Dumm oder konservativ?

Es gibt ein Recht darauf, zu wünschen, dass die Welt so bleibt, wie sie ist – jedenfalls in vielem Alltäglichen. Wer das will, ist nicht dumm. Wer das ändern will, braucht Geduld und Argumente.


Ist die Masse dumm und manipulierbar? Ist ein großer Teil der Bevölkerung für populistische Thesen empfänglich und entscheidet sich deshalb zunehmend bei Wahlen für radikale oder extreme Parteien, die mit demagogischen Parolen auf Stimmenfang gehen? Sind es am Ende gar die ausgefeilten Big-Data-Algorithmen, die den Bürgern manipulativ den Kopf verdrehen? Wer so denkt, wird die Ursachen für die Wahlerfolge von Donald Trump, von AfD und FPÖ nicht verstehen. Wer so argumentiert, hilft am Ende den Populisten.

Die Erfolge von Parteien wie der AfD und Kandidaten wie Trump basieren nicht auf Manipulation. Sie zeigen, dass ein großer Teil der Bürger sich im bisherigen Spektrum der politischen Parteien nicht wiederfindet. Und wer gegen die Parolen der Populisten Stimmung macht, ohne zuerst einmal zu akzeptieren, dass deren Wahlerfolge auf freien Wahlentscheidungen mündiger Bürger beruhen, darf sich nicht wundern, dass jeder Satz, den er ausspricht, die Stimmung zugunsten eben dieser Populisten verschiebt.

Das Recht auf Stillstand

Es gibt ein Recht darauf, zu wollen, dass die Gesellschaft so bleibt, wie sie ist. Es gibt ein Recht darauf, sich eine Landschaft ohne Windräder zu wünschen. Es gibt ein Recht darauf, sich zu wünschen, dass Kinder in „klassischen Familien“ aufwachsen, es gibt ein Recht darauf, zu wünschen, dass die Ehe einer Beziehung zwischen Frau und Mann vorbehalten bleibt, es gibt auch ein Recht darauf, ein Auto besitzen zu wollen, das von einem starken Benzinmotor angetrieben wird.

Es gibt selbstverständlich ebenso das Recht, all dies falsch zu finden, es gibt auch das Recht darauf, auf Konsequenzen dieser Wünsche hinzuweisen, es gibt eben auch das Recht darauf, sich eine andere Gesellschaft zu wünschen.

Aber zunächst mal sind die nicht dümmer, die sich wünschen, dass alles so bleibt, wie es war. Es gibt sogar gute Gründe dafür, nicht alles, was schon lange so ist, nicht einfach deshalb falsch zu finden, weil es nicht fortschrittlich ist. Fortschritt und Veränderung sind kein Selbstzweck, es kann sich auch als dumm herausstellen, Althergebrachtes nur deshalb einzureißen, weil man daran gewöhnt ist.

Jeder hat das Recht, für eine Gesellschaft zu sein, die seinen eigenen Wünschen entspricht, die Konservativen genauso wie die Progressiven. Und wenn die einen meinen, dass die Wünsche der anderen nicht erfüllbar sind, dann müssen sie Argumente bringen, und die anderen nicht als blöd hinstellen.

Was wir jedoch in den letzten Jahrzehnten erleben ist, dass die Politik in allem den „Progressiven“ hinterherläuft. Nicht nur beim Klima- und Umweltschutz, auch bei der Frage, wie Familien aussehen sollen, wie das Zusammenleben von Menschen zu fördern ist, ob man noch irgendwo rauchen darf, ob man Fleisch essen darf, ob man ohne Helm Fahrrad fahren darf.

Herrschaft der Progressivisten

Keine politische Partei, die heute im Bundestag sitzt, hat noch Verständnis für die, die nicht fortschrittlich sein wollen. Was aber, wenn das die Mehrheit ist? Dann müsste die Politik doch auch diesen Menschen eine Stimme geben?

Man macht sich gern lustig über diese Leute. Wenn die ohnmächtig sagen: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen…“ dann lachen die Progressivisten gern sehr fortschrittlich und sagen: „Na, sagt es doch. Verbietet euch doch keiner.“ Aber ein bloßes Sagen ist eben stimmlos, wenn es in der Politik gar nicht und in den Medien kaum zur Sprache kommt. Wenn der Journalist den, der spricht, nur mitleidig anlächelt und sich im anschließenden Kommentar darüber wundert, wie einfältig dieses Volk doch ist.

Klar kann man fast alles sagen in diesem Land. Aber deshalb hat man in Politik und Medien noch längst keine Stimme, die gehört wird. Und wenn nun Leute kommen, die versprechen, diesen Menschen eine Stimme zu geben, dann werden die gewählt. Das ist keine Manipulation, das ist eine nachvollziehbare freie Entscheidung.

Die Volksparteien hätten zunächst mal die Aufgabe, denen, die keine Veränderung wollen, eine Stimme zu geben. Sie haben auch die Aufgabe, mit ihnen den Konsens über das, was dennoch verändert werden muss, auszuhandeln. Wenn das gelänge, dann würde es keine Populisten geben. Aber ein Wandel dahin wird schwierig. Denn die Fortschrittler werden das als Rechtsruck diffamieren.

Im Moment haben wir die Herrschaft einer Minderheit der Fortschrittlichen, die meinen, zu wissen, wie sich die Gesellschaft wandeln muss. Ihnen ist die Demokratie im Herzen suspekt, weil sie all die, die keinen Wandel wollen, für dumm halten. Die Demokratie selbst schickt sich jedoch an, hier korrigierend einzugreifen. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Das Erstarken des Populismus, oder die Re-Integration der Konservativen in die Volksparteien. Wie schmerzhaft der Weg wird, hängt davon ab, welche Möglichkeit wir zulassen.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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