Radikalisierung im Knast
Viele der Terroristen der letzten Jahre wurden im Gefängnis radikalisiert. Wenn die Radikalisierung dort erfolgreicher ist, als die Resozialisierung, sollten wir über den Strafvollzug nachdenken.
Murat war 15 Jahre alt, als ich ihn das erste Mal verteidigte. Er hatte hinter dem Bahnhof gemeinsam mit zwei Bekannten einen 17-jährigen beraubt. Abgezogen nennen die Jungs das und ihr Unrechtsbewusstsein hielt sich in Grenzen. Murat trat mir gegenüber recht uneinsichtig und großmäulig auf. Er ging theoretisch zur Schule, war aber so gut wie nie im Unterricht zu sehen und wenn er sich einmal erbarmte, störte er den Unterricht durch irgendwelche Faxen.
In Allahs Hand
Mann Junge, Du bist 15. Wie stellst Du Dir denn Deine Zukunft vor?“ fragte ich ihn. „Mein Schicksal liegt in Allahs Hand.“ antwortete er. „Aha, sagte ich. Und das bedeutet, dass Du in der Schule nichts lernen musst, keine Ausbildung machen musst, Dich nicht an Gesetze halten musst? Ernsthaft?“ Murat guckte mich abfällig an und meinte, davon hätte ich keine Ahnung, er sei Muslim. Okay, ist ja nichts gegen einzuwenden. Und da ich gerade etwas mehr Zeit hatte und mich interessierte, was dieser Junge für Ansichten hatte, fragte ich nach. „Du bist also Muslim. Gehst Du regelmäßig in die Moschee. Betest Du zu den vorgegeben Zeiten. Wie oft hast Du im Koran gelesen? Wo im Koran steht denn, dass man nichts lernen und keinen Beruf ausüben sollte?“ „Sie haben keine Ahnung, Sie sind ja ein Ungläubiger.“
Murats Mutter, die mit zu der Besprechung gekommen war, versuchte sich in das Gespräch einzumischen. Sie weinte, weil es nicht das erste Mal war, dass ihr Sohn eine Straftat begangen hatte. Die Frau litt ganz furchtbar, hatte aber offenbar bei ihrem Sohn nichts zu melden. Er fuhr sie lautstark an, sie solle schweigen. Die Eltern des Jungen leben schon lange in Deutschland. Sie sind voll integriert, gehen beide arbeiten und haben sich noch nie etwas zu schulden kommen lassen. Murat ist hier geboren. Er läuft komplett aus der Spur.
Ich faltete Murat kurz zusammen und fragte ihn, ob er die Sure 17, Verse 23 – 24 kennen würde. Er glotze mich an, wie eine kranke Kuh und verneinte. Ich las sie ihm vor:
Und entschieden hat dein Herr: ‚Ihr sollt Ihm dienen nur, und behandelt die Eltern gut! Wenn einer oder beide bei dir alt geworden, so sag nicht zu ihnen ‚Oh!‘ und fahre sie nicht an, sondern sprich zu ihnen Worte, edle! Und senke für sie den Flügel der Demut in Barmherzigkeit und sag: ‚Mein Herr, erbarme Dich ihrer, wie sie mich aufgezogen, als ich klein war!‘.“
Hatte er noch nie gehört, so wie er auch zugeben musste, den Koran noch nie gelesen zu haben. Beten war auch nicht. Er nannte sich Muslim, vertraute darauf mit Allahs Hilfe einmal ein berühmter Rapper zu werden und ließ Allah im übrigen einen guten Mann sein. Dessen Gebote kannte er nicht einmal.
Ich bat ihn, wenigstens mal regelmäßig zur Schule zu gehen. Die Mutter versprach, sie würde dafür sorgen, dass er jeden Tag zur Schule ging. Das machte er auch tatsächlich eine Woche lang. Danach wurde er zwar täglich zur Schule gebracht, blieb auch auf dem Schulgelände, ging aber gar nicht erst in die Klasse. Als ich das vor der Verhandlung erfuhr und ihn darauf ansprach, antwortete er frech, ich habe gesagt, er solle regelmäßig zur Schule gehen, von Unterricht habe ich nichts gesagt. Das war so dreist, dass ich schon wieder schmunzeln musste.
