Was hilft gegen Rechts?
Wir wissen es nicht, sagt Kolumnist Sören Heim. Wir wissen von einigen Dingen, die nicht helfen. Und tatsächlich wissen wir nicht mal, wer dieses „Wir“ sein soll, von dem wir immer alle reden.
Was müssen wir tun, um den Rechtsruck aufzuhalten? Jeder scheint es zu wissen. Und noch mehr: jeder scheint zu wissen, warum der Andere, der erklärtermaßen das gleiche Ziel habe, es definitiv falsch macht. Dabei ist schon die Eingangsfrage höchst problematisch. Wer ist dieses „Wir“? Gibt es wirklich dieses „Etwas“, das man tun kann, den Masterplan sozusagen? Den die entscheidenden Leute, die ja wollen, einfach noch nicht gerafft haben Dass es Probleme geben könnte, die keine Lösung haben oder deren Lösung zumindest irgendwann in der Vergangenheit gelegen haben könnte, das will man gar nicht denken. Was wiederum nicht heißen soll, dass es für dieses Problem keine Lösung geben könnte. Aber: vielleicht sollte man so demütig sein zuzugeben, dass man sie nicht kennt.
Reden hilft immer?
Ein lange Zeit laut, zuletzt weniger laut postuliertes Ideologem geht so: Man müsse einfach mit den Rechten reden. Entweder: Sie akzeptieren, ihre Argumente hören, einsehen, wo sie Recht haben, den restlichen Unsinn stringent widerlegen. Dann wird das schon. Mittlerweile scheint sich die Einsicht eingestellt zu haben, dass selbst die beste Widerlegung eines Gegners nicht fruchtet, wenn dieser auf das Bewegen von Emotionen, auf das Akkumulieren von Macht und letztlich die Kontrolle des Ausnahmezustands zielt. Die Populisten wollen nicht räsonieren, sie wollen gewinnen. Und gewinnen kann man auch ohne besseres Argument.
Aber: Dass die öffentliche Debatte mit den Anführern der verschiedenen rechten Strömungen kontraproduktiv ist, heißt nicht, dass Reden gar nichts bringt. Ich hatte durchaus schon selbst einige fruchtbare Diskussionen mit nach rechts schwankenden Bekannten. Und wieder aber: Ob die dauerhaft fruchtbar bleiben, ist absolut ungewiss. Das gesellschaftliche Klima ist oft mächtiger als das einmal gesprochene Wort.
Solche Abwägungen allerdings fechten Freunde und Gegner der Redethese kaum an. Die, die das Gespräch verweigern, müssen sich schon mal als Feinde der Demokratie titulieren lassen. Als schließe die Freiheit der Demokratie nicht die Freiheit ein, mir meine Gesprächspartner auszusuchen. Und andersrum: Nicht jeder Versuch des Gesprächs ist ein Versuch, rechte Positionen salonfähig zu machen.
Was wir mittlerweile wissen könnten, ist, was nicht funktioniert. Dazu gehörten definitiv die publikumswirksam geführte öffentliche Debatte mit rechten Führungsfiguren. Würde dieses Mittel wirken, es sollte sich langsam in Zahlen niederschlagen. Dazu gehört auch: Das Übernehmen rechter Politik durch bisher nicht als rechtsradikal geltende Parteien. Die Beispiele, in denen diese Vorgehensweise den rechten Parteien nur noch größeren Zulauf beschert, sind Legion, die, in denen es ihnen Stimmen abzieht: nicht vorhanden. Die scheinbare Ausnahme Österreich ist keine: Der Stimmentransfer zur ÖVP ging mit der sicheren Wette einher, auf diese Weise die FPÖ erst recht in Machtposition zu bringen. Und die CSU unter Strauß ist nochmal ein anderes Thema: Die stand von Anfang an dort, wo rechtsradikale Parteien sich gerne ausbreiten würden. Eine stabile Parteienlandschaft anzugreifen, ist aber deutlich schwieriger, als in einer fragilen die Unzufriedenen aufzusaugen.
Ausgrenzen, ignorieren, isolieren?
