Hamburg, das Demonstrationsrecht und die Gewalt

Hamburg ist an diesem Wochenende Schauplatz des G20-Gipfels. Regierungschefs und Präsidenten treffen aufeinander, während in der Stadt eine Demonstration die nächste ablöst. Die Stadt setzt auf die sogenannte Hamburger Linie, die da lautet Null-Toleranz. Bereits im Vorfeld wurde da jedoch über das Ziel hinausgeschossen. Und am Donnerstagabend gab es nach einer Demo die ersten gewalttätigen Auseinandersetzungen. Ein Grund sich einmal intensiver mit dem Demonstrationsrecht zu beschäftigen.


„Über allen Gipfeln ist Ruh“ meinte Goethe in seinem berühmten Nachtlied des Wanderers. Er kannte halt noch keine G8-, NATO- oder G20-Gipfel. Bei denen ist alles andere als Ruh. Da kommen neben Staats- und Regierungschefs und deren Delegationen auch zigtausende von Bürgern hin, um in zahlreichen Demonstrationen und diversen Aktionen ihren Protest auf die Straße zu bringen. Der weit überwiegende Teil dieser Versammlungen läuft in der Regel friedlich, zum Teil sogar richtig fröhlich ab. Man muss bei solchen Gipfeln allerdings auch grundsätzlich damit rechen, ja nahezu sicher davon ausgehen, dass sich politisch oder auch gar nicht politisch motivierte Gewalttäter auf den Weg machen, um dort zu randalieren. Je größer die Gesamtzahl der Demonstrationen und ihrer Teilnehmer ist, umso schwieriger wird die Einschätzung der Lage für die politische und polizeiliche Einsatzleitung. Manch einer fragt sogar, ob man diese Demonstrationen nicht einfach ganz verbieten könne und welchen Sinn dieses im Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit – für alle Deutschen – bzw. das Versammlungsrecht – für alle Nichtdeutschen – denn überhaupt habe.

Abstecher in die Geschichte

Dazu ein sehr kurzer historischer Abstecher in die deutsche Geschichte.

1832 verbot die bayerische Regierung zunächst ein Treffen „deutscher Demagogen“ auf dem Hambacher Schloss, mit der Begründung die Veranstaltung besäße aufrührerischen Charakter. Gegen dieses Verbot gab es dann allerdings so viele Proteste, dass das Verbot aufgehoben wurde. Die Veranstaltung ging als eine der Geburtsstunden der demokratischen Bürgerrechte in die Geschichte ein.

1848 beschloss die Frankfurter Nationalversammlung die „Grundrechte des Deutschen Volkes“ und bereits dort wurde ein Grundrecht der Versammlungsfreiheit ausdrücklich festgeschrieben.

Artikel 7.

§ 29. Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln; einer besonderen Erlaubniß dazu bedarf es nicht.

Volksversammlungen unter freiem Himmel können bei dringender Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit verboten werden.

Das klingt schon fast so wie der heutige

Art 8  GG

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Im Rahmen eine Diskussion bei Facebook stellte ein Teilnehmer die Frage:

Können wir Demonstrationen nicht einfach komplett in den virtuellen Raum verlagern?

Von allen Grundrechten verstehe ich die Demonstrationsfreiheit am wenigsten.
Auch und gerade, weil der Staat da ja nicht nur sich selbst eine Duldungspflicht auferlegt, sondern auch anderen Bürgern.
Warum gibt es kein ’negatives Demonstrationsrecht‘ – also ein Recht von fremder Demonstriererei verschont zu werden?

Das mag sich mancher Hamburger in den letzten Tagen auch fragen. Die Antwort gibt eine grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Versammlungsrecht, der sogenannte Brokdorfbeschluss von 1985. Das war die erste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die sich überhaupt mit dem Versammlungsrecht beschäftigt hat.

Brokdorfbeschluss

Das Gericht betont darin zunächst den Wert der Meinungsfreiheit als eines der unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselemente eines demokratischen Gemeinwesens. Die Meinungsfreiheit gelte als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, welches für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend ist; denn sie erst ermögliche die ständige geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselement dieser Staatsform. Diesen hohen Wert für die freiheitlich demokratische Staatsordnung überträgt das Gericht dann auch auf die Versammlungsfreiheit.

