Fünf nach Zwölf

Eintracht Frankfurt hat Trainer Veh entlassen. Viel zu spät meinen Experten. Zu konzeptlos, zu planlos, zu fahrig wirkte das Team seit langem. Zu launisch und phlegmatisch erschien der Coach. Wiederholt sich nun die Geschichte von 2011 mit einem unnötigen Abstieg?


Zeitsprung: Frankfurt am Main, Frühjahr 2011. Nach einer passablen Hinrunde, man überwinterte in der Nähe der Euro-League-Plätze, stürzte die Eintracht in die tiefsten Tiefen der Bundesliga-Tabelle ab. Vereinsboss Heribert Bruchhagen, ein bekennender Traditionalist im sich immer schneller drehenden Profi-Fußball, entschloss sich zum lange Zeit Undenkbaren. Er entließ Trainer Michael Skibbe, an dem der sture Ostwestfale, trotz notorischer Erfolglosigkeit und tiefen Zerwürfnissen in der Mannschaft, genauso stur festgehalten hatte, wie Jahre lang zuvor am kreuzbraven Friedhelm Funkel, der mit humorlosen Ergebnisfußball die einstige Diva vom Main immer wieder haarscharf am Abstieg vorbei geführt hatte. Selbst Insider waren überrascht, als Bruchhagen als Feuerwehrmann ausgerechnet Enfant terrible Christoph Daum verpflichtete. Jenen Zampano, der seine Spieler bei Bayer Leverkusen einst über glühende Scherben laufen ließ und den nachgewiesener Kokain-Konsum eine Karriere als DFB-Bundestrainer kostete.

Wundermann Daum kam zu spät

Der Ausgang der Geschichte ist bekannt. Der vermeintliche Retter konnte Eintracht Frankfurt nicht retten – und das Bundesliga-Gründungsmitglied stieg zum vierten Mal in seiner Geschichte ab. Medien und Umfeld vermitteln bis heute den Eindruck, als trage Daum ein großes Maß an Mitschuld am Niedergang. Das ist schlicht falsch. Der einstige Erfolgstrainer kam viel zu spät, um ein völlig desolates Team noch vor seinem de facto vorbestimmten Schicksal zu bewahren. Allein, sein messianisches Auftreten und die bekannte Motivationstrainer-Rhetorik konnte man dem früheren Kölner ernsthaft ankreiden. Wenn sich keine Wunder einstellen, wirken Wunderheiler peinlich.

Die wahren Verantwortlichen indes kamen viel zu gut weg: Boss Bruchhagen und wer sonst noch in den Gremien etwas zu sagen hatte. Lediglich wurde Bruchhagen mit Bruno Hübner ein Sportmanager zur Seite gestellt. Ansonsten galt Business-as-usual. Der kurzfristige Erfolg gab dem Aussitzkurs recht. Der Eintracht gelang mit dem neuen Trainer Armin Veh der direkte Wiederaufstieg. Im Jahr darauf zog der der hessische Traditionsklub direkt in die Euro League ein. Fortan an war Fußball-Frankfurt wieder im Größenwahn-Modus. In den Analen galt der Abstieg 2011 als Makel ohne Folgen. Manche sprachen vom unnötigsten Abstieg aller Zeiten.

Veh wirkte lustlos, konzeptlos, planlos

Sprung zurück in die Jetzt-Zeit: Am 6. März musste Bruchhagen den zweiten Trainer-Rauswurf während seiner Zeit in Frankfurt vollziehen. Es dürfte auch der letzte gewesen sein, denn im Sommer will sich der Doyen aufs Altenteil zurückziehen. Und wie 2011 kommt der Schritt viel zu spät. Spätestens nach dem fleischlosen Unentschieden gegen den Hamburger SV vor drei Wochen hätte man Veh den Laufpass geben müssen. Manche Insider meinen sogar: Bereits in der Winterpause wäre der letztmögliche Zeitpunkt gewesen. Aber dann, so viel ist sicher, hätten sich die Eintracht-Bosse selbst ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Denn Bruchhagen und sein Adlatus Hübner waren es, die den gebürtigen Augsburger zurück an den Main holten. Nach dem dieser sich im Frühjahr 2014 mit den Worten, dass er keine Lust mehr habe, immer wieder dem gegnerischen Trainer zum Sieg gratulieren zu müssen, aus Frankfurt verabschiedete. Veh fühlte sich zu Höherem berufen und kehrte zurück nach Stuttgart, wo er 2007 mit dem VfB Meister geworden war. Nur musste der Maestro diesmal auch am Neckar meist dem Gegner die Hand schütteln. Nach nicht mal einem halben Jahr strich er in Stuttgart die Segel und kündigte an, eine längere Pause machen zu wollen. Die endete in dem Moment, als ihn Bruchhagen und Hübner zurück an den Main lotsten, obwohl sich die finanziellen Möglichkeiten dort gar nicht so entscheidend verbessert hatten.

