Im Zwielicht – Wolf vs Wutang

Ist Gangsta-Rap ein geiler Hiphop-Macker oder nur austeilende Mimose? Wichtiges Pulp-Genre oder Sargnagel der gebotenen Trennung zwischen Kunst und Künstler? In seiner „Hörmal“-Kolumne stellt Ulf „Wolf“ Kubanke ein paar provokante Thesen auf und lädt den Experten Stefan „Wutang“ Johannesberg zum Duell. Johannesberg schreibt unter anderem für Laut.de und ist der Raymond Chandler unter den nationalen Hiphop-Autoren.


Wolf: In letzter Zeit ist es Mode, jede Kritik am Gangster-Rap mit inhaltsfreien Totschlagargumenten zu begegnen. Reflexartig führt man „Genrefremdheit“ oder „bildungsbürgerliche Arroganz“ ins Feld. Doch das ist lediglich rhetorischer Giftschrank und steht jeder fruchtbaren Auseinandersetzung im Wege. Gerade das popkulturelle Phänomen Gangster-Rap hat mehr als nur eine Seite. Er macht aus sprachlicher und sozialer Not eine Tugend, setzt Sprache kreativ neu zusammen und schmiedet im Kontext der Subkultur aus mehreren Bruchstücken ein neues Ganzes. Das ist innovativ und ohnehin respektabler Teil einer Menschheitsgeschichte, die sich in Sprachcodes stets entwickelt und ändert. Hierfür zolle ich auch gern den verdienten Respekt.

Das Problem:

Mittlerweile haben wir es hier weitgehend jedoch nicht mehr mit einer Subkultur zu tun, sondern mit einer etablierten Kunstrichtung, die wie die Lektüre von hardboiled Crime-Stories funktioniert. Charismatische Typen wie Hafti, Bushido, Fler oder Kollegah sind längst in der Mitte der Gesellschaft und an der Spitze von Charts angekommen. Egal ob true oder fake,. Spätestens hier muss sich eine Kunstrichtung genau jenem Spektrum zwischen Ehrerbietung, Kritik und Spott stellen, den sie durch ihr Wirken polarisierend erschafft. Wie sollte es auch anders sein? Das führt zu einem weiteren Punkt: Wer als Künstler in die Öffentlichkeit tritt, ist ebenso Autor wie Darsteller. Freilich muss man sich als solcher für Form und Inhalt verantworten. An diesem Punkt indes läuft nach vieles im Selbstbild des Gangster-Rap schief. Einerseits hat das ganze Kultivieren eines Unterschichten-Milieus, offener Misogynie, zur Schau gestellten Prolltums und des Materialismus in seiner geballten Form etwas Ermüdendes, Lächerliches und leider künstlerisch wie musikalisch Nivellierendes.

Diese Gegenrichtung der oben erwähnten Neuschöpfung von Sprache ist – bis auf wenige Schlüsselworte und Codes – ebenso deren Verstümmelung. Sie ist dann zwar nicht der Antichrist, wohl aber der Anti-Kant. Dieser Gangsta-Rap verkörpert das Gegenteil von „Wissen ist Macht“, die pure Lust an geistiger Stagnation, solange diese verkäuflich ist.

Nun mag man hierzu sagen: „Ach was, das ist doch nur ein Genre wie jedes andere!“ Oh nein, das ist es zumindest noch nicht. Dieses Genre sorgt nämlich selbst dafür, dass man es mit der Trennung des Künstlers von der Kunst so schwer hat. Denn viele der Kandidaten separieren bewusst nicht in der Öffentlichkeit zwischen Privatperson und Bühnenfigur. Das hier gebotene Bild ist eben nicht nur lediglich Theater wie bei Slipknot oder Alice Cooper oder Ghost oder Tarantino. Im Gegenteil: Manche Künstler gehen verbal diffamierend auf Journalisten los oder zeigen ihren Fans, dass man sich – sobald die verdammte Knete da ist und man an den Titten der Macht mitnuckeln darf – auch nicht mehr charakterlich entwickeln müsse.

Das ist nicht Michael Corleone (erst recht nicht Don Vito!). Das ist beschränkt.