Ebenfalls nicht mehr funktionieren dürfte die klassische Isolation. Reps, NPD, Freie Kameradschaften konnte man tatsächlich weitgehend ignorieren. Hier und da gegen deren Aufmärsche demonstrieren, die, die durch sie unmittelbar bedroht waren, sich selbst verteidigen lassen. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte waren diese Vereinigungen so unsexy, dass selbst die Boulevardmedien nicht auf ihre Provokationen ansprangen. Vielleicht hätte man bei entsprechender Geschlossenheit anfangs mit der AfD ähnlich verfahren können. Doch die Katze beißt sich in den Schwanz: Dass diese Geschlossenheit nicht existiert, ist ja gerade einer der Gründe für den Aufstieg der AfD. Und heute? Nachdem die CSU sich nicht nur alle Mühe gibt, die AfD zu kopieren, sondern sich im Machtkampf im Bund damit auch durchgesetzt zu haben scheint, ist jede Forderung nicht mit Rechten zu reden, einfach nur noch lächerlich. Man kann ja nicht mal mehr Passanten nach dem Weg fragen und halbwegs sicher sein, gerade nicht mit Rechten zu reden.
Eine besonders elegante Lösung vernimmt man immer mal wieder, hier hat sie in einem Gastbeitrag Philipp Mauch formuliert: Die CDU müsse nach rechts rücken, dann könne die SPD nach links rücken, und schwups – es gäbe wieder eine austarierte Demokratie mit echten Alternativen. Das ist natürlich Spiegelfechterei: Das scheitert schon daran, dass vielleicht ein Teil der CDU-Mitglieder tatsächlich aus Menschenfreundlichkeit und nicht aus Kalkül bestimmte traditionell eher linke Positionen übernommen hat (wobei man das nicht übertreiben sollte: wirtschafts- und asylpolitisch gibt es seit den späten 80ern nur eine Marschrichtung, und die ist sicher nicht links).
Es gibt aber, ich wiederhole mich, weiterhin viele Konservative, die Flüchtlingshilfe für ein Gebot der Nächstenliebe halten, die es ziemlich uncool finden, Tausende im Mittelmeer ertrinken zu lassen und die womöglich auch die zahlreichen Angriff auf den Rechtsstaat ihrer Bündnispartner in Nachbarstaaten (Ungarn zB) mit großer Sorge sehen. Schade, dass es keine konservative Protestkultur gibt: Es wäre Zeit für Proteste. Der Vorschlag der klaren Alternativen könnte funktionieren, wäre die Demokratie genau das abgekartete Spiel, als dass sie ihre Gegner darstellen. So ist er nur der Wunsch nach einem Rechtsruck, dem man das Mäntelchen der Überparteilichkeit anzieht.
Zuletzt heißt es oft, die Presse solle nicht über jedes Stöckchen springen. Noch ein frommer Wunsch: Selbst wenn sich 90 % der Presseorgane vorbildlich verhielten: Irgendjemand wird immer feststellen, dass sich mit reißerischen Schlagzeilen Gewinn machen lässt. Und Baby, aufs Gewinne machen kommt es nunmal an!
Jetzt sag mal wie’s richtig geht, du Opfer!
(Euro, Dublin und Fluchtursachen)
Jetzt redet der schon wieder eine halbe Stunde, aber Lösungen präsentiert er nicht. So ist es. Im Rekapitulieren lassen sich einige Sollbruchstelle identifizieren, an denen sich die fortschreitende Selbstzerfleischung des Westens, von der der Rechtsruck nur eines der Symptome ist, hätte vielleicht aufhalten lassen können:
Die erste liegt vor 1999: damals wurde der Euro mitsamt seiner unglücklich undurchdachten Architektur eingeführt und bald darauf (2002-05) in Deutschland die Hartz-IV-Gesetze beschlossen. Gemeinsamer Markt und gemeinsame Währung waren gute Ideen. Doch mehrere entscheidende Konstruktionsfehler sorgten dafür, dass mit der Zeit es zwingend Verlierer und Gewinner des Euros würde geben müssen. Da ist in erster Linie die Tatsache, dass der gemeinsamen Währung die gemeinsame Wirtschaftspolitik fehlt. Deutschland konnte mittels der Hartz IV-Gesetzen real abwerten, durch staatlich unterstützte Lohnsenkungen eigene Produkte also im Schatten eines nominell starken Euros günstig exportieren, ohne dass, wie es im Falle einer Einzelwährung geschehen wäre, das nicht europäische Ausland dem durch Abwertung hätte begegnen können. Der zweite ist, dass die Euro-Architektur Defizite viel stärker bestraft als Überschüsse. Der dritte, dass die EU bei Verstößen gegen schlechte Regeln durch starke Staaten sich selbst kaum vorzugehen traut. Mit etwa 8% Exportüberschuss verstößt Deutschland seit Jahren auch gegen die mit 6% hoch angesetzte Überschussgrenze. Die europäischen „Partner“ können sich da mit Recht verarscht fühlen, und dass linke Regierungen, die noch etwas auf Spielregeln, zivilen Umgang usw. halten, hier keine Abhilfe schaffen, haben die Wähler spätestens nach dem Griechenland-Debakel bemerkt.
