Ära Merkel am Ende? Eine Replik
Der Kollege Jörg Friedrich beschwört – wie viele andere Kommentatoren – in seiner heutigen Kolumne das Ende der Ära Merkel. Ich sehe das nicht so.
In Mecklenburg-Vorpommern soll sie zu Ende gegangen sein, meint Jörg Friedrich. In einem Land, in dem rund 160.000 Wähler ihre Stimme der AfD gegeben haben. Weil das Vertrauen verloren gegangen sei, solle Merkel jetzt flink zurücktreten und die zweite Reihe ran lassen. Natürlich kommen da keine Namen. Woher auch? Wem sollen denn die Wähler ihr Vertrauen schenken? Für AfD-Wähler sind das doch alles Büttel der „Systemparteien“, der „Altparteien“, der „Blockparteien“. Wer aus der zweiten Reihe von CDU und SPD hat denn überhaupt das Format zum Kanzler? Und was sollte der- oder diejenige denn jetzt alles anders machen, als es die Regierung mittlerweile getan hat? Aus Angst vor einem weiteren Erstarken der AfD etwa deren Forderungen übernehmen? Warum sollte der enttäuschte CDU-Wähler das denn dann plötzlich gut finden? Da kann er doch gleich das Original wählen.
Die Wähler der AfD sagen überwiegend selbst, dass sie von der AfD keine Lösungen erwarten. Die Partei wird selbst von ihren eigenen Wählern als Protestpartei wahrgenommen und als solche gewählt. Fakten interessieren den Wähler nicht. Wenn sich, wie in Mecklenburg-Vorpommern, unter der Regierung einer Koalition aus SPD und CDU die Zahl der Arbeitslosen halbiert, dann sollte man annehmen, dass das in der Bevölkerung positiv wahrgenommen wird. Wird es aber nicht.
Keiner kann von sich behaupten, dass er die Sache vor einem Jahr besser gemacht hätte als Merkel und ihre Leute.
sagt Jörg Friedrich.
Ja eben. Und warum sollte Frau Merkel dann zurücktreten? Das vielbeschworene Chaos ist doch gar nicht eingetreten. Wo ist denn die furchtbare Kriminalität, die ständig beschworen wurde? Die Gewaltkriminalität ist gerade einmal um 0,02 % gestiegen und das, obwohl Deutschland als einziges großes Land in Europa die Grenzen nicht dicht gemacht hat und rund eine Million Flüchtlinge aufgenommen wurden. Da hätte man statistisch mehr erwarten dürfen. Hier herrscht weder Mord und Totschlag noch die Scharia und ich sehe auch keinen Grund, warum das sich ändern sollte.
Die Bereitschaft zur Willkommenskultur ist aufgebraucht
meint Jörg Friedrich.
Bis zu einer Million Helferinnen und Helfer
Aber auch das ist nicht richtig. Es gibt auch heute noch hunderttausende Menschen, die sich um Flüchtlinge kümmern und die auch neuen Flüchtlingen helfen wollen, wenn Not am Mann ist. Man sollte sich nicht von den laut schreienden Wutbürgern täuschen lassen.
Diejenigen, die nichts tun als motzen und hetzen, bestimmen heute den Ton.
sagte Anja Reschke im Magazin „Panorama“ und genau das ist der Punkt. Die als „Bahnhofsklatscher“ verhöhnten „Gutmenschen“ machen nicht soviel Trara um ihren Einsatz. Die packen einfach an. Aber bei denen hat die Kanzlerin mit ihrem unerwarteten Anflug von Menschlichkeit ebenso gepunktet, wie bei mir. Da war sie mal nicht die kalte Technokratin, die sich aus allem raushält, sondern ein Mensch, der hilft, wenn andere in Not sind.
Merkels Statement vom G20-Gipfel zeigt, dass sie sehr wohl bereit ist, die Verantwortung für den Stimmverlust bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern zu übernehmen und dass sie verstanden hat, dass es dabei weniger um die objektive Bewertung ihrer Regierungspolitik geht, sondern in erster Linie darum, Vertrauen zu gewinnen und die Menschen von ihrem Weg zu überzeugen.
Fakten interessieren im Wahlkampf ja kaum noch. Da geht’s um Slogans und Stimmungen. Entweder werden Fakten einfach geleugnet, einer staatlichen Propaganda nebst Lügenpresse zugeschrieben oder sie werden erst gar nicht mehr wahrgenommen. Die Wahlentscheidung ist nicht rational, sondern emotional. „Merkel muss weg“ ist das Credo der besorgten Bürger, auch wenn es dafür keinen Grund gibt. Aber es ist der AfD durch tausendfache Wiederholung gelungen, dies in die Köpfe zu bekommen.
