NSU 2.0 – Nazis raus aus der Polizei
Es gibt Hinweise auf eine Gruppe von Polizisten, die mit der Bedrohung einer Anwältin in Verbindung stehen könnte. NSU 2.0 innerhalb der Polizei? Ein Skandal? Nein, eine Katastrophe.
Dass Anwältinnen und Anwälte bedroht werden, ist fast schon Alltag. Gerade Strafverteidiger haben immer wieder Post von Wutbürgern, insbesondere wenn sie Angeklagte vertreten, die eines Verbrechens wie der Vergewaltigung oder des Kindesmissbrauchs beschuldigt werden. Besonders gerne geilen sich Wutbürger auf, wenn es sich bei den Beschuldigten um Ausländer oder gar Flüchtlinge handelt. Da wird der Verteidiger gleich mit in den Hasssack gesteckt und munter drauflos geknüppelt. Wer zusätzlich noch eine gewisse mediale Relevanz mitbringt, bekommt auch schon mal Besuch von der Polizei, weil jemand behauptet hat, der Anwalt habe seine Frau ermordet. Dass das nicht lustig, sondern im Gegenteil traumatisierend ist, habe ich am eigenen Leib erlebt. Im Hintergrund solcher Drohungen und Straftaten stehen in der Regel rechtsextremistische Täter.
Nun wurde eine Anwältin bedroht, die im NSU-Verfahren ein Nebenklagemandat, aber auch sogenannte Gefährder wie Sami A. vertrat. Die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz erhielt bereits im August ein Fax mit dem Inhalt man werde ihre Tochter schlachten. Gezeichnet war das Schreiben mit NSU 2.0. In dem Schreiben war ihre Privatadresse und der Name der zweijährigen Tochter genannt.
Erfahrungen
Soweit, so beschissen. Aber was macht man, wenn man bedroht wird? Man erstattet Anzeige bei der Polizei. Hab ich damals auch gemacht und bis heute nicht erfahren, was der Staatsschutz denn so angestellt hat, um die Täter zu ermitteln. Der einzige Satz eines Beamten, der mir übel aufgestoßen war und in Erinnerung bleiben wird war:
Sie waren doch so vehement gegen die Vorratsdatenspeicherung, Herr Schmitz.
Nun ja, das war ich und das bin ich auch immer noch. Mehr noch als je zuvor nach den bisherigen Ergebnissen der Ermittlungen. Denn nun besteht der Verdacht, dass die Drohungen gegen die Kollegin Basay-Yildiz sogar von der Polizei selbst stammen könnten. Natürlich nicht von der ganzen Polizei, aber eben doch von einer Gruppe Polizisten, die sich offenbar innerhalb einer Whatsapp-Gruppe gegenseitig mit Nazibildchen und volksverhetzendem Dreck versorgthaben.
Dass es auch innerhalb der Polizei Anhänger rechtsradikalen Gedankenguts gibt, ist nichts Neues. Ich habe vor Jahrzehnten schon einen Polizeischüler vertreten, der gemeinsam mit Kameraden in der Ausbildungskaserne lauthals das Horst-Wessel-Lied anstimmte und daraufhin entlassen wurde. Dank des föderalen Systems, fing er in einem anderen, man könnte auch sagen neuen Bundesland, unbehelligt erneut eine Polizeiausbildung an. Und wer gelegentlich in eine Kneipe geht, in der auch Polizisten einkehren, wird auch schon ausländerfeindliche und nicht selten anwaltsfeindliche Sprüche gehört haben. Außerhalb der Kneipe gibt es harte Hunde wie Rainer Wendt, die hart am Rande zur Volksverhetzung segeln und regen Zuspruch von einigen Kollegen erhalten. Ja, rechte Polizisten gibt es und gegen im politischen Spektrum rechts angesiedelte Polizisten ist auch nichts einzuwenden, sofern sie denn den Boden der freiheitlich demokratischenGrundordnung nicht verlassen.
Das scheint bei den mittlerweile sechs Verdächtigen in Frankfurt aber der Fall zu sein. Polizeibeamte, die sich an Hitlerbildchen ergötzen, haben im Polizeidienst nichts verloren.
