Schweigen ist Schweigen – sonst nichts
Der Kollege Jörg Friedrich ist Philosoph. In seiner heutigen Kolumne (http://diekolumnisten.de/2015/12/06/schweigen-muessen-ist-strafe/) philosophiert er über die Strafe für Beate Zschäpe – und übersieht dabei einige wesentliche Punkte.
Ja, Schweigen zu müsssen, kann ätzend sein.Wenn ich zu dieser Kolumne schweigen müsste, wäre das für mich unangenehm, allerdings keine Strafe. Deshalb genieße ich es auch, als Mitglied von DieKolumnisten nicht schweigen zu müssen, wenn mir eine Kolumne eines Kollegen missfällt. Das ist ein unglaubliches Privileg. Und deshalb gibt’s heute mal eine Extra-Kolumne.
Bereits im Teaser wird die Unschuldsvermutung einfach mal so gekippt.
„Wenn Beate Zschäpe in der kommenden Woche aussagt, sinkt ihre Strafe, auch wenn sie dadurch länger im Gefängnis bleibt.“
Das ist bestimmt nicht bösartig gemeint, aber es entspricht der Berichterstattung der Boulevardmedien in diesem Fall. Schon mit der Anklageerhebung war die Angeklagte Zschäpe die Nazi-Braut, das NSU-Mitglied oder die Mordgesellin. Es ging in den seltensten Fällen um die Frage, ob sie schuldig ist und falls ja, welcher Taten sie überführt werden kann, sondern nur um die Höhe der Strafe. Mehr Vorverurteilung als bei dieser Angeklagten kann man sich kaum vorstellen.
Unschuldsvermutung auch für Zschäpe
Nun mag man ja privat Kenntnisse oder auch nur Vermutungen oder auch nur negativ Gefühle bezüglich einer Angeklagten haben, für die Frage der Schuld spielen die alle keine Rolle. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt für jeden Angeklagten, ganz unabhängig vom Anklagevorwurf.
Vor gut zweieinhalb Jahren schrieb ich dazu:
Ob Frau Zschäpe ein Gründungsmitglied oder sonstiges Mitglied irgendeiner Gruppierung war, ob diese Gruppierung gar eine terroristische Vereinigung war, soll das sogenannte NSU-Verfahren gerade erst klären. Das ist keine feststehende Voraussetzung dieses Verfahrens, sondern einer der Anklagepunkte. Der „NSU“ ist ja kein eingetragener Verein, dessen Gründungssatzung und Vereinszweck beim Amtsgericht hinterlegt ist. Ob es tatsächlich überhaupt eine „NSU“-Gründung gegeben hat, an der die Angeklagte teilgenommen hat, ob es also so gewesen ist, wie angeklagt, weiß man erst eventuell am Ende des Verfahrens, aber sicher nicht schon Wochen vor dessen Beginn.
Und:
Die Unschuldsvermutung ist eine sensationelle Errungenschaft des Rechtsstaats. Dieser Grundsatz eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens findet sich in Art. 11 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948:
„Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist so lange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.“
Auf den ersten Blick ganz einfach, aber wehe der Verdächtige ist in den Augen der Öffentlichkeit ein Monster oder so etwas Ähnliches. „Das gilt ja nur für Menschen und nicht für solche Schweine“ habe ich schon oft zu hören bekommen; „die haben alle Menschenrechte verwirkt“ ist auch recht beliebt.
Der Rechtsstaat ist mitunter recht unbeliebt, wenn er sich dem „gesunden Volksempfinden“ – welches regelmäßig ein recht ungesundes ist – entgegenstellt. Und diese Unbeliebtheit muss er ertragen. Die Justiz ist weder dazu da, die Straferwartungen des Volkes oder gar des Mobs, der In- und Auslandspresse zu erfüllen, noch sich bei diesen oder der eigenen Regierung beliebt zu machen. Ihre Aufgabe ist einfach zu beschreiben: sie soll Recht sprechen.
Bevor ein Gericht sich Gedanken über die richtige Strafe machen kann, muss erst einmal der Tatvorwurf bewiesen werden. Ob das gelingen wird, steht auch nach über zwei Jahren NSU-Verfahren noch in den Sternen. Es ist nicht einmal sicher vorherzusagen, ob das aktuelle Verfahren ordnungsgemäß abgeschlossen werden kann oder ob es vorzeitig endet. Es ist auch noch nicht absehbar, ob ein eventuelles Urteil eine Revision überstehen wird.
Aber nun gut. Für Jörg Friedrich steht die Verurteilung wohl außer Frage, kann er ja mal meinen. Er ist ja kein Gericht.
