Kopftuch und Islamismus

Medienwirksame, selbstbewusste Hijab-Trägerinnen verbergen hinter feministischen Parolen ein reaktionäres Frauen- und Männerbild und ignorieren bewusst, dass Frauen in weiten Teilen der islamischen Welt ebenso wie in Teilen der muslimischen Communities in Europa unter das Tuch gezwungen werden. Unsere Gastautorin Nina Scholz plädiert daher gemeinsam mit Heiko Heinisch für ein Kopftuchverbot an Schulen.


Das religiös motivierte Kopftuch beschäftigt und polarisiert. Die immer wieder von rechter Seite, etwa unlängst vom österreichischen Präsidentschaftsbewerber Norbert Hofer, erhobene Forderung nach einem generellen Verbot, braucht nicht weiter diskutiert zu werden. Ein solches wäre ein unzulässiger Eingriff in die Menschenrechte und entbehrte jeder rechtlichen Grundlage. Am Arbeitsplatz und in der Schule führt das Kopftuch als politisch-religiöses Symbol gleichwohl zu Kontroversen, die immer wieder auch vor Gerichten ausgetragen werden. Selbstbewusste Kopftuchträgerinnen, Selbstbezeichnung Hijabi, und deren Verteidigerinnen und Verteidiger wollen bisweilen im Verhüllen der Haare und manchmal sogar in der Vollverschleierung ein Zeichen von Emanzipation sehen, in jedem Fall aber sei die Verhüllung das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Hengameh Yaghoobifrah verglich den Hijab in der taz mit einer Jugendprotestmode der späten 1970er und 1980er Jahre. Hijab sei Punk.

Ein Stück Stoff? Muslimischer Feminismus?

Ein Stück Stoff, soviel lässt sich sagen, war Kleidung nie. Seit Menschen sich vor rund 10.000 Jahren zu komplexeren Gesellschaften zusammenschlossen, diente Kleidung, neben praktischen Anliegen, immer auch der Kennzeichnung ihrer Trägerinnen und Träger. Sie signalisierte Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht, zu einer bestimmten Gruppe, einem Beruf/Stand oder einem Geschlecht. Kleiderordnungen, die Angehörigen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen bestimmte Materialien oder Farben der Kleidung vorschrieben oder verboten, sind uns bereits aus dem Altertum bekannt. Im Mittelalter wurden Kleidervorschriften zu einem ausdifferenzierten System, das zum Teil diskriminierenden Charakter hatte und die gesellschaftliche Ordnung widerspiegelte. Bis heute dienen Uniformen für die unterschiedlichsten Berufe – Pfarrer, Polizist, Zugbegleiterin, Richterin, Kellner etc. – vor allem dazu, die Funktion der Betreffenden kenntlich zu machen.

Kleider machen Leute

Auch wenn die Geschichte der Menschheit von Bekleidungsvorschriften durchzogen ist, wird in modernen demokratischen Gesellschaften – von vorgeschriebener Arbeitsbekleidung und etwa dem Verbot, nackt in die Öffentlichkeit zu treten, abgesehen – niemand mehr per Verordnung gezwungen, bestimmte Kleidung zu tragen. Dennoch besitzt Kleidung, ebenso wie Frisur- und Bartmoden, auch heute noch ihre Funktion als Kennzeichen. Sie ist Teil der (selbstgewählten) Identität ihrer Trägerinnen und Träger, die Fassade, die von der Umgebung vielleicht nicht unbedingt bewertet, aber gelesen wird. Das gilt für einen maßgeschneiderten Anzug, der anhand von Schneider und Preis die Taxierung seines Trägers ermöglicht, ebenso wie für diverse (Jugend-)Moden. Wer sich in den 1980er Jahren als Punk ausstaffierte, zeigte Gleichgesinnten die Zugehörigkeit zur Gruppe und dem Rest der Gesellschaft den Mittelfinger. Rechtsradikale Jugendliche kleideten sich häufig im Skinhead-Look, Springerstiefel, Glatze, Bomberjacke nebst dazu gehörigen Insignien, mit denen sie ihre Gesinnung symbolisieren.

Hipster, sogenannte Autonome, Konservative, Linke und Angehörige einiger religiöser Gruppierungen pflegen gewisse äußere Erscheinungsformen, die sie erkennbar machen. Eine Bomberjacke ist in diesem Zusammenhang ebenso wenig nur ein Stück Stoff wie das islamische Kopftuch oder der Schtreimel. Kleidung ist selbstverständlich auch Statement.

