Islambashing ist eine schlechte Richtschnur in der Flüchtlingshilfe
Henning Hirsch hat das Interview mit Rebecca Sommer gelesen und schildert seinen Eindruck
Das aufgrund seiner Länge in drei Teile gesplittete Interview mit der Flüchtlingshelferin Rebecca Sommer sorgte für eine Menge Zündstoff. Die Reaktionen reichten von „endlich Klartext“ über „tendenziös“ bis hin zu: „Gift aus der Propagandaküche der AfD“. Das war natürlich bei der Brisanz des Themas und der doch sehr subjektiv gefärbten Darstellung nicht anders zu erwarten.
Kolumnisten sind Einzelkämpfer
Bevor ich nun meinen Standpunkt zu Papier bringe – hier ein paar Klarstellungen zu den Kolumnisten; denn diesbezüglich scheinen irrige Vorstellungen bei den Abonnenten zu kursieren. Zuerst mal: wir sind kein homogenes Kollektiv, sondern vertreten Einzelmeinungen. Kann also passieren, dass ich das Werk eines Schriftstellers lobend bespreche und ein anderer Kolumnist ein paar Tage später zur Gegenrede ansetzt. Wir halten keine Redaktionskonferenzen ab, in denen wir auf eine einheitliche Linie eingeschworen werden. Gastbeiträge sind jederzeit willkommen. Das Procedere läuft so: einer von uns empfiehlt jemanden, von dem er meint, dass der was Schlaues mitzuteilen hat. Wir können dann zwar „Veto“ rufen, tun es aber nicht, weil wir zum einen auf den Tippgeber vertrauen und zum anderen keine Zustände wie im Weltsicherheitsrat haben wollen, wo wir uns ständig gegenseitig blockieren. Oft ist es auch so, dass ein (neben seinem normalen Brotjob tätiger) Kolumnist neue Texte erst zum Zeitpunkt der Veröffentlichung liest. So wie mir beim Rebecca-Sommer-Interview geschehen. Aber selbst wenn ich den Wortlaut vorher gekannt hätte, wäre mein Veto ausgeblieben. Einfach aus dem Grund heraus, dass es in einem Meinungsportal möglich sein muss, Positionen – auch wenn sie meinen eigenen diametral widersprechen – zu veröffentlichen, ohne gleich in toto in die ein oder andere politische Ecke gedrängt zu werden.
Steile Thesen und eine nicht nachhakende Interviewerin
Nun aber zum Text als solchem. Ich will mich da kurz fassen. Wurde schon viel dazu in den Kommentarspalten angemerkt. Ohne das, was der Interviewgeberin geschehen ist, anzuzweifeln, macht sie etwas, was man mMn nie tun darf: sie verallgemeinert ihre persönlichen Erfahrungen und stellt eine komplette Religionsgemeinschaft unter Generalverdacht. Dass sie als enttäuschte Liebende redet, ist die eine Sache. Dass die sie interviewende Journalistin ihr aber nicht einmal dabei widerspricht oder auch nur vertiefend nachhakt, empfand ich mit zunehmender Dauer des Gesprächs doch als sehr ärgerlich. Und dabei gab es ja viele Punkte, die man kritisch hätte hinterfragen können.
Als besonders steile Thesen ragen dabei heraus: der Taqiyya-Dispens (sämtlichen Moslems ist es freigestellt, uns dumme Christen ständig zu belügen. Dieses Verhalten würde nicht nur geduldet, sondern von Klerus und Gott sogar ausdrücklich gutgeheißen), Frauen als Menschen zweiter Ordnung, die den muslimischen Männern einzig als Sexobjekte und Gebärmaschinen dienen, Polygamie als Regel und nicht als Ausnahme, tribalistische Strukturen in den Heimatländern, in denen Gewalt auf der Tagesordnung steht, die Forderung der Imame, sich nicht im dekadenten Westen zu integrieren, die schlechte Ausbildung der Flüchtlinge, die uns von Politik und Presse verschwiegen wird, der Raubzug durch unsere Sozialsysteme – flankiert von zu laxer Verständnisjustiz und zu langen Abschiebeverfahren. Und bei all diesen Klischees vom bösen Moslem waren wir gerade mal bei der Hälfte des Interviews angelangt. Wow, denke ich, was kommt als nächstes: dass sie unsere Frauen vergewaltigen und das Land durch die Hintertür islamisieren wollen?
Um es nochmal zu sagen; ich stelle nicht die persönlich negativen Erfahrungen von Frau Sommer in Abrede. Wenngleich mich die Häufung all dieser Vorfälle speziell in ihrer Nähe doch ein bisschen verwundert. Aber das ist jetzt gar nicht so wichtig. Schlimmer ist wirklich, dass die Interviewerin es einfach so geschehen lässt, ganz im Gegenteil immer weitere Stichworte liefert, damit sich ihr Gegenüber richtig auskotzen kann.
