Facebook kann Meinungsfreiheit völlig egal sein

Fred Gröger antwortet auf Heiko Heinischs Beitrag „Facebook und die Meinungsfreiheit“ und wirft dabei einen völlig anderen Blick auf das Geschäftsmodell des Datenkraken


Sehet Brüder, Schwestern und Cousins oder Cousinen, die ich nie besuche:  Dereinst gab es eine Welt ohne Facebook, Twitter, oder Instagram, Myspace, Vkontakte usw.
Und diese Welt war noch ungefüllt von den ständigen Katzenfotos, Bildern von dem was irgendwer gerade irgendwo gekocht hat, oder Leuten, die mit ihrem Klarnamen und anderen Daten freiwillig persönlichste Informationen an undurchsichtige Datenkraken abtreten.
(c) Fred Gröger

Am 5. Dezember schrieb Heiko Heinisch bei den „Kolumnisten“ eine Kolumne mit dem Titel „Facebook und die Meinungsfreiheit“, die auf die in letzter Zeit kritisierte „Sperr-und Löschpraxis“ des Netzwerkes einging. Durchaus lesenswert, durchaus interessant.  Problematisch, deshalb schreibe ich den Mist hier ja, ist allerdings die unterschwellige und eigentlich vollkommen falsche Ansicht, was die Bedeutung und Verpflichtung von Facebook angeht, Meinungsfreiheit zu garantieren, oder seinen Nutzern ein Recht zum Widerspruch einzuräumen, wenn das Unternehmen mal was löscht, oder einen Account sperrt.

Natürlich kann man ja die Argumentation nachvollziehen, dass „Facebook über zwei Milliarden Nutzer hat“, und dass Facebook deshalb „DIE öffentliche Plattform für Debatten“ geworden ist. Das kann man so sehen. Und was Heiko Heinisch über die merkwürdige Auslegung der „Gemeinschaftsstandards“ und „Nutzungsbedingungen“ des Konzerns, sowie über die Macht von „Melde-Mobs“ schreibt, ist durchaus nachvollziehbar und erweckt Empörung. Jedoch: kann man deshalb Facebook zu irgendetwas verpflichten?

Ein privates Unternehmen ist ein privates Unternehmen, kein Staat mit einer Verfassung

Egal wie groß der Hype um Facebook ist, egal für wie wichtig wir die Bedeutung von Facebook halten, es ist und bleibt ein privates Unternehmen, mit dem die Nutzer einen Vertrag abschließen, sobald sie sich dort anmelden. Der neue User erklärt seine Zustimmung zu den Nutzungsbedingungen. Und auch wenn Facebook dort von einer Erklärung der „gegenseitigen Rechte und Pflichten“ von Facebook und seinen Nutzern schreibt, bleibt das „Gegenseitige“ in bestimmten Punkten doch einseitig. Die Verpflichtungen, die Facebook gegenüber dem Nutzer als Vertragspartner eingeht, betreffen eher bestimmte Mindeststandards, was den rechtlichen Datenschutz angeht, aber in keiner Weise ein Zugeständnis dahingehend, seinen Nutzern Meinungsfreiheit zu garantieren.

Gehen wir doch mal darauf ein, wer eigentlich Meinungsfreiheit garantieren und schützen kann, (oder sollte): Das betrifft Staaten, die das Recht auf Meinungsfreiheit in ihrer jeweiligen Verfassung und ihren Gesetzen festschreiben. Im Mamaland von Facebook ist das durch das „First Amendment to the United States Constitution“, bei uns in Deutschland durch den „Artikel 5 des Grundgesetzes“ reglementiert.

Jetzt gucken wir mal, was in Deutschland im Grundgesetz betreffs der Meinungsfreiheit ausgeführt wird:

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Tja. Fein. Bloß wird diese „Garantie der Meinungsfreiheit“ oder der „freien Meinungsäußerung“ bloß vom jeweiligen Staat gegenüber seinen Bürgern ausgesprochen. Eine Garantie eines Staates betreffs der Meinungsfreiheit bedeutet aber eben nicht, dass „private Dritte“ dazu verpflichtet sind, die Meinungsäußerungen anderer bedingungslos zu verbreiten.

Vereinfachtes Beispiel: Sie mieten irgendwo eine Stellfläche. Darauf platzieren Sie eine Tafel, auf der jeder etwas schreiben darf, der daran vorbeikommt. Am nächsten Tag gucken sie dann, was da so geschrieben wurde. Und das, was Ihnen nicht gefällt, das wischen Sie weg. Keine große Sache, oder? (Allerdings wird bestimmt irgendein Idiot „ZENSUR!!1!“ schreien. *Zwinkersmiley*). Auch wenn Facebook größer ist als irgendeine Tafel, die man irgendwo aufstellen kann: Was auf dieser Tafel geschrieben werden oder was darauf stehen bleiben darf, entscheidet der Eigentümer. Soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter tun zwar immer gerne so, als wäre ihnen die Meinungsfreiheit ihrer Kunden wichtig, sie müssen aber gar keine Meinungsfreiheit dulden oder gewährleisten. Meinungsfreiheit bedeutet jedoch nicht, dass eine Privatperson oder ein privater Netzwerkbetreiber dazu verpflichtet sind, Ihre Meinungsäußerung für Sie zu verbreiten. Es würde absurderweise grundsätzlich gegen die Meinungsfreiheit verstoßen, jemanden zur Verbreitung fremder Meinungen zu verpflichten.

