Die Ehrenrettung des „Pop“ in nur drei Liedern

Popmusik ist doof, banal und kalkuliert? Weit gefehlt! Dass es auch anders geht zeigt unser Musik-Schatzmeister Ulf Kubanke in dieser Hörmal-Kolumne. Drei bunte Songs genügen ihm als Rettungsringe, um das Genre aus dem Meer der Vorurteile zu bergen.


„Ach, das ist ja nur Popmusik!“ oder „Für Pop gar nicht mal so mies!“ sind nur zwei gängige Floskeln, die das flächendeckend unterirdische Image dieser Musikrichtung illustrieren. Das Paradoxon: Einerseits ist die Wertung in hohem Maße berechtigt und verständlich. All zu präsent tönt kalkulierter Einheitsbrei vom Reißbrett aus jeder Ecke. Leberwurstiger Notensalat bar jeder Sinnlichkeit, die die positiven Gefühle des Publikums nicht zum Erblühen bringt, sondern nivellierend auf plastiniertem Niveau konditioniert, dass man zu Recht nur als unwürdig und erbärmlich bezeichnen kann.

Individualismus und Kreativität? Fehlanzeige und Fukk you, liebe Hörer! „Denn wir wollen Dich als Herde ohne Schwarmintelligenz.“ So wird Verblödung und Berieselung so lange zum großen Amüsement erklärt, bis es viele, sogar viel zu viele glauben.

Ein großes Missverständnis, das durch stetige Wiederholung nicht richtiger wird! Denn in Wahrheit hat Spaß nichts mit Verflachung zu tun, nicht wahr?

Gleichwohl hat diese unschöne Entwicklung nicht mit dem Genre „Popmusik“ als solchem zu tun. In nahezu jeder Stilrichtung gibt es einen Haufen mieser Klänge, Songs und Bands. Egal ob Metal, Hip Hop, Gothic oder sogar Jazz: Nirgends ist alles Gold, was da glänzt. Das Blech fällt im Bereich Pop nur deshalb stärker auf, weil diese Richtung medial in allen Facetten – von schlagernd bis rockend – am Deutlichsten zutage tritt.

An dieser Stelle rücke ich pflichtschuldigst meine Schatztruhe ins Blickfeld und gehe mit Euch, liebe Leser, jede Wette ein, dass ich mit lediglich drei Stücken das Gegenteil beweisen kann. Ihr wollt anmutige, schöne und leidenschaftliche Musik? Tracks, die weder verkopft noch debil klingen? Kein Problem, Freunde, denn es gibt sie dort draußen in Rudeln. Mann muss sie nur finden.
Und keine Angst, ich komme Euch jetzt nicht mit altbekanntem Genietum a la Beatles und co, oh nein. Es handelt sich um drei recht aktuelle Kandidaten, deren Entdeckung sich lohnt. Vertraut mir.

1. The Pierces – „You’ll Be Mine“ (2011):

„One, two, three, yeah, one, two, three!“ The Pierces alias Allison & Catherine Pierce machen melodisch intensiven Pop, der vor Kreativität strotzt.
Mit einer Fantasy-Biografie voller Abenteuer, Teufeln, Piraten und fahrendem Volk und den gern sarkastischen Texten steht ihre Kunst auf den ersten Blick im Widerspruch zum model-haften Styling der Schwestern. Egal ob Evil Girlie, Gangsterbraut mit Cojones, scharfzüngiger Zuckerwürfel oder sinnliche Ironikerin: Sie spielen gern mit den Gegensätzen zwischen Schein und Sein. In nur scheinbar niedlicher Harmlosigkeit versetzt das Duo öden Klischees einen heftigen Tritt ins Gemächt mit Pfennigabsatz und Stiletto.

„One, two, three, yeah, one, two, three!“

„You’ll Be Mine“ ist ein Schmuckstück aus ihrem 2011er Album „You & I“. Die Platte wurde von Coldplays Bassisten und deren Producer unterstützt. Dabei zeigt sich ironischerweiswe, dass die Pierces wesentlich bessere Songs schreiben als letztere. Wie etliche ihrer Lieder existiert diese Nummer in zwei Versionen; zum einen als poppiger Luftballon, zum anderen als akustische Singer/Songwriter-Version. „One, two, three, yeah, one, two, three!“

2. Holy Holy – „Elevator“ (2017)

Ich habe seit jeher ein Faible für herausragende australische Musiker. Egal ob Klassiker wie Nick Cave, Ed Kuepper, Louis Tillett und Rowland S. Howard oder moderne Songwriter wie den großartigen Cameron Avery. Ein neuer Abräumer in der Runde ist die Band Holy Holy um die beiden Songwriter Timothy Carroll und Oscar Dawson.
Sie machen mitreißend leichtfüßigen Rock mit ordentlichem Schlenker gen melodischen Pop. Ihr gerade erschienenes Album „Paint“ ist ein echter Geheimtipp. Die Songs sind oft sonnig, ohne zahm oder zahnlos zu sein. Mitunter schleicht sich ein leichter Hauch Melancholie ins Gemüt, übernimmt allerdings nie komplett das Ruder. Sehr schöne Balance.
Der melodische „Elevator“ hat es mir besonders angetan. Ein luftiger 4 Minutentrack, der nicht nur allen Freunden von Icehouse oder den Psychedelic Furs gefallen wird. Den Refrain wird man tagelang nicht los.

3. Cat – „You Belong To Me“ (2017)

Hier zum Kontrast eine Ode an die Nacht für alle Freunde musikalischen Blauburgunders und Nightpops.

Die gute Cat ist zwar – wie nicht wenige Frauen – nächtlich eine Katze, aber alles andere als grau. Normalerweise kennt man sie (siehe obig) als eine Hälfte der Pierces. Dieser Track jedoch ist ihr erster Schritt gen Soloprojekt – und was für einer! Der Song entstand vollkommen dichtgeballert als kreative Nebenwirkung eines Psilopilz-Rausches von Catherine Pierce. Schon beim ersten Hörgenuss freut man sich, dass sie das Experiment wagte. Das Lied ist superb.

Die Zeilen spiegeln jene Magic-Mushroom-Eindrücke wieder, die sie zu jener Geisterstunde während des Spaziergangs durch den mondlichternen Garten erhielt. Noch intensiver als der surreale Text gerät gleichwohl die Musik. Melancholische Romantik zieht den Hörer in einen melodisch eingängigen Strudel gepflegter Dunkelheit, dessen Takt mehr an Galeere als an einen Walzer durchs heimische Gehölz erinnert.
Alles zusamen ergibt die Bittersüße einer einzelnen Nacht, in der alle Ewigkeit und Vergänglichkeit, aller Liebeszauber und totaler Verlust so nah beieinander liegen, wie es diese ungleichen Brüder auch im Leben nicht selten zu tun pflegen.

 

 

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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