Ohne bezweifeln zu wollen, dass es unter den Flüchtlingen Arschlöcher gibt, kann daraus aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der Islam mehr Arschlöcher hervorbringt als Christentum, Buddhismus, Naturreligionen oder Atheismus. Dass die aus den Kriegsgebieten des Nahen Ostens zu uns fliehenden Menschen teils konservativer sind als wir: geschenkt. Das waren die Gastarbeiter der 60er und 70er ebenfalls und noch meine Großmutter musste Haushaltsbuch führen und sich Anschaffungen wie Spül- und Waschmaschine von meinem autoritären Großvater genehmigen lassen. Das ist jetzt gerade mal vierzig Jahre her. Aber die Entwicklung schreitet voran; bei meinen Eltern ging’s schon sehr liberal zu. Soll heißen: konservative Flüchtlinge können durchaus progressivere Kinder auf die Welt bringen. Wer ständig nur auf den Status Quo schielt, der verschläft die Zukunft.
Das Interview arbeitet mit zwei Tricks. Nr. 1: wer anders denkt als Frau Sommer, der verschließt entweder fahrlässig – oder gar bewusst – die Augen vor der Realität oder befindet sich im gutgläubigen Stadium, das sie selbst durchlaufen hat, bevor ihr Anfang 2016 die Erleuchtung zuteil wurde: »Seht her, ich war genauso naiv wie ihr und glaubte an das Gute im Menschen. Bis ich endlich aufwachte und erkannte, dass die Moslems qua Religion böse sind«. Nr. 2: »Ich kenne natürlich auch Ausnahmen; aber diese Ausnahmen bestätigen bloß die Regel«. So oft, wie Frau Sommer Ausnahmen erwähnt, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es doch so viele Ausnahmen sind, dass man aus dem verbleibenden Rest besser keine allgemeingültige Regel herleitet.
Zum Schluss noch ein bisschen Aluhut
In Teil 3 wird es dann politisch. Ich lese stirnrunzelnd Sätze wie diesen:
Bleibt unbeugsam in eurem Widerstand gegen die Verletzung des Völkerrechts vonseiten der EU, und in diesem Fall gegen eine von außen aufgezwungene Verteilung von Flüchtlingen. Jedes Land und Volk hat ein Recht, seine Gäste selber auszusuchen.
Oder diesen:
Völkerrecht besagt, dass ihr ein Recht darauf habt, euren eigenen politischen Weg und Status zu bestimmen und frei von Fremdherrschaft zu sein.
Gefolgt von:
Ich habe den Eindruck, dass in Europa Interessen am Werk sind, denen es sehr daran liegt, ein Europa zu kreieren und das Völkerrecht, die Selbstbestimmung eines vom Volk gewählten Staates zu verwaschen bis hin, es zu eliminieren.
Und muss sagen, spätestens jetzt sind wir bei der Aluhutfraktion und Weltverschwörungstheorien angelangt. Fehlt noch der Hinweis, dass dunkle Mächte seit langem planen, alle Völker aufzulösen und durch eine leicht manipulierbare Mischrasse zu ersetzen.
Und immer noch interveniert Frau von der Osten-Sacken nicht.
So sehr das fortbestehende ehrenamtliche Engagement von Frau Sommer zu loben ist und auch ihre persönlichen Enttäuschungen nicht von mir hinterfragt werden sollen, muss bei diesem Text doch bemängelt werden, dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wurde. Aus dem »ICH bin verärgert weil … « wurde eine Generalanklage gegen sämtliche männlichen Moslems zurechtgezimmert, die aufgrund Religion und völlig anderer Sozialisation nicht integrierbar sind bzw. gar nicht integriert werden wollen. So kann man natürlich argumentieren, darf sich dann aber nicht wundern, wenn der Applaus vor allem aus der rechten Ecke kommt. Und ich bin mir hundertpro sicher, dass es viele Flüchtlingshelfer gibt, die bei gleichlautenden Erfahrungen nicht auf die Idee verfallen, für singuläres Arschlochtum eine ganze Religionsgemeinschaft in Sippenhaft zu nehmen.
Von daher: meins war dieser Text definitiv nicht. Dass unsere Asylpraxis dringend auf den Prüfstand gehört und durch ein modernes Einwanderungsgesetz ergänzt werden sollte, wusste ich schon vorher. Diese Forderung kann man vertreten; dafür braucht’s aber keine vorherige Generalabrechnung mit dem Islam, die die Fronten eher verhärtet, als das Problem auch nur einen einzigen Schritt einer vernünftigen Lösung zuzuführen. Und trotzdem muss es einem Meinungsportal freistehen, solch einen Beitrag zu publizieren und zur Diskussion zu stellen.