Niko Kovac – der Wundertäter

Auferstanden aus Ruinen: In kürzester Zeit hat Niko Kovac das Team von Eintracht Frankfurt aus der Abstiegszone in die Spitzengruppe der Bundesliga geführt. Der Höhenflug ist aber kein Wunder, sondern das Ergebnis harter und zielgerichteter Arbeit.


Als Fan von Eintracht Frankfurt fühlt man sich wie ein Angehöriger des biblischen Volkes Israel. Man wähnt sich einer auserwählten Gruppe zugehörig, die eigentlich längst die Pforten zum (Fußball-) Paradies (Deutsche Meisterschaft, Champions League) hätte überschreiten müssen. Stattdessen straft einen der Fußball-Gott immer wieder mit Plagen und Heimsuchungen. Zwar musste man seiner Mannschaft bislang in keine babylonische Gefangenschaft folgen und auch nicht mit ihr aus Ägypten fliehen. Ebenso wenig ist es feindlichen Mächten (Kickers Offenbach?) gelungen, das Waldstadion (wie es Fans noch immer nennen) so zu zerstören, wie es Babylonier und Römer mit dem Tempel Salomos gemacht haben. Aber mehrere Abstürze in Liga 2, einige Beinahe-Insolvenzen und ansonsten glanzloses Dasein im Niemandsland der Bundesliga-Tabelle empfindet ein Eintracht-Fans schon wie eine Bestrafung biblischen Ausmaßes.

Ein Verein, der einen Jürgen Grabowski, einen Bernd Hölzenbein, einen Anthony Yeboah und einen Jay-Jay Okocha hervorgebracht hat, gehört eigentlich dahin, wo sich sonst der FC Barcelona, Real Madrid, Juventus Turin und Manchester City tummeln. Zumal die Eintracht schon in den früheren 90er Jahren so spielte, dass es selbst einem Pep Guardiola Tränen in die Augen getrieben hätte. Höchstens den FC Bayern München oder Borussia Dortmund wähnt man hierzulande auf Augenhöhe. Dass inzwischen Werksklubs aus Leverkusen und Wolfsburg, ein Millionärsspielzeug aus der badischen Provinz und das kickende Böse unter der Sonne, „Rasenball-Sport“ (de facto: Red Bull) Leipzig, regelmäßig höher rangieren, ist für einen echten Eintracht-Anhänger schon so etwas  wie 40 Jahre umherwandern in der Wüste.

Eintracht-Fans fühlen sich auf Augenhöhe mit Bayern oder BVB

Und so fragt sich Fan schon, um welches Goldene Kalb die Eintracht getanzt haben muss oder mit welcher heidnischen Usurpatorin der langjährige Klub-Boss Heribert Bruchhagen Unzucht getrieben haben könnte, um wenigstens einen halbwegs vernünftigen Grund für diese sportliche Finsternis zu finden. Aber eigentlich war Bruchhagen so staubtrocken, dass derartige Sünden kaum in Frage kommen dürften. So bleibt dem durchschnittlichen Sympathisanten der Adlerträger nichts anderes übrig, als auf den Auserwählten zu warten, der diesen großartigen Klub zurück auf die grünen Auen des sportlichen Erfolgs führt.

Gewiss, seit dem die Eintracht Mitte der 90er Jahre aus dem gelobten Land der europäischen Wettbewerbe vertrieben wurde, gab es immer wieder Phasen, in denen man zu hoffen begann, dass wieder Milch und Honig durch den Frankfurter Stadtwald fließen. Aber meist war das Glück von kurzer Dauer. Als der Eintracht vor vier Jahren der Durchmarsch von Liga 2 in die Euro League gelang, wollten einige Fans schon den damaligen Coach Armin Veh zum Messias ausrufen. Doch leider entpuppte er sich als falscher Prophet, der zunächst dem Ruf des schnöden Mammons nach Stuttgart folgte und nach seiner unerwarteten Rückkehr an den Main recht lust- und motivationslos vor sich hin trainieren ließ. Die Folge: Das Team stand Mitte der vergangenen Saison bereits mit mehr als nur einem Bein im Unterhaus. In tiefster Not holten die Verantwortlichen einen Mann an den Main, dem nur die wenigsten zutrauten, die desolate Mannschaft vor dem erneuten Sturz in die Bedeutungslosigkeit zu bewahren: Niko Kovac, einst erfolgreicher Bundesliga-Profi und Nationalspieler seines Heimatlandes Kroatien.

Kovac kam als Trainer-Nobody an den Main

So erfolgreich Kovac als Spieler war, als Trainer hatte er wenig vorzuweisen. Für Red Bull Salzburg arbeitete er in Österreichs Operetten-Liga als Assistenz- und Jugendtrainer; als kroatischer Nationaltrainer führte er sein Team immerhin zur Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Dort spielte die Elf vom Balkan aber keine große Rolle. Und als die Kroaten bei der Qualifikation zur Europameisterschaft schwächelten, musste Kovac gehen. Viele Fans der Eintracht sahen in der Verpflichtung des Ex-Bayern-Profis eine riskante Aktion. Zumal immer noch in Erinnerung war, wie grandios Christoph Daum wenige Jahre zuvor in ähnlich aussichstloser Situation gescheitert war. Ich schrieb im März diesen Jahres: Die Trennung von Veh kam zu spät: Fünf nach Zwölf.