Was Kleidung symbolisiert und wie sie von der Umwelt gelesen wird, steht nicht allein in der Macht ihrer Träger und Trägerinnen, sondern ist Ergebnis einer historischen und gesellschaftlichen Entwicklung, der die oder der Einzelne sich nicht ohne weiteres entziehen kann. Es sind vor allem organisierte und in den Medien präsente Kopftuchträgerinnen, die versuchen, das Kopftuch und eine bestimmte religiöse Kleidung als progressiv und feministisch zu verkaufen. Dieser Versuch ist insofern zum Scheitern verurteilt, als das Kopftuch in islamisch dominierten Ländern für das genaue Gegenteil steht und auch in Europa niemandem verborgen bleibt, dass in vielen konservativ/fundamentalistisch eingestellten muslimischen Familien die Schlechterstellung und Unterdrückung von Mädchen und Frauen normal sind. In vielen islamischen Ländern stellt sich die Frage der Freiwilligkeit erst gar nicht, Frauen sind bei Androhung von Strafe in Iran und Saudi Arabien gesetzlich verpflichtet, ihr Haar zu verhüllen und sich auch ansonsten „züchtig“ zu kleiden. Iranische Frauen führen einen täglichen und nicht ungefährlichen Kampf für die Freiheit vom Kopftuch, unter anderem mit der Kampagne My Stealthy Freedom. Im Iran wurden laut offiziellen Angaben im Jahr 2013 insgesamt 593.590  Frauen wegen Missachtung der Kleidervorschriften verwarnt und 3672 wegen „nicht islamgerechter Bekleidung“ vor Gericht gestellt.[i]

Aber auch in allen anderen islamischen Ländern, selbst im lange Zeit als Vorzeigeland eines moderaten Islam gepriesenen Indonesien, steigt mit dem Vormarsch des fundamentalistischen Islam der Druck auf Frauen, sich „islamisch“ zu kleiden. Im Jemen trägt trotz fehlender gesetzlicher Pflicht mittlerweile eine Mehrheit der Frauen Gesichtsschleier. Auch Ägypten erlebt einen signifikanten Anstieg von Niqab-Trägerinnen. Und wenn man Filme aus den palästinensischen Gebieten der 1960er und 70er Jahre mit heutigen Aufnahmen vergleicht, glaubt man, zwei unterschiedliche Welten vor sich zu haben.

Zwang zum Kopftuch

Frauen werden überall dort angehalten, die eine oder andere Form der Verschleierung zu tragen, wo dezidiert islamisch-religiöse Kräfte das Sagen haben, sei es mittels staatlicher Macht in den „Gottesstaaten“ oder über gesellschaftlichen Druck wie in weiten Teilen Ägyptens, Pakistans oder Afghanistans. Dort müssen Mädchen und Frauen ein Kleidungsstück tragen, das de facto einem Stigma gleicht und ihre inferiore gesellschaftliche Rolle unterstreicht, während Jungen und Männer ihr Haar und Gesicht zeigen dürfen. Das Kopftuch ist hier das sichtbarste Zeichen einer Gesellschaft, die sich durch Geschlechtersegregation auszeichnet und Männer und Frauen von Kindheit an horizontal, also hierarchisch in oben und unten, voneinander scheidet.

Zur Begründung der Verhüllung führen Protagonisten derselben die „weiblichen Reize“ an, die nach göttlichem Gebot zu verbergen seien, weil von ihnen die Gefahr der Unsittlichkeit ausgehe. Eine unverhüllte Frau gilt in konservativen Kreisen als unehrenhaft, daher sind Beschimpfungen als Schlampe oder Hure keine Seltenheit. Das Kopftuch, das diese Sicht auf die Frau zum Ausdruck bringt, ist weder progressiv, noch feministisch, noch Punk. Was sollte auch progressiv daran sein, ein sichtbares Zeichen der Geschlechtertrennung zu tragen? Sich selbst als muslimische Feministinnen bezeichnende Hijabis verkürzen den Feminismus auf gleichberechtigte Teilhabe innerhalb des von ihnen vertretenen ideologischen Konzepts, um mit der vom Feminismus übernommenen Parole „Frauen ermächtigen!“ für reaktionäre Werte einzutreten. Ähnliches lässt sich zunehmend auch in der rechten Szene unter sogenannten „identitären Feministinnen“ beobachten. Eine der Gründerinnen der Gruppe „Just Nationalist Girls“, sie nennt sich Ellen, sagt in einem Interview: „Wir streben nach einem ‚identitären Feminismus‘, der die Unterschiede zwischen den Geschlechtern klar anerkennt, aber dennoch Gleichberechtigung anstrebt.“ Wird das dahinter stehende Frauen- und Gesellschaftsbild problemlos durchschaut, ist Problembewusstsein gegenüber dem erwähnten islamisch-religiös begründeten „Feminismus“, der, was die Rolle der Frau betrifft, ähnliche Werte vertritt, kaum vorhanden.