An dieser Stelle lohnt es sich, eine kleine Abschweifung zum Geschäftsmodell von Facebook zu unternehmen . Auch wenn der Begriff „soziales Netzwerk“ eventuell irgendwie „sozial“ klingt, ist die „Agenda“ hinter Facebook marktwirtschaftlich orientiert. Facebook ist dafür bekannt, seinen Nutzern immer wieder gerne Daten zu entlocken:

-Ey Nutzer, wo kommst du her?
-Ey Nutzer, wo wohnst du?
-Ey Nutzer, wie alt bist du?
-Ey Nutzer, welche Bildung/Ausbildung hast du?
-Ey Nutzer, wo arbeitest du? Wo hast du gearbeitet?
-Ey Nutzer, was sind deine Hobbys?
-Ey Nutzer, was sind deine Interessen?
-Ey Nutzer, verwendest du auch brav deinen Klarnamen?
(Facebook erkundigt sich ebenfalls danach, wo man sich gerade aufhält. Allerdings weiß Facebook das durch die IP bei den meisten Nutzern ohnehin recht genau. Wenn man, so wie ich, gelegentlich technische Hilfsmittel benutzt, um seinen Standort zu verschleiern – etwa nach Kanada oder in die USA -,kann Facebook sehr schnell eine sehr wütende Datenkrake werden.)

Warum aber sammelt das soziale Netzwerk derart viele Informationen über die User? Ist das wirklich nur im Interesse der Nutzer, damit jeder jeden möglichst gut kennenlernen kann? Natürlich nicht. Das Hauptinteresse an der Sammlung dieser Daten, entspringt dem Geschäftsmodell selbst. Facebook und andere soziale Netzwerke, die für den Großteil ihrer Nutzer „umsonst“ sind, finanzieren sich hauptsächlich durch ihren Wert für die Werbewirtschaft. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass die oben genannten „Fragen an den Nutzer“ eine Einordnung in „werberelevante Zielgruppen“ ermöglichen. Je mehr persönliche Daten ein Nutzer an Facebook  übermittelt, desto besser kann das soziale Netzwerk den Auftraggebern die berühmte personalisierte Werbung verkaufen: Werbeanzeigen, die nach Alter, Geschlecht, Bildung, Herkunft, Standort/Wohnort, Interessen und Vorlieben geschaltet werden können. Der gläserne Facebooknutzer ist der potenziell gläserne Kunde.

Sagen Sie es mit mir: MUH! MUH! Facebook melkt `ne Kuh!

Dementsprechend ist es für den Aktienkurs dieses Geschäftsmodells von ultimativer Bedeutung, wie groß der „Viehbestand“ ausfällt. Je höher dieser „Viehbestand von Facebooknutzern“ ist, die mit Werbung berieselt werden können, desto höher sind die Gewinne, die durch die wahren Geldgeber aus der Werbewirtschaft erzielt werden können.
Der Konzern macht daraus eigentlich kein großes Hehl. Deshalb kann man da auch schwer Vorwürfe gegenüber Facebook erheben; stattdessen sollten die Nutzer sich darüber Gedanken machen, ob sie sich über die Hintergründe dieses „sozialen Netzwerkes“ immer so ganz klar sind.

Und damit kommen wir wieder zum ursprünglichen Thema: Wenn also Heiko Heinisch die Story von den „fundamentalistischen Meldemobs“ versus „Islamkritikern“ in Bangladesch erzählt, haben wir genau das dystopische Prinzip, das Facebook in bestimmter Weise gefährlich macht.

Wenn ich Aktien von Facebook besäße: wäre mir dann Meinungsfreiheit der dusseligen Facebooknutzer wichtig, oder legte ich eher Wert darauf, dass eine möglichst hohe Anzahl Nutzer dem „sozialen Netzwerk“ Gewinne bringt? Darin liegt nämlich der Irrtum: wenn man glaubt, dass sich ein kommerziell orientiertes Unternehmen tatsächlich einer „Ethik“ unterwerfen müsste. Generell beteuert Facebook seine Neutralität. Und es gibt sogar immer wieder Anzeichen, dass sich das Netzwerk an bestimmten Werten zu orientieren versucht. Aber das ist eine freiwillige Entscheidung des Unternehmens.

Das von Heinisch gebrachte Beispiel aus Bangladesch demonstriert allerdings eine gravierende Schwäche dieser „Neutralität“: die Sperrung von Mitgliedern, die einzig durch quantitativen Druck – Anzahl Beschwerden anderer User – bewirkt wird, ohne dass die Moderation die Plausibilität der Kritik überprüft, ist einzig vom marktwirtschaftlichen Standpunkt aus vertretbar.

