Wer bringt die Königskinder?

Die Replik von Heinrich Schmitz zum Ende der Ära Merkel wirft eine grundsätzliche Frage auf: Ist die parlamentarische Demokratie, wie wir sie in Deutschland kennen, eine Wahl-Monarchie?


Dass die Ära Merkel zu Ende sei, habe ich gestern geschrieben, und Heinrich Schmitz hat noch gestern Abend widersprochen: Nein, diese Ära sei nicht zu Ende. Einerseits, so meint er, sei alles gar nicht so schlimm, wie ich es dargestellt hätte, schließlich seien es nur 160.000 Mecklenburger und Vorpommern, die am Sonntag AfD gewählt hätten, außerdem hätte es nie Chaos gegeben, geschweige denn, dass es das immer noch gäbe, und schließlich sei es auch mit der Willkommenskultur längst nicht vorbei.

Die Leser der Kolumnisten sind klug und gebildet genug, um sich zu diesen Fragen selbst ein Urteil zu bilden und zu entscheiden, welcher Einschätzung sie selbst eher zuneigen. Mir geht es um einen anderen Punkt, der mir auch der wichtigste in Heinrich Schmitz’ Argumentation zu sein scheint.

Königinnenmörderinnen gesucht?

Heinrich Schmitz ist nämlich der Meinung, dass die Ära Merkel allein deshalb nicht zu Ende ist, weil es zu ihr gar keine Alternative gibt.

Ich hatte ja meiner Hoffnung Ausdruck gegeben, dass Merkel selbst sich mit der Frage beschäftigt, wer ihr nun möglichst zügig folgen sollte. Dazu meint Heinrich Schmitz, das

lässt den Eindruck entstehen, die Kanzlerschaft sei eine Art Erbmonarchie und es sei Merkels Aufgabe für einen Nachfolger zu sorgen. So läuft das aber nicht.

Wer nun aber vermutet, dass Schmitz argumentiert, das Parteiensystem sei ja irgendwie demokratisch legitimiert und die Frage der Merkel-Nachfolge somit irgendwie demokratisch zu entscheiden, irrt. Heinrich Schmitz sieht die Kanzlerschaft nicht als Erbmonarchie, sondern als absolute Monarchie. In dieser könnte allenfalls ein „Königinnenmörder“ das Ende der aktuellen Herrscherin herbeiführen, jemand, der mutig genug ist, eine Revolte anzuzetteln und die Herrschaft der „Königin“ zu beenden. Aber eine solch mutige Gestalt sieht Heinrich Schmitz nicht in der CDU. Somit, so meint er, würde die Ära Merkel eben dauern, solange Merkel Lust dazu habe, und da ihre Macht ungefährdet ist (wie Heinrich Schmitz wohl vermutet, über die nächste Bundestagswahl hinaus), gibt es keinerlei Grund zu der Annahme eines baldigen Endes der Herrschaft Merkels.

Ich bin fast geneigt, dem Befund zuzustimmen. Jedoch sind die Konsequenzen bedeutend, deshalb scheue ich davor zurück. Schließlich halten wir noch immer an der Überzeugung fest, wir lebten in einer Demokratie, wenn auch in einer repräsentativen, einer parlamentarischen. Wäre dem so, dann würden wir von unseren Repräsentanten, den Abgeordneten des Bundestages, erwarten, dass sie sich der Frage annehmen: Sollte die Regierung mit wenigstens zum Teil ausgewechseltem Personal einen Neuanfang machen, um mit neuen Ideen und neuen Köpfen wieder das Vertrauen der Repräsentierten zu gewinnen?

Aber tief in uns sind offenbar sowohl Heinrich Schmitz als auch ich davon überzeugt, dass dies keine Entscheidung ist, die von den Repräsentanten herbeigeführt wird. Wir wissen beide: Die politische Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ist eine indirekte Wahl-Monarchie. Wir wählen Leute, die den Monarchen wählen. Und wenn der Monarch erst mal gewählt ist und seine Minister ihm treu sind, entscheidet er weitgehend selbst über die Dauer seiner Macht. Gut, nicht ganz: Ab und an können die Bürger sich andere Leute wählen, die wieder einen anderen Monarchen wählen können – wenn sie wollen, wenn sie sich nicht längst in Abhängigkeiten zum Monarchen begeben haben. Denn was erschwerend hinzukommt: Wir können nicht mal entscheiden, wen wir wirklich wählen, den wer überhaupt zur Wahl steht, um zu den Leuten zu gehören, die den Monarchen wählen, hängt wiederum von Netzwerken ab, die vom Monarchen oder von Möchtegern-Monarchen kontrolliert werden.

Was hat das mit der AfD zu tun?

Ging es nicht eigentlich um die Frage, ob Merkel wegen der AfD-Wahlergebnisse die Macht abgeben sollte? Genau. Denn wir sind schon wieder bei der AfD und der Frage, warum die Leute diese Partei eigentlich gewählt haben. Heinrich Schmitz gehört zu den Beobachtern, denen das ein Rätsel ist. Er meint,

Die Wahlentscheidung ist nicht rational, sondern emotional. „Merkel muss weg“ ist das Credo der besorgten Bürger, auch wenn es dafür keinen Grund gibt. Aber es ist der AfD durch tausendfache Wiederholung gelungen, dies in die Köpfe zu bekommen.

Und stellt zugleich fest

Die Wähler der AfD sagen überwiegend selbst, dass sie von der AfD keine Lösungen erwarten. Die Partei wird selbst von ihren eigenen Wählern als Protestpartei wahrgenommen und als solche gewählt.

Man möchte fragen: Was denn nun, sind sie auf die Lügen der AfD nun reingefallen oder benutzen sie sie einfach als Protest-Werkzeug?

Es wird, wie immer, eine Mischung aus beidem sein. Vor allem aber wählen die Leute vielleicht die AfD, weil sie glauben, dass die mal diesen monarchischen Apparat ein bisschen grundsätzlicher aufmischen können. Die Prozentzahlen, die die jeweils aktuelle Protestpartei bei den Wahlen erreichen, kann als Messgröße für das Unbehagen mit der Verkrustung des monarchischen Systems genommen werden. Das Flüchtlingsproblem ist deshalb auch nicht wegen der Flüchtlinge zentral, sondern deshalb, weil das selbstherrlich-monarchische sich da besonders einprägsam zeigt.

Wenn ich hier so viel vom monarchischen Charakter der deutschen parlamentarischen Demokratie spreche, dann will ich das gar nicht zum prinzipiellen Großproblem hochstilisieren. Es mag sogar sein, dass dieses System für die moderne Gesellschaft eine ziemlich gut optimierte Version politischer Machtausübung ist. Es ist nur wichtig, dass es eine gewisse Plastizität und Flexibilität behält. Diese kann grundsätzlich auch aus ihrem Inneren kommen, und die Fähigkeit zu einem personellen und konzeptionellen Neuanfang aus eigener Kraft wäre ein Nachweis dieser Fähigkeit. Wenn dies nicht gelingt, werden die Bürger das System so lange weiter destabilisieren, bis etwas passiert. Wie schmerzhaft das dann wird, ist schwer einzuschätzen.

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Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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