Mit Bullengewalt

Nicht erst seit den Hamburger G20-Krawallen wird auch über gewalttätige Übergriffe durch Polizisten diskutiert. Und das ist auch richtig so. Denn auch bei diesem Thema bleiben viele Baustellen.


Zunächst einmal ist es nichts Ungewöhnliches, dass Polizeibeamte im Dienst Gewalt anwenden. Das liegt daran, dass in einer modernen rechtsstaatlichen Gesellschaft die rechtmäßige Ausübung physischer Gewalt ausschließlich beim Staat liegt. Man nennt das das Gewaltmonopol des Staates und neben der Justiz übt diese Gewalt die Polizei aus. Das ist völlig okay. Es ist Teil des Jobs eines Polizisten auch körperliche Gewalt einzusetzen, sofern das erforderlich ist.

Das bedeutet nun aber nicht, dass Polizeibeamte mit ihrer Uniform auch gleich eine Lizenz zum Prügeln erhalten hätten. Ganz im Gegenteil. Sie müssen sich bei der Ausübung der ihnen übertragenen Gewalt genauso an Recht und Gesetz halten wie jeder andere Bürger.

Im Internet kursiert ein Video, das Szenen vom G20-Gipfel in Hamburg zeigen soll. Schauen Sie es sich enimal an, bevor Sie weiter lesen.

Aufgrund der Kürze der einzelnen Sequenzen wird man nicht abschließend beurteilen können, ob es sich in jedem Fall um eine Straftat handelt, obwohl einiges für eine solche spricht, wenn auf unbewaffnete, am Boden liegende Menschen eingeschlagen und eingetreten wird. Diese Aktionen mögen nach vorangehenden Angriffen der Personen erfolgt sein, nach Notwehr sehen sie allerdings weniger aus, da ein noch andauernder Angriff durch diese Personen nicht vorliegt. Wenn es Kommentare gibt, dass die Polizisten noch viel zu wenig draufgehauen hätten, dann zeigt das ein merkwürdiges Verhältnis zur Arbeit der Polizei. Die Polizei führt keine Prügelstrafen mit Bullengewalt aus, sie hat nur Straftaten zu verhindern und zu ermitteln, aber sie hat weder selbst zu strafen, noch selbst Straftaten zu begehen. Das Gesetz ist da ganz unmissverständlich.

Damit das auch bei den Polizisten ankommt, ist die sogenannte Körperverletzung im Amt nach § 340 StGB mit einer höheren Mindeststrafe von 3 Monaten stärker bestraft als die Körperverletzung für normale Bürger  – jedenfalls was diese Mindeststrafe angeht. Bei der Höchststrafe sind es dann bei beiden wieder 5 Jahre.

Gleichwohl kommt es immer wieder – nicht nur bei Demonstrationen, sondern in ganz normalen Alltagssituationen – zu Gewaltdelikten durch Polizeibeamte, die beim besten Willen nichts mehr mit rechtsstaatlicher Polizeiarbeit zu tun haben. Da werden schon mal bereits gefesselte mit der Faust ins Gesicht geschlagen oder man hindert jemanden daran zur Toilette zu gehen , bis er sich einnässt.

Keine bundesweiten Zahlen

Erstaunlicherweise gibt es in Deutschland, einem Land, das Statistiken und Erfassungen mehr als jedes andere Land liebt, keine bundesweite Statistik über Gewalttaten von Polizisten im Amt. Die werden als solche nicht erfasst. Nur einzelne Länder erfassen solche Taten.

Schauen Sie sich mal folgende Auflistung des Berliner Senats von Verfahren gegen Berliner Polizisten in den Jahren 2008 bis 2012 an:

Abgeschlossene Ermittlungs- bzw. Strafverfahren wegen KV im Amt

2008

  • Einstellungen: 615 Freisprüche: 6 Verurteilungen: 0

2009

  • Einstellungen: 679 Freisprüche: 7 Verurteilungen: 5

2010

  • Einstellungen : 481 Freisprüche: 9 Verurteilungen: 5

2011

  • Einstellungen : 392 Freisprüche: 1 Verurteilungen: 2

2012

  • Einstellungen : 425 Freisprüche: 5 Verurteilungen: 2

Es scheint also in diesem Zeitraum ziemlich risikolos für Polizisten gewesen zu sein, Gewalt auszuüben. Dass sich das in den letzten 5 Jahren wesentlich geändert hätte, lässt sich nicht feststellen. Nun mag ja sein, dass ein Teil der Anzeigen unberechtigt war, aber dass es bei hunderten von Anzeigen von Bürgern nahezu immer einen Unschuldigen getroffen hat, scheint schwer vorstellbar.

Das Hauptproblem bei diesen Straftaten durch Polizisten ist die Beweisbarkeit. Jede Strafverteidigerin und jeder Strafverteidiger wird meine Erfahrung bestätigen, dass ihm mehr oder weniger regelmäßig von Übergriffen durch Polizisten auf Mandanten berichtet wird. Manchmal sind es ganze Polizeiwachen, die in Kollegenkreisen immer wieder genannt werden. Die Dunkelziffer bei diesen Gewaltdelikten durch Polizisten dürfte recht hoch sein, denn oft verzichten die Opfer auf eine Anzeige, weil sie zum einen fürchten, dass sie im Strafverfahren ohnehin den Kürzeren ziehen und zum anderen, weil sie Angst vor späteren Racheakten haben. Man sieht sich ja immer zweimal. Und einmal Prügel zu beziehen reicht den meisten.

