Vive La Wirr-War!
Nach dem Beschluss des Bundestages vom 4.12.2015 sollen bis zu 1200 deutsche Soldaten mit sechs Aufklärungsflugzeugen des Typs Recce-Tornado, einem Tankflugzeug, Satellitentechnik sowie einer Fregatte den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) unterstützen. Was soll das?
Was das genaue Ziel dieser Operation sein soll und wer diese Operation federführend leitet, liegt etwas im Dunkeln. Womöglich würden auch – wie man heute so sagt – Teile der Antwort die Bevölkerung verunsichern. Der französische Präsident hatte nach den Anschlägen von Paris um die deutsche Unterstützung gebeten und er hat sie in der gewünschten Form bekommen. Vielleicht, wie behauptet, aus Solidarität, vielleicht aber auch, weil man sich später bei der Verteilung des Wiederaufbaukuchens nicht hinten anstellen möchte. Denn da wird es einiges aufzubauen geben, wenn das Abbruchkommando beendet ist. Also kämpfen wir – bzw. unsere Bundeswehrsoldaten – nun auch mal mit.
Bekämpft werden soll also, wie man so hört, der sogenannte IS.Die einen wollen ihn bloß schwächen, die anderen zurückdrängen und wieder andere wollen ihn vernichten. Es soll sogar Mitkämpfer geben, die ihm billiges Öl abnehmen, aber das weiß man nicht so genau. Wie man so manches nicht oder nicht so genau weiß. Nur, dass das mit bloßen Luftschlägen nicht gelingen kann, weiß man ganz genau. Aber das kümmert ja keinen, man muss ja jetzt etwas tun. Auch wenn es das Falsche ist. Egal. Es lebe der blinde Aktionismus. Vive La Wirr-War!
Bisher wurden dort bereits 20.000 amerikanische Bomben und Raketen abgeworfen – ohne dass eine ernsthafte Schwächung des IS festzustellen wäre. Die Bomberei ist ja nicht erst die Reaktion auf die Pariser Anschläge, die läuft schon länger. Angesichts der vermuteten Anzahl von rund 30.000 IS-Kämpfern hätten 20.000 Bomben und Raketen doch gründlich räumen müssen. Die Richtigen getroffen haben die wohl eher nicht. Nun bomben auch noch die Russen, die Franzosen, die Briten, die Türken und weiß der Teufel wer noch. Das ist kein planvoller Krieg gegen irgendwen oder irgendwas, das ist ein völlig undurchschaubares Durcheinander.
Jeder kann mitmachen
Insgesamt soll es eine „Allianz“ aus rund 60 Staaten geben zu denen neben einigen weiteren europäischen Staaten wie Großbritannien, Dänemark, Belgien, Italien und Polen auch noch diverse arabische Staaten und Emirate kommen. Jeder darf mitmachen. Jeder seine alten Bomben entsorgen. Da selbst dem Dümmsten klar ist, dass man einen Bürgerkrieg wie er in Syrien herrscht nicht alleine mit Luftangriffen beenden oder gar befrieden kann, setzen die bunt zusammengewürfelten Verbündeten neben den Kampffliegern auf diverse lokale Bodentruppen.
Und da wird es dann vollends unübersichtlich, angesichts der völlig unterschiedlichen Interessen, die die einzelnen Mitglieder und die militärischen und paramilitärischen Kampfverbände so antreibt. Dass sich irgendjemand dort ausschließlich aus rein humanitären Gründen beteiligt, glaubt nur, wer auch an den Weihnachtsmann glaubt. Ginge es ausschließlich um Humanität und den Schutz der Zivilbevölkerung, den man so gerne im Rahmen einer völkerrechtlichen Rechtfertigung mit R2P ( Right to protect ) – also einer Art Nothilfe für die gepeinigte Bevölkerung – heranzieht, dann gäbe es wohl nicht so ein Abwehrgerangel um die Aufnahme der Menschen, die vor diesem Wahnsinn fliehen.