Bei der ersten Verhandlung lief es noch halbwegs glimpflich. Er bekam einen 4 Wochen Jugendarrest, den er locker nahm. In seinem Umfeld gehört der Konsum von gesiebter Luft zum guten Ton. Nach der Verbüßung sah ich ihn wieder an den üblichen Plätzen. Hinter und vor dem Bahnhof, in der Fußgängerzone hinter einem Kaufhaus. Überall da, wo Langeweile auf Zerstörungswut trifft. Da wo die Gescheiterten und die, die es werden wollen, die Macht haben und brave Bürger möglichst schnell vorbeigehen.
Kurze Zeit später war er wieder da. Er hatte den Bunker eines Haschischhändlers ausräumt und auf eigene Faust vertickt. Die gesamte Aktion war von der Kripo per glasklarem Video dokumentiert. Außerdem war er noch ein paarmal schwarz gefahren und hatte mit anderen einen Kiosk ausgeräumt. Die schädlichen Neigungen waren unübersehbar und so stand die erste Haftstrafe an. Murats Mutter heulte sich die Augen rot und ich versuchte es mit einer Berufung. Hätte klappen können, wenn, ja wenn er wenigstens regelmäßig zur Schule gegangen wäre und wir in der Berufungshauptverhandlung etwa sieben Monate später einen Funken von positiver Sozialprognose hätten feststellen können. Pustekuchen. Offenbar hatte Allah was besseres mit Murat vor. Er war wieder nur ein paar Tage in der Schule und hatte sich auch noch eine neue Straftat geleistet.
Also wurde die Berufung verworfen und Murat musste seine Strafe antreten. Und da wird es aus meiner Sicht gefährlich.
Die Gefahr der Radikalisierung
Der Junge, der bisher absolute Freiheit genoss, wird nun seiner Freiheit beraubt. Und auch wenn er sich gegenüber seiner Mutter vollkommen respektlos verhalten hat, wird er seine Familie vermissen. Oder jedenfalls sein neues Iphone, das Mama ihm von sauer erarbeiteten Geld gekauft hat. Gerade in den ersten Tagen eines Haftantritts fühlen viele Häftlinge sich miserabel. Okay, das haben sie sich redlich verdient und das wäre auch nicht weiter schlimm, wenn in diese Gefühlslage hinein nicht ganz gezielt Rekruteure aus den unterschiedlichsten Richtungen einbrechen würden. Sie zeigen Zuneigung, Verständnis, bieten sich als Freunde an und geben dem Häftling das, was er am meisten vermisst. Murat wäre ein ideales Angriffsziel für islamistische Anwerber. Auch und gerade weil er nicht den Schimmer vom Islam hat und Allah und den Koran mehr wie eine gelbe Weste trägt, als auch nur ansatzweise gläubig zu sein, ist er ein leichtes Opfer. Mit den passenden Suren im Gepäck und pseudoreligiösem Geschwafel, kann der salafitische Freund Murat sehr gut vermitteln, dass er ein Opfer der Ungläubigen und nicht etwa ein Straftäter und ein großer Depp ist. Das wird er gerne aufnehmen, weil es seine Weltsicht bestätigt. Dass die guten Freunde ihn lediglich als willigen Idioten und Kanonenfutter anwerben wollen, kann er gar nicht erkennen. Klappt übrigens nicht nur bei Murat und den Islamisten, sondern genauso bei Jupp und den Neonazis.
Dieser großen Gefahr ist man sich zwar in den Justizvollzugsanstalten durchaus bewusst, es gibt aber noch viel zu wenige Bestrebungen, diese Gefahr zu bannen. Wer meint, in einer JVA würden die Gefangenen in einem 3-Sterne-Hotel betüttelt und psychologisch oder sozialpädagogisch rund um die Uhr betreut, der irrt. Die meiste Zeit des Tages ist der Gefangene sich selbst überlassen. Und die Ausstattung der Haftanstalten mit Psychologen ist immer noch viel zu gering. Eine tägliche Ansprache ist völlig ausgeschlossen.
Gegen Islamisten können Imame helfen, allerdings nur, wenn diese selbst eine glasklare antiislamistische Haltung haben. Wenn ich sehe, dass Häftlinge von DITIB-Imamen besucht werden, werde ich äußerst skeptisch. Ein im Gefängnis tätiger Imam kann viel bewirken, wenn er z.B. in einer Freitagspredigt Themen anspricht, die die Häftlinge beschäftigen. Er kann allerdings auch das Gegenteil bewirken. Diese Leute muss man sich genau ansehen, insbesondere, wenn sie kein Deutsch sprechen und kein Mensch in der Leitung der JVA versteht, was die da so predigen.