Anders als Daum trat Kovac nicht als Messias auf, der aus dem Stand in der Lage sei, Wasser in Wein zu verwandeln. Der Kroate gab sich bescheiden, fokussiert  – quasi als einfacher Arbeiter im Weinberg des Herrn. An seinen Taten konnte man ihn erkennen. In seiner Akribie erinnerte Kovac teilweise an Guardiola. Außerdem hatte er klare Vorstellungen, wie er die Eintracht umpolen wollte: Fehler minimieren, die Defensive stärken sowie Kampf, Kampf und nochmals Kampf. Und weil dem eigenen Kader die Klasse fehlte, wurde vom Lokalrivalen Darmstadt 98 der Ansatz übernommen, dass eben Mentalität die Qualität besserer Teams schlagen muss. Nach einen holprigen Start schien die Mannschaft Kovacs Philosophie verstanden zu haben. Enge Lokalderbys gegen Darmstadt und Mainz wurden nach Rückständen gedreht. Im eigenen Stadion erkämpfte sich das minderbegabte Kollektiv einen knappen Sieg gegen das bis dato beste Rückrundenteam, Borussia Dortmund. Die Relegation gegen den Zweitliga-Dritten, den 1. FC Nürnberg, war damit erreicht. Und schon das war mehr, als man bei Kovacs Amtsanritt erwarten durfte. Die ersten Fans begannen sich zu fragen: Ist er nun wirklich da, der Messias?

Philosophie ist einfach: Keine Fehler und Disziplin

Die Entscheidungsspiele gegen den „Glubb“ waren dann aber alles andere als messianisch. Dennoch waren es wieder typisch Kovac`sche Tugenden, die der Eintracht den Klassenerhalt sicherten. So wurde kurz vor dem Hinspiel bekannt, dass Urgestein Marco Russ an Krebs erkrankt war und eine Chemotherapie brauchte. Dennoch durfte der Verteidiger auflaufen und verursachte gleich ein Eigentor. Jedoch kämpfte sich die Eintracht zurück in die Partie und erreichte immerhin ein Remis. Beim Rückspiel in Franken fuhren die Hessen einen dreckigen Arbeitssieg ein. Von dieser Partie blieb vor allem in Erinnerung, welch versöhnliche und tröstende Worte der Frankfurter Übungsleiter für die niedergeschlagenen Nürnberger fand. Das war mehr als von Otto Normaltrainer erwarten durfte. Kovac erhielt dafür eine Fair Play Medaille vom Deutschen Fußball-Bund (DFB).

So glücklich man als Frankfurter Fan über die wundersame Rettung war, so offensichtlich waren die Defizite der Mannschaft. Fehlende Klasse im Team und eine leere Vereinskasse ließen auch für die neue Bundesliga kaum mehr als dauerhaften Abstiegskampf erwarten. Immerhin hatte mich Kovacs Arbeit schon zu diesem Zeitpunkt so überzeugt, dass ich im Sommer schrieb: Entweder wird der Kroate bei der Eintracht Erfolg haben oder er hat ihn eben in einem anderen Verein. In Kenntnis der Sommer-Transfers neigte ich allerdings der letzteren Variante zu. Mit Abwehrchef Carlos Zambrano und Flügelflitzer Stefan Aigner verließen ausgerechnet zwei der Begabteren das Team. Neu hinzu kamen vor allem Leihgaben aus den zweiten Ligen europäischer Nachbarländer – und die waren oft nur geliehen.

Spielerisch konnte ich Jesus Vallejo, Guilermo Varela, Michael Hector und Ante Rebic nicht einschätzen. Die Transferpolitik des neuen Sportchefs Fredi Bobic erinnerte mich aber stak an den Kurs des ehemaligen Managers des Hamburger SV, Frank Arnesen. Auch er setzte vor allem auf Jugendspieler ausländischer Klubs. Keine der Arnesen-Verpflichtungen schlug wirklich ein, der Däne wurde nach nur einer Saison in Hamburg entlassen.

Erfolg mit kleinem Geld

In Frankfurt indes passierten wahrhaft wundersame Dinge. Im eigenen Stadion ist die Mannschaft seit April ungeschlagen. Vermeintliche Spitzenteams wie Borussia Dortmund, Schalke 04 und Bayer Leverkusen wurden zuhause besiegt. Gegen Bayern München gelang es einer dezimierten Eintracht, eine bereits verloren geglaubte Partie zu drehen. Auch Auswärts konnte die Mannschaft, vor allem dank einer überragenden Defensive, beständig punkten. Lediglich gegen die in dieser Saison desolaten Darmstädter und Aufsteiger SC Freiburg setzte es Niederlagen. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte die Eintracht diese Partien nicht weggeschenkt. Sie stünde nach 14 Spieltagen dicht hinter der Übermannschaft aus Bayern und den mit Brause-Millionen gepamperten Leipzigern auf Rang 3 der Tabelle. Fast könnte man wirklich von der spektakulärsten Wiederauferstehung seit Golgotha sprechen.