Wie will man auch beweisen, dass man nicht nur gestolpert ist, sondern absichtlich gestoßen oder geschlagen wurde, wenn die beschuldigten Polizisten im Ermittlungsverfahren eine Viererkette aufbauen, an der selbst Adama Traore scheitern würde? Selbst wenn nur ein einzelner Polizist „ausgeflippt“ ist, finden sich in den seltensten Fällen Kollegen, die die Aussage eines Gewaltopfers bestätigen. Da hat man entweder gerade woanders hingeguckt, kann sich beim besten Willen nicht erinnern oder schweigt gleich selbst, weil man sich ja einem Verfahren wegen unterlassener Hilfeleistung oder Strafvereitelung im Amt ausgesetzt sehen könnte.

Die Wagenburgmentalität

Das ist aus Sicht der Polizisten sogar verständlich. Man will dem Kollegen, der aus Ärger mit der Frau oder Frust und Überforderung zugeschlagen hat, nicht die berufliche Zukunft nehmen. Denn ein Polizeibeamter, der wegen einer Körperverletzung im Amt tatsächlich mal bestraft wird, ist danach selten noch im Amt und muss sich dann bei einer privaten Sicherheitsfirma mit Objekt- oder Personenschutz rumschlagen, ohne weiterhin die Segnungen des Berufsbeamtentums genießen zu können. Auch die Pension könnte futsch sein. Das will man dem Kollegen doch nicht antun. Eine ähnlich ungesunde Einstellung gibt es häufig auch, wenn der Kollege Alkohol-, Drogen- oder Psychoprobleme hat, obwohl er damit mittelfristig eine Gefahr darstellt.

Eine andere Seite ist die ungesunde Solidarität, die Wagenburgmentalität, der Korpsgeist, das Wir-gegen-die-da-draußen. „Die Gesellschaft verheizt uns doch nur“, sagte mir mal ein Beamter, „das schweißt zusammen“. Und so falsch ist das gar nicht. Eine wirkliche Distanzierung von kriminellen Kollegen ist da kaum zu erwarten.

Wer sich einmal vor Augen führt, was für einen stressigen und mitunter auch gefährlichen Job Polizisten haben, und das dann mal mit ihrer schmalen Vergütung vergleicht, der kann schon verstehen, dass der ein oder andere ab und an durchdreht. Wer heute den Beruf des Polizisten wählt, muss sich bewusst sein, dass die Uniform keinen Schutz vor Angriffen mehr darstellt. Die Zeiten, in denen die englischen Bobbys unbewaffnet durch die Straßen gehen konnten und automatisch Respekt bekamen, sind lange vorbei. Polizeibeamte sind heute ganz anderen Belastungen ausgesetzt als noch vor 30 Jahren. Sie müssen sich von halbwüchsigen Besoffenen beleidigen und anspucken lassen, sie schieben massenhaft Überstunden vor sich her – alleine in NRW sind es aktuell 3,9 Millionen – und „genießen“ ein stetig abnehmendes Ansehen.

Keine „Polizeigewalt“

Das soll und kann aber keine Entschuldigung und schon gar keine Rechtfertigung für Gewalt durch Polizisten sein. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass ich den Begriff „Polizeigewalt“ bisher nicht verwendet habe. Der dürfte auch jedenfalls noch nicht angebracht sein, weil in ihm die Unterstellung mitschwingt, die Gewalt der Polizisten sei eine der Institution Polizei und damit aller Polizisten. Das ist sie sicher nicht. Es sind bisher einzelne Beamte oder auch schon einmal einzelne Wachen, die durch Gewalt auffallen. In der großen Masse macht die Polizei ihren schweren Job ohne Tadel. Und gerade bei erfahrenen Beamten hört man selten Übertreibungen und Überspitzungen, wie sie für Herrn Wendt, dessen Erfahrungen auf anderen Gebieten liegen, zur Tagesordnung gehören.

Gleichwohl muss bei der Aufklärung von Straftaten durch Polizisten etwas geschehen, weil es nämlich diese einzelnen Straftäter in Uniform sind, die dazu beitragen, dass der Respekt vor der Polizei im Allgemeinen kontinuierlich sinkt. Daran kann niemand ein Interesse haben.

Was die Aufklärung dieser Taten angeht, stellt sich die Frage, ob die überhaupt von anderen Polizeibeamten ernsthaft geleistet werden kann oder ob es nicht dafür eine besondere Ermittlungsgruppe außerhalb der Polizei braucht? Natürlich werden Ermittlungen gegen Polizeibeamte auch jetzt schon regelmäßig von anderen Polizeidienststellen durchgeführt. Aber reicht das? Beim nächsten Mal geht’s dann halt andersherum. Sind doch alles Kollegen, mit den gleichen Problemen und Sorgen. Und die ermittelnde Staatsanwaltschaft ist eh dieselbe. Ich habe mehrfach Äußerungen von Staatsanwälten und auch Richtern gehört, die sagten, sie müssten doch „ihre“ Polizisten schützen. Nein, das müssen sie nicht, wenn diese Polizisten Straftaten begangen haben.

