Sheriff Wendt sieht „Deutschland in Gefahr“
Rainer Wendt ist Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DpolG), der zweitgrößten Polizeigewerkschaft mit rund 94000 Mitgliedern. Das sind schon eine Menge Polizisten. Rainer Wendt kennt fast jeder, denn er ist ständig und auf allen TV-Kanälen präsent, wenn es um Polizei und innere Sicherheit geht. Vermutlich dauert es nicht mehr lange, bis er Wolfgang Bosbach als Dauer-Talkshow-Gast ablöst. Mit 42 TV-Auftritten binnen 24 Stunden dürfte er einen nationalen Rekord halten. Und Rainer Wendt hat ein Buch geschrieben, das er jetzt bewirbt.
Dunkle Wolken über Deutschland. Rainer Wendt sieht „Deutschland in Gefahr“.
In Wendts Buch stehen neben ganz richtigen und auch bereits von mir immer wieder geforderten Sachen, wie einer besseren personellen und materiellen Ausstattung der Polizei, auch ziemlich schräge Sachen drin, die er gerne überall wiederholt.
In einem Interview mit der Wirtschaftswoche meint Wendt zu dem Umstand, dass in Schwimmbädern Täter, die Mädchen begrapscht hätten, verprügelt worden seien:
Solche Meldungen deuten darauf hin, dass die Menschen nicht mehr darauf vertrauen, dass der Staat sie beschützt, sondern das selbst in die Hand nehmen. Man kann ihnen das kaum übelnehmen, denn wir als Polizei müssen uns ja meist darauf beschränken, die Personalien der Täter festzustellen.
Ach was, kann man ihnen kaum übel nehmen? A bisserl Lynchen geht immer? Oder ob Herr Wendt damit meint, es sei irgendwie bedauerlich, dass die Polizei nur die Personalien aufnehmen und die Täter nicht gleich mit verprügeln dürfe? Zumindest klingt das „meist darauf beschränken“ so.
Herr Wendt scheint der übliche rechtsstaatliche Umgang mit Verdächtigen nicht so recht zu gefallen.
Einmal davon abgesehen, dass das nicht wirklich die Staatsanwaltschaft, sondern der Haftrichter entscheidet, was will Herr Wendt denn? Festnehmen ohne Grund?
Wendt hadert mit der deutschen Justiz.
Wenn es ein Vorwurf sein soll, dass Richter an alle Angeklagten die gleichen Maßstäbe anlegen, dann frage ich mich, welches Rechtsverständnis dieser Polizist hat. Möchte er, dass Nordafrikaner härter bestraft werden als Deutsche? Fordert er vielleicht einen kleinen „Negermalus“? Man könnte auf die Idee kommen.
Ich bin lange genug Strafverteidiger, um sagen zu können, dass dieser Satz einfach falsch ist. Es gibt deutsche und nordafrikanische, russische, türkische und Intensivtäter jeder anderen Nationalität. Dass irgendeiner dieser Intensivtäter nach den gleichen Maßstäben bestraft würde wie irgendein fehlgeleiteter Jugendlicher gleich welcher Herkunft, stimmt einfach nicht. Entweder fehlen Herrn Wendt da Kenntnisse des Jugendstrafrechts oder er möchte mit einer bewusst falschen Behauptung im rechten Milieu um Leser buhlen. Die finstere Mär von der deutschen Kuscheljustiz haben ja auch andere schon erfolgreich vermarktet. Vergleichen Sie mal spaßeshalber das Cover von Buschkowskys Buch „Die andere Gesellschaft“ mit dem Cover von „Deutschland in Gefahr“. Es mag zwar einzelne Jugendrichter geben, die etwas zu optimistisch sind, die meisten haben aber genau das richtige Maß.
Als das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz in Koblenz 2012 ein Urteil des Verwaltungsgerichts, dass die Praxis des „Racial/Ethnic Profiling”, also die anlasslose Kontrolle von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe für zulässig erklärt hatte, für wirkungslos erklärte – übrigens ohne eine Entscheidung in der Sache zu treffen – kommentierte Wendt dies mit den Worten
Was soll man dazu noch sagen? Ist das nun Rassismus oder Verachtung des Gleichheitsgebots des Grundgesetzes? Sollen die Gerichte sich nicht mehr an Recht und Gesetz ausrichten, sondern an der „Praxis“? Wie sollte das gehen? Was auch immer Wendt gemeint haben mag, es ist nichts, was ich gerne im Kopf eines Polizeibeamten, der der Verfassung verpflichtet ist, erkennen möchte.
Aktuell meint Wendt z.B.
Woher soll ein junger Mann aus Eritrea wissen, was „Bewährung“ bedeutet?