Wird die Versammlungsfreiheit als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe verstanden, kann für sie nichts grundsätzlich anderes gelten. Dem steht nicht entgegen, daß speziell bei Demonstrationen das argumentative Moment zurücktritt, welches die Ausübung der Meinungsfreiheit in der Regel kennzeichnet. Indem der Demonstrant seine Meinung in physischer Präsenz, in voller Öffentlichkeit und ohne Zwischenschaltung von Medien kundgibt, entfaltet auch er seine Persönlichkeit in unmittelbarer Weise. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, wobei die Teilnehmer einerseits in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art. des Auftretens und des Umganges miteinander oder die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen.

Nun könnte man selbstverständlich auf die Idee kommen, dass es zu Zeiten von sozialen Netzwerken und Onlinepetitionen nicht unbedingt erforderlich ist, seine Meinung gemeinsam mit anderen auf die Straße zu tragen und dort so laut zu verkünden, dass andere sich dadurch gestört fühlen. Natürlich werden Anwohner, Geschäftsleute und Touristen durch Demonstrationen beeinträchtigt. Sie werden schon alleine durch eine friedliche Demonstration u.U. in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt oder in ihrer Ruhe. Durch Gewaltaktionen noch viel mehr. Warum müssen die das ertragen?

Dazu knüpft das BVerfG an den Prozess der demokratischen Willensbildung an, der vom Volk zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt verlaufen müsse. Das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung äußere sich eben nicht nur in der Stimmabgabe bei Wahlen, sondern auch in der Einflussnahme auf den ständigen Prozess der politischen Meinungsbildung, die sich in einem demokratischen Staatswesen frei, offen, unreglementiert und grundsätzlich staatsfrei vollziehen müsse.

An diesem Prozeß sind die Bürger in unterschiedlichem Maße beteiligt. Große Verbände, finanzstarke Geldgeber oder Massenmedien können beträchtliche Einflüsse ausüben, während sich der Staatsbürger eher als ohnmächtig erlebt. In einer Gesellschaft, in welcher der direkte Zugang zu den Medien und die Chance, sich durch sie zu äußern, auf wenige beschränkt ist, verbleibt dem Einzelnen neben seiner organisierten Mitwirkung in Parteien und Verbänden im allgemeinen nur eine kollektive Einflußnahme durch Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit für Demonstrationen. Die ungehinderte Ausübung des Freiheitsrechts wirkt nicht nur dem Bewußtsein politischer Ohnmacht und gefährlichen Tendenzen zur Staatsverdrossenheit entgegen. Sie liegt letztlich auch deshalb im wohlverstandenen Gemeinwohlinteresse, weil sich im Kräfteparallelogramm der politischen Willensbildung im allgemeinen erst dann eine relativ richtige Resultante herausbilden kann, wenn alle Vektoren einigermaßen kräftig entwickelt sind.

Facebookdemos?

Gut, das mit dem direkten Zugang zu den Medien mag durch die sozialen Netzwerke nun etwas anders erscheinen als 1985, aber mal ganz ehrlich, wenn ich hier – in einem Online-Medium – meine politische Meinung schreibe, dann erreiche ich damit bestenfalls ein paar tausend Leser. Manchmal sind es auch deutlich weniger, dann wenn der Zuckbergersche Algorithmus zu dem Schluss gekommen ist, dass er eine Kolumne mal etwas weniger in die timelines meiner Freunde spült, um mich dann postwendend zu animieren, für eine weitere Verbreitung in die Tasche zu greifen und Werbung zu schalten. Gerade in den sozialen Medien punkten diejenigen, die die meiste Kohle zur Verfügung haben und nicht etwa die mit den besten Inhalten. Und auch die Manipulation der sozialen Netzwerke durch Bots  ist ja ein offenes Geheimnis. So bleibt letztlich dem Normalbürger nur die Straße und die dort geäußerte Meinung mit anderen zusammen.

Namentlich in Demokratien mit parlamentarischem Repräsentativsystem und geringen plebiszitären Mitwirkungsrechten hat die Versammlungsfreiheit die Bedeutung eines grundlegenden und unentbehrlichen Funktionselementes. Hier gilt – selbst bei Entscheidungen mit schwerwiegenden, nach einem Machtwechsel nicht einfach umkehrbaren Folgen für jedermann – grundsätzlich das Mehrheitsprinzip. Andererseits ist hier der Einfluß selbst der Wählermehrheit zwischen den Wahlen recht begrenzt; die Staatsgewalt wird durch besondere Organe ausgeübt und durch einen überlegenen bürokratischen Apparat verwaltet. Schon generell gewinnen die von diesen Organen auf der Grundlage des Mehrheitsprinzips getroffenen Entscheidungen an Legitimation, je effektiver Minderheitenschutz gewährleistet ist; die Akzeptanz dieser Entscheidungen wird davon beeinflußt, ob zuvor die Minderheit auf die Meinungsbildung und Willensbildung hinreichend Einfluß nehmen konnte (vgl. BVerfGE 5, 85 [198 f.]). Demonstrativer Protest kann insbesondere notwendig werden, wenn die Repräsentativorgane mögliche Mißstände und Fehlentwicklungen nicht oder nicht rechtzeitig erkennen oder aus Rücksichtnahme auf andere Interessen hinnehmen (vgl. auch BVerfGE 28, 191 [202]).

