Migration steuern – aber richtig

Eine Sichtweise aus Istanbul.


In Deutschland herrscht Fachkräftemangel. Manche geben die Zahl der fehlenden Fachkräfte mit 1,5 Millionen an, andere sprechen von über 3 Millionen und wiederum andere von 20 Millionen, je nachdem auf welche Zeit man den Mangel berechnet.

Deutschland braucht Zuwanderung, auch wenn viele das nicht wahrhaben wollen. Wie in den meisten Industriestaaten wird die Bevölkerung immer älter und der Nachwuchs kommt nur zögerlich auf die Welt. Viele Handwerker, wie etwa Metzger und Bäcker, können freie Stellen nicht besetzen, da junge Leute sich kaum mehr für diese Berufe interessieren.

Nach einer Studie des Institutes der Deutschen Wirtschaft (IW) fehlen in Deutschland 137.000 Arbeitskräfte, alleine mit technischem, IT, naturwissenschaftlichem oder mathematischen Abschluss.

Am schlechtesten ist die Lage für Kleinstbetriebe, die zwar genauso viele Ausbildungsplätze anbieten wie früher, diese jedoch oft nicht besetzten können. In der Regel findet nur einer von zwei Betrieben einen passenden Nachwuchs.

Deutschland ist bei den gut ausgebildeten und wohlhabenden Türken nicht besonders beliebt. Wohlhabende und gut ausgebildete Menschen haben Deutschland nicht auf dem Radarschirm. Die Argumente reichen von “zu kalt” bis “zu langweilig”.

Die Auswanderer

Aus meinem nahen Bekanntenkreis verließen in den letzten Wochen mehrere wohlhabende Familien mit guten Ausbildung die Türkei. Alle Richtung USA. Warum eigentlich? Warum nicht nach Deutschland? Was sind das für Leute?

Esra (32), der 4-jährige Sohn und ihr Ehemann, die Mutter und Grossmutter.

Ich habe der Familie Deutschland, insbesondere meine Heimatstadt Konstanz am Bodensee empfohlen. Sie haben Bodensee und die Alpenregion besucht und sie waren begeistert von der Schönheit der Natur und den ordentlichen und freundlichen Menschen.

Trotzdem wollten sie nicht nach Deutschland. Es war zwar „alles sehr nett, aber doch langweilig.“

Esra studierte in Kalifornien, wo sie auch ihren türkischen Mann kennenlernte. Sie heirateten in den USA und ihr Sohn kan dort zur Welt, der automatisch amerikanischer Bürger wurde. Zurück in der Türkei wurde die politische Situation immer unertraeglicher, worauf sie beschlossen das Land erneut zu verlassen.

Süleyman, Mitte 40, entstammt einer Unternehmerfamilie.

Über 20 Jahre lebte er in Los Angeles, kam dann nach Istanbul und gründete seine Internetfirma. Vor einem Jahr schließlich brachte er seine Familie wieder zurück nach Los Angeles und pendelt seither hin und her. Obwohl er eine deutsche Mutter hat und öfters München, die Heimat seiner Mutter besucht, entschied er sich wieder für die USA. Warum eigentlich?

Gut ausgebildete und/oder wohlhabende Türken verlassen das Land hauptsächlich aus politischen Gründen und dem darauf folgenden wirtschaftlichen Niedergang.

Insbesonderet für Türken ist Deutschland nicht attraktiv, obwohl doch in Deutschland über 3 Millionen Menschen mit türkischen Urspung leben. Nicht ‘obwohl’, sondern wegen der Deutsch-Türken wird Deutschland nicht gern angesteuert. Die in Deutschland lebenden Türken kommen meist aus ländlich, archaiischen Strukturen. Die wohlhabenden und gut ausgebildeten Türken gehören aber zu den modernen Teilen der Türkei und entfliehen eben solchen Strukturen und möchten in der neuen Heimat nicht wieder mit solchen religiös- konservativen Kulturkreisen konfrontiert werden.

Die in Deutschland lebenden Türken sind somit ein Hindernis für diese Zielgruppe.

Alp (23) Studiert Physik und besucht sehr oft seine deutsche Freundin im Hessen.

