Good Will kicking

Beim Länderspiel in Hannover feiern Fans beider Lager den abwesenden Nordiren Will Grigg. Einen Zweitligakicker, der lieber bei seiner Familie sein will, als im Pflichtspiel gegen den Weltmeister auf dem Platz zu stehen. Gerade weil Grigg nicht alles dem Profitum unterordnet, tut er dem immer mehr vom Kommerz beherrschten Sport gut.


Eigentlich hatte ich mir von dem Spiel zwischen der DFB-Elf und der nordirischen Nationalelf nichts erwartet. Zu groß ist das Potenzial der Deutschen. Und da die Nordiren nicht bekannt dafür sind, gegen übermächtige Gegner den offenen Schlagabtausch zu suchen, war auch kein Schützenfest zu erwarten. In der Defensive sind die Jungs von der grünen Insel solide. Mauern können sie immerhin so gut, dass sie den DFB-Kickern bei der Europameisterschaft in einem einsteigen Match nur 0:1 unterlagen. Auch jetzt haben die grün-weißen Defensivexperten reale Chancen, als Gruppenzweiter die Play-Off-Spiele für Weltmeisterschaft 2018 in Russland zu erreichen.

Ein Abwesender wird gefeiert

Und so verlief der Kick am vergangenen Dienstag in Hannover vorhersehbar. Schnell führte die „Mannschaft“, wie sich das deutsche Team inzwischen aus Marketinggründen nennt, 2:0. Danach hatten die nordirischen Verteidiger die Nummer zumindest so gut im Griff, dass kein weiteres Gegentor mehr fiel. Also in der Tat eine Partie, die man nicht gesehen haben muss.

Bis die nordirischen Fans 15 Minuten vor Spielende anfingen, ihren Kultsong zum Besten zu geben und unzählige deutsche Fans einstimmten: ,Will Grigg’s on fire‘. Aus einer grundlangweilige Partei heraus erwuchs ein Moment, der daran erinnerte, was Fußball als Sportart großgemacht hat: Leidenschaft, Begeisterung und die Identifikation mit Spielern, die ehrlich Fußball arbeiten anstatt mit Millionen zu jonglieren – oder die für ein paar Millionen mehr an unwirtliche Orte in der russischen oder ukrainischen Provinz wechseln, wo man im Normalfall nicht einmal ein Bild von sich haben möchte (so hätte ich es verstanden, wenn mein langjähriger Lieblingsspieler bei Eintracht Frankfurt, Carlos Zambrano, nach Valencia, Turin oder meinetwegen Swansea gewechselt wäre. Aber Kasan, was zum Teufel will man da?). Selbst der böse Rote-Bullen-Geist, der inzwischen die Bundesliga heimsucht und sich Leipzig niedergelassen hat, war für einen Moment aus meinem Hinterkopf verschwunden. Dank einer Ode an einen Zweitliga-Kicker, der in Hannover nicht einmal selbst auf dem Platz stand.

Will Grigg lebt den Fußball

Schon bei der Europameisterschaft zählten die Nordiren mit ihrem Lied zu den „Gewinnern der Herzen“, obwohl Will Grigg auch bei diesem Turnier keine Minute auf dem Feld war und der Song eine Cover-Version eines flachen Eurodance-Nümmerchens aus den 90ern ist. Dafür leben das nordirische Team und Idol Grigg Fußball wie kaum jemand sonst im modernen Profi-Fußball. Es sind keine hochgezüchteten Profis von Millionen schweren Champions League Clubs und keine Jet-Setter mit Life Style-Geschichten in irgendwelchen Glamourmagazinen. Stattdessen haben Grigg & Co. Kampf und Begeisterung im Portfolio – und Sport, der nach Schweiß riecht – und nicht nach den neusten Duftkreationen von Lagerfeld oder Boss. Damit sind die Nordiren so wunderbar normal, wie das hierzulande wohl nur Darmstadt 98 schafft. Und der technisch limitierte Grigg erfährt als personifiziertes Symbol für Bodenständigkeit und Leidenschaft besondere Verehrung. Er ist eben „on fire“, er brennt für seinen Sport.

Den englischen Drittligisten Wigan Athletic schoss der Stürmer vergangene Saison mit 25 Toren quasi im Alleingang in Liga Zwei. In der erst seit August laufenden Zweitligasaison traf Grigg bereits fünfmal. In Deutschland oder Spanien könnte ein unterklassiger Kicker seines Kalibers dennoch nicht an eine Berufung zur Nationalelf denken. In Nordirland indes gibt es keinen Offensiv-Spieler mit einer besseren Leistungsbilanz. Folgerichtig hätte eine so herausgehobene Figur, die noch dazu von den Anhängern kultisch verehrt wird, bei der Europameisterschaft auflaufen müssen. Trainer Michael O`Neill, der den Außenseiter Nordirland überhaupt zum ersten Mal zu einer EM führte, wies ihm dagegen einen Stammplatz auf der Ersatzbank zu. Andere Profis hätten rebelliert und in Interviews ihren Einsatz gefordert. Grigg dagegen blieb cool und sprach fast überhaupt nicht mit der Presse. Und wenn er sich äußerte, dann freundlich bis unverfänglich. Auch hier blieb der Inselkicker Vorbild.

Familie statt WM-Qualifikation

Für das Spiel gegen die DFB-Elf hatte O`Neill seiner Kultfigur einen Einsatz zugesagt. Doch diesmal war es Grigg, der verzichtete. Der Zweitliga-Profi zog es vor, bei der Familie und dem kürzlich geborenen Nachwuchs zu bleiben. Genau wie er sich nach der Europameisterschaft entschloss, weiter für Wigan zu kicken und sich nicht einem ,höherklassigen‘ Verein anzuschließen. Ein Idol eben, das nicht in gängige Profi-Schemata passt.

Es täte dem modernen Fußball gut, wenn es nicht nur einen Will Grigg gäbe, sondern mehrere. Leider steht zu befürchten, dass die Zukunft doch eher dem Geschäftsmodell von Sportkonzernen wie Red Bull gehören könnte. Das Brauseunternehmen hält sich bekanntlich Vereine in mehreren Ländern, die von der Zentrale in Österreich hochprofessionell, aber kühl kalkulierend gesteuert werden. Es kann vorkommen, dass Spieler vom einen Konzernteam zum anderen umgesetzt werden, ganz nach Interessen und Strategie der Leitung. Das ist mir im Zweifel unsympathischer, als ein russischer Oligarch oder ein arabischer Potentat, der aus Spaß an der Freude oder Imagegründen seine Millionen in einen Verein pumpt. Immerhin dürfte hier noch so etwas wie Leidenschaft mit im Spiel sein. Trotzdem werden die Fans des FC Chelsea wohl niemals „Roman Abramowitsch`s on fire“ singen.

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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