Der zunehmende Islamismus in den vergangenen knapp 40 Jahren wirkt sich selbstverständlich auch auf die muslimischen Communities und Organisationen in Europa aus. Es ist ein Islam, der, um bei unserem Thema zu bleiben, die Trennung der Geschlechter in dieser oder jener Form für gesellschaftlich notwendig erachtet und durchsetzen möchte. Saudi Arabien, Katar, aber auch die Türkei investieren jährlich Millionen in religiöse Propaganda weltweit. Das Kopftuch ist dabei das sichtbarste und gewissermaßen das wichtigste Symbol dieser Propaganda. Es ist das Markenzeichen des politischen Islam und die Frau seine Werbeplattform. Vergleichen wir das Erscheinungsbild türkischer, arabischer oder bosnischer Communities im Europa der 1970er, 80er und selbst noch 90er Jahre mit dem heutigen, dann ist die Parallelität zur Entwicklung in islamischen Ländern nicht zu übersehen. Das Vordringen des politischen Islam und dessen Aufwertung durch die Politik wird von Migranten-Vereinen, die nicht auf religiöser Basis gegründet sind und liberal-muslimischen Organisationen schon lange problematisiert.

Islamistische Offensive

Werbung für das Kopftuch finden wir bei Islamisten jeglicher Couleur. Manche tun es polternd, wie etwa der aus Skopje stammenden und in Zürich predigende Imam Omer Berisha, der vermeldete: „Frauen, die kein Kopftuch tragen, begehen eine größere Sünde als Männer, die Schnaps saufen“. Unverheiratete Frauen, die sexuelle Beziehungen eingehen hält er für Huren, die man „wie gebrauchte Taschentücher“ wegwerfen sollte. In etwas lyrischerem Stil erklärte Hani Ramadan, Direktor des Islamischen Zentrums in Genf und Bruder des umtriebigen Stars der Islamistenszene, Tariq Ramadan, unlängst in einem Vortrag, eine Frau sei wie eine Perle in einer Kette. Zeige man diese, dann errege das Neid. Eine unverschleierte Frau sei wie eine 2 Euro Münze, sichtbar für alle gehe sie von Hand zu Hand.

Die meisten Vertreterinnen und Vertreter der europäischen Islamverbände, die so gut wie alle dem politischen Islam nahestehen, werben dezenter für das Kopftuch. In diesem Zusammenhang ist das neue Lehrbuch für den islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in Österreich interessant. Es wurde in Verantwortung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) erstellt und von Amena Shakir herausgegeben. Diese leitete bis 2002 die Deutsch-Islamische Schule in München, deren Trägerverein laut Bayrischem Verfassungsschutz eine Tarnorganisation der deutschen Zentrale der ägyptischen Muslimbruderschaft war. Die Schule wurde deshalb 2005 behördlich geschlossen. Im Vorstand saß ihr Bruder Ibrahim el-Zayat, eine Schlüsselfigur der Muslimbruderschaft in Europa. Amena Shakir leitet heute in Wien die Islamische Religionspädagogische Akademie (IRPA), an der Religionslehrer/innen für Pflichtschulen ausgebildet werden. Doch zurück zum Schulbuch: Über das Buch verteilt, taucht einem Maskottchen gleich immer wieder eine gezeichnete junge Frau auf, die unter der Rubrik „wusstest Du…“ wichtige und lehrreiche Tipps gibt. Es handelt sich um eine Frau mit strenger Kopftuchbindung (mit Untertuch und auf den Oberkörper herabfallendem Tuch), wie wir sie auch von Vertreterinnen des politischen Islam wie etwa der Muslimbruderschaft kennen.

Auch das Cover des Buches der Medienreferentin der IGGiÖ, Carla Amina Baghajati, „Muslimin sein: 25 Fragen – 25 Orientierungen“ zieren zwei Kopftuchträgerinnen. Hier stimmen äußeres Erscheinungsbild und Inhalt überein, denn im Buch erläutert die Autorin ausführlich, dass das Kopftuch eine nicht wegzudiskutierende religiöse Pflicht sei (Seite 54-59). Auf der gleichen Linie bewegt sich der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), der auf seiner Website islam.de (Administrator Aiman Mazyek) ebenfalls das Tragen des Kopftuchs zur Pflicht im Islam erklärt. Alle genannten beschwören gern die Vielfalt des Islam – beim Kopftuch allerdings ist es damit vorbei.

