Gomorrha

Theo Zwanziger hat mit seinem Rachefeldzug die heile Welt des vorgeblich sauberen Deutschen Fußballbundes aus den Angeln gehoben. Dabei war der Enthüller jahrelang Bestandteil des Systems Profisport. Was zeigt, dass ein pures Austauschen der Köpfe den Weltfußball nicht retten wird.


Man stelle sich vor, Theo Zwanziger hätte Jesus Christus getroffen und ihn gefragt: „Meister, der Franz Beckenbauer und der Wolfgang Niersbach haben bei der Vergabe der Weltmeisterschaft 2006 gesaubeutelt. Sag mir, was soll ich tun“. Vielleicht hätte Jesus ihm geantwortet: „Theo, wenn Du ohne Sünde bist, dann geh hin und wirf den ersten Stein!“

Mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, dass Theo Zwanziger dem Religionsstifter nicht begegnet ist. Und ob der frühere DFB-Präsident ohne Schuld ist, kann man zumindest bezweifeln. Den ersten Stein hat er trotzdem geworfen. Zunächst hinter der Hecke hervor – und als das Echo nicht stark genug war, dann mit offenem Visier. Zielscheiben waren die höchsten Heiligtümer des deutschen Fußballs: Ersatznationalheld Franz Beckenbauer, das gesellschaftspolitisch aufgeladene Sommermärchen 2006 und der oberste Funktionär der kickaffinen Bundesrepublik, DFB-Präsident Wolfgang Niersbach.

DFB wie Dallas oder Denver-Clan

Seither ist nichts mehr wie es war. Der Elf-Freunde-müsste-ihr-sein-Mythos, der über Generationen hinweg das Bild vom kampfeslustigen, moralisch aber jederzeit sauberen deutschen Fußball prägte? Wie weggefegt! (Der Bundesliga-Skandal der 70er Jahre ließ sich irgendwelchen halbseidenen Provinzfunktionären aus Clubs der Kategorie Kickers Offenbach anlasten). Nun zoffen sich Zwanziger, sein Intimfeind Niersbach und der einstige WM-Botschafter Günther Netzer, auch eine Ikone deutscher Fußballglückseligkeit, um 6,7 Millionen Euro, die irgendwo im Bermudadreieck zwischen DFB-Zentrale, dem Weltfußballverband FIFA und der Schatulle des ehemaligen Adidas-Bosses Robert Louis-Dreyfus herum diffundiert ist.

Aus Sepp-Herberger-Biedermeier ist beim DFB ein Intrigenstadl à la Dallas oder Denver-Clan geworden. Aber anders als bei den US-Seifenopern kann die Frage, wer die helle und wer die dunkle Seite der Macht verkörpert, nicht einfach beantwortet werden. Der böse „J. R.“ Niersbach gegen den lieben „Bobby“ Zwanziger? Wer an diese Dramaturgie glaubt, muss auch daran glauben, dass Zitronenfalter Zitronen falten.

Zwanziger taugt nicht zum Saubermann

Holzschnittartig zusammengefasst dreht sich der Skandal darum, ob mit einer privaten Morgengabe des früheren Adidas-Chefs eine Kulturveranstaltung gesponsert oder Stimmenkauf im Vorfeld der Weltmeisterschaft betrieben wurde. Strittig ist auch, wer zu welchem Zeitpunkt über welche mutmaßliche Schmutzelei informiert war. Und da fällt es in der Tat schwer, Zwanziger die Unschuld vom Rhein unreflektiert abzukaufen.

Schaut man sich dessen Vita an, springt ins Auge, dass der gute Theo nur bedingt zum Saubermann taugt. Von der Pike auf hat der studierte Jurist das Funktionärshandwerk gelernt. Bereits seit 1992 gehörte er dem Vorstand des DFB an. 2001 stieg er zum Schatzmeister des größten Einzelsportverbandes der Welt auf. Innerhalb des Organisationskomitees für die WM 2006 war Zwanziger seit 2003 als Vizepräsident für Finanzen, Personal und Recht zuständig. Dann, im Jahr 2004 gelangte er an die Spitze des DFB. Zunächst gemeinsam mit Gerhard Mayer-Vorfelder, ab 2006 dann vollständig in eigener Verantwortung.

Komisch, dass jemand, der so erfahren und in der Fußballwelt maximal vernetzt ist, nichts von irgendwelchen finanziellen Mauscheleien gewusst haben soll. Mindestens an seiner Führungskompetenz ließe sich dann zweifeln.

