Gröhe und das Recht zu sterben

Bereits im März hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in bestimmten Ausnahmefällen die Erlaubnis zum Erwerb einer tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital zum Zwecke der Selbsttötung erteilen muss. Aber Gesundheitsminister Gröhe stellt sich quer.


Frau K. wollte sterben. Sie konnte ihr Leid nicht mehr aushalten. Nach einem Unfall im Jahr 2002 litt sie an einer hochgradigen, fast kompletten sensomotorischen Querschnittslähmung. Sie war vom Hals abwärts gelähmt, wurde künstlich beatmet und war auf ständige medizinische Betreuung und Pflege angewiesen. Häufige Krampfanfälle verursachten starke Schmerzen. Eine Aussicht auf Heilung oder auch nur Besserung dieses Zustandes gab es nicht. Frau K. konnte es nicht mehr ertragen.

Eine rechtstreue Frau

Frau K. war eine rechtstreue Frau und besorgte sich deshalb nicht auf illegalem Weg die nötigen Medikamente, um ihr Leben zu beenden, nein, sie beantragte ganz offiziell beim dafür zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital. Eine solche Erlaubnis ist nach § 3 Betäubungsmittelgesetz erforderlich, wenn man legal Betäubungsmittel erwerben will.  Diese Erlaubnis wurde ihr verweigert. Frau K. klagte gegen diese Entscheidung. Sie beendete ihr Leben durch einen Oneway-Ausflug in die Schweiz. Ihr Verfahren lebte glücklicherweise dank des Einsatzes ihres Ehemanns bis zur letzten Instanz weiter. Und Frau K. bekam postum Recht. Das nutzt ihr selbst nichts mehr, aber es könnte anderen Menschen helfen, ihrem unerträglichen Leiden ein Ende zu setzen.

Das Bundesverwaltungsgericht erklärte die Ablehnung der Erlaubnis durch das Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte und die diese bestätigenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Köln und des Oberverwaltungsgerichts NRW für rechtswidrig.

Zur Begründung führte das BVerwG aus

Das Oberverwaltungsgericht hat wie das BfArM angenommen, dass eine Erlaubnis nach § 3 BtMG, die für den Erwerb eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung beantragt werde, gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG ausnahmslos zu versagen sei. Das ist mit Bundesrecht nicht vereinbar. Die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes schließen eine Erwerbserlaubnis zum Zweck der Selbsttötung zwar grundsätzlich aus (aa). Das Verbot greift aber in das allgemeine Persönlichkeitsrecht schwer und unheilbar kranker Menschen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein, selbstbestimmt zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt ihr Leben enden soll (bb). Im Lichte dessen muss § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG grundrechtskonform dahin ausgelegt werden, dass er der Erlaubniserteilung ausnahmsweise nicht entgegensteht, wenn sich der Suizidwillige wegen seiner Erkrankung in einer extremen Notlage befindet (cc).

Das Persönlichkeitsrecht

Das BVerwG betont die überragende Rolle des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für die Auslegung des einfach-gesetzlichen Betäubungsmittelgesetzes und dessen grundsätzlicher Ablehnung jeder Genehmigungsfähigkeit zum Drogenerwerb für den Suizid.

Ausgehend davon umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln

Das ausnahmslose gesetzliche Verbot hielt das Gericht deshalb für unvereinbar mit den Grundrechten von Frau K.

Die ausnahmslose Beschränkung des Zugangs zu einem Betäubungsmittel der Anlage III auf die Anwendung zu therapeutischen Zwecken im engeren Sinne verhindert, dass ein Mittel wie Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung zur Verfügung steht. Von diesem Zugangsverbot werden auch schwer und unheilbar kranke Menschen betroffen, die wegen der von ihnen als unerträglich empfundenen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben zu beenden, und dazu ein Betäubungsmittel verwenden möchten, dessen Wirkungen ihnen eine schmerzlose und sichere Selbsttötung ermöglicht. Der fehlende Zugang zu einem solchen Betäubungsmittel kann zur Folge haben, dass sie ihren Sterbewunsch nicht oder nur unter unzumutbaren Bedingungen realisieren können. Darin liegt eine mittelbare Beeinträchtigung ihres Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.

