Völkermord – Zoff mit Erdogan?

Am 2.6.2016 will der Bundestag mit den Stimmen von CDU, SPD und Grünen eine Resolution zum Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten durch das osmanische Reich vor rund 101 Jahren beschließen. Präsident Erdogan wird wieder einmal toben.


Es ist nicht das erste Mal, dass der Bundestag sich mit dem Genozid an den Armeniern und anderen Minderheiten vor 101 Jahren beschäftigt. Bisher wurde allerdings auf türkischen Druck stets vermieden, den Völkermord als Völkermord zu bezeichnen. Damit soll nun tatsächlich Schluss sein.  Der mir vorliegende Antragstext zu einer Resolution des Bundestages zum Völkermord enthält gleich vier mal der Begriff „Völkermord“. „Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916“ lautet schon die Überschrift des Antrags.

Erwartungsgemäß versucht die türkische Seite auch dieses Mal massiven Einfluss zu nehmen, um das böse Wort erneut zu verhindern. So erhielten Abgeordnete des Bundestages bereits im März ein von 557 Organisationen unterzeichnetes Schreiben, als dessen Absender Selçuk Demirci von der türkischen Gemeinde zu Berlin und Niyazi Öncel vom „Verein zur Förderung der Ideen Atatürks“ Berlin-Brandenburg angegeben waren.

Die Unterzeichner haben ihre ganz spezielle Sicht der Dinge. So heißt es:

Wir bedauern aufrichtig. dass hunderttausende Armenier bei den höchst dramatischen und traurigen Ereignissen bei und in Folge von der Zwangsumsiedlung von 1915 aus unterschiedlichen Gründen ums Leben kamen. Es ist jedoch falsch, wenn bei den vorangegangenen Auseinandersetzungen und Kriegshandlungen lediglich von getöteten Armeniern die Rede ist und die nahezu in gleicher Zahl getöteten Türken ausgeklammert werden.“

Unterschiedliche Gründe klingt putzig. Da denkt man gleich an Herzinfarkte, Mumps, von der Leiter gefallen und sonstige Unbill des täglichen Lebens. Mann, was soll das? Und was soll das mit den in nahezu gleicher Zahl getöteten Türken. Da werden doch nicht etwa die Armenier einen so geschickten Völkermord an den Türken begangen haben, dass das bisher noch keinem aufgefallen ist?

Der Papst spricht von Völkermord

Die Unterzeichner meinen weiter, es sei noch nicht hinreichend erforscht, ob es sich um einen Völkermord handele und fordern die Bildung einer Historikerkommission. Doch ist es. Reichlich. Und bereits 20 Länder und  Papst Franziskus haben den Völkermord als solchen anerkannt. Ähnlich wie die Briefeschreiber versucht auch DITIB krampfhaft das böse Wort vom Völkermord weg zu relativieren.

Der Brief an die Abgeordneten endet wie folgt:

„Wir plädieren an das Gewissen aller Abgeordneten im Bundestag, dieses höchst brisante Thema nicht zu einem Gegenstand der täglichen Politik zu degradieren. Ein Parlament darf sich nicht an Stelle eines Gerichtes hineinsetzen und über die historische Schuld oder Unschuld anderer Völker richten, über historische Ereignisse Beschlüsse fassen. Einen solchen Beschluss, der die türkische Nation, deren Teil wir sind, mit dem schwersten Verbrechen gegen die Humanität bezichtigen würde, und ein Rechtsbruch im internationalen Sinne wäre, akzeptieren wir nicht. Als zivilgesellschaftliche Organisationen gegründet von Menschen mit türkischer Herkunft in Deutschland lehnen wir einen solchen Urteil mit Nachdruck ab. Ein solcher, auf politischen Motiven basierender Beschluss würde auch die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei tiefstens erschütterrı. Dies wäre eine Folge, die wir uns als Teil von und als Brücke zwischen beiden Völkern auf keinen Fall wünschen würden.“

Das ist nicht uninteressant und wert, sich damit etwas intensiver zu befassen.

Von täglicher Politik kann angesichts des Eiertanzes und der vielfachen Anläufe nun wirklich nicht die Rede sein. Das ist schon was besonderes.

