Das Ende der deutschen Kultur?

Menschen aus fremden Ländern kommen gerne nach Deutschland. Als Touristen, als arbeitssuchende EU-Bürger, als Asylbewerber. Ist das eine Gefahr für die deutsche Kultur? Und was ist eigentlich diese deutsche Kultur?


Der Begriff der Kultur wird zur Zeit häufig verwendet. Willkommenskultur dürfte eines der meistgebrauchten Worte der letzten zwei Monate sein, aber um die geht es hier gar nicht. Hier geht es um die „deutsche Kultur“, die einige Menschen aus unterschiedlichsten Gründen in Gefahr sehen.

Haben Sie einmal überlegt, was das ist oder was das sein könnte? Oder haben Sie eine Definition für deutsche Kultur parat? Nein? Ein Grund sich auf die Suche nach der deutschen Kultur zu machen.

Keine deutsche Kultur im GG

Für Juristen liegt es nahe, zunächst in unserer Verfassung, dem Grundgesetz, zu suchen. Da steht nicht großartig was von Kultur drin, genau genommen gar nichts. Als Staatsziel ist weder Kultur, geschweige denn deutsche Kultur genannt. Sollte deutsche Kultur den Verfassungsgebern vielleicht gar nicht so wichtig sein? Oder hielten die eine Erwähnung aus anderen Gründen nicht für erforderlich? Gingen die vielleicht davon aus, dass deutsche Kultur etwas ist, was da ist wie Luft zum Atmen, was sowieso da ist oder etwas, das keines Schutzes bedarf?

Bereits beim Begriff „Kultur“ ist es schwierig mit einer Definition. Abgleitet vom lateinischen Verb „colere“, was pflegen, verehren, bewirtschaften, bebauen, anbauen, ausbilden oder bewohnen bedeuten kann, tauchte das Wort Kultur Ende des 17. Jahrhunderts auf. Und zwar sowohl in der Bedeutung der Bodenbewirtschaftung als auch in der Bedeutung der Pflege der geistigen Güter.

Gut, versuchen wir es einmal mit letzterem. Pflege der geistigen Güter klingt doch brauchbar. Jetzt also nur noch die spezifisch „deutschen“ Güter finden. Im Bereich der Kunst wird man sich sicher auf ein paar spezifisch deutsche Schriftsteller, Denker, Komponisten und bildende Künstler einigen können. Da gibt es so viele Schwergewichte aus deutschen Landen, dass man sie gar nicht alle aufzählen könnte.

Aber ist die Urgewalt eines Johann Sebastian Bach nun etwas speziell Deutsches oder hätte der nicht auch ein Italiener sein können? Ist es also nur einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass ein Weltkünstler in Deutschland gelebt und geschaffen hat? Ist wirklich bedeutende Musik nicht zwingend universell? Wie sieht es mit den deutschen Philosophen aus? Ja, es wurde viel gedacht und philosophiert in Deutschland. Die Frage ist allerdings, was davon heute noch Bestandteil der deutschen Kultur ist und wie das gefährdet sein könnte. Welche Philosophen spielen im Alltag der Menschen denn heute eine Rolle oder wer kennt die überhaupt noch?

Saufkultur

Was macht „deutsche Kultur“ im Alltag aus? Hat das etwas mit Traditionen zu tun? Vielleicht. Aber auch da wird es mit dem spezifisch Deutschen schwierig. Als Rheinländer zähle ich den Karneval unbedingt zu meiner Kultur. Aber der wird regional recht unterschiedlich gefeiert, oder auch gar nicht. Selbst wenn ich mir nur das Rheinland ansehe, gibt es erhebliche Unterschiede. Und manche halten den Karneval ebenso wie das Oktoberfest oder ähnliche Veranstaltungen für den Gipfel der Unkultur oder allenfalls für einen Exzess der Saufkultur.

Deutsche Esskultur vielleicht? Auch da erkenne ich so viele regionale Besonderheiten, dass mir etwas spezifisch Deutsches nicht erkennbar scheint.