Schmaler Grat zwischen Genialität und Schlendrian

Dennoch fand Veh, der während seiner ersten Amtszeit allzu oft über die begrenzten Möglichkeiten am Main gelästert hatte, plötzlich alles prima. Den Kader, mit dem die Eintracht in die Saison 2015/2016 startete, nannte er den „stärksten, den die Eintracht seit langem hatte“. Und nachdem manche Spieler vermeintlich über das zu harte Training von Vorgänger Thomas Schaaf gemault hatten, setzte Veh eher auf Kuschelkurs und lange Leine. Vielen Fans indes, die dem Augsburger seine Hände-Schüttel-Sprüche samt französischem Abschied niemals verziehen hatten, kam die Feelgood-Stimmung verdächtig vor. Zudem werfen Experten Veh seit geraumer Zeit ein eher altbackenes Training vor, manchen erschien der Gemütsmensch auch allzu unmotiviert. Eine Haltung, die gerade bei Eintracht Frankfurt, wo der Grat zwischen Abstieg und Höhenflug, zwischen Genialität und Schlendrian, besonders schmal ist, ansteckend wirken kann.

In der Tat übertrugen sich die Launen des sportlichen Leiters haufen auf das Team. Einem Fußball-Orkan wie dem 6:2-Sieg gegen den 1. FC Köln folgten prompt unterirdische Auftritte gegen die Aufsteiger aus Ingolstadt und Darmstadt. Sowie ein hochnotpeinliches Pokal-Aus in Aue.

Schwache Transferpolitik

Rasch zeigte sich, dass sowohl Veh als auch Sportdirektor Hübner die Qualität ihres Kaders gnadenlos überschätzt hatten. Keine Feier ohne Meier, besser als auf Eintracht Frankfurt kann der Spruch nirgendwo zutreffen. Fällt Torjäger Alex Meier aus oder ist der Goalgetter im Formtief, läuft nichts in der Mannschaft. Der für mehr als zwei Millionen Euro aus Enschede geholte Niederländer Luc Castaignos erwies sich bis zu seiner Verletzung als Meier-Vertreter überfordert. Ehrendivisie ist eben nicht Bundesliga. Und Vaclav Kadlec, den Veh einst unbedingt für 3, 5 Millionen Euro von Sparta Prag loseisen wollte, wurde im Winter als Fehleinkauf nach Dänemark abgeschoben. Dass die Eintracht zwischen den Jahren gleich fünf neue Spieler nachverpflichtete, kann als Offenbarungseid für die Transfer-Politik von Veh und Hübner gewertet werden. Allerdings wurden bis auf den jungen Berliner Rechtsverteidiger Yanni Rehgäsel und die Schalke-Leihgabe Kaan Ayhan ausschließlich Offensivkräfte nachgekauft, obwohl Experten auch auf der Schaltstelle im defensiven Mittelfeld erhebliche Defizite ausgemacht hatten. Weder der mit viel Vorschusslorbeeren aus Leverkusen geholte Stefan Reinartz, noch der meist auf der rechten Seite kaputt gespielte Makoto Hasebe konnten wirklich überzeugen. Alle Last ruhte meist auf den Schultern des 20-jährigen Talents Marc Stendera, das mittlerweile reichlich überspielt wirkt. Der im Januar aus China zurückgeholte ungarische Altinternationale Scabolzcs Hustzi wiederum zeigt jetzt Woche für Woche, dass er seine beste Zeit hinter sich hat

Extrem schweres Restprogramm

Keine Linie, keine Inspiration, kein Konzept, so muss man die inzwischen beendete Ära Veh 2.0 zusammenfassen. Wer immer nun als Nachfolger an den Main kommt, seine Aufgabe ist mindestens so schwer und beinahe so aussichtslos wie die von Christoph Daum 2011. Zum einen wartet ein extrem schweres Restprogramm auf die Eintracht. Mit fast allen Spitzenteams, u. a. Bayern München, Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen und Borussia Mönchengladbach müssen sich die Adlerträger noch messen. Zum anderen vermitteln die bisherigen Auftritte der Mannschaft nicht den Eindruck, als dass ein neuer Trainer nur den Hebel umlegen braucht. Nie war wirklich ein System oder ein überlegtes Zusammenspiel erkennbar. Das meiste war Stückwerk, fast alle erfolgreichen Aktionen blieben dem Zufall überlassen. Dieses Team kann nicht allein mit Motivation und einem neuen Gesicht umgekrempelt werden, eine Rundumsanierung wäre nötig. Nur dafür fehlt die Zeit. In der Winterpause vor dem Trainingslager am Persischen Golf wäre sie eventuell noch da gewesen.

Als bekennender Hesse, der in seinem Leben schon viel Herzblut für diesen Verein vergossen hat, würde mich eine wundersame Rettung natürlich mehr als freuen. Allein, mir fehlt der Glaube. Als wahrscheinlicher schätze ich ein, dass dem unnötigsten Abstieg aller Zeiten 2011, nun der aller-unnötigste Abstieg 2016 folgen wird.

Eintracht wird aus Schaden nicht klug

Aus Schaden wird man klug, heißt es. Für die sportliche Leitung von Eintracht Frankfurt scheint dies nicht zuzutreffen. Deswegen sollte nach Saisonende ernsthaft Bilanz gezogen und nicht nur Veh und Aussteiger Bruchhagen auf den Prüfstand gestellt werden. Für Letzteren wäre es immerhin mehr als tragisch, wenn sein Verein, für den er sich in den vergangenen 15 Jahren ernsthaft und ehrlich eingesetzt hat, nochmals in die ungeliebte Liga Zwei durchgereicht wird.

Allen unausweichlich erscheinenden Realitäten zum Trotz hofft man als Fan, dass der Fußball-Gott die Gesetze der Schwerkraft noch einmal außer Kraft setzen mag. Das wäre zwar nicht verdient. Der Eintracht und ihren großartigen Fans wäre es dennoch zu wünschen.

 

 

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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