Das deutsche Reich vertuschte

Die These, der Bundestag dürfe sich nicht an Stelle eines Gerichtes setzen, ist selbstverständlich richtig. Schließlich haben wir Gewaltenteilung. Sich an die Stelle eines Gerichts zu setzen, hat der Bundestag allerdings auch gar nicht vor. Hier wird ja kein Rechtsstreit geführt oder entschieden. Und selbstverständlich hat der Bundestag schon alleine deshalb einen guten Grund eine Resolution zu verabschieden, weil das deutsche Reich in diesem Fall eine ziemlich miese Rolle gespielt und den Völkermord aktiv vertuscht hat. Das soll in der Resolution ebenfalls klar zum Ausdruck gebracht werden.

In dem Entwurf, der mir vorliegt, heißt es u.a.:

Der Bundestag bedauert die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reichs trotz eindeutiger Informationen auch von Seiten deutscher Diplomaten und Missionare über die organisierte Vertreibung und Vernichtung der Armenier nicht versucht hat, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen. Das Gedenken des Deutschen Bundestages ist auch Ausdruck besonderen Respektes vor der wohl ältesten christlichen Nation der Erde.

Die Resolution ist weder eine Gerichtsentscheidung noch ein Gesetz und nichts und niemand kann dem Bundestag verbieten, eine solche Resolution zu verabschieden. Nicht mal der in der Türkei allmächtige Erdogan. Unmittelbare rechtliche Auswirkungen hat diese Resolution auch nicht. Und über Geschichte kann man bekanntlich auch keine verbindlichen demokratischen Beschlüsse fassen. Was man aber kann, darf und sollte, ist eine historische Tatsache auch als solche klar zu benennen. Völkermord ist Völkermord, ist Völkermord!

Im Resolutionsentwurf dazu:

Auch die Akten des Auswärtigen Amts, die auf Berichten der deutschen Botschafter und Konsuln im Osmanischen Reich beruhen, dokumentieren die planmäßige Durchführung der Massaker und Vertreibungen. Sie stellen die wichtigste staatliche Überlieferung zu den damaligen Geschehnissen dar. Das Auswärtige Amt hat diese Akten bereits vor vielen Jahren zugänglich gemacht. Bereits 1998 wurde Armenien ein kompletter Satz dieser Akten auf Mikrofiche übergeben. Die Türkei hat anschließend ebenfalls einen Satz erworben.

Dass die Unterzeichner ankündigen, die Resolution nicht zu akzeptieren, ist dabei ja völlig in Ordnung. Müssen Sie ja nicht. Es herrscht ja Meinungsfreiheit.

Deutsche türkischer Nation?

Wenn in dem Brief die Rede von „die türkische Nation, deren Teil wir sind“ die Rede ist, ist das angesichts der Tatsache, dass zunächst betont wird, es handele sich bei den Unterzeichnern um 557 in Deutschland eingetragene zivilgesellschaflliche Organisationen, ein sehr interessanter Aspekt.

Sind das nun Organisationen türkischer Staatsbürger, die sich in Deutschland aufhalten, Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft oder auch Deutsche mit türkischen Wurzeln? Betrachten diese Deutschen mit türkischen Wurzeln sich ernsthaft noch als Bestandteil der türkischen Nation? Kann man mit der deutschen Staatsbürgerschaft in der Tasche noch Bestandteil der türkischen Nation sein? Gibt es Deutsche türkischer Nation? Heißt ihr Präsident nicht etwa Gauck, sondern Erdogan? Da sie sich als „Menschen mit türkischer Herkunft in Deutschland“ bezeichnen, kann man genau dieses annehmen.

Pipi-Langstrumpf-Syndrom

Und wenn es so wäre, bedeutet das etwa, dass der deutsche Bundestag sich dem Pipi-Langstrumpf-Syndrom der türkischen Regierung und des türkischen Präsidenten fügen muss, weil es sonst Ärger gibt? Was für Ärger? Wird dann – wie beim Vatikan, als der Papst sich klar äußerte und von Völkermord sprach – der Botschafter abgezogen? Sei’s drum. Gibt es eine Anzeige wegen Beleidigung des Türken als solchem und des Präsidenten im Besonderen? Oder soll man sich vor türkischen Nationalisten innerhalb Deutschlands fürchten? Es mutet ja schon unheimlich an, wenn auf einer Veranstaltung der Universität Duisburg mit dem Wolfsgruß gegrüßt wird. Mir reicht ein echter Wolf in Rösrath. Oder werden künftig deutsche Touristen gezankt?

