Alles macht Krebs.

Das Vorsorgeprinzip fordert: Wenn etwas im Verdacht steht, krebserzeugend zu sein, muss man es verbieten. Vollkommener Humbug, meint Thilo Spahl.


Am 27. Mai hat der  119. Deutsche Ärztetag in Hamburg  die Bundesregierung und die Europäische Kommission aufgefordert, gemäß dem sogenannten Vorsorgeprinzip in Art. 191 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union keiner weiteren Verlängerung der Zulassung von Glyphosat zuzustimmen. Die Ärztefunktionäre verweisen auf die Tatsache, dass Glyphosat evtl. krebserregend ist und dass bei krebserregenden Substanzen theoretisch  jede noch so geringe Menge zu einer Veränderung in einem Erbgutmolekül führen könnte, die Auslöser für eine Krebserkrankung sein könnte.

„Die International Agency for Research on Cancer (IARC) hat 2015 im Zusammenhang mit der wahrscheinlich krebserregenden Wirkung für Menschen festgestellt, dass „Glyphosat (…) DNA- und chromosomale Defekte in menschlichen Zellen verursacht“. Für gentoxische Effekte besteht nach derzeitiger wissenschaftlicher Meinung kein unschädlicher Schwellenwert.“

Mit dieser Argumentation folge man dem Vorsorgeprinzip. Klingt ja erstmal einleuchtend. Warum ein Risiko eingehen, wenn man es vermeiden kann? Substanz kann  Erbgut schädigen. Das kann zu Krebs führen. Substanz verbieten, Gefahr gebannt! Wenn man aber genauer anschaut, dann bekommt man Zweifel.

DNA unter Dauerbeschuss

In einer Säugetierzelle entstehen etwa 60.000 DNA-Schäden pro Tag. Unser Körper hat 100 Billionen Zellen. Wir haben es also mit etwa 6 Trillionen DNA-Schäden am Tag zu tun. Davon könnten auch welche durch Glyphosat entstanden sein. Was bedeuten diese DNA-Schäden? Führen sie alle zu Krebs? Das ist offensichtlich eine dumme Frage.

Da die ganze Welt voller erbgutschädigender Substanzen ist, haben Zellen seit der Entstehung des Lebens Reparaturmechanismen entwickelt. So hat es die Natur eingerichtet, dass nur ganz, ganz, ganz wenige DNA-Schäden zu Krebs führen.

Vorsorgeprinzip führt Vorsorge ad absurdum

Warum sollte das Vorsorgeprinzip für Glyphosat, nicht aber für unzählige andere Substanzen gelten, die sicher oder möglicherweise DNA-Schäden bewirken. Ein einzelner Sonnenstrahl kann Krebs auslösen. Was sollten wir tun, um das zu verhindern? Bananen enthalten viel Kalium und 0,012% allen natürlichen Kaliums ist radioaktiv und damit potenziell krebserzeugend. Noch schlimmer sind Paranüsse. Die nehmen Radium aus dem Erdboden auf und strahlen noch fünfmal stärker als Bananen. Also auf Sonne, Bananen und Paranüsse verzichten?

Natürlich brauchen wir uns wegen der Bananen keine Sorgen zu machen. Schließlich müsste man 30 Bananen pro Stunde essen, um den für Mitarbeiter in einem Kernreaktor festgelegten Grenzwert zu erreichen. Und wer isst schon 30 Bananen? Pro Stunde? Niemand. Genauso, wie niemand 1000 Liter Bier am Tag trinkt, um den Grenzwert für Glyphosat zu erreichen. Deshalb wäre es albern, Bananen zu verbieten. Und Bier. Und Glyphosat.  Außer man beruft sich auf das Vorsorgeprinzip und die Tatsache, dass theoretisch auch schon eine Banane im Leben zu Krebs führen kann. Oder ein Tropfen Alkohol. Dann könnte man die EU auffordern, Bananen zu verbieten.

Dann aber auch Anis, Äpfel, Basilikum, Brokkoli, Rosenkohl, Kohl, Melonen, Karotten, Blumenkohl, Sellerie, Zimt, Nelken, Kakao, Grapefruitsaft , Honigmelone, Meerrettich,  Pilze, Senf, Muskatnuss, Orangensaft, Petersilie, Pastinaken, Pfirsiche, Ananas, Radieschen, Estragon und Rüben. Diese sich harmlos gebenden Alltagslebensmittel enthalten alle von Natur aus Substanzen, die nicht nur theoretisch gefährlich sind, sondern sich im Tierversuch als krebserzeugend erwiesen haben.

Die Liste ließe sich beliebig erweitern, wenn man sich die Mühe machte, weitere Inhaltsstoffe von Pflanzen zu testen. Rund die Hälfte davon ist krebserzeugend.

Verschweigen wollen wir natürlich auch nicht die lange Liste menschengemachter Karzinogene: Asbest, Dieselabgase, Formaldehyd, usw. Die Glyphosat-Panik wurde ja durch die Einstufung der International Agency for Research on Cancer (IARC) der WHO im letzten Jahr angefeuert, die zum Schluss gekommen war, Glyphosat sei „wahrscheinlich krebserzeugend“. So richtig überraschend war dieser Befund nicht. Denn von insgesamt rund tausend Substanzen, die die IARC bisher bewertet hat, wurde nur bei einer Entwarnung gegeben und sie in die Gruppe 4 („wahrscheinlich nicht krebserzeugend beim Menschen“) eingestuft. Es handelt sich um Caprolactam, einen Ausgangsstoff für die Herstellung von Perlon. Aber wer will sich schon davon ernähren?

Glyphosat macht also Krebs? Das wäre nicht korrekt ausgedrückt. Glyphosat kann Krebs erzeugen – so stimmt der Satz wahrscheinlich. Und ist genauso richtig wie: Fast alles, was wir essen, kann Krebs erzeugen. Und genauso richtig wie der Satz: Das Vorsorgeprinzip ist unsinnig. Oder der Satz: Ärzte haben auch nicht immer recht.

Thilo Spahl

Thilo Spahl ist Diplom-Psychologe und lebt in Berlin. Er ist freier Wissenschaftsautor, Mitgründer des Freiblickinstituts und Redakteur bei der Zeitschrift NovoArgumente.

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