Kinder in den Knast?
Ein 12-jähriger Schüler wurde von Mitschülern auf die Intensivstation geprügelt und kämpfte dort um sein Leben. Sollen schon 12-jährige Täter vor das Strafgericht?
Wenn ich aus dem Fenster unserer Kanzlei schaue, sehe ich unmittelbar auf die Gesamtschule Euskirchen. Keine 100 Meter Luftlinie von meinem Schreibtisch aus, wurde der 12-jährige Eric vermutlich von zwei Mitschülern derart verprügelt, dass er in Lebensgefahr geriet und mehrere Tage auf der Intensivstation der Klinik in Köln-Merheim behandelt werden musste. Die Intensivstation konnte er mittlerweile wieder verlassen, die Behandlung dauert aber an. Die mutmaßlichen Täter sind beide unter 14 Jahren und damit nicht strafmündig. Ein Strafverfahren vor dem Jugendgericht gegen sie ist damit ausgeschlossen.
Danke Merkel
Es gab erwartungsgemäß sofort Stimmen, die dieses traurige Ereignis mal wieder als Zutat für ihr eigenes blaubraunes Süppchen verwenden wollten. Bereits kurz nach der Tat wurde im Netz geraunt, es handele sich bei den Tätern um Intensivtäter mit Migrationshintergrund. Die Behörden und die Lügenpresse verschweige das mal wieder und natürlich durfte auch ein „Danke Merkel“ nicht fehlen. Alles Käse. Die Täter sind weder Intensivtäter noch haben sie einen Migrationshintergrund. Sie waren dem Jugendamt Euskirchen vor dem Ereignis nicht bekannt. Dass nicht weiter über ihre persönlichen Verhältnisse berichtet wird, ist gut so, denn es handelt sich um Kinder.
Im sogenannten Pressekodex heißt es dazu:
Richtlinie 8.3 – Kinder und Jugendliche
Insbesondere in der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle dürfen Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Regel nicht identifizierbar sein.
Das hat nichts mit Lügenpresse und Verschweigen von unangenehmen Sachverhalten oder gar Zensur zu tun, es ist das Ergebnis des besonderen Schutzes, den Kinder und Jugendliche nach der Verfassung genießen. Wäre ja noch schöner, wenn jetzt schon unsere Kinder dem geifernden Mob zum Fraße vorgeworfen würden.
Dass Kinder Straftatbestände erfüllen, ist nichts Außergewöhnliches. Kloppereien auf dem Schulhof gab es zu allen Zeiten an allen Orten und mit welchem Ergebnis die enden, ist – wie bei allen Körperverletzungen – häufig vom Zufall abhängig. Manchmal reicht ein einziger Schlag und ein unglücklicher Sturz auf den Boden, um einen Menschen umzubringen oder ins Wachkoma zu befördern. Die meisten Straftaten von Kindern sind aber kleine Diebstähle, Vermögensdelikte und Schwarzfahren, aber eben auch Körperverletzungen unterschiedlichen Ausmaßes bis hin zum Tod. Kinder begehen ca. 4 -5 % der gesamten Straftaten.
Für die Landesvorsitzenden der AfD ist das ebenso wie für Rainer Wendts Deutsche Polizeigewerkschaft ein Anlass, die Absenkung des Strafmündigkeitsalters auf 12 Jahre zu fordern. Im AfD-Programm heißt es:
Auf volljährige Täter ist das Erwachsenenstrafrecht anzuwenden, das Strafmündigkeitsalter auf zwölf Jahre zu senken. Wir sind dafür, das Anordnen der Untersuchungshaft schon dann möglich zu machen, wenn der dringende Tatverdacht eines Verbrechens im Sinne des § 12 Abs. 1 StGB besteht.
Das wäre dann wieder so wie zur Zeit des Nationalsozialismus, wo das Strafmündigkeitsalter von 14 auf 12 abgesenkt wurde. Aber das ist bestimmt nur eine unglückliche und völlig zufällige Übereinstimmung.
Mit 12 schon reif?
Von manchen wird die Forderung nach einer Absenkung des Strafmündigkeitsalters auch damit begründet, dass heute die Pubertät früher einsetzt als noch vor 70 Jahren. Das ist zwar so, aber ob die Geschlechtsreife mit der strafrechtlichen Reife unmittelbar korrespondiert wage ich doch stark zu bezweifeln. Nicht jeder, der Geschlechtsverkehr haben kann, kann deshalb auch denken oder Verantwortung übernehmen. Der Volksmund meint ja sogar, dass derjenige, der das eine besonders gut kann, beim anderen schwächelt.
Seltsamerweise ist es teilweise das gleiche politische Milieu, dass auf der einen Seite meint, 12-jährige müssten als strafmündig behandelt und damit auch womöglich ins Gefängnis gesteckt werden, auf der anderen Seite aber vehement behauptet, die 12-Jährigen seien doch noch viel zu zarte Seelen, um im Aufklärungsunterricht davon zu hören, dass es neben der Heterosexualität auch noch andere sexuelle Veranlagungen gibt; die fürchten, durch Sexualkundeunterricht könne es zu einer sexuellen Desorientierung – was auch immer das sein mag – kommen. Es kommt jedoch bisher auch niemand auf die Idee, das Schutzalter für sexuelle Handlungen auf 12 Jahre abzusenken. Wie dem auch sei, das ist nicht das Thema dieser Kolumne.
Die Befürworter des Strafrechts für 12-jährige argumentieren meistens damit, es sei „unerträglich“, dass 12 oder 13 Jahre alte Täter ohne jede Sanktion blieben. Das ist aber falsch. Es gibt sehr wohl Sanktionen. Und das nicht zu knapp.