Nee is klar. Der Schwarze an sich ist eben total hohl in der Birne. Der braucht die Knute, ein paar auf die Nuss. Der versteht nicht, wenn der Richter ihm erklärt, was eine Bewährung ist. Den muss man erst mal bei Wasser und Brot einsperren, bis er schwarz wird. Ach nee, geht ja nicht. Erstens ist er schon schwarz und zweitens gibt es da diese doofen deutschen Gesetze und diese Weicheier von Richtern, die eh von nichts eine Ahnung haben, die nicht einsperren sondern immer nur kuscheln wollen. Die wenden tatsächlich Gesetze an und orientieren sich nicht an der Praxis. Das muss man sich mal vorstellen. Und dann immer diese widerlichen Freisprüche, wenn es der Polizei nicht gelungen ist, ausreichende Beweise gegen einen Tatverdächtigen zu finden. Der war das, das wusste die Polizei, die BILD und bei Sexualdelikten auch Alice Schwarzer doch sofort. Wozu diese langen Prozesse? Und jetzt verlässt der auch noch lachend den Gerichtssaal. Unverschämtheit. Rechtstaat am Ende.
Vermutlich wird Herr Wendt – wie Herr Gauland, Herr Meuthen, Herr Höcke, Frau von Storch oder wer auch sonst immer – behaupten, was er wirklich gesagt hat, habe er so weder gemeint noch gesagt. Aber es ist genau das, was beim Leser ankommt. Endlich mal einer der Klartext spricht, der sich traut zu sagen, was man nicht sagen darf, der Mut zur Wahrheit hat. Man hört sie schon raunen, der wird bald verboten.
Ruhig Blut. Er darf. Und sein Buch wird sich verkaufen wie alles, was den Untergang Deutschlands beschwört. Es wird ein Besteller aus der Reihe „Wahrheiten, die man nicht sagen, aber prächtig verkaufen darf“. Die Talkshowpräsenz wird sich noch erhöhen und die Verkaufszahlen gleich mit dazu. Mit so was wird man manchmal Millionär.
Zur Kriminalität von Flüchtlingen meint Herr Wendt:
Nein, man steht garantiert nicht in der rechten Ecke, wenn man darauf hinweist, dass es nur eine kleine Minderheit ist, die Straftaten begeht. Das mache ich regelmäßig und werde dafür allenfalls in die rot-grün-versiffte Gutmenschenecke am anderen Ende des Spektrums gestellt. Aber man stellt sich freiwillig in die ganz hintere rechte Ecke, dort wo die Rassisten sich treffen, um über Ausländerkriminalität zu hetzen, wenn man die Kriminalität von Flüchtlingen als besonders bedeutend hervorhebt und die von Einheimischen als Verfehlungen fehlgeleiteter deutscher Jugendlicher verharmlost. Ach der Bub hat doch nur ein bisschen gezündelt, das ist doch auch kein Wunder bei der Fremdenangst die der hat. Gerade wenn man, wie Wendt, genau weiß, dass es nur eine kleine Minderheit von Straftätern unter den Flüchtlingen gibt, ist das eine ganz perfide Nummer. Kriminalität ist Kriminalität und muss verfolgt werden, egal woher der Täter stammt. So oder so. Die eine ist nicht beängstigender als die andere.
Kämen solche Äußerungen von einem Politiker einer rechtsextremen Partei, wären sie nicht weiter erwähnenswert. Das kennt man ja schon. Die Ausländer nehmen unseren ehrlichen deutschen Verbrechern die Opfer weg oder so ähnlich. Aus dem Mund eines Polizeibeamten kann einem bei solchen Äußerungen aber schon angst und bange werden. Wer Menschen alleine aufgrund unveränderlicher Merkmale wie z.B. der Hautfarbe oder der Herkunft pauschal verdächtigt und sie deshalb mehr kontrollieren will (Racial Profilng) als andere, hat meiner Meinung nach nichts im aktiven Polizeidienst verloren.
Oder was soll die anbiedernde Vereinnahmung des deutschen Falschparkers
Wenn Sie falsch parken, kommen Sie damit nicht durch. Da gibt’s kein Pardon. Da setzt sich der Rechtsstaat durch. Klar, auch da können Sie sich rausreden und behaupten, Sie hätten das Auto da nicht hingestellt. Aber die Verwaltungskosten knöpft Ihnen der Staat ab, rigoros. Wäre ja noch schöner.
Haben Sie einen Einbruch, eine Körperverletzung oder einen Betrug begangen, einen Menschen als Raser im Straßenverkehr getötet oder sind Sie Profi im Taschendiebstahl – bleiben Sie gelassen. Erst mal müssen Sie erwischt werden, das Risiko ist gering. Und selbst wenn Sie das Pech haben sollten, machen Sie sich keine Sorgen.
Sie finden jemanden, der Ihnen bescheinigt, dass Sie eigentlich ein feiner Mensch sind. Oder dass Sie irgendwie traumatisiert sind, vernachlässigt, zu wenig geliebt oder zu viel verstanden wurden. Oder umgekehrt. Vielleicht haben die Eltern sich getrennt oder zu früh geheiratet, irgendwas. Und dann passiert, was hunderttausendfach passiert. Nämlich nichts.
Dass bei derartigen Straftaten nichts passiert, ist eine wahrheitswidrige Darstellung der Realität.