Ja, so sieht das aus. Neben der Abgabe der Stimme bei den Wahlen, bleibt dem Bürger kaum eine andere Möglichkeit seinen Unmut über die Politik oder andere Missstände deutlich zu machen, als dadurch, die ja nicht komplett abgegebene Stimme laut auf der Straße erklingen zu lassen.

Dabei gestattet die Versammlungsfreiheit es den

Unzufriedenen, Unmut und Kritik öffentlich vorzubringen und abzuarbeiten, und fungiere als notwendige Bedingung eines politischen Frühwarnsystems, das Störpotentiale anzeige, Integrationsdefizite sichtbar und damit auch Kurskorrekturen der offiziellen Politik möglich mache.

Das bedeutet nun aber gerade nicht, dass gewalttätige Unzufriedene im Rahmen einer Demonstration eine Stadt in Schutt und Asche legen, Autos anzünden und Steine oder Molotowcocktails auf Polizisten werden dürften. Gewährleistet ist die Demonstrationsfreiheit nur für friedliche und unbewaffnete Demos. Straftaten bleiben Straftaten, auch wenn sie im Rahmen einer Demonstration begangen werden. Die Polizei muss nicht tatenlos zusehen, wenn Straftaten begangen werden, sie muss aber auch nicht jede Kleinigkeit verfolgen, wenn ein Eingreifen ersichtlich zu unverhältnismäßiger Eskalation führen würde.

Ohne Genehmigung

Entgegen einem weitverbreiteten Irrglauben, müssen Demonstrationen nicht von der Polizei oder einer anderen Behörde genehmigt werden. Es reicht völlig aus, wenn man diese anmeldet. Die meisten Städte haben dafür sogar online-Formulare.

Die Polizei kann dem Veranstalter der Demonstration jedoch bestimmte Auflagen machen. Diese liegen allerdings nicht im völligen Belieben der Polizei, sondern sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erlaubt.

Auch bei solchen Eingriffen haben die staatlichen Organe die grundrechtsbeschränkenden Gesetze stets im Lichte der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen und sich bei ihren Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Mit diesen Anforderungen wären erst recht behördliche Maßnahmen unvereinbar, die über die Anwendung grundrechtsbeschränkender Gesetze hinausgehen und etwa den Zugang zu einer Demonstration durch Behinderung von Anfahrten und schleppende vorbeugende Kontrollen unzumutbar erschweren oder ihren staatsfreien unreglementierten Charakter durch exzessive Observationen und Registrierungen verändern.

Leider führen markige Worte von der Null-Toleranz bereits im Vorfeld von Großdemonstrationen häufig zu Unmut bei den Demonstranten, wenn nicht klar und deutlich von der Polizei oder der Innenbehörde kommuniziert wird, dass sich diese Null-Toleranz lediglich auf Straftaten und keineswegs auf die Demonstranten als solche bezieht. Das Aufbauen einer paramilitärisch wirkenden Kulisse aus Räumfahrzeugen, Wasserwerfern, Polizeipferden und Hundestaffeln mag von der Polizeiführung als beruhigend gedacht sein, tatsächlich ist es aber bestenfalls einschüchternd und schlechtestenfalls wird es auch von ganz normalen Teilnehmern einer Demo als Kampfansage der Staatsmacht gegen alle Demonstranten, nicht nur die gewalttätigen, empfunden.Das ist schlecht und kontraproduktiv.

Dass Provokationen nicht immer nur von Seiten der Demonstranten ausgehen können, hatte auch das Verfassungsgericht vor 32 Jahren bereits erkannt.