Daher verwundert es nicht, dass die Funktionärinnen der islamischen Verbände sich noch nie zu Anwältinnen jener Musliminnen machten, die zum Tragen eines Kopftuchs gezwungen werden, noch den Zwang in Teilen der islamischen Welt problematisieren. An der Verbreitung der von ihnen transportierten Botschaft, die richtige Muslimin trage nun einmal Kopftuch, beteiligen sich leider auch die meisten Medien. Zeitungen und TV illustrieren Berichte zum Thema „Islam“ und auch zum Thema „Integration“ inzwischen fast ausschließlich mit Bildern Kopftuch tragender Frauen, ob es sich nun um kritische oder unkritische Beiträge handelt, und unterstützen damit das Frauenbild konservativer und fundamentalistischer Strömungen im Islam. Aus Trägheit oder Unwissenheit wird zweierlei ignoriert: Nicht jede Frau, deren Familie aus einem islamischen Land stammt, ist eine Gläubige und nicht jede gläubige Muslimin trägt Kopftuch.

Kopftuch-Model

Selbstverständlich will nicht jede muslimische Frau, die Kopftuch trägt, mit diesem für den politischen Islam werben. Die Gründe sind durchaus vielfältig. Viele mögen ihr Tuch tragen, weil sie es im Rahmen ihrer eigenen, ganz persönlichen Glaubenspraxis für richtig und notwendig halten. Aber auch sie kommen nicht daran vorbei, dass das Kopftuch, wie uns die gesamte islamische Welt permanent vor Augen führt, Geschlechtertrennung und Unterdrückung der Frau symbolisiert. Und auch selbstbewusste Kopftuchträgerinnen kommen aus der Falle, dass sie für ein reaktionäres Frauenbild werben, nicht heraus. Für viele, die offensiv in den Medien oder auf Veranstaltungen für das Kopftuch werben, ist hier jedoch gar keine Falle, denn ihre Agenda ist die Verbreitung dieses Frauenbildes. Sie sind, wie Güner Balcı schreibt, „die Hüterinnen konservativer muslimischer Moralvorstellungen“.

Mariah Idrissi, das mittlerweile weltbekannte Kopftuch-Model der H&M-Kampagne, bringt den Zusammenhang von Kopftuch und reaktionärem Frauenbild auf den Punkt. In einem Spiegel-Interview erklärt sie, sie habe das Angebot, für  H&M zu modeln, angenommen, damit der Hijab normal werde. „Ich will dabei auch die Botschaft des Islams vermitteln“, so Idrissi. Anschließend führt sie aus, wie sich eine Muslimin zu kleiden und zu verhalten habe: „Der gesamte Körper muss bedeckt sein, bis auf Gesicht und Hände. Auch der Nacken darf nicht zu sehen sein.“ In Idrissis Welt gehören Anstand, Zurückhaltung und sittsames Benehmen (ihre Worte) zu den grundlegenden Eigenschaften der muslimischen Frau. Mariah Idrissi ist das typische Role Model der selbstbewussten Hijab-Trägerin. Wir lernen daraus zweierlei: Eine Frau ohne Kopftuch ist unanständig und in jedem Fall keine richtige Muslimin und Freiwilligkeit und Selbstbewusstsein lassen sich auch mit einem reaktionären Frauen- und Menschenbild vereinbaren.

Diesem Bild kann selbstverständlich anhängen, wer will. In einer freien Gesellschaft darf auch für ein solches Frauenbild geworben werben, aber es kann nicht erwartet werden, dass alle anderen Mitglieder der Gesellschaft Verständnis und Akzeptanz für derartige Gesellschaftsentwürfe aufbringen. Das gilt für Verfechterinnen und Verfechter des Kopftuchs ebenso wie für Protagonisten und Protagonistinnen anderer Ideologien oder Religionen auch. Wenn ein Kleidungsstück eine derart prononcierte religiöse und politische Meinung transportiert wie das Kopftuch, dann ist die Kontroverse vorprogrammiert und das ist auch gut so.