Wir schaffen das
„Wir schaffen das“ war ein wunderbar naiver Satz, weil Frau Merkel an ein Wir glaubte, dass es in dieser Form in Deutschland nicht gibt. Nicht mal zur WM. Weil es zu viele gibt, die ihre Lust aus dem Scheitern anderer schöpfen. Die gar nichts schaffen wollen und nicht wollen, dass andere etwas schaffen. Vielleicht weil sie selbst so wenig schaffen? Die diejenigen, die kraftvoll angepackt und geholfen haben – und das auch weiter tun – lieber verhöhnen. Das Wir der AfD ist destruktiv. Wer wissen will, wie solche Menschen ticken, der braucht nur die Leserbriefe eines „Jakob Nägele“ bei DieKolumnisten zu verfolgen. Kein Statement zum Thema, keine konstruktive Kritik. Nur Gemecker und Gemotze. Mit solchen Leuten ist ein Wir nicht möglich. Deren Wir ist allenfalls völkisch besetzt, nicht einmal national. Die finden vorübergehend ein Wir in immer neuen Parteien, ob es die Republikaner, die Freiheit, die Pro Parteien oder jetzt die AfD ist. Und wenn da nicht schnell das geschieht, was sie erwarten, wenn sie da nicht schnell Karriere machen, laufen sie der nächsten Sau nach, die durchs Dorf getrieben wird. Der Satz „Wir schaffen das“ war ein großer taktischer Fehler der Kanzlerin, obwohl er inhaltlich richtig war. Mehr aber auch nicht.
Dennoch wird die CDU gut beraten sein, an ihrer Parteivorsitzenden als Kanzlerin festzuhalten und ihre Ära gerade jetzt nicht zu beenden. Selbst ein Dauerkritiker wie Wolfgang Bosbach glaubt nicht, dass die CDU „mit einer anderen Kandidatin oder einem anderen Kandidaten bei der nächsten Bundestagswahl so viele Chancen hätten wie mit Angela Merkel“
Kein Königinnenmörder in Sicht
Jörg Friedrichs Teaser
Wenn Merkel noch etwas zur Stabilisierung der Demokratie tun will, muss sie jetzt schnell einen mutigen Nachfolger suchen, unterstützen – und sich dann zurückziehen.
lässt den Eindruck entstehen, die Kanzlerschaft sei eine Art Erbmonarchie und es sei Merkels Aufgabe für einen Nachfolger zu sorgen. So läuft das aber nicht. Das musste schon Helmut Kohl erleben. Der Nachfolger muss sich schon selbst positionieren und deutlich machen, dass und warum er es besser kann. Dann muss er die CDU überzeugen, ihn anstelle von Frau Merkel aufzustellen. Und dann muss er mit dem Dolche, Sie wissen schon. Ich sehe da weit und breit keinen Nachfolger mit entsprechendem Potential und dem notwendigen Mut, als Königinnenmörder anzutreten. Und natürlich den Mut bei der nächsten Wahl auf die Schnauze zu fallen. Den Kandidaten sehe ich nicht. Wer aus der zweiten Reihe ernsthafte Ambitionen hegt, der wartet bis zur übernächsten Wahl.
Das Elend der aktuellen Politik liegt weniger in Fehlern der Kanzlerin, als vielmehr in der Schrumpf-Automatik einer großen Koalition begründet. Wer mit derart breiter Mehrheit regieren kann, muss zwangsläufig Wähler verlieren, weil es an einer schlagkräftigen Opposition fehlt. Das war schon immer so und das wird auch immer so sein. Die Regierungskoalition wird auch bei der Bundestagswahl Wählerstimmen verlieren und die AfD wird welche dazu gewinnen. Allerdings wird eine Stärkung der AfD kurioserweise einhergehen mit einer Zementierung der großen Koalition und einer weiteren Amtszeit für Frau Merkel. Nicht einmal eine rot-rot-grüne Regierung dürfte möglich sein. Das bedenken die Wähler, die von anderen Parteien als der CDU zur AfD gewechselt sind offenbar nicht. Wer AfD wählt, wählt die, die er abwählen möchte. Das hat was.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe Frau Merkel nicht gewählt und weiß auch noch nicht, ob ich das einmal tun würde. Ich habe die Regierung vielmehr immer wieder kritisiert, vor allem den Innen-, den Wirtschafts- und den Justizminister, was mit dem Thema meiner Kolumne zusammenhängt. Aber Frau Merkel die Schuld für alles und jedes zu geben, ist zu kurz gesprungen. Und nur weil Jörg Friedrich meint, das Ende der Ära Merkel sei in Mecklenburg-Vorpommern eingeläutet worden, muss das ja noch lange nicht stimmen. Wenn die CDU ihr Rückendeckung gibt, ist diese Ära noch lange nicht vorbei. Auch nicht, wenn Störfeuer aus Bayern kommt.
Wann die Ära Merkel beendet ist, bestimmt im Moment ausschließlich Frau Merkel selbst. Ich könnte verstehen, wenn sie einfach keinen Bock mehr hätte, für alles den Sündenbock zu geben. Es ist aber bisher nicht ihre Art gewesen, sich vor der Verantwortung zu drücken. Dass der Wähler die Ära Merkel 2017 beenden wird, bezweifle ich. Dank der AfD ist das kaum möglich. Es ist eher zu befürchten, dass es eine weitere große Koalition gibt. Aber bis zur nächsten Bundestagswahl ist es ja noch eine Weile hin, da kann noch viel passieren.
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