Dazu gehört neben der rechtzeitigen Klarstellung der Rechtslage, daß beiderseits Provokationen und Aggressionsanreize unterbleiben, daß die Veranstalter auf die Teilnehmer mit dem Ziel friedlichen Verhaltens und der Isolierung von Gewalttätern einwirken, daß sich die Staatsmacht – gegebenenfalls unter Bildung polizeifreier Räume – besonnen zurückhält und übermäßige Reaktionen vermeidet und daß insbesondere eine rechtzeitige Kontaktaufnahme erfolgt, bei der beide Seiten sich kennenlernen, Informationen austauschen und möglicherweise zu einer vertrauensvollen Kooperation finden, welche die Bewältigung auch unvorhergesehener Konfliktsituationen erleichtert.

Zu diesem Augenmaß und der Besonnenheit kann eben auch gehören, auf kleinere Rechtsverstöße nicht unmittelbar und rabiat zu reagieren. So macht die Polizei das regelmäßig bei nationalistischen Demos, bei denen Reihenweise verbotene Symbole gezeigt und der ein oder andere gestreckte rechte Arm zum deutschen Gruß gehoben wird. Man kann diese Straftäter, da ja ohnehin alles unter diversen Kameras stattfindet, auch später noch verfolgen.

Es dient auch nicht der Beruhigung der nervösen Lage, wenn die Polizei sich durch rechtswidrige Auflagen im Vorfeld einen sinnlosen Kleinkrieg mit den Anmeldern liefert und so zur Verhärtung bzw. erst zum Aufbau von Fronten beiträgt. Umgekehrt erscheint es auch seltsam, dass in Hamburg eine angemeldete Demonstration mit dem Namen „Welcome to hell“ überhaupt keine Auflagen erhielt. Nicht nur ein Schelm fragt sich da, warum.

Leidtragende solcher Law&Order-Töne sind auf der einen Seite die friedlichen Demonstranten, die sich mit den erwarteten gewalttätigen Extremisten in einen Topf geworfen sehen, und auf der anderen Seite die aus ganz Deutschland eingeflogenen meist sehr jungen Polizeibeamten aus den Hundertschaften, die für die vergiftete Lage ihre Köpfe hinhalten müssen. Es sind ja nie die Innenminister oder die Einsatzleiter, denen die Brocken um die Ohren fliegen, sondern die kleinsten in der ordnungsbehördlichen Nahrungskette.

Keine Hysterie

Gute Polizeiarbeit hantiert nicht mit hysterischen Vermutungen, sondern mit validen Erkenntnissen. Gute Polizeiarbeit versucht mit ruhiger Hand und angemessener Kommunikation überflüssige Aufgeregtheiten zu vermeiden. Gute Polizeiarbeit ist gelassene Polizeiarbeit, nicht übertriebener Aktivismus und Machtdemonstration. Die Polizei hat beim Gipfel nicht nur die Gipfelteilnehmer, sondern auch die unbeteiligte Bevölkerung und deren Eigentum, die friedlichen Demonstrationsteilnehmer und den demokratischen Rechtsstaat zu schützen. Das funktioniert aber nur, wenn auch der letzte Polizist, aber eben genauso die Einsatzleitung und die politische Führung, den demonstrierenden Bürger nicht als Feind wahrnimmt oder ihm gegenüber wenigstens nicht allzu deutlich heraushängen lässt, dass man nicht viel vom Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit hält.

Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hat es noch einmal so deutlich erklärt, welche Voraussetzungen für Einschränkungen einer Demonstration vorliegen müssen, dass auch die politische Führung es verstehen müsste:

Erforderlich ist eine unmittelbare Gefährdung dieser Rechtsgüter, mithin eine Gefahrenprognose, die gestützt auf tatsächliche Anhaltspunkte („erkennbare Umstände“) bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts begründet; bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen nicht aus (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.9.2009, 1 BvR 2147/09, juris Rn. 9; Beschl. v. 14.5.1985, a.a.O., juris Rn. 80).

Es ist traurig, dass man das der Polizei immer wieder erklären muss. Seit Brokdorf ist schon so viel Zeit vergangen und dennoch werden Auflagen und Verbote immer wieder mit recht dünnen Begründungen ausgesprochen. Oder sie unterbleiben, obwohl sie notwendig wären – Welcome to hell – ohne erkennbaren Grund.

Es mag sein, dass man die erwartete Gewalt bei solchen Mammutgipfeln nicht in den Griff bekommen kann. Wenn das so ist, dann muss das öffentlich kommuniziert und nicht so getan werden, als habe man alles im Griff. Wenn 20000 Polizisten nicht ausreichen, um eine Stadt vor Verwüstung zu schützen, dann sollte die Politik sich überlegen, ob es nicht besser wäre, solche Gipfel außerhalb von Großstädten oder auf Kreuzfahrtschiffen abzuhalten. Es mag sein, dass solche Krawalle nach den Erfahrungen von Bologna, Frankfurt usw. bereits einkalkuliert werden, was gegenüber der Bevölkerung und den eingesetzten Polizisten reichlich zynisch wäre. Es mag auch sein, dass die Polizeiführung auf ein falsches Konzept gesetzt oder sich einfach selbst überschätzt hat.