Konfrontative Botschaften an wirtschaftliche, musikalische oder politische Gegner werden von manchem in Songtexte gepackt, ohne satirischen Überbau zu signalisieren. Andere Megaseller der Szene zeigen der Gesellschaft, wie super es ist, sich deviant zu geben. Und alle zusammen sorgen durch die bewusste Distanzlosigkeit zur eigenen Kunst dafür, dass sich so manches achtjähriges Mädchen in der Grundschule als „Bitch und Nutte, wa?!“ beschimpfen lassen muss.

Auch das mitunter verbreitete Nutzen politischer Inhalte mit antisemitischem Background in Track und Inszenierung wird bewusst vermischt ( Bushidos Palästina-Karte mit ausradiertem Israel), so dass man hier kaum noch zwischen Kunst und Künstler trennen kann. Warum macht sich ein Genre diese Basis ohne Not selbst kaputt? Warum schafft Gangsta-Rap nicht, was bei Caravaggio, Kinski oder Dali lässig funktioniert: dass die Kunst ohne negative Konnotation für sich allein steht. Fazit: Wir waren soziologisch anscheinend schon mal weiter. Wir haben es hier zwar mit einer einflussreichen Kunstrichtung zu tun, deren Protagonisten überwiegend gern tough austeilen, aber nix einstecken können, wenn mal so ein kleiner „Polizistensohn“ oder seriöse Kritik um die Ecke kommen. Spätestens an diesem Punkt und dem millionsten Track der Marke „Bitch“, „Ich fikk dich in‘ Arsch, du Huso“ und dem anderen gängigen Radegebreche, fordert die Kunstrichtung Satire oder Gegenhaltung doch geradezu heraus. Gangsta-Rap ist ein Genre, welches sich zwar über Sprache und verbale Botschaften definiert, aber diese zu oft nivelliert und dafür Applaus erwartet?

Leider ja! Man steht sich selbst im Wege.

PS: Andere Subkulturen/Kunstrichtungen müssen/mussten da auch durch. – der Metal muss sich des biersaufenden Deppenklischees und der Hairmetal-Vorurteile erwehren – die Goths dem Stereotyp des ritzenden Jammerlappens – die Punks stoßen mit GG Allin an die Grenze, wo Kunst und Künstler nicht trennbar sind. – die Pop-Leute unterliegen stets einem Generalverdacht flächendeckenderer Oberflächlichkeit und Schlichtheit

Wer jedoch Qualität liefert und das Klischee nicht füttert wie ’nen Troll, kann diesen Knast entsteigen und etwas für Musik und Kunst tun. Man muss es nur machen.

Hier kommt noch mein Lieblings-Hiphop-Track aller Zeiten. Was für eine Dynamik, was führ ein rhythmus, was für ein Text!

Noch Fragen, Johannesberg?

Wutang:

Fragen, Kubanke? Nein, denn ich gebe ja die Antworten wie Allen Iverson

Du fragst: „Ist Gangsta-Rap ein geiler Hiphop-Macker oder nur austeilende Mimose?“ Ich sage: Er ist beides, alles, immer das, was das jeweilige Individuum daraus macht. Hip Hop war schon immer, “each one teach one”, “Come from your own heart with this shit” (RZA im Wu-Tang Forever Intro,

oder “you can do it put your ass in to it” (Ice Cube). Dein Kollektivismus kriegt in der einzig-wahren liberal-libertären (Sub-)Kultur keinen Stich. Die Ausgangsfrage kann also höchstens lauten: Ist Gangster-Rapper X ein geiler Hip Hop-Macker oder eine austeilende Mimose?

Die Antworten finden wir dann immer wieder aufs Neue im jeweiligen Thread. Die Szene ist ja zum Glück so lebendig, dass im Hipp To Da Hoppa-Haus wirklich alles und seine Mutter offen, intensiv, anspruchsvoll und vielfältig diskutiert wird. Auf jede Kritik, auf jede Aktion, eigentlich auf alles gibt es Tweets und Artikel mit 23 verschiedenen Meinungen und Ansätzen. Egal, ob dies nun Bushidos „Kein Stress ohne Grund“-Provokationen, Sadiqs Salafisten-Nähe, der Krieg zwischen kurdischen Emcees, Flers Brief an Farid, Drohungen gegen Redaktionen oder das Wort Hurensohn ist: Alle individuellen Aktionen abseits der eigentlichen Kunst werden kontrovers diskutiert und analysiert.

