Der gestohlene Rassismus
Den Verfechtern des Begriffs „Islamophobie“ geht es nicht um die Beseitigung von Rassismus in der Gesellschaft, sondern um islamische Identitätspolitik. Der Bekämpfung von Rassismus erweisen sie damit einen Bärendienst.
Rassismus ist kein neues Phänomen, bereits bei Aristoteles lässt sich eine mit den klimatischen Bedingungen der Herkunftsländer begründete Rassenlehre nachweisen. Optimal waren diese Bedingungen natürlich nur – wen sollte es verwundern – in Griechenland, weshalb dort auch, nach Aristoteles, die besten Menschen zu finden seien, während überall sonst kulturell und charakterlich unterlegene Menschen leben würden, von denen manche gar zum Sklavendasein geboren seien.[i] In den folgenden knapp 2400 Jahren lässt sich Rassismus in allen Gesellschaften nachweisen und immer geht es darum, Menschen anhand körperlicher Merkmale umfassend, also auch charakterlich zu bewerten und in ein gutes „Wir“ und ein schlechtes „Die Anderen“ einzuteilen.
Keine Identitätspolitik
Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte wurde das Phänomen des Rassismus, die systematische Abwertung der jeweils Anderen so intensiv und umfassend analysiert und kritisiert wie in den heutigen westlichen Gesellschaften. Rassismus ist Thema sowohl im wissenschaftlichen als auch im öffentlichen Diskurs, denn Rassismus attackiert die Grundwerte einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft: Menschenrechte, Rechtsstaat und Demokratie können nur gedeihen, wenn alle Menschen, jede und jeder Einzelne, zuerst als Mensch mit je gleichen Rechten und Freiheiten und nicht als Mitglieder einer bestimmten Gruppe, eines Kollektivs, gesehen werden. Moderne Gesellschaften basieren nicht auf Kollektiven, sondern auf Individuen, auf gleichberechtigten Bürgerinnen und Bürgern. Jede Art von Identitätspolitik, ob negativ oder positiv, die sich an identitäre Gruppen richtet, steht im Widerspruch zu den freiheitlichen Grundwerten westlicher Demokratien.
Rassismus ist aus den genannten Gründen ein Phänomen, dem sich gerade moderne, pluralistische Gesellschaften stellen müssen, ein Thema, das fester Bestandteil des öffentlichen Diskurses sein muss – aber nicht in Form einer Identitätspolitik, wie sie seit vielen Jahren von islamischen Lobbyorganisationen betrieben wird. Mit Begriffen wie „Islamophobie“ oder wahlweise „antimuslimischer Rassismus“ versuchen diese Organisationen seit rund 30 Jahren ein Thema zu konstruieren und im öffentlichen wie wissenschaftlichen Diskurs zu etablieren: Eine vorgeblich spezifische Form des Rassismus, die alle anderen Rassismen überragt.
Islamophobie – Geld spielt keine Rolle
Hinter dem Begriff „Islamophobie“ stehen zahlungskräftige Organisationen wie die Organisation für islamische Zusammenarbeit (OIC) oder der türkische AKP-nahe Thinktank SETA, der unter anderem den vom österreichischen Politikwissenschaftler Farid Hafez herausgegebenen, wissenschaftlich mehr als fragwürdigen European Islamophobia Report (EIR) finanziert hat. Geld spielt keine Rolle. Kein Bereich der Vorurteilsforschung wird so massiv beworben und ist finanziell so gut ausgestattet wie die „Islamophobie-Forschung“. Und diese massive Lobbyarbeit zeitigt durchaus Erfolge. Der EIR wurde nicht zuletzt im Europäischen Parlament präsentiert, Medien und Politik greifen das Thema immer wieder unkritisch auf. Dass der Inhalt solcher „Studien“ tatsächlich gelesen wird, darf bezweifelt werden, andernfalls müsste die Dürftigkeit von Inhalt und Analyse noch anderen Journalistinnen und Journalisten auffallen und nicht nur Gernot Bauer vom Profil.
Welche Journalistin oder Politikerin, welcher Journalist oder Politiker nimmt sich heute noch die Zeit, hunderte Seiten einer Studie durchzugehen, wenn die „Ergebnisse“ gut verdaulich, handlich und druckfertig auf einer Pressekonferenz verteilt werden? Ein ganzes Netzwerk an Organisationen und Aktivist/inn/en, vornehmlich aus Kreisen der Muslimbruderschaft, arbeitet intensiv daran, das Thema permanent in den Medien zu halten und in sozialen Netzwerken immer wieder „Fallbeispiele“ für grassierende „Islamophobie“ zu verbreiten.