Jeder für sich und Gott gegen alle
Die auch von Deutschland mit militärischem Material ausgestatteten kurdischen Peshmerga – „Die dem Tod ins Auge Sehenden“- kämpfen letztlich für das, wofür sie immer gekämpft haben, für einen eigenen Kurdenstaat. Das ist natürlich das Gegenteil dessen, was der türkische Präsident Erdogan haben will. Dem sind auch die russischen Luftaktivitäten ein Dorn im Auge, und so wird dann schon mal ein russisches Flugzeug samt Piloten vom Himmel geholt, weil es sich ein paar Sekunden im türkischen Luftraum befand. Gemeinsamer Kampf gegen das „Böse“? Pustekuchen. Da kämpft jeder für sich und der jeweilige Gott gegen alle.
Russland wiederum geht es in erster Linie um seinen Einfluss in Syrien und seinen Zugang zum Mittelmeer und seinen Marinestützpunkt Tartus. Deshalb liefert Russland auch der syrischen Armee tatkräftige Luftunterstützung, weniger gegen den IS, wohl aber gegen die syrischen Rebellen, die Assad stürzen wollen und die ursprünglich mal als Hoffnungsträger von den Amerikanern unterstützt wurden. Nebenbei möchte man als wichtiger Partner der Allianz ganz gerne, dass der Rest der Welt mal die Ukraine vergisst.
Waffen aus aller Welt
Nun sollte man aber nicht annehmen, dass das schon das vollständige Szenario der aktuellen militärischen Auseinandersetzungen wäre. Die Lage in Syrien und im Irak ist völlig unübersichtlich und eine Ende des Sterbens auf Jahre nicht in Sicht. Dass sich die Kämpfer mit den gleichen Waffen aus aller Welt, auch aus deutscher Produktion, gegenüberstehen, ist schon ekelhaft genug. Die Waffenschmieden wird das freuen. Was weg ist, muss ersetzt werden. Der Rubel, Dollar, Euro rollt. Das einzige, was diese Kämpfe zuverlässig vorhersehen lassen, ist die Produktion von Chaos, Zerstörung, Elend und Tod. Wer da nicht abhaut und flieht, wenn er denn kann, muss ein Rad abhaben.
Alexander Wallasch hat das bereits 2012 wie folgt zutreffend kommentiert:
„Die Interessenlage ist so vielfältig, dass auch das dem Fokus einer allgemeingültigen Wahrheit entrückt ist. Lösst es sich besser auf, wenn man sich nach den unterschiedlichen Interessenlagen im Vorfeld erkundigt? Öl, strategische oder/und religiöse Positionen. Da werden Koalitionen geschmiedet und gewechselt wie die Weiber beim Gangbang im Provinzpuff. Russland, Brasilien, China. USA, Katar, Saudi-Arabien. Jeder kocht sein eigenes Süppchen. Die trübe Brühe der SyrienGesinnungspolitik.“
Vielleicht wäre diese totale Zerstörung eines Staates, eines Landes, von jahrhunderte alten Kulturstätten und einer täglich größer werdenden Masse von Menschen noch am ehesten zu stoppen, wenn man die vor dem Irrsinn fliehenden Menschen beim Verlassen der Region unterstützt und ihnen bei uns Sicherheit gewährt. Wenn man den rivalisierenden Truppen die Opfer wegnimmt, wenn sie sich nur noch gegenseitig umbringen können. Vielleicht hatte Angela Merkel da ursprünglich eine richtig gute Idee mit der Willkommenskultur.
Löschen mit Benzin
Wenn in der Nachbarschaft ein Haus angezündet wird, nehmen die Nachbarn doch auch die vor den Flammen Flüchtenden erst mal bei sich auf und rennen nicht mit Benzinkanistern rüber, um zu erzählen, dass sie damit die Flammen löschen wollten. Wenn der Brand gelöscht und die Schäden beseitigt sind, wollen die Geretteten schon ganz von alleine wieder in ihr Heim. Und sie sind den wirklich uneigennützigen Helfern schlicht dankbar.
