Indemnität und Immunität
Abgeordnete haben besondere Schutzrechte im Bereich des Strafrechts. Was es genau damit auf sich hat, erklärt unser Kolumnist Heinrich Schmitz
Warum kann nicht jemand diese X (hier beliebiges sexistisches Schimpfwort einsetzen) vom Pult weg verhaften und wegsperren?
Diese Frage hörte ich, als Alice Weidel ihr berühmt Berüchtigtes „Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse“ gerade gezielt im Plenum des Bundestages platziert hatte. Nö, kann man nicht. Vermutlich wäre die veritable Hetze der Frontfrau der AfD auch außerhalb des Parlaments nicht strafbar, aber im Parlament ist sie es ganz sicher nicht.
Abgeordnete des Bundestags (und auch der Landtage) sind vor strafrechtlicher Verfolgung in doppelter Weise geschützt.
Art. 46
(1) 1Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestage oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden. 2Dies gilt nicht für verleumderische Beleidigungen.
(2) Wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung darf ein Abgeordneter nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, daß er bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird.
(3) Die Genehmigung des Bundestages ist ferner bei jeder anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit eines Abgeordneten oder zur Einleitung eines Verfahrens gegen einen Abgeordneten gemäß Artikel 18 erforderlich.
(4) Jedes Strafverfahren und jedes Verfahren gemäß Artikel 18 gegen einen Abgeordneten, jede Haft und jede sonstige Beschränkung seiner persönlichen Freiheit sind auf Verlangen des Bundestages auszusetzen.
Das, was in Absatz 1 geregelt ist, nennt man die Indemnität. Das ist ein persönlicher Strafausschließungsgrund für Abgeordnete, der sich auf deren parlamentarische Äußerungen, sowohl im Plenum als auch in den Ausschüssen bezieht. Sein Pendant findet sich in
§ 36
Parlamentarische Äußerungen1Mitglieder des Bundestages, der Bundesversammlung oder eines Gesetzgebungsorgans eines Landes dürfen zu keiner Zeit wegen ihrer Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die sie in der Körperschaft oder in einem ihrer Ausschüsse getan haben, außerhalb der Körperschaft zur Verantwortung gezogen werden. 2Dies gilt nicht für verleumderische Beleidigungen.
Redefreiheit
Die Indemnität des Abgeordneten soll sicherstellen, dass die Abgeordneten nur ihrem Gewissen folgen und von ihrer Redefreiheit Gebrauch machen können, ohne dadurch Nachteile befürchten zu müssen. Daher dauert die Indemnität auch nach Beendigung des Mandats fort und kann auch nicht durch den Bundestag aufgehoben werden.
Der Schutz vor Strafverfolgung gilt deshalb für immer, also auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Parlament.
Aber er gilt halt nicht für alle Straftaten, sondern nur für parlamentarische Äußerungen, schließlich sind Abgeordnete ja keine Doppelnullagenten ihrer Majestät, die straflos jeden Scheiß machen können. Und auch bei den parlamentarischen Äußerungen gibt es eine Grenze, nämlich die der verleumderischen Beleidigung. Damit sind nicht nur Verleumdungen i.S.d. § 187, sondern auch im Sinne aller Vorschriften gemeint, die auf § 187 Bezug nehmen, z.B. §§ 90 Abs. 3; 188 Abs. 2, wegen fehlender Verweisung auf § 187 aber nicht § 109d. Äußerungen, die inhaltlich eh nicht auf einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf abzielen, bleiben ebenfalls strafbar. Normale Beleidigungen bleiben hingegen straffrei. Hätte also ein Abgeordneter Frau Weidel in der Debatte als braune Kackbratze bezeichnet, so hätte ihn dafür kein Ermittlungsverfahren erwartet. Allerdings hätte auch hier der Bundestagspräsident zu Ordnungsmitteln bis zum Ausschluss von der Debatte greifen können.
Auch wer über diese Beleidigung wahrheitsgemäß berichtet hätte, dürfte nicht strafrechtlich belangt werden.
§ 37
Parlamentarische BerichteWahrheitsgetreue Berichte über die öffentlichen Sitzungen der in § 36 bezeichneten Körperschaften oder ihrer Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei.
Müll erlaubt
Ein Abgeordneter darf also ungestraft nahezu jeden Müll vom Stapel lassen, solange er andere nicht auf der Basis ihm bekannt falscher Tatsachenbehauptungen beleidigt. Einfache Beleidigungen – mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch – sind aber problemlos von der Indemnität umfasst.