Das Schlimmste ist der Angriff auf den Islam
Es geht hier nicht darum zu behaupten, dass es keine Feindschaft gegenüber erkennbaren Muslim/inn/en gäbe (es gibt sie), aber der Versuch, dieser Feindschaft eine Sonderstellung einzuräumen, sie als einzigartig hervorzuheben, hat gravierende Folgen für die Auseinandersetzung mit und Bekämpfung von Rassismus, denn das Thema wird immer stärker auf eine bestimmte Gruppe eingeschränkt. Es ist, wie Stéphane Charbonnier, genannt Charb, der ermordete Herausgeber von Charlie Hebdo in seinem posthum erschienen Buch[ii] schreibt:
Wird eine verschleierte Frau beleidigt oder angegriffen, weil sie nach muslimischer Mode einen Schleier trägt […], so unterstützt der Gegner der Islamophobie das Opfer, insofern die Frau eine Repräsentantin des Islam ist und nicht, weil sie eine Bürgerin ist, die von einem Faschisten wegen ihrer Überzeugungen attackiert wird. Das Schlimme für ihren Verteidiger ist nicht, dass der Angriff einer Bürgerin gilt, die das Recht hat, sich zu kleiden, wie sie will, sondern dass er eine Frau muslimischen Glaubens zum Ziel hat. Das eigentliche Opfer ist daher der Islam. (S. 15)
Wenn es heute irgendwo um Rassismus geht, dann geht es in der Regel um Islam und Muslime. Alle anderen aufgrund ihrer Herkunft diskriminierten Menschen werden im Verhältnis dazu kaum noch erwähnt, weil sie schlicht nicht über dieselben nationalen und internationalen Lobbyorganisationen verfügen. Die sogenannte Islamophobie wird zum alles beherrschenden Thema in diesem Bereich und alle, die sich nicht darauf berufen können, sollen halt schauen, wo sie bleiben – oder, um noch einmal Charb zu zitieren:
Die Anhänger des Kommunitarismus versuchen bei den Behörden der Justiz und Polizei den Begriff der „Islamophobie“ durchzusetzen. Sie verfolgen dabei kein anderes Ziel, als die Opfer rassistischer Übergriffe dazu zu bringen, sich als Muslime zu bekennen. (S. 16)
Politischer Islam und extreme Rechte Hand in Hand
Maßgeblich dafür verantwortlich zeichnen zwei Gruppen, die sich gegenseitig in ihren jeweiligen Diskursen befeuern: Die Rechte von Neonazis bis FPÖ oder AfD hat das Thema „Islam“ für sich gekapert, um den vorhandenen Rassismus zu kanalisieren und werbewirksam auf eine Gruppe zu lenken, vorhandene Probleme mit einem politisierten Islam rassistisch aufgeladen auf alle Muslime zu projizieren und sich selbst im Gegenzug als „Retter des Abendlands“ zu vermarkten.
Und Gruppen eben dieses politischen Islam haben erkannt, dass sie sich – und im Weiteren alle Muslime – mit diesem Thema in die Opferrolle spielen können und dass es sich in dieser Rolle sehr kommod leben lässt. Mit einer mit linkem Vokabular durchsetzten Sprache finden sie dabei bei großen Teilen der Linken nicht nur Gehör, sondern auch Verbündete. Letztlich geht es aber nicht um einen Kampf gegen Rassismus, sondern darum, den Islam – auch in seiner islamistischen Variante – gegen Kritik zu immunisieren und Segregationsbestrebungen unter Muslimen zu fördern. Diese kommen dann letztlich wieder den islamischen Lobbyverbänden zugute, die schließlich davon leben, eine vermeintlich von der Gesellschaft geschiedene Gruppe zu betreuen. Freie Bürgerinnen und Bürger gefährden ihr Geschäftsmodell. Das Konstrukt der „Islamophobie“ dient einzig dazu, den Islam an sich gegen Kritik zu immunisieren.
Reden wir von Rassismus
Mit ihrer Lobbyarbeit haben sie das Thema Rassismus gekapert, mit dem Effekt, dass alle anderen Menschen mit ihren Diskriminierungserfahrungen alleine gelassen werden. Indem Rassismus durch massive Propaganda vor allem als „Islamophobie“ und „antimuslimischer Rassismus“ ins öffentliche Bewusstsein gehämmert wird, geraten alle von Rassismus betroffenen Nicht-Muslime – auch solche, die einem Rassismus durch Muslime ausgesetzt sind – aus dem Blick: Roma und Sinti, Bulgaren, Rumänen, Polen, Schwarze, Kurden, Aleviten, Armenier, nicht-muslimische Araber (oder glaubt irgendwer, die hätten weniger unter Rassismus zu leiden als die muslimischen?).
Die Anti-Islamophobie-Lobby kämpft nicht gegen Rassismus, sondern betreibt Identitätspolitik auf dem Rücken der Opfer von Rassismus und fördert letztlich das, was sie zu bekämpfen vorgibt. Denn jede Identitätspolitik basiert darauf, identitäre Gruppen (hier die Gruppe der Muslime) zu konstruieren, Gruppen von Menschen mit vermeintlich gleichen Eigenschaften, Vorstellungen und Bedürfnissen – und darauf aufbauend für die vermeintlichen Mitglieder dieser Gruppen bestimmte Rechte einzufordern (oder abzulehnen) und zwar aus dem einzigen Grund, dass sie vorgeblich Mitglieder dieser Gruppen seien. Das reproduziert immer aufs Neue die Spaltung der Gesellschaft entlang ethnischer und/oder religiöser Kriterien.
Wer Rassismus meint, sollte daher auch von Rassismus reden.
[i] Aristoteles Pol. 1285a, 15-25
[ii] Charb, Brief an die Heuchler. Und wie sie den Rassisten in die Hände spielen, Stuttgart 2015