Ein Kollege der Verdächtigen äußerte sich in der BILD zu den mutmaßlichen Hintergründen der Radikalisierung. Demnach sollen sie vom platten Land stammen und ins Revier 1 nach Frankfurt versetzt worden sein. Dort hätten sie die Erfahrung gemacht, dass sie immer wieder Drogendealer laufen lassen mussten. Das habe Frust ausgelöst. Sie hätten das Gefühl bekommen, Kriminelle dürften machen, was sie wollen. Außerdem hätten sie eine Abneigung gegen Ausländer entwickelt. Als dann noch auf das Frankfurter Polizeirevier ein Brandanschlag verübt worden sei, sei zusätzlich der Hass auf Linke hinzugekommen. Die verdächtigen Beamten sollen dann begonnen haben, sich per Whatsapp Judenwitze zu schicken. Ganz offen hätten sie von „Sandnegern“ und von„Zigeunern“ gesprochen. Dies habe sich verselbstständigt. Wieso nun Judenwitze der Kompensation von persönlichem und beruflichem Frust dienen könnte, wurde nicht erläutert. Aber geh, a bisserl Antisemitismus wird schon noch erlaubt sein?
Kinderkacke
Ja, rührend, das Verständnis, das da bei dem Kollegen durchschimmert. Wir fangen die Verbrecher und die lasche Justiz lässt sie wieder laufen. Dass es eine Gewaltenteilung gibt, will solchen Polizisten nicht in den Kopf gehen. Die meinen, dass jeder den sie ermittelt haben, gefälligst auch von der Justiz einzusperren wäre. So was wie Unschuldsvermutung ist für solche Polizisten Kinderkacke. Ich kann ja verstehen, dass es nicht schön ist, wenn man meint, einen Schwerverbrecher überführt zu haben und dann in der Hauptverhandlung von einem Verteidiger intensiv befragt wird. Ich kann auch verstehen, dass man überhaupt nicht versteht, warum der Verteidiger von einem den genauen Wortlaut der Beschuldigtenbelehrung hören will und sich wundert, dass „ich habe ihm gesagt, dass erhier die Wahrheit sagen muss“ nur auf Gelächter und maximal eine 5- stößt. Oder dass die Frage, ob man bei einem Atemalkoholgehalt von 1,62 nicht eventuell selbst darauf hätte kommen können, dass der Beschuldigte nicht vernehmungsfähig gewesen sein könnte, entspricht dieser Wert doch immerhin einer Blutalkoholkonzentrationvon um die 3,2 Promille. Und wenn der Verteidiger fragt, warum bei der Lichtbildvorlage nur das Bild des schwarzen Beschuldigten und im übrigen nur Weiße vorgelegt wurden, ja dann ist das alles ärgerlich, wenn man denn meint, man habe doch den Schuldigen „Sandneger“ gefunden. Wie mancher Jäger den Wolf hasst, weil er ihm die Beute wegschnappt, so hasst mancher Polizist halt den Verteidiger, aus ähnlichem Grund. Nur, wer als Polizeibeamter nicht versteht, dass es in einem rechtsstaatlichen Verfahren nur nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zu einer Verurteilung kommen kann und nicht nach dem Bauchgefühl des Kriminalisten ( ja, das habe ich ernsthaft schon gehört), der hat seinen Beruf verfehlt. Und wer dann noch meint, das ganze Rechtssystem müsse wieder mehr an der glorreichen Geschichte der Gestapo ausgerichtet werden, ja der muss umgehend aus dem Polizeidienst entfernt und stattdessen auf einer Gefährderliste geführt werden. Den kann man auch nicht mehr im Innendienst verwenden, wo er Zugriff auf die Daten der Bürger und auf die Ermittlungsakten hat. Und bei dem sollte man auch mal nachsehen, ob er außer seiner Dienstwaffe noch andere Waffen zuhause hat.
