den Umsatz aus dem legalen Verkauf zu erhalten.
Sicher, Alkohol alleine ist selten die Ursache von Gewalt, er ist aber ein gewaltbegünstigender Faktor, der jedenfalls mehr zur Gewalt in und außerhalb von Familien beiträgt, als jeder andere Faktor, insbesondere der Faktor Herkunft, denn der spielt da eher eine untergeordnete Rolle.
Wenn Ihre restliche Amtszeit es noch zulässt, was ich bedauern würde, denken Sie mal drüber nach, Herr Bundesinnenminister.
Dem Bürgermeister von Amberg, ist das ganze Theater, auch das des Innenministers, übrigens „too much“, wie er im SPIEGEL sagte. Und er sagt noch etwas sehr Kluges:
Auch daran könnte Herr Seehofer sich ein Beispiel nehmen.