Soll ernsthaft eine Minderheit innerhalb der Bevölkerung, angeleitet von einem übererregbaren Realitätsverweigerer aus Ankara bestimmen dürfen, welche Meinung der Bundestag zu diesem Völkermord artikulieren darf? Och nö. Das glaubt der doch selbst nicht wirklich. Aber natürlich versucht er es auch dieses Mal, weil es bisher – der EU sei Dank – ja so schön geklappt hat. Diese ganze Droherei nutzt sich irgendwann auch mal ab. Sollte etwa das beknackte unwürdige Flüchtlingsabkommen gekündigt werden? Na wenn schon. Es ist eh eine Schande für unser Land und sein Verständnis von den Menschenrechten.

Und wieso sollte die Resolution „die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei tiefstens erschüttern“? Die Beziehung zwischen Türken und Deutschen ist recht gut und ziemlich stabil. Seit Jahrzehnten. Niemand wirft einem heute lebenden Menschen in der Türkei oder sonst wo vor, im Zusammenhang mit dem Völkermord irgendeine Schuld auf sich geladen zu haben. Und wenn die Türkei weiterhin behaupten will, es habe sich damals nicht um einen Völkermord gehandelt, dann darf sie das ja auch gerne bis ans Ende ihrer Tage, Verzeihung, bis ans Ende aller Zeiten, tun. Das gleiche Recht steht auch jedem Türken, Deutsch-Türken, Deutschen oder wem auch immer zu. Wir sind schließlich nicht in der Türkei und hier darf jeder seine Meinung haben. Es ist ja nicht so, dass der Bundestag eine Strafvorschrift entsprechend der Holocaust-Leugnung beabsichtigen würde.

Man könnte natürlich auf die Idee kommen, dass es hier in erster Linie darum gehe, Erdogan zu ärgern und das auf Kosten der deutsch-türkischen Beziehungen. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Nur wenn man die Fakten auf den Tisch legt, kann man vernünftig über das Thema reden.

Im Entwurf der Resolution heißt es:

Die eigene historische Erfahrung Deutschlands zeigt, wie schwierig es für eine Gesellschaft ist, die dunklen Kapitel der eigenen Vergangenheit aufzuarbeiten. Dennoch ist eine ehrliche Aufarbeitung der Geschichte die wohl wichtigste Grundlage für Versöhnung sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch mit anderen. Es ist dabei zu unterscheiden zwischen der Schuld der Täter und der Verantwortung der heute Lebenden. Das Gedenken an die Vergangenheit mahnt uns außerdem, wachsam zu bleiben und zu verhindern, dass Hass und Vernichtung immer wieder Menschen und Völker bedrohen.

Dass sich so viele türkische Organisationen in den Dienst der Genozid-Leugner stellen, erschreckt auch den Schriftsteller Günter Wallraff, der der Initiative Anerkennung jetzt ein exklusives Interview gab.

Anerkennung Jetzt:

557 türkische Organisationen haben sich zusammengeschlossen, um die Anerkennung des Genozides im Bundestag am 2. Juni zu verhindern. Was sagen Sie zu dieser Leugsnungskampagne der türkischen Verbände in Deutschland?

Günter Wallraff:

Das erschreckt. Da ist viel Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit zu leisten, um das aufzubrechen. Hier geht es um eine Aufarbeitung die überfällig ist, die selbstverständlich ist und die nicht mit Tabus behaftet werden darf. Wenn die sich dem alle aus freien Stücken und guten Willens und Herzens verpflichtet fühlen, dann wäre ja fast alles zu spät. Schande.

Unverschwurbelt reden!

Den Nachfahren der Armenier und der anderen im Rahmen der Vertreibung und des Genozids ermordeten Christen steht aber endlich zu, dass der deutsche Bundestag sich mit klaren Worten und unverschwurbelt zur Mitverantwortung des deutschen Reiches an diesen unsäglichen Gräueln bekennt. Eine längst überfällige Erklärung aus Angst vor der unkalkulierbaren Wut eines despotischen Präsidenten zu unterlassen, hat nichts mit Diplomatie zu tun, es wäre simple Feigheit. Und nichts dürfte den türkischen Präsidenten in seinem Größenwahn mehr bestärken, als ein erneutes Kuschen des Bundestages. Gleichzeitig würde das seine Verachtung für seine politischen Gegner nur noch erhöhen. Jetzt ist es einmal an der Zeit, sich aufrechten Hauptes zu erklären.

Cem Özdemir, der Initiator des Resolutionsantrages, sagte gegenüber der BILD:

„Es kann schon sein, dass es Ärger aus Ankara gibt. Aber der Bundestag lässt sich nicht von einem Despoten wie Herrn Erdogan erpressen.“

Na, dann schaun wir mal, ob er Recht behält oder ob die Hasenfüße sich wieder einmal durchsetzen.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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