Kein ausnahmsloses Verbot

Das ausnahmslose Verbot verstößt nach zutreffender Ansicht des Gerichts in bestimmten Fällen gegen das Selbstbestimmungsrecht.

Diese Ziele können das Verbot, Betäubungsmittel zum Zweck der Selbsttötung zu erwerben, im Lichte von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG aber nicht mehr rechtfertigen, wenn sich der Erwerber wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage befindet. Das ist der Fall, wenn – erstens – die schwere und unheilbare Erkrankung mit gravierenden körperlichen Leiden, insbesondere starken Schmerzen verbunden ist, die bei dem Betroffenen zu einem unerträglichen Leidensdruck führen und nicht ausreichend gelindert werden können (vgl. Lindner, NJW 2013, 136 <138>; Roxin, NStZ 2016, 185 <187>), – zweitens – der Betroffene entscheidungsfähig ist und sich frei und ernsthaft entschieden hat, sein Leben beenden zu wollen und ihm – drittens – eine andere zumutbare Möglichkeit zur Verwirklichung des Sterbewunsches nicht zur Verfügung steht.

Aber obwohl Bundesgesundheitsminister Gröhe, zu dessen Verantwortungsbereich die Behörde gehört, diese Begründung gelesen haben dürfte, möchte er sich dieser Entscheidung offenbar widersetzen.

Es ist selten, kommt aber gelegentlich vor, dass ein Minister sich einem rechtskräftigen Urteil widersetzt. Anders kann man Gröhes Worte allerdings wohl kaum deuten.

Ich werde alles, was mir möglich ist, tun, damit keine staatliche Behörde, erst recht keine in meinem Verantwortungsbereich, jemals zum Handlanger einer Selbsttötung wird.

Das ist schon reichlich zynisch, wenn er diese Passage des Urteils gelesen hat.

Ist der Betroffene in einer solchen Weise seiner Krankheit ausgeliefert, kommt seinem Selbstbestimmungsrecht ein besonderes Gewicht zu, hinter dem die staatliche Schutzpflicht für das Leben aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zurücktritt. Die staatliche Gemeinschaft muss die selbstbestimmt getroffene Entscheidung des Betroffenen, sein Leben beenden zu wollen, achten; sie darf ihm die Umsetzung seiner Entscheidung auch nicht unmöglich machen.

Zweifelhaftes Rechtsstaatsverständnis

Warum Gröhe meint, er könne von einem schwerkranken und leidenden Menschen verlangen, dass dieser gegen seinen Willen weiterleidet, ist mir nicht klar. Sollte es da eine christlich motivierte Begründung geben, dann wäre das aus mehreren Gründen fatal. Zum einen leben wir nicht in einem Staat, in dem die Religion eines Ministers es rechtfertigt, andere Menschen leiden zu lassen, zum anderen hat das BVerWG ausdrücklich erklärt, dass der Staat den betreffenden Personen gerade keine Pflicht zum Weiterleben auferlegen darf.

Eine Pflicht zum Weiterleben gegen den eigenen Willen berührt den Kern eigenverantwortlicher Selbstbestimmung (Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 89; Nationaler Ethikrat, Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende, 2006, S. 58). Eine solche Pflicht darf der Staat schwer und unheilbar kranken, aber zur Selbstbestimmung fähigen Menschen nicht – auch nicht mittelbar – auferlegen. Wegen der Bedeutung der in Rede stehenden Rechtsgüter für die Würde des Betroffenen und seiner Hilflosigkeit verdichtet sich unter den dargelegten Voraussetzungen auch die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG dahin, ihm den Erwerb des Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung zu erlauben.