Bei ernsthafteren oder wiederholten Straftaten wird das Jugendamt von der Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Das nimmt dann Kontakt zu den Eltern oder Erziehungsberechtigten auf. Und dann wird erst einmal gründlich geschaut, was die Ursachen des Fehlverhaltens waren und welche Maßnahmen erforderlich sind, um zukünftige Straftaten möglichst zu verhindern. Dazu können auch kinderpsychologische Gutachten erforderlich sein. Wird dabei festgestellt, dass die Entwicklung des Kindes so ungünstig ist, dass das Kindeswohl gefährdet ist – und das ist es immer, wenn die Gefahr droht, dass das Kind dauerhaft auf die schiefe Bahn gerät – dann wird gegengesteuert. Das Jugendamt bietet den Eltern entsprechende Hilfen und Unterstützung an.
Kinder- und Jugendhilfe
Die Möglichkeiten des Jugendamtes sind im Kinder- und Jugendhilfe Gesetz, dem 8. Buch des Sozialgesetzbuches, (KJHG) geregelt.
Die Paragraphen 27 bis 35 KJHG führen die unterschiedlichsten Instrumente auf. Das geht von der häufig bereits ausreichenden reinen Erziehungsberatung der Eltern über soziale Gruppenarbeit hin zu Erziehungsbeistandschaft oder sozialpädagogischer Familienhilfe. Da kommt dann jemand regelmäßig in die Familie und arbeitet mit Kind und Eltern.
Wenn diese ambulanten Maßnahmen innerhalb der Familie nicht ausreichen, besteht die Möglichkeit der Erziehung in einer Tagesgruppe, der Vollzeitpflege in einer Pflegefamilie oder auch einer Heimunterbringung. Es gibt auch für besonders schwere Fälle geschlossene Heime. Darüber hinaus gibt es noch die intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung.
Diese Hilfsangebote kommen zunächst einmal auf der Schiene der Freiwilligkeit daher. Das ist allerdings nur eine freundliche Täuschung. Wenn die Eltern diese Hilfen nämlich nicht „freiwillig“ anzunehmen bereit sind, dann ruft das Jugendamt – nach dem Motto des Erlkönigs „Und bist Du nicht willig , so brauch‘ ich Gewalt“ – das Familiengericht an.
Das kann und muss dann die notwendigen Maßnahmen ergreifen und auch durchsetzen.
Die rechtliche Basis dieser Maßnahmen ist dann aber eben nicht das Strafrecht, sondern das Zivilrecht. In § 1666 BGB heißt es:
§ 1666 Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls
(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.
(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.
(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere
- 1. Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen,
- 2. Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,
- 3. Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,
- 4.Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,
- 5. die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,
- 6.die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.
(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.
Wie Sie sehen, sind die Möglichkeiten des Familiengerichts schon ganz schön heftig und reichen letztlich bis zum völligen Entzug der elterlichen Sorge. Das Kind kann aus der Familie herausgenommen und fremderzogen werden. Das geht deutlich weiter, als alles, was ein Jugendrichter so an Strafe verhängen könnte. Dass auch das keine Gewähr dafür ist, dass das Kind auf einen guten Weg gerät, braucht man dabei nicht zu verschweigen, dass das aber anders wäre, wenn der Jugendrichter mit seinen JGG-Mitteln auf eine Straftat reagiert, kann man auch nicht behaupten.
Keine Welt ohne Kriminalität
Wir werden so oder so keine Welt und auch kein Deutschland ohne Kriminalität schaffen können. Das gab es noch nie und das wird es auch nicht geben.Das hat nicht einmal in einer völkisch geprägten Diktatur funktioniert, das brauchen wir also gar nicht noch einmal zu versuchen. Und mit populistischem Gezeter und übertriebener Härte hat noch niemand etwas Gutes erreicht.
Schon Walther von der Vogelweide wusste
Niemand kann erreichen
Kindeszucht mit Streichen.
Ein Kind, das eine Straftat begangen hat, bleibt doch ein Kind und muss als solches behandelt werden und nicht mit den Mitteln des Strafrechts, die bei Erwachsenen schon nicht wirklich erfolgreich wirken. Es kann nicht darum gehen, hart zu strafen, sondern mit Vernunft und Liebe zu erziehen. Wenn die Eltern das auch mit den angebotenen Hilfen nicht hinbekommen, warum sollen dann die Kinder dafür bestraft werden?
Ganz ohne Sanktion bleiben übrigens auch die über 7-jährigen Kinder ansonsten nicht. Sie können vom Opfer zivilrechtlich auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, wenn sie die zur „Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht“ hatten. Von einem 12 oder 13 Jahre alten Kind kann man in aller Regel erwarten, dass das der Fall ist. Je nachdem, ob und falls ja, welche Folgeschäden das Opfer erleidet, kann das finanziell eine ganz schöne Hypothek für das spätere Leben werden.
Im Fall Erics käme zumindest theoretisch auch noch eine Haftung der Schule wegen einer möglichen Verletzung der Aufsichtspflicht in Betracht. Dass jemand in der Pause auf dem Schulhof krankenhausreif geschlagen wird, ohne dass dieser einer Hofaufsicht auffällt, dürfte eher selten vorkommen. Bisher gibt es zwar keine Hinweise auf eine solche Ausichtspflichtverletzung, aber Elternvertreter fordern zu Recht eine gründliche Untersuchung.
Für eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters auf 12 Jahre sehe ich keinen vernünftigen Grund. Das wäre nur das alte Spiel, etwas am Gesetz zu schrauben, weil man keine Lust hat, etwas an den Ursachen zu ändern. Unsere Kinder haben etwas Besseres verdient.
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