Vielleicht sollten sich diejenigen, die in amtlicher Position solche Taten decken, einmal klar machen, dass sie damit nicht nur den Kollegen zu Unrecht vor Bestrafung schützen, sondern auch das ohnehin wackelige Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei und damit in den Rechtsstaat zerstören.

Pro Bodycams

Vielleicht wäre es schon hilfreich, wenn die Polizisten während der Arbeit am Bürger Bodycams tragen müssten. Seit Mai tragen 400 Polizisten in NRW in Düsseldorf, Duisburg, Köln, Wuppertal und dem Kreis Siegen-Wittgenstein testweise diese Körperkameras im Einsatz. Die könnten doppelt hilfreich sein. Zum einen können sie Bürger davon abhalten die Beamten anzugreifen und umgekehrt und zum anderen können sie dabei helfen, Straftaten von Bürgern und Polizisten aufzuklären. Es gibt zwar datenschutzrechtliche Bedenken, die sich aber mehr auf die fehlende Rechtsgrundlage für derartige Datenaufzeichnungen beziehen als auf die Kameras selbst.

Natürlich liegt durch die Aufzeichnungen ein schwerer Grundrechtseingriff vor, der sich aus meiner Sicht aber durch eine vernünftige gesetzliche Ausgestaltung ausräumen ließe. Mir wäre jedenfalls lieber, bei einer Verkehrskontrolle gefilmt zu werden, als ein paar aufs Maul zu bekommen und hinterher keinen Beweis dafür zu haben, dass ich den frustrierten Beamten nicht angegriffen, sondern vielleicht nur verbal überfordert zu haben.

Es ist auch keine gute Idee der NRW-Landesregierung, die Nummernkennzeichnung der Beamten wieder abzuschaffen. Wie wollen Sie denn einen dieser wie Darth Vader vermummten Beamten der bei Demonstrationen eingesetzten Hundertschaften identifizieren, wenn die sich perfekter vermummen als jeder schwarze Block? Ohne Nummer auf der Uniform könnten die tun und lassen was sie wollen, ohne mit Repressalien rechnen zu müssen. Ein übles Signal.

Mulmiges Gefühl

Auch wenn, oder vielleicht gerade, weil ich regelmäßig mit Polizeibeamten zu tun habe, beschleicht mich immer ein mulmiges Gefühl, wenn ich im Rahmen einer Verkehrskontrolle angehalten werde. Nicht dass mir bewusst wäre, etwas falsch gemacht zu haben, einfach so. Und das dürfte nicht sein. Früher, als man Polizisten noch Schutzmänner nannte, hatte ich dieses Gefühl nie.

Nur wenn es gelingt, Übergriffe von Polizeibeamten künftig straf- und disziplinarrechtlich umfassend zu sanktionieren und auch offen zu kommunizieren, wird sich das angeschlagene Image der Polizei wieder aufpolieren lassen. Dann wird auch der gebührende Respekt wieder möglich sein. Denn Respekt bekommt man nicht durch eine Uniform, sondern nur durch en respektables Verhalten.

Das lässt mancher Polizist auch schon vermissen wenn er sich einer unangemessenen, respektlosen Sprache bedient. Gerade jüngere Erwachsene und vor allem ausländisch aussehende Menschen erleben es häufig, dass sie von den Beamten geduzt werden. Und zwar nicht in freundlicher, sondern in einer abwertenden Art und Weise. Auch solch verbal übergriffiges, großkotziges  Verhalten stört das Vertrauen darin, dass vom Gegenüber ein rechtsstaatliches, faires Verhalten erwartet werden kann.

Bessere Auswahl

Wenn jetzt von der Politik versprochen wird, die Polizei durch Mehreinstellungen zu entlasten – was teilweise nach dem Wahlkampf in NRW z.B. schon wieder relativiert wurde – muss dabei darauf geachtet werden, dass nicht die Falschen eingestellt werden. Wir brauchen in der Polizei weder Menschen mit einem hohen Aggressionspotential noch rechts- oder linksextreme Wutbürger. Bei der Auswahl der neuen Beamten muss peinlichst darauf geachtet werden, dass es sich um Personen handelt, die bereit und in der Lage sind, ihre Arbeit auf dem Boden des Grundgesetzes auszuüben.

Vielleicht muss auch in der Ausbildung noch mehr Wert darauf gelegt werden, den Kandidaten beizubringen, dass sie sich auch und gerade als Polizisten den Respekt, den sie vom Bürger erwarten, auch verdienen müssen. Und es muss ihnen klar gemacht werden, dass das Legalitätsprinzip auch dann gilt, wenn die Straftaten von Kollegen begangen werden. Solange das nicht geschieht, werden die Polizei und damit letztlich auch die Bürger ein gewaltiges Problem haben.

 

 

 

 

 

 

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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