Okay, so eine gute Idee kommt in Zeiten eines erwachenden Nationalismus in Europa nicht so gut an, wäre aber zur Verhinderung von künftigen Terroranschlägen in Europa vermutlich wirksamer, als der syrischen Bevölkerung ihre Familienmitglieder wegzubomben. Für mich würde es keinen großen Unterschied machen, ob meine Frau oder Kinder bei einem nett gemeinten humanitären Bombenangriff „versehentlich“ von vermeintlichen Helfern aus der Luft oder von Feinden am Boden getötet würden. In beiden Fällen würde ich vermutlich auf Rache sinnen und womöglich versuchen, die Mörder in ihren Ländern ebenfalls anzugreifen und möglichst viele von ihnen mitzunehmen. Wenn man seine Liebsten verloren hat, ist einem dann wahrscheinlich auch egal, wenn man dabei draufgeht. Irgendwann ist einem alles egal. Dass auch dies von den Führern noch mit einem Schuss religiös verbrämten Wahnsinn eiskalt ausgenutzt wird, darf nicht verwundern.
Reichen 30 Jahre?
Angesichts der unübersichtlichen Lage und des Hin und Her der Gebietsgewinne und -verluste erinnert dieser Bürgerkrieg, der witzigerweise nicht so sehr von Bürgern sondern gegen Bürger geführt wird, an den 30-jährigen Krieg von 1618 bis 1648. Da wusste am Ende auch keiner mehr so ganz genau, wer, wann und warum mit wem kooperiert hatte oder warum diese gequirlte Kacke überhaupt begonnen hatte. Auch da wurde Religion als Vorwand für Land- und Machtgewinn genutzt, und zwar die christliche, ganz ohne Muslime. Auch da kämpften Alle in verschiedenen Allianzen in erster Linie zum eigenen Vorteil. Auch da verreckte ein großer Teil der Bevölkerung, ohne dass das die Kriegsherren groß gestört hätte. Erst nachdem das Land weitgehend zerstört und ein Großteil der Bevölkerung gestorben war, kam es nach 30 Jahren sinnloser Kriegführung zum Westfälischen Frieden.
Es mag sein, dass der unsinnige Kampf in Syrien und im Irak noch länger als 30 Jahre dauern wird und es mag sein, dass der Wunsch des IS eines Krieges um die ganze Welt, schon bald in Erfüllung geht. Dazu müssen ja nicht einmal IS-Kämpfer aus der Region auf die anderen Kontinente kommen. Es reicht, wenn sich vor dem Hintergrund des entfesselten Irrsinns einheimische Kräfte weiter oder erstmals radikalisieren. Wer ernsthaft meint, er könne die einheimischen Terroristen von Terroranschlägen abhalten, wenn er ferne Länder bombardiert, der irrt. Das werden die nur als zusätzliche Rechtfertigung ansehen. Tatsächlich wird das aber auch keiner der beteiligten Staatslenker meinen, es sieht halt nach Aktivität aus und beeindruckt vielleicht die Fans einfacher Lösungen. Die nächsten Anschläge kommen aber so sicher wie der Sonnenaufgang am Morgen. Das freut den IS und das nützt auch den rechtspopulistischen Parteien in Europa. Das wird zu weiteren Einschränkungen der Freiheit in Europa führen, die von sogenannten Sicherheitspolitikern nach jedem Anschlag gefordert werden.
Der Satz, die Freiheit Deutschlands werde auch am Hindukusch verteidigt, war schon falsch. Wenn nun jemand behauptet, die Werte Europas könnten durch die „Allianz gegen den IS“ in Syrien und im Irak verteidigt werden, der irrt gewaltig oder er lügt absichtlich. Die Feinde der europäischen Werte sitzen mitten in Europa und sie gewinnen immer mehr an Boden. Ob in Ungarn, Polen oder Frankreich. Gegen die internen Feinde von Rechtsstaat und Demokratie, egal aus welchem Lager, helfen keine Bomben und keine Bodentruppen. Gegen die hilft nur gelebte Demokratie. Und dazu gehört echter Mut zur Freiheit.