Der Geist und die Schatten – Eine Kolumne für The Doors

Vor 50 Jahren erschien das legendäre dritte Album von The Doors, „Waiting For The Sun“. Ulf Kubanke gratuliert mit einem Doors-Porträt.


The future’s uncertain and the end is always near.
(The Doors – „Roadhouse Blues“)

It may have been in pieces, but I gave you the best of me.
(Jim Morrison)

„She lives on Love Street, lingers long on Love Street….“ Die „Love Street“ besteht aus kalifornischen Sonnenstrahlen, Liebe und Romantik. Als Boten tragen Ray Manzareks Piano, Robby Kriegers Akustikgitarre und Jim Morrisons charismatische Stimme diese herzerwärmenden Klänge ins Ohr. Das Lied findet sich auf dem grandiosen dritten The Doors-Album „Waiting For The Sun“, das vor 50 Jahren erschien. Morrison legt den Song als Ode an die Frau seines Lebens, Pamela Courson, an. Die Band veröffentlicht es als Rückseite ihres Welthits „Hello I Love You“. Wer es sich leistet, ein derartig hochwertiges Lied als B-Seite zu verramschen, ist entweder größenwahnsinnig oder brillant. Für die Doors gilt Letzteres. Grund genug, ihren Katalog ausführlich zu beleuchten.

Obwohl der ewig jung bleibende, früh verstorbene Frontman das Bild der Band durch Erotik, Poesie, Aufbegehren und schamanisches Charisma prägte, braucht er die Musiker ebenso wie sie ihn. Das Eine funktioniert nicht ohne das Andere, das Yin nicht ohne sein Yang. Zusammen erschufen sie binnen kurzer Zeit einen höchst individuellen Klangkosmos. In beschwingten Momenten so luftig wie eine Sommerbrise, in dunklen Augenblicken so finster wie der Grund des tiefsten Brunnens. Die Zeitlosigkeit von Noten wie Zeilen gebiert eine bis heute beeindruckende Gültigkeit.

Die magische Phase – Drei Meilensteine in anderthalb Jahren:

Zwischen Januar 1967 und Sommer 1968 brennt ihre Kreativität wie ein Feuerwerk. Drei überirdische LPs erscheinen in diesem Zeitraum und bilden die Essenz ihres Schaffens. Bereits der Erstling „The Doors“ ist eines der musikhistorisch bedeutendsten Debüts überhaupt. Vielseitigkeit und eine aus sich selbst geborene Strahlkraft suchen im wahrsten Wortsinne ihresgleichen. Als sie 1966 die elf Stücke in gerade mal fünf rauschhaften Tagen aufnahmen, standen sie weitgehend allein auf weiter Flur. Pink Floyd, Jefferson Airplane, Jimi Hendrix, Grateful Dead oder Velvet Underground? Allesamt noch nicht auf Vinyl gepresst. Doch die Doors haben schon alles Nötige am Start.

Proto-Hardrock? „Break On Through“! Psychedelik und Melancholie? „The Crystal Ship“! Großer Pop und komplexe Strukturen? „Light My Fire“! Mysteriöse Spiritualität? „The End“! Dazu eine byroneske, mitunter schockierende Tiefe, die im Rockkontext bis dato unbekannt war. Der Nachfolger „Strange Days“ kultivierte Morrisons Präsenz als „schwarzlederner Dämon“ mit nachtschattigem Sexappeal. Seine teils fatalistische, dabei niemals nihilistische Weltsicht setzen Manzarek und Co auf Tracks wie „People Are Strange“ oder „You’re Lost Little Girl“ optimal in Szene. „When The Music’s Over“ zeigt sie erneut als Meister sehr langer Songs. Es ist ihr am wenigsten spektakuläres Album; bei vielen Fans jedoch gerade deshalb der erklärte Favorit.

Das obig genannte „Waiting For The Sun“ gestalten sie deutlich farbenfroher. Krieger zeigt auf der Isaac Albeniz-Hommage „Spanish Caravan“ (samt „Asturias“-Zitat), welch ein famoser Gitarrist in ihm steckt. „My Wild Love“ ist ein exquisit chantender Ohrwurm. „Five To One“ und „Unknown Soldier“ verhöhnen doppelbödig ebenso den menschenverachtenden Militarismus wie „naives Hippie-Geplapper“ und „leere Revoluzzer-Gesten“. Nie war die Bandbreite von Sarkasmus bis Lebensfreude in Morrisons Worten so breit, wie auf dieser Scheibe. Kurios: Ausgerechnet der prägnante Titeltrack fehlt. Er erscheint erst zwei Jahre später auf „Morrison Hotel“.

Schlingerphase und Grande Finale:

Letzteres kann insgesamt nicht auf ganzer Linie überzeugen; ebensowenig der Vorgänger „The Soft Parade“. Während das Hotel songwriterisch mitunter fahrig wirkt, setzt die Parade zu sehr auf kommerzielle Glätte. Ein paar intensive Nummern wie das Highlight „The Spy“ finden sich dennoch.

Mit Jims Finale „L.A Woman“ geht es hernach in Richtung knochig-urwüchsigen Blues‘. Unüberhörbar litt des Lizard Kings Gesang deutlich unter dem Einweichen in Whiskey und Tabak. Einmal mehr passen die Doors ihre Musik dem gegerbten Organ Morrisons an. Das klappt prächtig und ringt ihnen eine neue Facette ab. Die kurze Trio-Ära nach Morrisons Tod darf man getrost vernachlässigen.

Das Beste kommt zum Schluss – „Riders On The Storm“:

Und dann ist da noch jenes eine, verwunschenene Lied, dessen Flamme 1970 bis in alle Ewigkeit lodert: „Riders On The Storm“! Ein Kleinod so angenehm wie regengewaschene Nachtluft. Es ist der zuletzt aufgenommene Jim-Song und wurde nur zweimal live gespielt. Kommt das Gewitter? Zieht es fort? Oder befindet man sich gar im Auge des Sturms? Zum hypnotisch angejazzten Rahmen fügt Morrison die Vocals zweifach hinzu. Auf einer Spur gesungen; auf der anderen flüsternd. Eine ebenso clevere wie effektive Idee, die ihrer Zeit klanglich weit voraus ritt. Es ist eines dieser wenigen intensiven Stücke, die selbst in stundenlanger Dauerschleife nichts von ihrer Intensität einbüßen.

Brillant gerät auch die Zweischneidigkeit. An der Oberfläche kann man es als fließende Hymne an Liebe, Weiblichkeit und Zweisamkeit genießen “Girl, you gotta love your man. Take him by the hand, make him understand…”.

Doch obacht! Darunter lauert das Grauen, ein klaffender Abgrund menschlicher Kaputtheit. Pure Finsternis wartet darauf, ihre klammen Finger um das Herz des Hörers zu krampfen. Auf der Soundbildfläche erscheint Serienkiller Billy Cook, der 1950 per Anhalter reiste und 22 Tage lang mordete; darunter eine komplette Familie samt Kindern. „There’s a killer on the road. (…) If you give this man a ride, sweet family will die…killer on the road.“ Doch wer den Kerl am Wegesrand stehen lässt, wird wohlbehalten durch den Sturm kommen.

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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