Seine Freundin besucht Alp in Istanbul auch, so oft wie möglich. Die Familien der beiden jungen Leute sind ebenfalls sehr eng befreundet und besuchen sich mehrmals im Jahr. Alp entstammt aus einer Familie, die zur Mittelschicht angehört. Alp würde gerne in Deutschland leben, obgleich er einiges an Deutschland auszusetzen hat. Er ist in Istanbul gewohnt „leicht und bunt“ zu leben. An Deutschland liebt er die beruflichen Aussichten, die schönen Autos und dass man innerhalb weniger Stunden ein anderes Land erreichen und dort einkaufen kann. Selbstverstaendlich auch die vielen Sportmöglichkeiten, ohne dass man Stunden mit dem Auto fahren muss und sogar mit dem Fahrrad dorthin gelangen kann.

Deutschland tut sich schwer mit den typischen Einwandererländern zu konkurrieren.

Deutsch sein heißt in vielen Ländern: „Arbeit, arbeit, arrrrrbeit……Jawohl! Verstanden Herr Major. Stillgestanden.“

Ausländische Fachkraefte kommen nur zögerlich ins Land. Deutschland wird noch immer als schwer zugänglich wahrgenommen.

Die Deutschen können nichts fürs Wetter

Mann muss sich doch mal fragen, was will ein indischer IT-Fachmann in Deutschland?

Es ist kalt in Deutschland. Um 18 Uhr schliessen alle Supermaerkte und ab 20 Uhr ist niemand auf der Strasse. Alle Deutschen sitzen vor dem Fernseher.

In vielen anderen Ländern spielt sich das Leben draussen ab. Gut, für das Wetter können die Deutschen nichts. Und der Monsum gehört nunmal nicht zu Deutschland. Die Liberalisierung des Landes schon. Das Land muss offener werden für die Welt, nicht nur aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern auch kulturell und soziologisch. Deutschland muss sich mehr integrieren in die Welt. Nur Exportweltmeister ist nicht genug, bemängeln auch europäische Partnerlaender.

Deutschland verliert aber auch ausländische Absolventen seiner Hochschulen, die in einwanderungsfreundliche Laendern wie Neuseeland, Australien oder Kanada auswandern.

Warum bleiben ausländische Akademiker nicht in Deutschland? Insbesondere an der Schnittstelle zwischen Studium und Berufsleben passiert etwas, warum Deutschland seine Akademiker verliert.

Deutschland muss aufpassen, nicht ins Mittelmaß zu schrumpfen. Politiker in Deutschland haben Angst den Menschen die Wahrheit zu sagen und nehmen so in Kauf, dass ein Reformstau entsteht und das Land schwer hat sich umzugestalten. Andere wiederum nutzen die Ängste und machen eine Politik, die in dieses Schema passt. Meistens Menschen, die ohne Politik selbst arbeitslos wären und am rechten Rande der Gesellschaft stehen würden.

Was ist zu tun?

Deutschland muss eine Charmoffensive starten, will es langfristig an der Spitze bleiben. Diese Charmoffensive sollte in Zusammenarbeit mit Menschen im Ausland (Deutsch oder nicht) gestaltet werden. Sie können Dinge sehen, die ein Deutscher nicht sieht oder für wichtig erachtet.

Gründe für Deutschland

Ausbildung

Kaum jemand weiß z.B., dass die duale Ausbildung in Deutschland nicht nur weltweit beispielgebend ist, sondern absolut notwendig für den technischen Fortschritt eines Landes. Die duale Ausbildung ist auch eine ernsthafte Alternative zum Studium an den Hochschulen.

Ausbildung in Deutschand, auch die Hochschulbildung, ist kostenlos. Somit wird gewährleistet, dass Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten an der Bildung teilhaben können. Stichwort: Chancengleichheit.

In den meisten Laendern dieser Erde ist Bildung unerschwinglich teuer und somit einer Oberschicht vorbehalten. Die staatlichen Bildungseinrichtungen produzieren dort nur Arbeitslose.

Staatsbürgerschaft

Der Deutsche Pass ist ein Garant, ein Schlüssel für Reisefreiheit. Kein anderer Staatsangehöriger eines Landes kann ohne Visium in so viele Länder reisen, wie der Inhaber eines Deutschen Passes.

Sport

In kaum einem anderen Land gibt es soviele Sporteinrichtungen wie in Deutschland. Auch in der kleinsten Gemeinde findet man einen Rasensportplatz und einen Sportverein.

Sport in den Vereinen ist sehr günstig und für jedermann erschwinglich.

Sportförderung wird in Deutschland gross geschrieben. Jede Schule hat eine Turnhalle. Lokale, regionale, Landes und Bundeswettkämpfe sorgen für eine Förderung, bis zur Spitzenklasse.