Um es klar und deutlich zu sagen. Ich hege keinerlei Sympathie für die Gewalttäter, die sich Demonstrationen als Schutz für massive Straftaten aussuchen oder außerhalb von Demonstrationen marodierend durch die Städte ziehen. Diese Menschen gehören vor Gericht gestellt und entsprechend verurteilt. Tätliche Angriffe auf Menschen und Sachen sind nicht akzeptabel, ganz gleich wie viel Gewalt und Unrecht auch von dem ein oder anderen Gipfelteilnehmer ausgehen mag. Was soll ein brennendes Auto oder ein toter Polizist am Leid oder der Ungerechtigkeit in der Welt ändern? Die Täter zeigen nicht ihr Gewissen für die Welt, sondern lediglich, dass sie gewissenlos über Leichen gehen. Ihr Narrativ für Gerechtigkeit, gegen Armut und für Menschenrechte, ist FakeNews. Polizisten sind weder Schweine noch Bullen, sie sind Menschen, die sich zum Beruf gemacht haben, das Recht zu schützen. Wenn es unter denen, wie unter anderen Menschen auch, gewalttätige Kriminelle gibt, dann sind auch die auf dem Rechtsweg zu bestrafen und aus dem Polizeidienst zu entfernen. Alle anderen verdienen unseren Respekt und unsere Achtung.

Wenn allerdings ein seit langer Zeit planbarer Gipfel ansteht, erwarte ich von den verantwortlichen Kräften, dass sie auch in der Lage sind, einen rechtlosen Zustand einer Stadt durch ein gutes Konzept und nicht nur durch markige Worte zu verhindern oder hinterher anzukommen und z.B. weitere Einschränkungen des Versammlungsrechts zu fordern.

Das gesetzliche Instrumentarium ist da und in Hamburg waren die angeforderten Polizeibeamten vor Ort. Die im Rahmen des Gipfels verübten Straftaten sind mit Ausnahme der gewaltlosen Verstöße gegen das Vermummungsverbot keine, die im Rahmen der Demonstrationen stattgefunden haben. Die Krawalle werden trotzdem zum Teil „den Demonstranten“ oder gar „den Linken“ angelastet. Tatsächlich handelt es sich dabei aber um Taten vor Kriminellen, die mit keinem anderen Ziel zu solchen Veranstaltungen reisen, um Brandstiftungen und Körperverletzungen zu begehen. Die mögen sich für Revolutionäre halten, allein sie sind es nicht. Niemand möchte in einem System leben, in dem solche Idioten das sagen haben. Angeblich hatte die Polizei schon im Vorfeld mit 8000 solcher Verbrecher gerechnet. Wenn das so ist, sei gleichwohl die Frage erlaubt, was das Einsatzkonzept zur Verhinderung der vielen dezentralen Gewaltaktionen vorgesehen hatte und warum dieses Konzept offenbar überhaupt nicht gegriffen hat. Warum können die in reinen Wohngebieten weit ab des Gipfels die Autos von Bürgern anzünden ohen dass weit und breit ein Polizist zu sehen ist? Angeblich fordert die Hamburger Polizei unter Leitung von Hartmut Dudde nun weitere Polizeikräfte aus ganz Deutschland an. Das kann man als Beweis dafür ansehen, dass Duddes Einsatzplanung mangelhaft war und die Gefährdungslage völlig falsch eingeschätzt wurde. Bereits 2013 hatte es in Hamburg schwere Krawalle gegeben, nachdem Dudde eine Demonstration nicht weiter gehen ließ, weil sie zu früh losgegangen war. Ist das der angebliche Erfolg der harten „Hamburger Linie“?

Auch das wird man zu einem späteren Zeitpunkt, vielleicht durch einen Untersuchungsausschuss, klären müssen. Jetzt gilt es erst einmal, das Wochenende ohne Tote zu überstehen.

Den Beamten vor Ort wünsche ich dafür viel Glück und kluge Einsatzbefehle. Den friedlichen Demonstranten, dass sie ihr Grundrecht ungestört wahrnehmen können und den Gewaltätern Festnahme und Verurteilung.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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