Auch wenn Herr Wendt glücklicherweise selbst nicht mehr im Streifendienst, sondern nur noch im Nadelstreifendienst ist, haben seine Worte natürlich Auswirkungen, nicht nur auf die Mitglieder seiner Gewerkschaft, sondern auch auf die übrige Bevölkerung. Solche Äußerungen – ich weiß nicht, wie ich sie anders als rassistisch bezeichnen könnte – heizen die Stimmung an, schüren Angst und fördern die Wut der „besorgten Bürger“. Sie produzieren das, was Herr Wendt angeblich bekämpfen will, Kriminalität, Verunsicherung, Angst und Hass. Hat er schon vergessen, dass der NSU auch deshalb so lange morden konnte, weil die deutsche Polizei sich so gar nicht vorstellen konnte, dass es deutsche Neonazis waren und statt dessen die Mörder im Umfeld der türkischen Opfer suchte?
Das wird sich schwer vermeiden lassen.
Wie kann ein Polizeibeamter es bedauern, dass Haftbefehle nur bei Vorliegen von Haftgründen erlassen werden? Wünscht er sich Richter, die das Gesetz missachten, das Recht beugen, nur um Härte zu zeigen. Möchte Wendt weniger Rechtsstaat wagen, obwohl er nach einem starken Staat ruft? Wenn Herrn Wendts Meinungen in vielen Polizeiköpfen herumspuken sollten, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn der ein oder andere einen Ausländer mal „was härter anpackt“. Glücklicherweise scheint das bisher nur bei ganz wenigen Beamten der Fall zu sein.
Wendt fordert einen starken Staat:
Genau das vermissen viele Menschen heute. Deshalb haben sie Angst und Sorge. Weil sie einen Staat sehen, der schwach ist, harmlos und hilflos, der seinen Schutzauftrag nicht ausreichend erfüllt. Einen Staat, der sich zurückzieht und zusieht, der eben alles andere als ein starker Staat ist.
Dabei sagt unsere Verfassung genau das Gegenteil: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Das ist die Botschaft des Artikel 1 unseres Grundgesetzes. (aus dem Vorwort von „Deutschland in Gefahr“)
Genau das sagt sie, Herr Wendt. Und das bedeutet eben auch, dass Grundsätze wie der Gleichheitssatz für alle gelten, dass die Unschuldsvermutung für alle gilt und dass die Sicherheit nicht die Freiheit bis zur Unkenntlichkeit einschränken darf.
Ein seltsamer Satz aus dem Interview mit der WiWo:
Denn selbst wenn Polizei und Justiz Hand in Hand arbeiten würden und endlich die Intensivtäter einsperren wollten, wären dafür gar nicht genug Haftplätze vorhanden.
Polizei und Justiz „Hand in Hand“? Die Justiz hat andere Aufgaben als die Polizei und „Hand in Hand“ klingt nicht nach rechtsstaatlicher Kontrolle, sondern nach Kumpanei. Das braucht niemand, im Gegenteil, es wäre furchtbar. Eine Polizei, die einsperren will, verkennt ihre Position im System. Mehr als vorläufig festnehmen ist nicht Aufgabe der Polizei, für’s Einsperren ist die Justiz zuständig. Die hat gerade in Strafverfahren auch die Rechtmäßigkeit des polizeilichen Handelns zu überprüfen.
Wendts Buch hat in der heutigen Angst-Zeit das Zeug zum Bestseller. Es enthält genau die Mischung von Tatsachen und Panikmache, auf die die besorgten Bürger stehen. Untergang geht immer gut in Deutschland. Ein allseits bekannter Polizist plaudert aus dem Nähkästchen und fordert mehr staatliche Härte. Das kommt garantiert an. Schade, dass Wendt neben der vollkommen berechtigten Forderung nach besserer materieller und personeller Ausstattung der Polizei auch den Weg für zweifelhafte Forderungen wie mehr Überwachung ebnet. Es ist ja völlig richtig, dass Polizisten gut ausgebildet werden müssen, dazu gehört vor allem ein stabiles Grundrechtsverständnis und eine Akzeptanz der Gewaltenteilung. Ein Polizist ist kein Richter.
Wendts Satz
Aber selbst wenn jemand in Untersuchungshaft genommen wird, findet eine ernsthafte Strafverfolgung meist gar nicht statt.“
macht als Beleg für den nahenden Untergang des Abendlandes schon die Runde in diversen rechtsextremen Medien. Dabei ist er inhaltlich falsch. Es findet vielleicht nicht die Art von Strafverfolgung statt, die Sheriff Wendt sich wünscht, aber sie findet statt. Selbstverständlich nicht fehlerfrei und leider nicht schnell genug. Auch da weist Wendt zutreffend auf eine verfehlte Personalpolitik in der Vergangenheit hin. Aber dass eine ernsthafte Strafverfolgung meist gar nicht stattfände, ist Unsinn.
Ohne die provokativen Übertreibungen hätte Wendts Buch durchaus ein wertvoller Beitrag zur Debatte über die dringend notwendige und überfällige Stärkung von Exekutive und Judikative sein können. Aber vermutlich hat ihm da seine unbändige Lust am Auffallen und der Wunsch einen Verkaufsschlager sarrazinschen Ausmaßes zu schreiben einen Strich durch die Rechnung gemacht. Eigentlich schade.
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