Schilda an der Lahn

Nach Protesten einer Veganerin verbannt ein Bürgermeister die Melodie des Kinderliedes „Fuchs, Du hast die Gans gestohlen“ aus einem Glockenspiel. Was sich anhört wie eine Episode aus Schilda, soll sich in Limburg tatsächlich abgespielt haben. Nun berichten Medien aus ganz Europa über die Provinzposse. Konsequenterweise müsste das Stadtoberhaupt aber noch andere Musikstücke aus der Glockenspiel-Rotation nehmen.


Limburg ist eine schöne Stadt mit einem Dom, der als eines der vollendetsten Werke spätromanischer Baukunst in Deutschland gilt. Europaweit in die Schlagzeilen schafft es das Mittelzentrum im Westen Hessens aber weniger wegen seiner Bauwerke oder seiner historischen Altstadt, dafür sorgen eher Skandale und Skandälchen. Weit über Deutschland hinaus dürfte jener Kirchenfunktionär Aufsehen erregt haben, der sich für ein paar Euro zu viel einen Repräsentationsbau neben den Dom setzen ließ. Was nicht unbedingt den Geist christlicher Demut und Bescheidenheit versprühte. Aber gut, im Herbst 2013 nahm Papst Franziskus das Rücktrittsangebot von Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst an. Seitdem war es zumindest überregional wieder ruhig um die Stadt an der Lahn geworden.

Seit vergangener Woche berichten nun wieder Medien aus ganz Europa – und sogar aus Übersee – über die Domstadt. Bischof Tebartz-van Elst indes ist diesmal wirklich unschuldig daran. Die Meldung, die da im Internet viral lief, klang so absurd, dass ich sie zunächst als „Fake News“ abtun wollte. So etwas soll ja jetzt häufiger vorkommen, glaubt man einigen Politikern im Bundestag, die meinen, etwas davon zu verstehen. Angeblich soll eine Veganerin bei Bürgermeister Marius Hahn (SPD) dafür geworben haben, die Melodie des Kinderliedes „Fuchs, Du hast die Gans gestohlen“ aus dem Glockenspiel am Limburger Rathausturm zu verbannen. Dabei sei es der Dame weniger um den Geflügeldiebstahl gegangen, als um die Drohung, „Sonst wird Dich der Jäger holen, mit dem Schießgewehr“. Obwohl im Glockenspiel, wohlgemerkt, nur die Melodie erklingt und nicht der Text, gab der Schultheiß der Bitte der Veganerin nach und nahm das Lied aus der Rotation.

Veganerin stört sich an Fuchs-Lied

Dann kam mir die Idee, dass diese Story eine moderne Adaption der Schildbürgergeschichten sein könnte. Sozusagen ein post-modernes Sequel. Im Jahr 1597, als zum ersten Mal eine Sammlung dieser Schelmen-Schwänke erschien, gab es ja noch keine Veganer oder zumindest nannten sie sich damals nicht so. Und irgendwie müssen ja auch Schildbürger mit der Zeit gehen. Außerdem scheinen die ursprünglichen Schildbürgergeschichten gar nicht mehr so absurd zu sein. Beispielsweise die vom gerade fertiggestellten Rathaus, bei dem die Bauleute vergessen hatten, Fenster einzusetzen. Um die Dunkelheit in dem Gemäuer zu bekämpfen, gingen die Einwohner des fiktiven Ortes Schilda mit Eimern auf die Straße, um damit das Sonnenlicht einzufangen und es anschließend ins Rathaus zu tragen. Mal ehrlich: Hätte sich wirklich jemand gewundert, wenn diese Schote im Zusammenhang mit dem Großflughafen Berlin-Brandenburg erzählt worden wäre?

Spätestens als die seriöse Frankfurter Allgemeine Zeitung und der – öffentlich-rechtliche – Hessische Rundfunk über die Fuchs-Du-hast-die-Gans-gestohlen-Episode berichteten und ein Datumsabgleich ergab, dass es bis zum 1. April noch etwas dauert, musste ich wohl einsehen, dass sich dieses Schelmenstück nicht in Schilda, sondern tatsächlich in Limburg abgespielt – oder zumindest in einem Schilda, das Limburg heißt.

Nicht über jedes Stöckchen springen

Nun hat fast jeder Mensch seine Extravaganz. Manche glauben an Chemtrails, andere an das Fliegende Spaghetti-Monster, wieder andere vielleicht an den großen Kürbis. Es ist ihnen grundsätzlich nicht übel zu nehmen, wenn sie ihre Marotten pflegen und sich mit der einen oder anderen – vielleicht nicht ganz konventionellen – Idee an die Behörden wenden. Zumindest dann nicht, wenn dies vom Grundgesetz und anderen rechtlichen Leitlinien gedeckt ist. Es liegt aber an einem von einer Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger gewählten Politiker nicht über jedes Stöckchen zu springen – und sinnvolle Anliegen von wunderlichen Einzelmeinungen zu unterscheiden. Und wenn sich eine Dame von einer Jahrhunderte alten, beliebten Melodie gestört fühlt, in der ein Fuchs – verbal –  um sein Leben gebracht wird, dann sollte das Stadtoberhaupt der Frau nett – aber bestimmt  – eine Absage erteilen. Insbesondere wenn der Text gar nicht zu hören ist. Ansonsten läuft ein Bürgermeister Gefahr, nicht nur sich selbst, sondern mindestens noch die gesamte Kommunalpolitik verächtlich zu machen, die sich solcher Schrullen annimmt, während an andere Stelle vielleicht harte Probleme auf eine Lösung warten. Beispielsweise bei der Verkehrsführung oder dem Umweltschutz.

