Der sympathischste Mensch der Welt

Ulf Kubanke schreibt eine Kolumne für den gereiften, hochklassigen Songwriter, Sänger und Multiinstrumentalisten Rick Astley und für alle, die ihn noch immer unterschätzen.


Hand aufs Herz: Sobald der Name Rick Astley fällt, ertönt zwischen linkem Hirnlappen und beiden Ohrmuscheln die nahezu identisch aufgebauten Töne von „Never Gonna Give You Up“ und „Together Forever“. Ohrwürmer des Grauens? Vielleicht! Weltweit erfolgreiche Evergreens? Definitiv! Geschrieben von den berühmt-berüchtigten Stock/Aitken/Waterman, deren Hitfabrik unter anderem auch Kylie Minogue in den Sattel half. Vor allem jedoch ist das Trio samt zweier vor dreißig Jahren gestrickten Chartbuster-Alben ein Grund dafür, dass die Allermeisten Astley als spätpubertäres Jüngelchen bar eigenständiger Relevanz abstempeln. Zu Unrecht! Spätestens die neue Platte des mittlerweile 52 Jährigen sollte dies ändern.

Denn Astleys Werdegang ist hochinteressant. Wenige Jahre nach seinem furiosen Start, kappte er die Marionettenschnüre, sagte den Mentoren adieu und zog sich komplett aus dem Showgeschäft zurück. Er legte das verdiente Geld geschickt an, gründete eine Familie, mauserte sich im Verborgenen zum Multi-Instrumentalisten und Songwriter. Ein knappes Vierteljahrhundert lang tauchte er nur per Stippvisite auf, veröffentlichte zwei gelungene aber erfolglose CDs, die er anscheinend sowieso eher zum Selbstvergewissern machte und zeigte keinerlei Interesse an den Marktgesetzen des Musikgeschäfts.

Nebenbei entwickelte er sich zum reifen Charakter. Mehr noch: Ein Gespräch mit Astley vermittelt den Eindruck, man habe sich gerade mit dem sympathischsten Menschen der Welt unterhalten. Er gehört zu jener Sorte, die zu vielem eine reflektierte, analytische und scharfsinnige Meinung hat, selbige niemandem aufdrängt und nur auf direktes Nachfragen äußert. Selbst- und Zeitkritik gehen Hand in Hand, wenn er den Materialismus seiner 80er-Popstar-Dekade geißelt und dankbar ist, die eigene Oberflächlichkeit überwunden zu haben. Traurig findet er, wie wenig seine Altersgenossen aus dem Irrweg der neonkalten Yuppie-Ära lernten. Trump und Brexit sind ihm ein Grauen. Simultan setzt er große Hoffnung in die junge Generation, die ein wenig mehr begriffen habe.

Bescheidenheit, Liebenswürdigkeit und totale Abwesenheit jedweder Allüren zeichnen ihn aus. Astley als Fremdkörper im Sex & Drugs & RocknRoll-Zirkus zu bezeichnen, käme einer Untertreibung gleich. Während es für etliche Rockstars zum guten Ton gehört, eine Spur der Verwüstung zu hinterlassen, möchte Astley, dass es seinen Mitmenschen gut gehe und keinem Umstände machen. Als er einmal versehentlich im Hotel einen Vorhang herunterriss, verbrachte er die folgende schlaflose Nacht damit, diesen notdürftig zu reparieren, um dem Personal keine Ungelegenheiten zu bereiten. Knuffiger geht es kaum.

Seit zwei Jahren ist er wieder da. Mit „50“ schoss er 2016 an die Spitze der britischen Charts. Nun folgt mit „Beautiful Life“ ein weiterer Befreiungsschlag. Astley schrieb alle Stücke, produzierte, arrangierte und spielte sämtliche Instrumente ein. Heraus kommt ein buntes Antidepressivum aus schickem Pop, souligem Groove und einem Strauß bunter Melodien. Sein Songwriting ist federleicht und die Klangfarbe so warm wie eine Sommerbrise. Die große Qualität besteht darin, ansteckend fröhliche Eingängigkeit zu servieren ohne oberflächlich zu klingen. Jede Note kommt hier direkt aus dem Herzen und wärmt selbiges auch beim Hörer. Besonders die gleichzeitig schillernde wie unaufdringliche Art seines Gitarre- und Pianospiels reißt neben dem ohnehin famosen Gesang mit.

Das Gesamtbild gerät dermaßen beeindruckend. Auch im deutschsprachigen Raum könnten manch atemlose Abräumer hiervon lernen, dass Mainstream, Erfolg und musikalisches Niveau keine Gegensätze sein müssen. Auch Astley möchte Erfolg. Doch darf das Geschäftskalkül nie über die Liebe zur eigenen Musik siegen. Seine Prämisse: Erst wenn man liebt, was man macht, wird es richtig gut. Nur dann sei es authentisch. Nur dann dürfe man stolz darauf sein. Alles andere wäre Betrug am Publikum. Dem freundlichen Mann aus Nordengland hört man dieses Gefühl deutlich an. Mit Recht kann er stolz sein.

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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