Deutsches Recht? Nun ja, von den Wurzeln her ist das römisch und französisch geprägt und von der gar nicht mal so alten Verfassung her eher amerikanisch- westeuropäisch.

Vergleicht man das Alltagsleben in Deutschland mit dem in anderen Ländern, dann fällt die Uneinheitlichkeit der Lebensart innerhalb der Regionen auf. Das wird der Tatsache geschuldet sein, dass Deutschland lange Zeit eine Ansammlung von kleineren Fürstentümern und Stadtstaaten war, in denen sich unterschiedliche Traditionen entwickelten. Statt eines zentralistischen Einheitsstaates herrschte und herrscht eine große Vielfalt. Das ist in unserem föderalen Bundesstaat auch heute noch so. Und das ist auch gut so.

Deutsche Vielfalt

Ich freue mich, wenn ich in Bayern anderes Essen und anderes Bier bekomme, als in meiner Heimat. Ich freue mich, die unterschiedlichen Dialekte zu hören und manchmal nur zum Teil zu verstehen. Deutschland ist schon immer multikulturell. Speziell im Rheinland sind im Laufe der Jahrhunderte so viele Menschen aus unterschiedlichen Ländern gewesen, dass es für den Einzelnen schwierig sein dürfte, über mehrere Generationen seine genaue Herkunft zu definieren. Geschadet hat uns das nicht.

Das Einzige, das ich als speziell Deutsch ausmachen kann, ist die deutsche Hochsprache, das Hochdeutsch. Die Sprache, die durch Luthers Bibelübersetzung und den Buchdruck zum kulturbildenden Faktor geworden ist. Die den Philosophen, den Dichtern als Material für die unterschiedlichsten Gedankenwerke diente. Ja, diese wunderbare Sprache, deren Möglichkeiten unerschöpflich sind und die trotz oder gerade wegen ihrer unglaublichen Präzision bei gleichzeitiger Wandelbarkeit unsere Kultur ausmacht. Wer diese Sprache beherrscht und zu (einer) seiner eigenen macht, wird Bestandteil unserer Kultur, ganz gleich, wo er ursprünglich herkommt. Das wird selbst Akif Pirinçci nicht bestreiten, der erst mit 10 Jahren nach Deutschland gekommen ist. Dabei ist die deutsche Sprache und damit die deutsche Kultur kein Garant für ein gedeihliches Zusammenleben der Bürger. Auch ein Goebbels bediente sich der Möglichkeiten der deutschen Sprache und es war eben auch ein Hitler, der diese Kultur nutzte, um unsägliches Unheil anzurichten.

Cool down

Es kann der deutschen Kultur auch nicht schaden, wenn zunächst anderssprachige Menschen zu uns kommen, die erst hier die Sprache lernen. Es ist auch keine Gefahr, sondern eine Chance für die Weiterentwicklung unserer Kultur, wenn diese Menschen sich dabei ihre Muttersprache bewahren. Jede Sprache bringt andere, ganz eigene Sichtweisen mit. Die Sprache beeinflusst das Denken. Und jede Sprache bleibt dynamisch und in stetiger Weiterentwicklung. Das ist erforderlich, damit sie überlebt. Umgekehrt ist es aber für unsere „deutsche Kultur“ unabdingbar, dass die deutsche Sprache die gemeinsame Basis der Verständigung ist.

Es gab Bestrebungen, diese Bedeutung der deutschen Sprache im Grundgesetz zu verankern, z.B. durch einen Zusatz zu Artikel 20 GG. Letztlich ist das Unfug. Die Sprache des Grundgesetzes ist Deutsch und die Amtssprache ist ebenfalls Deutsch. Das sollte reichen. Die Welt geht nicht unter, wenn statt mit Schlussverkauf mit „Sale“ geworben wird und die deutsche Kultur ist auch nicht untergegangen, weil plötzlich das Portemonnaie den Geldbeutel verdrängt hat.

Solange wir unsere Sprache pflegen und benutzen, kann ihr sowenig geschehen, wie der damit verbundenen deutschen Kultur. Erstaunlicherweise hapert es daran häufig gerade bei denjenigen, die angstvoll das Ende der deutschen Kultur beschwören.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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