Niemand MUSS schweigen
Nun ist es allerdings auch keineswegs so, dass ein Angeklagter schweigen muss. Auch wenn es in der Regel klug ist, der Strategie der Verteidiger zu folgen und gerade in einem derartig umfangreichen Indizienprozess das Maul zu halten, steht es natürlich jedem Angeklagten frei, sich jederzeit zur Person oder zur Sache zu äußern.
Niemand kann von der Verteidigung zum Schweigen gebracht werden. Dass es vielleicht anstrengend ist, wenn man sich Tag für Tag Aussagen anhören muss, die man gerne richtig stellen möchte, will ich ja gar nicht bestreiten. Eine Strafe ist es trotzdem nicht, weil man das freiwillig tut.
Wenn’s das nur wäre. Aber dann folgen Erwägungen zur Strafe und zum Strafmaß, die sich dermaßen jenseits des Strafrechts bewegen, dass ich da ein paar Dinge zurechtrücken muss, um nicht versehentlich zu platzen.
Das Erwachenenstrafrecht kennt genau zwei Strafen. Die Geldstrafe und die Freiheitsstrafe. Bei jedem Straftatbestand gibt der Gesetzgeber einen mehr oder wenig hohen Strafrahmen vor. Innerhalb dieses Strafrahmens misst das Gericht dann – im Falle einer Schuldfeststellung – die individuelle Strafe. Es geht bei den jeweiligen Strafrahmen nicht darum, irgendetwas zu „vergleichen“. Bei Mord ist das mit dem Strafmaß ziemlich einfach, da lautet der Strafrahmen lebenslang.
Wenn Frau Zschäpe schuldig sein sollte, spielt es also vermutlich keine große Rolle, ob sie weiter schweigt oder eine Aussage macht. In ihrem Fall wird das – immer ihre Schuld vorausgesetzt – wohl auch keine Auswirkungen darauf haben, ob das Gericht die besondere Schwere der Schuld annehmen wird. Die Aussage hat in diesem Fall in erster Linie Auswirkungen auf die Frage der Schuldfeststellung, weniger auf eine eventuelle Strafe.
Das Böse ist kein Kriterium des Strafrechts
Das Strafgesetzbuch kennt den Begriff „böse“ nicht, sodass anhand des Strafmaßes auch nicht darüber diskutiert werden kann, ob eine Straftat „böser“ ist als eine andere. Das Böse ist zwar gemäß der Ersten Allgemeinen Verunsicherung „immer und überall“, aber eben nicht im Strafgesetzbuch. Da geht es nur um die Frage, ob jemand einen Straftatbestand erfüllt hat oder nicht.
Die Frage, ob die Strafe den einen Verurteilten mehr trifft, als den anderen, ist übrigens ein Kriterium der Strafzumessung. Es wird als besondere Strafempfindlichkeit bezeichnet und also , neben vielen anderen Kriterien, durchaus berücksichtigt.
Was sich der Kollege Friedrich da unter dem Begriff der Strafe zusammenphilosophiert, hat in Wirklichkeit nichts, aber auch gar nichts mit der Kriminalstrafe, also der staatlichen Sanktion auf die Erfüllung eines Straftatbestandes, zu tun.
Es sind vielmehr unterschiedliche psychische Reaktionen einzelner Verurteilter mit unterschiedlichen Wirkungen. Da mag man über Reue, Gewissen oder Resozialisierung, über Einsicht oder Sinnsuche sprechen. Aber bitte nicht über Strafe.
Kein Anspruch auf Vergebung
Dass ein Opfer einem Täter nicht verzeihen möchte oder kann, hat nichts mit einer Strafe zu tun. Es gibt kein Recht eines Straftäters auf Vergebung durch das Opfer. Nur wenn es das gäbe, könnte man bei entsprechender Verweigerung von einer Strafe sprechen. Im übrigen straft in einem Rechtsstaat nicht das Opfer, sondern der Staat.
Wenn hier sogar das „Schweigen müssen“ zur Strafe hochstilisiert wird, ist das zweifach falsch. Müssen muss ein Angeklagter gar nichts. Er kann schweigen, die Wahrheit sagen oder lügen. Es ist seine Entscheidung. Wenn er etwas erzählen möchte, kann er das jederzeit tun, auch wenn er zunächst geschwiegen hat. Er muss auch gar nicht in der Hauptverhandlung sprechen, er kann seine Story auch meistbietend verhökern.
Was auch immer Frau Zschäpe machen wird, sie muss natürlich mit den Reaktionen leben. Wie jeder der was sagt, auch Jörg Friedrich. Aber auch das hat mit Strafe nichts zu tun.