Da ruft man also als Opfer einer solchen Bedrohung vertrauensvoll die Polizei und wenn man Pech hat, ist der Täter gleichzeitig der ermittelnde Beamte. Oder der Täter hat Zugriff auf die Ermittlungen und ist stets bestens informiert. Grauenhafte Vorstellung. Würde aber schon erklären, warum in keinem einzigen Fall der Swatting-Attacken ein Täter ermittelt werden konnte. Es würde auch erklären, warum die Anrufe bei der Polizei ausgerechnet immer auf Telefonapparaten eingingen, die eine Rückverfolgung nicht zuließen. Wer, außer einem Polizisten oder demjenigen, der die Anlage installiert hat, könnte schon wissen, bei welchen Nummern das möglich ist. Ein Außenstehender eher nicht.
Kann man guten Gewissens noch ein ins Beuteschema von Neonazis fallendes Opfer zur Polizei schicken ohne Gefahr zu laufen, dass die Täter von Gesinnungsgenossen informiert werden?
Akute Demenz
Alles gar nicht so einfach, denn ich bin sicher, dass die große Mehrzahl der Polizeibeamten ihren Beruf gewissenhaft und ohne Ansehen der Person ausüben. Gleichwohl wird selten einmal ein Beamter von anderen Beamten angezeigt. Das gilt nicht nur bei offenkundigem Rechtsradikalismus, sondern auch bei ganz normalen Straftaten von Polizisten. Nicht selten, wenn ein Mandant wegen einer angeblichen Widerstandshandlung gegen Vollstreckungsbeamte angeklagt wird, erzählt der mir, dass er sich nur gegen eine Körperverletzung gewehrt habe. Und wenn es dann immer wieder derselbe Beamte ist, von dem man derartiges hört, dann könnte da ja auch was dran sein. Ich hatte auch einmal einen Drogendealer, der sich wunderte, dass nur 200 Gramm Kokain bei ihm beschlagnahmt wurden, obwohl in dem Beutel doch 500 Gramm waren. Wer würde da Anzeige erstatten? Kollegen haben dann aber häufig gerade nicht hingeschaut, waren mit etwas anderem beschäftigt oder können sich nicht so richtig erinnern. Während Polizisten als Zeugen sich angeblich noch an die verrücktesten Sachen erinnern können wollen, wenn es um Nichtpolizisten geht, erkranken sie offenbar stets an akuter Demenz, wenn ein Kollege vor Gericht steht.
Und da liegt aus meiner Sicht das größte Problem. Sollte es mehr als die sechs Verdächtigen in Frankfurt geben, dann wäre es in erster Linie Aufgabe der ansonsten rechtstreuen Polizisten, solch auffällige Beamte eigenständig anzuzeigen. Das wird aber wegen des ausgeprägten Corpsgeistes innerhalb der Polizei nur sehr selten geschehen. Beamte, die andere Beamte anzeigen, haben keinen leichten Stand. Sie dürfen sich wegen angeblicher Nestbeschmutzung auf ausgeprägtes Mobbing oder Schlimmeres einstellen, obwohl es doch die angezeigten Kollegen sind, die ausgiebig ins Nest geschissen haben. Und Stress haben die Polizisten auch so schon genug. Von dieser Seite ist also wenig Hilfe beim Ausmisten zu erwarten. Was also tun?
Meldestelle
Zunächst müsste sehr schnell eine Meldestelle ähnlich der des Wehrbeauftragten der Bundeswehr eingerichtet werden, bei der Beamte – ohne selbst Repressalien fürchten zu müssen – Hinweise auf rechtsdrehende radikale Kollegen geben können. Solche Hinweise könnten auch per Dienstanweisung durchaus verpflichtend gemacht werden. Und dann bedürfte es eines internen Ermittlungsteams mit hinreichend vielen dreifach chemisch gereinigten, also absolut verfassungstreuen Beamten, die solchen Hinweisen auch konsequent nachgehen.
Nur wenn alle Polizeinazis aus der Polizei entfernt werden, kann der Rechtsstaat funktionieren, ansonsten droht seine Erosion. Polizei braucht das Vertrauen aller Bürger.
Der GdP-Vorsitzende Oliver Malchow sagte gegenüber der Passauer Neuen Presse
Wir müssen davonausgehen, dass es einige Verwirrte auch in unseren Reihen gibt“
und
Ich weiß, dass ein größerer Teil dieser vielen Menschen, die einen Eid auf unsere Verfassung geschworen haben – und das ist ja keine Karnevalsveranstaltung -, sich heimlich radikalisiert haben.“
Ein größerer Teil? Wie schrecklich.