Husamuddin Meyer, Imam und Gefängnisseelsorger in der JVA Wiesbaden stellte folgendes fest:
Was Muslim-Sein dabei konkret bedeutet, wissen viele von ihnen gar nicht, besonders dann nicht, wenn sie z.B. aus einem wenig religiösen Elternhaus kommen. Dennoch greifen sie diese Identitätszuschreibung häufig auf und die Frage, ob sie Deutsche sind, wird (von den Häftlingen) denn auch meistens verbittert verneint, selbst wenn sie hier geboren sind und oft einen deutschen Pass besitzen. Identitätskonflikte sind damit nahezu unausweichlich.
Die von außen zugeschriebene Identität als Muslim bei gleichzeitiger verbreiteter Muslimfeindlichkeit in ihrem sozialen Umfeld, den Medien und der Gesamtgesellschaft führen dann zu einer Wurzellosigkeit, die weit schwieriger auszuhalten ist, als man denkt. Wenn man den jungen Menschen das Gefühl gibt, dass man sie eigentlich nicht hier haben möchte, ihre Religion, ihre Kultur und sogar ihre Hautfarbe hier nicht sehen möchte, dann verursacht das einen Gegenhass, Hass auf die Gesellschaft. Als ich einmal die Inhaftierten fragte, woher denn der Hass komme, sagten sie: „Wir fühlen uns unerwünscht!“ Ein anderer sagte: „So wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus!“
Nun weiß ich nicht, ob das des Rätsels Lösung ist. Denn Murat hatte eigentlich alle Möglichkeiten, eine Schulausbildung zu beenden. Mangelnde Intelligenz kann man ihm nicht bescheinigen. Er ist nicht dumm, er ist nur blöd. Dass er diese nicht genutzt hat, ist zunächst einmal seine Sache und nicht Sache einer bösen Gesellschaft. Kein Mensch hätte etwas dagegen, wenn er einen Beruf lernen und arbeiten oder irgendwann einmal eine Familie gründen würde. Seinen Eltern ist das ja auch gelungen. Mag sein, dass er in der letzten Zeit etwas häufiger als nötig von der Polizei kontrolliert wurde, aber so ist das halt, wenn einen die Polizei in einer Kleinstadt im Auge hat. Mit Rassismus hat das wenig bis gar nichts zu tun, geht dem Jupp auch nicht anders, der eine ähnliche Geschichte wie Murat hat, allerdings ohne Allah. Stattdessen ist seine Identität statt Muslim Deutscher. Und da ist er stolz drauf. Etwas eigenes worauf sie stolz sein können, haben weder Murat noch Jupp. Ob Allah oder Adolf, hauptsache was zum stolz sein.
Bei Murat wie Jupp ist zu befürchten, dass sie die Haft kaputter verlassen, als sie hineingegangen sind. In ihren Cliquen werden die Knastaufenthalte wie Orden gesehen, die sie in der Hierarchie aufsteigen lassen. „Der hat gesessen“ mag zwar in der Gesellschaft ein Makel sein, in den Peergruppen ist es das nicht.
Intelligenter Sanktionen
Ich wünschte mir, es gäbe neben der Haft neue, intelligentere Sanktionsmöglichkeiten für solche Jungs. Programme, die ihnen Selbstbestätigung geben und nicht versuchen sie zu brechen. Das klappt so nicht. Die Wut und der Hass auf sich selbst und alle anderen sind das Kernproblem solcher Jugendlicher. Wenn der Erfolg ausbleibt, wird den anderen die Schuld gegeben und wenn man das zuende denkt, ist irgendwann der große Showdown auf einem Weihnachtsmarkt der Höhepunkt und das Ende der Existenz. Es müsste Einzelmaßnahmen außerhalb der riesigen Gefängnisse geben, in denen ganz kleine, eher familiäre Gruppen mit mehreren Pädagogen und Psychologen zusammenleben und -arbeiten könnten. Ja, kostet Geld, aber das wäre verdammt gut angelegtes Geld, sowohl für die straffälligen Jugendlichen, als auch für die Gesellschaft.
Ist Ihnen nicht hart genug? Denken Sie mal drüber nach, wie hart es ist, wenn ein solcher Junge radikalisiert wird und dann irgendwann den Sprengstoffgürtel zündet.