Kopftuchfreie Schule

Frauen und Mädchen, die in der familiären, nachbarschaftlichen und schulischen Umgebung mit zunehmender Bigotterie konfrontiert sind, geraten dadurch unter Druck, sich ebenfalls zu verhüllen. In manchen Vierteln europäischer Großstädte, allen voran London und Paris, ist es Frauen schon seit langem kaum mehr möglich, in sommerlich leichter Kleidung durch die Straßen zu gehen, ohne selbsternannte Sittenwächter auf den Plan zu rufen. Gegen diese Entwicklungen haben in Frankreich bereits 2003 Frauen aus migrantischen Communities in den Banlieues die mittlerweile bekannte Frauenorganisation Ni putes, ni soumises (Nicht Hure, nicht Unterworfene) gegründet. Auch in Wien versuchen Sittenwächter an manchen Orten, etwa in einem bekannten Einkaufszentrum, mitunter gewaltsam, „islamische Tugenden“ durchzusetzen. In einigen privaten islamischen Kindergärten, oft mit öffentlichen Geldern gefördert, tragen nicht nur sämtliche Betreuerinnen, sondern auch die kleinen Mädchen Hijab und an immer mehr Schulen werden Mädchen ohne Kopftuch aus türkischen, bosnischen, arabischen oder tschetschenischen Familien von Mitschülerinnen und Mitschülern beleidigt und gemobbt – ein Mädchen ohne Kopftuch gilt in diesen Kreisen als Schlampe. Das Problem ist nicht ganz neu, tritt aber immer offensichtlicher zutage. Der Berliner Schuldirektor Volker Steffens beschrieb bereits vor 8 Jahren in einem offenen Brief die Zerstörung des Schulfriedens durch Schüler, die „Mitschülerinnen hier in der Schule beleidigen und provozieren, weil diese Mädchen kein Kopftuch tragen oder anders leben.“ Bislang wurde wenig getan, im Gegenteil, an immer mehr Schulen breitet sich, um mit Ahmad Mansours Begriff zu sprechen, das Phänomen der Generation Allah aus, worunter vor allem Mädchen zu leiden haben.

Dem sollte endlich entschieden entgegengetreten werden. An deutschen Schulen gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter, an österreichischen ist das Unterrichtsprinzip „Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und Männern“ in den Lehrplänen verankert. Dem widerspricht das islamische Kopftuch als sichtbares Zeichen der Ungleichstellung von Mädchen und Jungen, von Frauen und Männern, auch wenn es von den Trägerinnen als Zeichen ihrer Frömmigkeit betrachtet wird. Nicht alles, was im Namen einer Religion getan wird, ist allein deswegen zu allen Zeiten und an allen Orten legitim. Es mag – zumindest ab einem bestimmten Alter – sehr viele Mädchen geben, die freiwillig ein Kopftuch tragen, aber das gilt nicht für alle. Diejenigen, die zum Kopftuch gezwungen werden, haben in der Regel keine Stimme in der öffentlichen Auseinandersetzung, werden keine Artikel schreiben und keine Interviews geben. Daher ist die Debatte, wie sie von Seiten der islamischen Verbände geführt wird, zutiefst asymmetrisch und trägt den Charakter einer Kampagne. Um Mädchen vor familiärem Zwang und Druck durch Peer Groups zu schützen, gibt es nur eine Möglichkeit: Kein Kopftuch in der Schule. Denn nur dann ist die Schule für Mädchen, die unter Druck stehen, ein geschützter Raum, in dem sie die Möglichkeit haben, sich freier zu entfalten als in der familiären und nachbarschaftlichen Umgebung. Nur so kann sichergestellt werden, dass alle hier lebenden muslimischen Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit bekommen, zu eigenständigen Persönlichkeiten heranzuwachsen und das Leben des Landes in all seinen Facetten kennenzulernen, mit dem Ziel, als Erwachsene freie Entscheidungen treffen zu können – inklusive die Entscheidung für oder gegen ein Kopftuch. In Kindergärten und Schulen haben politische oder religiöse Vorstellungen von der Ungleichheit der Menschen und ihre Symbole nichts verloren.

[i] Sineb el Masrar, Emanzipation im Islam – eine Abrechnung mit ihren Feinden, Freiburg 2016, S. 265.

Nina Scholz

Nina Scholz ist Politikwissenschaftlerin und Autorin und lebt in Wien. Sie forscht und publiziert zu den Themen Nationalsozialismus, Antisemitismus und Islam und Menschenrechte. Zuletzt erschienen: Nina Scholz (Hg), Gewalt im Namen der Ehre, Passagen Verlag Wien 2015 und gemeinsam mit Heiko Heinisch: Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf ?, Passagen Verlag Wien 2012 und Charlie versus Mohammed, Plädoyer für die Meinungsfreiheit, Passagen Verlag Wien 2016.

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