Tja, Radikalisierung gibt es halt nicht nur bei Religioten, sondern auch bei Polizisten. Diese müssen aber identifiziert und sofort aus der Polizei herausgenommen werden. Malchow sagt völlig zu Recht, dass zunächst die Ermittlungen abgewartet werden müssen, aber er sagt auch:
Sollten die Ermittlungen jedoch die Vorwürfe beweisen, dann ist der Begriff„Skandal“ noch ein mildes Wort.“
Die Identifizierung und Entfernung von Nazis aus dem Polizeidienst ist das eine, das andere ist eine bessere Auswahl und Ausbildung der Polizisten. Ich frage im Rechtskundeunterricht gelegentlich nach der Motivation an diesem teilzunehmen. Gar nicht selten kommt die Antwort:“Ich möchte gerne Polizist werden.“ Die Antwort auf die Frage warum, ist oft genug ernüchternd. Da ist dann weniger von Rechtsstaat und Verantwortung die Rede als von Macht und Pistole. Ich weiß nicht, ob das unbedingt die richtige Motivation ist. Klar ist für den Polizeiberuf eine körperliche Fitness erforderlich, noch wichtiger ist aber eine stabile Persönlichkeit und eine feste Verankerung in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, ohne die alles nichts wert ist.
Gerade angehenden Polizeibeamten muss die Verfassung und die Strafprozessordnung nicht nur eingebimst werden, sondern es muss ein tiefes Verständnis dafür geweckt werden, warum die strikte Einhaltung der Regeln für das Überleben des Rechtsstaats unumgänglich ist. Warum Schimanski ebenso wie Batman keine Vorbilder, sondern abschreckende Beispiele für Selbstüberschätzung und Selbstjustiz sind. Wer die Grundwerte der Verfassung aufgrund seiner Gesinnung nicht teilt, darf weder Polizist werden noch bleiben. Da sollen die NSU 2.0- Polizisten mal das bekommen, was sie sich sonst auch immer lautstark wünschen, die volle Härte des Gesetzes.
Der neue Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz kündigte an, dass sein Dienst sich künftig mehr um Rechtsextremisten kümmern wolle und dazu die Beamten in diesem Bereich von 200 auf 300 aufgestockt werden sollen. Hoffen wir mal, dass diese dann 300 Beamten nicht ebenfalls eine Zahl von Menschen enthalten, die es lustig finden Judenwitze und Hitlerbilder zu verschicken.
Und hier schließtsich der Kreis. Ja, ich bin dagegen, dass der Polizei immer mehr Möglichkeiten der Ausspähung und Überwachung von Menschen und deren Daten in die Hand gegeben werden. Das wäre alles nicht so schlimm, wenn man sicher ausschließen könnte, dass diese Mittel von verfassungstreuen Polizisten und Geheimdienstlern nicht ausschließlich für die angestrebten dienstlichen Zwecke angewendet werden könnten und das auch für immer so bliebe. Es ist aber schlimm, wenn diese Mittel Polizisten zugänglich sind, die auf der dunklen Seite der Macht stehen und womöglich einer Machtübernahme entgegenfiebern. Und es wäre noch schlimmer, wenn solche Mittel einer künftigen politischen Macht in die Finger geraten würde, die genau das braune Gedankengut dieser Polizisten teilt.
Es stünde der Staatsanwaltschaft und der Polizei gut zu Gesicht, wenn sie nun den Laden gründlich durchfegen würde, extremistische Elemente entfernt und vielleicht auch die NSU-Unterlagen noch einmal gründlich daraufhin durchforstet, an welchen Stellen möglicherweise Durchstechereien stattgefunden haben. Einen NSU 2.0 darf es weder außerhalb und noch weniger innerhalb der Polizei geben. Mag sein ,dass ich da etwas überlesen habe, aber vom sonst allgegenwärtigen Wendt habe ich zu diesem Fall noch nichts gehört oder gelesen. Erstaunlich.