Eine weitere Lösung hätte in der viel beschworenen, nie wirklich ernst genommenen, Bekämpfung von Fluchtursachen liegen können. Man verdrängt es so leicht: Vor der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015 war gewarnt worden. Unmittelbar 2014/15, weil die westliche Unterstützung der Organisationen, die in und um Syrien Flüchtlingslager aufbauen und betreuen, weiter zurückgefahren worden war. Man hätte hier wahrscheinlich weniger Geld investieren müssen, als allein Deutschland heute der Türkei unter Erdogan in den Rachen schmeißt, damit die die Drecksarbeit Europas erledigt. Und früher schon: Was kommen könnte, davor warnten syrische Regimegegner bereits 2013, als der Westen angefleht wurde, Flugverbotszonen zu errichten und durchzusetzen und das nicht tat.
Die dritte Sollbruchstelle sind die Dublinverordnungen: Auch die sind tatsächlich so konzipiert, dass die gesamte EU Peripherie als Pufferzone das reiche Deutschland schützt. Auch daran frühzeitig etwas zu ändern, hätte den europäischen Rechtsruck vielleicht eindämmen und somit ebenfalls den deutschen unwahrscheinlicher machen können. Nicht vergessen: Die „Europäische Lösung“ war ursprünglich eine Forderung von Resteuropa an Deutschland – das winkte jedoch ab.
Ein Versuch, zumindest kurzfristig etwas zu ändern wurde übrigens unternommen: Die sogenannte „Öffnung der Grenzen“ Ende 2015, die damals übrigens ausgerechnet Österreich und Ungarn entlastete, die mit der Masse der Flüchtlinge nicht zurande kamen. Dass genau das aus diesen Staaten heute Deutschland zum Vorwurf gemacht wird, zeigt, wie wenig sich rechte Akteure auch jenseits der radikalen Ränder um Fakten scheren und wie schwer es sein dürfte, heute die Entwicklung noch einzudämmen.
Man lese zu den letzten beiden Punkten auch diesen Artikel von Thomas von der Osten-Sacken.
Einfach Hahnenkampf legalisieren?
Und mehr gibt es nicht zu sagen. Es ist nicht zwingend, dass sich auch die mitteleuropäischen Staaten alternativlos Richtung Ungarn, Polen, Russland und Türkei entwickeln, doch es ist unredlich zu behaupten, man wisse, wie es sich verhindern ließe (und wenn es passiert, wird es ohne regionalen Hegemon, auf den Rücksicht genommen werden muss, deutlich ungemütlicher werden als in den genannten Staaten).
Wir wissen, was nicht hilft:
Rechte Positionen übernehmen gegen den Rechtsruck ist nicht der Kampf gegen Rechts, sondern der Rechtsruck selbst.
Menschen im Meer ertrinken lassen gegen den Rechtsruck ist nicht der Kampf gegen Rechts, sondern das billigend in Kauf nehmen von Toten aus niederen Beweggründen.
Und den Rechtsstaat zu schleifen gegen den Rechtsruck ist nicht der Kampf gegen Rechts, sondern die bereitwillige Umsetzung des rechten Programms.
Aber abseits dessen? Es wäre durchaus denkbar, dass die europaweite Legalisierung von Hahnenkampf das Problem wie magisch löst, weil dort die angestauten Energien freigelassen werden können, die sich im zusehends durchprofessionalisierten Fußball nicht mehr Bahn brechen. Das Gegenteil wäre ebenso denkbar: Die Maßnahme könnte als weiterer Schritt der Überfremdung wahrgenommen werden. Ein beklopptes Beispiel, das vor allem illustriert: Was hilft gegen Rechts? Man weiß es nicht. Es probiere also jeder, dem es ernst damit ist, weiter. Reden, demonstrieren, kuscheln, was weiß ich. Aber man höre auf, sich in die Tasche zu lügen: Es gibt kein „Wir“, das sich bequem adressieren lässt. Und „rechts“, das ist kein bequem identifizierbarer Rand gegen den dieses „Wir“ nur endlich aufstehen muss. Und das ist alles. Keine einfachen Antworten für den lösungsfixiert sozialisierten Einzelkämpfer Homo Ökonomikus. Denken Sie an die Serie Alf, in der ein illegaler Einwanderer freundlich aufgenommen und halbwegs integriert wird, als plötzlich…