Glaubt man einem deutschen Schlager, dann soll es immer wieder Wunder geben. Allerdings ist der Wiederaufstieg der Frankfurter nicht nur Wunder, sondern das Ergebnis harter und zielgerichteter Arbeit.

Konsequent haben Kovac und der neue Sportvorstand Fredi Bobic ins Team hinter dem Team investiert. Scouting, Fitness, Psychologie – alles wurde auf den Prüfstand gestellt, für alle Bereich wurden neue Leute angeheuert. Zudem war die Saisonvorbereitung so intensiv, dass es selbst einem „Quälix“ Magath zur Ehre gereicht hätte. Und dass Kovac auch taktisch einiges drauf hat, wurde mir bereits beim Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft 2014 klar. Zwar verloren seine Kroaten das Match gegen Gastgeber Brasilien. Lange biss sich die favorisierte Selecao aber die Zähne an den Männern vom Balkan aus. Hätte es nicht einen skandalösen Elfmeter zugunsten der Südamerikaner geben, mindestens ein Unentschieden wäre für die Kovac-Truppe drin gewesen. Und wären die Kroaten nicht mit allzu viel Respekt in die Partie gegangen, die überbewerteten Brasilianer hätten ihr negatives Aha-Erlebnis bereits vor dem legendären Halbfinale gegen Deutschland gehabt.

Auch in der Bundesliga überrascht Kovac immer wieder mit neuen taktischen Finessen. Dreierkette, Viererkette oder klassischer Libero, nie weiß der Gegner, welchen Schachzug der Kroate als nächstes plant.

Selbst der Fußball-Gott muss auf Reservebank

Und so ist Kovac nicht allein Messias, der mit übernatürlichen Kräften hantiert, sondern vor allem Trainer-Profi, der sein Handwerk durchweg beherrscht. Zudem bringt der gebürtige Berliner einige natürliche Voraussetzungen mit, die man wohl nicht im DFB-Trainerseminar lernen kann: Charisma, Selbstreflexion und die Gabe, sich in die unterschiedlichsten Spielertypen hineinversetzen zu können. Selbst das derzeit wohl größte Idol der Einracht-Fans, Zopfträger Alex Meier, den sie Fußballgott nennen, bringt Kovac dazu, regelmäßig ohne zu murren auf der Reservebank Platz zu nehmen.

Sicher ist auch das Leben einer Fußballmannschaft leichter, wenn sie auf einer Erfolgswelle schwimmt. Dennoch traue ich Kovac zu, auch schwierige Situationen meistern zu können. Ich wiederhole daher gerne mein Fazit aus dem Sommer-Artikel: Neben – oder sogar vor – Markus Weinzierl von Schalke 04 oder Julian Nagelsmann aus Hoffenheim ist Kovac für mich das größte Trainertalent der Bundesliga (einen Thomas Tuchel, der mit Dortmund und Mainz bereits über Jahre Erfolg hatte, zähle ich nicht mehr zu dieser Kategorie).

Die Verpflichtung des Kroaten war die bestmögliche Entscheidung, die die Eintracht-Macher angesichts einer damals akuten Krisensituation treffen konnten. Vielleicht hätten nicht einmal ein Pep Guardiola oder ein Jürgen Klopp diese in Trümmer liegende Mannschaft vor dem Abstieg retten können. Dass Kovac seinen Vertrag nun bis 2019 verlängert hat, ist für Verein, Fans und Stadt eine riesige Chance. Gleiches gilt für den Coach selbst: Hebt er die Eintracht dauerhaft auf ein höheres Level, kommt bei Bayern München oder Borussia Dortmund niemand an ihm vorbei, wenn wieder mal ein neuer Trainer gesucht wird.

Auf dem Teppich bleiben

Um den angestrebten Erfolg auch wirklich zu erzielen, müssen Übungsleiter, Verein und Team ihre Arbeit und ihre Strategie in den nächsten Monaten weiter verstetigen. Einerseits sollte die Eintracht bereit sein, im größeren Stil in Spieler und Umfeld zu investieren. Andererseits dürfen die Fans nicht gleich den sofortigen Einzug in die Champions League voraussetzen. Rückschläge können und werden kommen, vielleicht auch die eine oder andere Niederlagenserie. Aber selbst dann besteht kein Grund an Kovac und seiner Arbeit zu zweifeln. Der Kroate ist zu ehrgeizig, um nicht selbst das Maximale für das Team anzustreben. Vielleicht gelangen die Eintracht-Fans wirklich dorthin, wo sie schon immer hinzugehören geglaubt haben. Sie müssen dazu nur auf dem Teppich bleiben. Denn bei Niko Kovac kann der Eintracht-Teppich fliegen.

 

 

 

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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