Wer in die Küche geht, muss Hitze ertragen

Außerdem: Wie kann jemand, der sich als selbst wohl als „guter Mensch von Altendiez“ sieht, erfolgreich in einem Haifischbecken mitschwimmen, dessen dickster Brocken, FIFA-Boss Sepp Blatter, für viele Beobachter zu einem Symbol für Machtbesessenheit und Trickserei schlechthin geworden ist. Manche meinen sogar, dass es selbst in den biblischen Städten Sodom und Gomorrha mehr Gerechte gegeben hat als beim Fußballweltverband. Wer also – wie der frühere DFB-Chef – freiwillig in so eine Giftküche geht, muss schon einiges an Hitze vertragen.

Auch Zwanzigers Zeitmanagement wirft Fragen auf. Bis 2012 amtierte er als DFB-Präsident. Den Rachefeldzug gegen Niersbach, Netzer und andere trat er erst im Herbst 2015 los. Also fast eine Dekade nach Ende des Sommermärchens. Könnte der Jurist Zwanziger da etwa gesetzliche Verjährungsfristen im Kopf gehabt haben. Ein Schuft, der dabei Böses denkt…Als Snwoden des Sports wird er kaum in die Annalen eingehen.

DFB keine Insel der Glückseligen

So befindet sich der DFB nun – ein Jahr nach dem Gewinn des WM-Titels in Brasilien – in der schwersten Krise seiner Geschichte. Der aktuelle Präsident scheint mit seinem Krisenmanagement objektiv überfordert, die Funktionäre kämpfen eher gegen- als miteinander. Zudem ist das Trugbild vom sauberen deutschen Fußball inmitten des Sündenpfuhls FIFA endgültig passé.

So peinlich die Affäre für den DFB auch sein mag, ein Gutes hat sie doch. Selbst dem letzten Traumtänzer dürfte jetzt klar sein, dass für eine Erneuerung des Weltfußballs eine echte Katharsis notwendig ist. Ein paar Köpfe auszutauschen, das reicht längst nicht mehr. Wie beim biblischen Gomorrha hilft wohl nur eine radikale Kernsanierung. Zu lange und zu erfolgreich hat das Geschäft mit der Ware Fußball die Verbände – und in vielen Fällen auch die Funktionäre – reich gemacht; der Sport an sich geriet dabei immer mehr in den Hintergrund.

WM-Vergabe an Katar Gipfel der Perversion

Mit jedem erfolgreichen Deal heizte der Hype den Hype weiter an. Die absurde Vergabe der Weltmeisterschaft 2022 an den Wüstenstaat Katar war dabei nur Gipfel der Perversion (man stelle sich vor, eine Beach-Volleyball Meisterschaft würde nach Grönland oder in die Antarktis vergeben). Langfristig droht die Geschäftemacherei sogar, der Faszination Fußball den Garaus zu machen.

Wer ehrlich ist, muss zugeben, dass Regionalligaspiele – mit vor Ort bekannten Kickern – oft reizvoller sind, als Partien aus der Euro League mit Teams vom Schlage FK Qäbälä oder Skënderbeu Korça. Nicht einmal geographisch überdurchschnittlich Gebildete wissen doch, wo diese Orte eigentlich liegen.

Und wer freut sich nicht, dass ein Underdog wie Darmstadt 98, dessen gesamter Etat nur in etwa so hoch ist, wie das Jahresgehalt von Bastian Schweinsteiger bei Manchester United, mit anderorts ausgemusterten und gescheiterten Spielern bislang so famos in der höchsten deutschen Spielklasse mithält. Wo die Frau des Präsidenten die Mannschaft bekocht und der Vater des Trainers neue Spieler sichtet, wird das Fußballherz groß und die Umsatzrendite klein geschrieben. Und wenn Coach Dirk Schuster gebetsmühlenhaft oft predigt, dass Mentalität schlägt Qualität, klingt das schon fast wie Sepp Herberger 2.0.

Erfolgreiches Gegenmodell Darmstadt 98

Ok, der Club aus Südhessen, bei dem One-Touch-Fußball oder Tiki Taka wie Vokabeln aus einer anderen Welt klingen, mag auf viele wie ein lebender Antagonismus wirken. Aber vielleicht sind Dirk Schuster & Co. doch die Avantgarde?

Wer mit dem Finger auf FIFA und DFB zeigt müsste in letzter Konsequenz doch den gesamten modernen Profifußball hinterfragen. Genau diesen Schritt geht auch Zwanziger nicht mit. Seine Motive dürften mutmaßlich anders gelagert sein.

Der Sportartikelhersteller, dem Louis-Dreyfus einst vorstand, hatte in den 90er Jahren einen Slogan: „Es wird Zeit, zum Wesentlichen zurückzukehren“. Darmstadt 98 immerhin hat gezeigt, dass so etwas möglich ist.

 

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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