Wichtig ist dabei, dass die Indemnität nicht für Äußerungen außerhalb des Parlaments oder der Ausschüsse gilt. Wer also, wie ein Landtagsabgeordneter der Linken aus Thüringen, zum „Schottern“ aufruft, sollte das in einer Parlamentsrede tun und nicht außerhalb des Parlaments. Sonst wird er genauso bestraft wie der zum Schottern aufrufende Student oder ein Gesellschafter der Antifa-GmbH – deren Existenz tief in den Hirnen von VT- Experten verwurzelt ist, die aber ansonsten nicht existiert.
Äußerungen in den Fraktionen oder Arbeitskreisen der Parteien, Statements von Abgeordneten, die außerhalb des Plenums, etwa vor der Presse gemacht werden, sind nicht vom Indemnitätsschutz erfasst, auch dann nicht, wenn sie der Erklärung einer parlamentarischen Anfrage dienen oder in einem sonstigen Bezug zur parlamentarischen Tätigkeit des Abgeordneten stehen. Wer also gerade im Parlament eine veritable Hetzrede gehalten hat, könnte von geschickt fragenden Pressevertretern in eine hübsche Strafbarkeitsfalle gelockt werden. Einen Versuch wäre es wert.
Da es sich bei der Indemnität nur um einen höchstpersönlichen Strafausschließungsgrund handelt, bleibt eine solche Tat gleichwohl rechtswidrig. Ein Angegriffener könnte also durchaus zur Notwehr greifen.
Immunität
Neben der Indemnität genießen die Abgeordneten noch den Schutz der Immunität aus Absatz 2. Danach darf gegen einen Abgeordneten nur mit Genehmigung des Bundestages ermittelt werden. Auch eine Verhaftung bedarf der vorherigen Genehmigung, es sei denn der Abgeordnete wird auf frischer Tat, also mit dem rauchenden Colt oder dem brennenden Molli vor dem Flüchtlingsheim geschnappt. Man sagt dann, der Bundestag hat die Immunität des Angeordneten XY aufgehoben. Tatsächlich ist das in doppelter Hinsicht ein schwacher Schild. Denn zum einen gilt die Immunität nur, solange man Abgeordneter ist und zum anderen wird die seit Jahrzehnten immer gleich zu Beginn einer Legislaturperiode pauschal für die gesamte Dauer aufgehoben.
Übrigens, wenn aufgrund dieser besonderen Schutzvorschriften künftig der Umgangston im Bundestag härter und fern jeden Anstands verrohen sollte, dann sollte das für Sie kein Signal sein, diesen Ton auch in die öffentliche Diskussion zu übernehmen. Und nein, nur weil Ihnen – wie auch mir – die Rede der Abgeordneten Weidel den Blutdruck hat steigen lassen: Sie dürfen jetzt nicht mit Äußerungsdelikten zurückschlagen.
Don’t call it Nazischlampe
So hat es der einzig wahre charismatische und Sheng Fui – Meister, Lorenz Meyer, in seinem Facebookaccount völlig zutreffend und rechtlich absolut korrekt ausgedrückt:
Das Landgericht Hamburg hat entschieden: Die Satiresendung „Extra3“ durfte Alice Weidel (AfD) eine „Nazi-Schlampe“ nennen, weil es in entsprechenden Kontext eingebunden war. Aber Achtung, nur weil Alice Weidel (AfD) dort „Nazi-Schlampe“ genannt werden durfte, heißt dies nicht, dass auch wir Alice Weidel (AfD) eine „Nazi-Schlampe“ nennen dürfen.
Alice Weidel (AfD) will nämlich nicht als „Nazi-Schlampe“ bezeichnet werden und deshalb wird sich Alice Weidel (AfD) wahrscheinlich weiter dagegen wehren, „Nazi-Schlampe“ genannt zu werden. Schließlich ist zu befürchten, dass bei Nennung des Namens Alice Weidel (AfD) zukünftig jeder an die im konkreten Fall erlaubte Bezeichnung „Nazi-Schlampe“ denkt. Das ist natürlich zu vermeiden!
Um also ein derartiges Framing zu vermeiden, sollten wir es uns nicht zueigen machen, dass Alice Weidel (AfD) eine „Nazi-Schlampe“ ist oder gar in den sozialen Medien posten, dass Alice Weidel (AfD) eine „Nazi-Schlampe“ ist, sondern lediglich darauf hinweisen, dass Alice Weidel (AfD) im vorliegenden Fall „Nazi-Schlampe“ genannt werden durfte.
Falls Sie demnach beabsichtigen, Alice Weidel als Nazischlampe beleidigen zu wollen, sollte Ihnen das entweder eine Stange Geld wert sein – oder sie sehen zu, dass sie Abgeordneter werden. Dann genießen Sie, genau wie Frau Weidel, den Schutz der Indemnität.