Widersetzt sich Gröhe diesem Urteil des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts, dann stellt er sich nicht nur gegen das Grundgesetz, sondern er bestimmt auch, wie eine staatliche Behörde aus seinem Verantwortungsbereich das Leid der betroffenen Bürger künstlich verlängert und diese damit entweder zur Reise in die Schweiz , zur illegalen Beschaffung von passenden Medikamenten oder zu einer unsicheren und grausameren Methode des Suizids zwingt. Ein unerträglicher Zynismus, wenn ein solches Verhalten auch noch als christlich verkauft werden soll. Es geht auch nicht an, dass ein Minister seine Lebensschutzmaximen anderen aufs Auge drückt. Ja, das Grundgesetz schütz das Leben als Bestandteil der Menschenwürde, durch diesen Schutz darf aber wiederum die Menschenwürde selbst  nicht verletzt werden. Sollte Gröhe selbst gerne bis zum Abwinken leiden wollen, wenn er in eine solche Situation kommt, dann bleibt ihm das ja unbenommen.

Auf Gröhes Homepage sagt er:

Die Politik der CDU beruht auf Wertvorstellungen, die im christlichen Glauben wurzeln. Dies auch immer wieder im politischen Alltag erkennbar werden zu lassen, ist mir ein besonderes persönliches Anliegen. Es geht um die unveräußerliche Würde eines jeden Menschen, den Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung sowie um den Anspruch der Menschen auf Gerechtigkeit und Solidarität.

Im politischen Alltag erkennt man die praktischen Auswirkungen dieses christlichen Glauben vermutlich daran, dass man z.B. ein 14-jähriges Mädchen, das in Deutschland geboren wurde und sein ganzes Leben hier verbracht hat, aus der Schule heraus nach Nepal abschiebt. Ist das der Umgang der C-Parteien mit Menschenwürde, Gerechtigkeit und Solidarität. Passt aber irgendwie. Wenn der Herrgott schon am Kreuz gelitten hat, dann können die Bürger das gefälligst auch mal tun, oder so. Manchmal packt mich eine unheilige Wut ob eines derart bigotten Verhaltens.

Gröhes Weigerung zeigt, dass er mit dem Grundgesetz und den dort festgelegten Regeln des Rechtsstaats auf Kriegsfuß lebt. Das Prinzip der Gewaltenteilung sieht nun einmal vor, dass die Legislative die Gesetze erlässt, die Exekutive – also der Minister und die ihm nachgeordneten Behörden – sie ausführt und die Judikative die verfassungsgemäße Ausführung der Gesetze überwacht.

Ein Minister, der seine eigenen angeblich christlichen Glaubenssätze über die rechtskräftige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts stellt, hat an der Spitze der Verwaltung nichts mehr verloren. Wenn jeder Minister obergerichtliche Entscheidungen wie ein kleiner Sultan oder ein großer Trump einfach so nicht beachten würde, dann würde der Rechtsstaat ad absurdum geführt.

Ich bin sehr gespannt, was nun mit den rund 20 Anträgen, die beim Bundesamt auf eine Entscheidung warten geschieht. Sollten die auf die lange Bank geschoben werden, wären Untätigkeitsklagen angesagt. Falls Gröhe auf die Idee kommen sollte, mit einem neuen Gesetz dafür zu sorgen, dass die Genehmigung in keinem Fall erteilt wird, dann wird er damit aus den Gründen des rechtskräftigen Urteils erneut scheitern. Denn auch ein solches Gesetz müsste in einer verfassungskonformen Art und Weise angewendet werden. In der Zwischenzeit würden die Antragsteller allerdings weiter leiden. Vielleicht besucht der Herr Minister ja einfach mal den ein oder anderen und sagt ihm persönlich ins Gesicht, dass er der Meinung ist, dass es richtig ist, wenn er weiter gequält wird.

Es bleibt zu hoffen, dass er das entweder doch noch schnell einsieht oder aber, dass er wegen eines unüberwindlichen Gewissenskonflikts seinen Hut nimmt.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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