Nun hat ein Sprecher der Stadt Limburg gegenüber dem Hessischen Rundfunk angekündigt, anstelle von „Fuchs, Du hast die Gans gestohlen“ vorerst nur die Nationalhymnen der Partnerstädte Limburgs und Volkslieder wie „Es klappert die Mühle am rauschenden Bach“ in Glockenspiel erklingen zu lassen.  Der Bürgermeister persönlich bestätigte dieses Vorgehen in einem Interview mit der FAZ. Aber hat sich der Mann das auch wirklich gut überlegt? Zumindest nach den Maßstäben der Gegnerin der musikalischen Fuchsjagd könnten Probleme drohen.

Französische Hymne ist blutrünstig

Eine der Partnerstädte Limburgs ist das französische Sainte Foy-lès-Lyon, und die Hymne Frankreichs ist bekanntlich die Marseillaise, die ursprünglich als „Kriegslied für die Rheinarmee“ („Chant du guerre pour l`armée du Rhin“) verfasst wurde. Zumindest meinen beschränkten Kenntnissen nach dürfte dies eine der blutrünstigsten Nationalhymnen überhaupt sein. Im Refrain der Ursprungsversion heißt es: „Zu den Waffen, Bürger! Formiert eure Truppen, marschieren wir, marschieren wir! Unreines Blut tränke unsere Furchen.“ Weiter folgt: „Unter unseren Flaggen, damit der Sieg den Klängen der kräftigen Männer zu Hilfe eilt, damit Deine sterbenden Feinde Deinen Sieg und unseren Ruhm sehen“. Nicht unbedingt die zarteste Lyrik. Wäre ich nun ein überzeugter Limburger Pazifist, ich wäre längst beim Bürgermeister, um neben dem Fuchs auch tausende junger, unschuldiger Soldaten vor dem musikalischen Tod zu bewahren.

Eine andere Partnerstadt Limburgs ist das englische Lichfield. Die De-facto-Nationalhymne des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland ist seit Anfang des 19. Jahrhunderts das Lied „God Save the King“ („Gott schütze den König“). Immer dann, wenn – wie gegenwärtig – eine weibliche Monarchin über den Commonwealth herrscht, ändert sich der Text in „God Save the Queen“ („Gott schütze die Königin“). Anders als die Marseillaise kommt diese Lobpreisung auf Regent oder Regentin völlig unblutig daher und dürfte selbst für Radikalpazifisten akzeptabel sein. Allerdings taucht in jeder Strophe mindestens einmal das Wort „Gott“ auf. Eine Aussage wie „O Herr, unser Gott, steh ihr bei“ dürfte für einen echten Atheisten ein No-Go sein. Und wer Monarchien, Adel, Königinnen und Könige ohnehin für spät-feudalistische Anachronismen hält, dürfte ebenfalls ein Problem mit „God Save the Queen“ haben. Herr Bürgermeister, auch diese Hymne bitte streichen!

Musikalischer Verstoß gegen Arbeitszeitgesetz

Und was ist mit dem von Herrn Hahn autorisierten Volkslied „Es klappert die Mühle am rauschenden Bach“? Mindestens aus zwei Gründen schwierig! Die Zeile „Und schenkt uns der Himmel nur immerdar Brot“ hat wieder einen Gottesbezug, als Atheist würde ich mich daran stören. Problematischer noch ist die Aussage „Bei Tag und bei Nacht ist der Müller stets wach, klipp klapp. Er mahlet uns Korn zu dem kräftigen Brot“. Handelt es sich hier um einen angestellten Müller, so liefert der Text eindeutige Hinweise darauf, dass sein Arbeitgeber gegen das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) verstoßen hat. Im ArbZG heißt es nämlich, dass die wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden im Durchschnitt von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen nicht überschritten werden darf. Zudem sind Pausen- sowie Sonn- und Feiertagsregelungen einzuhalten. Und wäre der Müller selbstständig, dann würde das Lied mindestens falsche Anreize aussenden und für einen fragwürdigen Lebensentwurf werben. Ein selbstständiger Mülller, somit wohl ein Kleinkapitalist, würde um des Profits willen seine Gesundheit und sein soziales Umfeld vernachlässigen. Wo bleibt da die Work-Life-Balance? Als engagierter Gewerkschafter oder Anwalt für Arbeitsrecht würde ich dringend um einen Termin beim Bürgermeister ersuchen, um auch dieses Lied zum Verstummen zu bringen.

Damit Herr Hahn solchen Stressgesprächen künftig nicht mehr ausgesetzt sein muss, hier einige Tipps, welche Lieder künftig unbedingt vermieden werden müssen. An erster Stelle stünde da „Wer will fleißige Handwerker sehen, der muss zu uns Kindern gehen“. Was für eine unverantwortliche Idealisierung von Kinderarbeit! Auch schlecht: „Kein schöner Land zu dieser Zeit“. Darin heißt es „Gott mag es schenken, Gott mag es lenken, er hat die Gnad.“ Wiedermal ein Ausschlusskriterium für Atheisten. Völlig daneben „Es gibt kein Bier auf Hawai“, Verharmlosung des Alkohols. Und durch Reinhard Meys „Über den Wolken“ könnten sich Chemtrail-Gegner provoziert fühlen.

Kirche im Dorf lassen

Die einzige Garantie, wirklich keine Minderheit durch eine Liedauswahl zu verletzen, wäre im öffentlichen Raum völlig auf den Klang von Musik zu verzichten. Besser jedoch wäre, die Kirche im Dorf und den Fuchs im Glockenspiel zu lassen.

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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