Sportausrüstung bekommt man sehr günstig in den jeweiligen Vereinen.

Als ich mit 8 Jahren nach Vorarlberg kam und zum erstenmal Sport in der Schule hatte, war es ein Traum, in der schuleigenen Turnhalle zu turnen und auf dem Rasenfussballplatz zu kicken. Das war 1970 und damals hatte der reichste türkische Fussbalverein, FC Galatasaray, nur einen Halb-Rasenplatz.

Soziale Einrichtungen

In der Kindergartendichte belegt Deutschland das Mittelfeld, nach den skandinavischen Ländern. Die Elementarbildung ist in Deutschland kostenlos bis sehr günstig.

Der Bildungsstandort Deutschland hat international einen sehr guten Ruf. So steht Deutschland z. B. weltweit nach den USA und Großbritannien an dritter Stelle bei der Anzahl ausländischer Studierender an heimischen Hochschulen.

Bildung ist weitgehend kostenlos.

Sozialversicherungswesen

Deutschland gilt als ein Sozialstaat. Jeder Mensch, ob er arbeitet oder nicht, ist sozial- und rentenversichert.

Deutschland hat eine überdurchschnittlich hohe Dichte von Krankenhäusern. Die 1700 Krankenhäuser und 500.000 Klinikbetten in Deutschland liegen weit über dem OECD-Durchschnitt. Die Verweildauer in deutschen Kliniken ist mit 9,1 Tagen laenger als im EU-Durchschnitt (8,3 Tage).

Mobilität

Deutschland ist das Land der Autos schlechthin. Autos wurden hier erfunden und nirgendswo werden bessere Mittel-, und Oberklasseautos gebaut als hier. Autos können sehr günstig finanziert werden. Deutschland ist ein El-Dorado für Autoliebhaber.

Chance Bildungsexport

Bildung ist nicht nur die Grundlage für individuelle Entwicklung und berufliche Qualifizierung, sondern auch ein wesentlicher Erfolgsfaktor für innovationsorientierte Volkswirtschaften. Im Zeitalter der Globalisierung und hoher globaler Mobilität gehören das Bildungsniveau und Bildungsangebote zu den grundlegenden Standort- und Wettbewerbsfaktoren.

Früher wurde Bildung in Deutschland sehr stark gefördert und die Bildungseinrichtungen in Deutschland mussten nur zugreifen. Es kam aber eine Zeit, wo der Staat nicht mehr so viel förderte. Viele Bildungseinrichtungen kämpften ums Überleben. Im Gegensatz zu Industrie, hatten sie keine internationale Erfahrung. Sie wussten nicht wie man Bildung exportiert. So gingen umfangreiches Know How aus Deutschland verloren.

Der internationale Bildungsmarkt ist traditionell besonders durch die Hochschulbildung geprägt und hier weisen angelsächsische Bildungsangebote eine starke Marktposition auf. Aber auch die berufliche Aus- und Weiterbildung entwickelt sich immer stärker zu einem Schlüsselfaktor für wirtschaftliche Entwicklung und für die Wettbewerbsfähigkeit und Exportstärke von Unternehmen.

Angelsächsische Länder werben seit Jahrzehnten mit Bildungsmessen um ausländische Studenten in ihrem Heimatländern. In der Türkei sind sie jedes Jahr anzutreffen und werden konsularisch betreut.

Deutsche Bildungsexporte müssen von der Bundesregierung finanziell gefördert und betreut werden. Das im Inland erworbene Know-How muss im Ausland seine Anwendung finden. Durch die Bildungseinrichtungen sollen Menschen qualifiziert und der Bedarf an Fachkraeften für Deutschland gedeckt werden. Die Einrichtungen wären auch eine nachhaltige Entwicklungshilfe für die jeweiligen Laender.

Fazit: Deutschland muss eine Charme-Offensive starten um sich selbst zu finden.

 

 

 

 

 

 

 

 

Ekrem Kus

Ekrem Kuş ist 1961 in Ankara geboren und aufgewachsen. Seit 1970 lebte er in Konstanz. Er absolvierte eine Ausbildung zum Berufspiloten und eine weitere zum Industriekaufmann. 16 Jahre war er in Deutschland als Unternehmensberater tätig. Seit 2009 lebte er wieder in der Türkei und war dort als Unternehmer tätig. Er vertritt deutsche und schweizer Unternehmen in der Türkei. Kuş ist geschieden und wohnt nun wieder in Deutschland.

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