Wenn Heiko Heinisch also aus verständlichen Gründen in „Facebook und die Meinungsfreiheit“schreibt:

„Aufgrund seiner Monopolstellung muss das Unternehmen den freien Austausch der Meinungen ermöglichen, sonst wird gerade gut organisierten Extremisten Tür und Tor für ihre Propaganda geöffnet. Sollte Facebook nicht selbst in der Lage oder nicht willens sein, zwischen strafrechtlich relevanten Postings und allenfalls provokanten, aber erlaubten Meinungsäußerungen zu unterscheiden und damit das Recht auf freie Meinungsäußerung zu garantieren, dann muss die Plattform allenfalls gesetzlich dazu gezwungen werden. Geschäftsinteressen sind jedenfalls kein Grund für Eingriffe in die Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern“,
dann befindet er sich in einem Irrtum darüber, was Facebook überhaupt ist.

Wir sind ja keine Bürger von Facebookistan. Facebook ist keine Regierung, weder demokratischen Wahlen, noch Wählern oder Bürgern verpflichtet, sondern handelt primär zum Vorteil seiner Aktionäre.

Facebook bleibt eben doch nur ein kommerzielles Unternehmen mit kommerziellen Zielen, und kein Staat könnte einfach mal so den Konzern Facebook dazu zwingen, Grundrechte für Bürger, speziell die Meinungsfreiheit, zu garantieren, die eben doch nur ein Staat – aber kein privater Dienstleister mit wirtschaftlicher Orientierung – achten muss.  Genaugenommen könnte Facebook auch jederzeit sein Geschäftsmodell ändern. Beispielsweise auf eine kostenpflichtige Mitgliedschaft umsteigen, oder den Betrieb einstellen. Was will Heiko Heinisch dann machen? Die digitale soziale Revolution ausrufen und Facebook per Enteignung zum gesetzlich (staatlich) gelenkten Weiterbetrieb zwingen?

Was das Unternehmen Facebook auf seinen Internetseiten publizieren oder löschen möchte, bleibt größtenteils der unternehmerische Entscheidung von Facebook unterworfen. Es gibt kein Grundrecht oder Menschenrecht, das einen kommerziell orientierten Konzern gegen seinen eigenen Willen dazu zwingen kann, unsere Meinungsäußerungen zu veröffentlichen. Und Facebook ist seinen Nutzern eben leider auch keine Rechenschaft schuldig. Wer mal die Nutzungsbedingungen von Facebook wirklich gelesen hat, findet dort, wie schon erwähnt, nur wenige, oft schwammig formulierte „Verpflichtungen“ gegenüber dem Nutzer. Die können bei Missfallen höchstens „mit den Füßen abstimmen“, also selbst ihren Account löschen. Oder sich wie Kunden eines Unternehmens eben bei der Geschäftsführung beschweren.

Ich möchte sowohl Heiko Heinisch, als auch allen anderen Lesern einen Artikel aus der „New York Times“ empfehlen, der sich mit der „Mechanik der Macht“ gegen Facebook beschäftigt: „Facebook, Free Expression and the Power of a Leak“ behandelt ausführlich die Thematik der „Meinungsfreiheit auf Facebook“ und gelangt zu dem Schluss, dass ein System, das anfällig für „Lobbyismus“ ist, eben nur durch „Gegenlobbyismus“ in die Balance gebracht werden kann. Ein Unternehmen reagiert auf Beschwerden seiner Kundschaft; die Beschwerden der Kundschaft können den Marktwert und das Verhalten eines Unternehmens zielführend beeinflussen.

Bitte hört auf, das Unternehmen Facebook mit einer zivilgesellschaftlichen oder gemeinnützigen Institution zu verwechseln!

Dass Facebook eine Monopolstellung und eine derartig große Bedeutung in der Informationsgesellschaft erreicht hat, ist die Schuld der Unmenge an Nutzern, die sich dort registriert haben und diese Supermacht durch die Gratiszurverfügungstellung ihrer eigenen Medienkompetenz und Daten ständig vergrößern. Ich würde sagen, wir werden das eines Tages bitter bereuen. Aber die Wahrheit ist, dass wir es längst bereuen sollten.

Ich bin dann mal bei Facebook. Muss mir noch Katzenfotos ansehen.

 

Fred Groeger

Fred Groeger, 1976 im damaligen Westberlin geboren, dort aufgewachsen und trotz intensiver Versuche des Fernbleibens auch zur Schule gegangen, hat kein Problem damit, sich auch den schlechtesten Film anzusehen und anschließend darüber zu reden oder zu schreiben. Kinobesuche mit ihm entpuppen sich kurz nach Verlassen des Kinosaals als Tortur, da man seinen unvermeidlichen Ausführungen folgen muss. Wenn er nicht gerade auf die Leinwand oder den Bildschirm starrt, übt sich Fred in fernöstlichen Kampfkünsten oder genießt lange Strandspaziergänge um die Krumme Lanke, die aber dann doch recht kurz werden, da die Krumme Lanke gar nicht sehr viel Strand zu bieten hat.

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