Faschist, ohne Nazi zu sein

Wenn Zerrbilder des Nationalsozialismus, verschiedene Militärdiktaturen und der Begriff des Faschismus zu EINER Bilderwelt des absoluten Bösen verschwimmen, sieht man womöglich den Faschismus nicht, weil der „Faschismus“ im Weg steht.


Unfähig, NS und Faschismus zu unterscheiden erweisen sich derzeit Trumpkritiker und Kritik-Kritiker gleichermaßen. „Trump ist Faschist! Das vierte Reich steht bevor!“ „Unsinn, zwischen Trump und Hitler liegen Welten“

Dabei sind beide Systeme mehr als zwei Ausprägungen eines totalitären Phänomens.

„Ein Staat, der sich auf Millionen von Einzelnen stützt, die ihn anerkennen, begreifen und bereit sind, ihm zu dienen, ist nicht der Staat der mittelalterlichen Tyrannei. Er hat nichts gemeinsam mit absolutistischen Staaten vor oder nach 1789. Das Individuum ist im faschistischen Staat nicht ausgelöscht, es wird vielmehr gesteigert, so wie in einem Regiment ein Soldat nicht herabgesetzt, sondern durch die Zahl seiner Kameraden gesteigert wird. Der faschistische Staat organisiert die Nation, lässt aber dem Einzelnen noch Raum genug. Er hat nur die überflüssige und schädliche Freiheit beschränkt, die wahre Freiheit aber vertieft. Nur der Staat, nicht der Einzelne kann auf diesem Gebiete entscheiden.“

So Mussolini über seinen Faschismus, der übrigens weitgehend ohne Lager und lang ohne Antisemitismus auskam. Und der sich auszeichnete durch „Ordnung, Disziplin, Hierarchie … das Bekenntnis zum Privateigentum und zu ökonomischer „Effizienz“, das Bekenntnis zur Nation als „höchster Synthese aller materiellen und immateriellen Werte“ und zum autoritären, von einer technokratischen Elite geführten Staat als „rechtlicher Inkarnation der Nation“. Dabei bediente der Faschismus sich seit D’Annunzios frühen Experimenten in Fiume, wie heutig verniedlichte Populismen, durchaus selektiv plebiszitärer Elemente, und auch ein Faschismus innerhalb einer formellen Demokratie, wie im Fall des ebenfalls dem mussolinischen korporatistischen Ideal eines volksgemeinschaftlichen Kapitalismus zustrebende türkische Projekt des Herrn Erdogan, ist durchaus denkbar.

Es gibt eine Reihe guter Gründe, Trumps Antrittsrede als wenigstens protofaschistisch zu bezeichnen. Journalist Bernhard Torsch listet einige auf:

[Trump] übertraf dabei noch die schlimmsten Befürchtungen und gab mit gen Himmel geballter Faust den rechtsradikalen Agitator. Nicht er habe die Macht übernommen, sondern „das Volk“ habe diese nun einer „kleinen Elite in Washington“ entrissen. Von nun an werde das geschehen, was „das Volk“ wünsche. Man werde das Land „wieder aufbauen“, und zwar mit „amerikanischen Händen“. Zu wem diese Hände gehören werden, ließ er durchblicken: Sozialhilfeempfängern. Die werde man wieder in Arbeit bringen, und zwar mit dem Bau von „Autobahnen, Brücken, Flughäfen, Tunneln und Eisenbahntrassen überall in dieser wundervollen Nation“ (…) Das Fundament der Politik sei ab nun die „totale Treue zu den USA“. (…) Seine Rede beschloss Trump mit dem Slogan jener Gruppe von Amerikanern, die einst für einen Pakt mit Hitler oder wenigstens für amerikanische „Neutralität“ im Weltkrieg warben: „America First“

Aufgemerkt: Faschismus ist nicht erst, wenn die Lager öffnen und man die Massen zusammen treibt. Fast alle Merkmale des Hollywood-Faschismus können fehlen. Faschismus beginnt mit der Vereinigung einer vorgestellten Volksgemeinschaft unterm Korporatismus und war damit ursprünglich durchaus im wirtschaftlichen Sinne weitgehend „liberal“ gemeint, und ganz explizit nicht national-sozialistisch. In diesem Sinne kann man Trumps Stoßrichtung für faschistisch halten. Wenn stattdessen Zerrbilder des Nationalsozialismus, verschiedene Militärdiktaturen und der Begriff des Faschismus zu EINER Bilderwelt des absoluten Bösen verschwimmen, sieht man womöglich den Faschismus nicht, weil der „Faschismus“ im Weg steht.

Noch sehe ich dennoch nicht ganz so schwarz wie Torsch, der bilanziert:

Die liberale Demokratie mit all ihren komplizierten Minderheitenrechten und Sicherungsmaßnahmen gegen ihre Aushöhlung von innen hat verloren.

Trump redet Übles und gefährdet mit der Zerschlagung des Krankenversicherungssystems bereits erste Leben. Doch ob er die USA nachhaltig wird umbauen können, darf man weiter bezweifeln. Ich sehe Europa näher am Abgrund.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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