Vielleicht ist es auch diese Intensität, die eine Trennung von Kunst und Künstler so schwer macht. Außer deinem Herz brauchst du nichts – noch nicht mal abgegammelte Instrumente – um Teil der Hip Hop-Kultur zu werden und bei Erfolg dem grauen Alltag zu entfliehen. Das erste Rap-Gesetz von Curse

lautet nicht ohne Grund: „Also Erstens: Frag‘ Dich, ob’s dir das wirklich wert ist / Rappst du weil es Dir im Herz ist oder weil der Scheiß zurzeit Kommerz ist? / Kohle scheffeln Leute, die Ewigkeiten dabei sind / Ihr Leben dafür bereit sind zu geben, dass sie so weit sind“

Es geht im Hip Hop nicht weniger als um das Leben. Hip Hop ist das, was Metal, Hardcore und Co immer sein wollten (oder nur kurz waren): Mehr als Musik. Sie (kleiner Insider) muss daher mit anderen Maßstäben gemessen werden. Gerade Straßen- oder Gangsta-Rapper wollen mit Hip Hop als vermeintlich einzige Chance vom Block hinein in die Gesellschaft, sie durch eigene Sprache mitgestallten, sich ein Selbstwertgefühl und monetäre Unabhängigkeit erarbeiten und reagieren dann etwas verstimmt, wenn ein Böhmermann oder ein dahergelaufener welt.de-Redakteur sie von oben herab, billig zwischen zwei Cappuccinos, ohne Respekt oder Verständnis verarscht. Genau, verarscht. Für eine treffsichere Parodie, von denen es selbst im Gangsta-Rap viele gibt, fehlt diesen Leuten einiges. Kabarettist Böhmermann zum Beispiel kämpft medial an allen Fronten, um sich als Teil der Kultur zu fühlen. Er hat mit Dendemann seinen Vorzeige-Rapper in der Show, gibt hiphop.de oberflächlich streetcredibile Interviews

und feiert sich beim „Polizistensohn“

auch noch für den schlimmsten Fehler überhaupt im Rap: Er kopiert. Wie zementierte Curse das zweite Gebot in den Beton:

„Zweitens: Das peinliche Biten bitte vermeiden / Von den Meisten die schreiben, sind die wenigsten wirklich eigen“ Böhmermann macht Satire, klar, doch in dem Augenblick, indem er rappt, betritt er auch den Rap-Ring. Es ist ein Drama. Zum ersten Mal geht er wirklich auf Tuchfühlung mit der Kultur und dann verkackt er big time. Wir erinnern uns an den RZA vom Anfang: „Come from your own heart with dis shit“ – Böhmis Herz bleibt leider kalt, die Satire geht ins Leere. Seine Parodie mutiert zu plump-provokanter Verarschung, die den Applaus aus der falschen, da rechtskonservativen Ecke förmlich erzwingt. Wer sich im Battle-Rap, eine solch offene Flanke gönnt, muss sich dann nicht wundern, wenn die vermeintlichen Gegner zurückschießen.

„Nummer Fünf ist so wichtig wie nichts ist in diesem Business: / Da die Scheiße Kampfsport ist, sei drauf gefasst, dass du gedisst wirst“ Und so kommen wir zum letzten und schönsten Gegenbeweis, dass Gangsta-Rap nicht so mimosenhaft ist, wie Ulf darstellt. Eigentlich reagieren die meisten Rapper wie der am heftigsten parodierte Haftbefehl zum Beispiel entspannt und sportlich. Fler wollte Böhmermann nicht auf die Fresse hauen, weil er den „Polizistensohn“ gab, sondern weil er ihn über einen langen Zeitraum immer wieder erwähnte und dann mit Einladungen und gleichzeitigen Absagen hinter den Kulissen verarschte. Den welt.de-Redakteur besuchte er, weil er Geschäftsinterna ausplauderte und veralberte . Um Musik ging es dort nicht. Die laut.de-Redaktionsräume stehen trotz 32454 tausend Zwei-Punkte-Kritiken von deutschsprachigen Gangsta-Rap-Alben immer noch. Andere Redakteure aus der Szene äußern ihre Meinung offener denn je – die Liste ließe sich endlos weiterführen.

Das Fazit Onkel LL fasst es ja in deinem Lieblingstrack bereits in der ersten Zeile zusammen: „Don’t call it a comeback / I been here for years“. „Here“ steht nicht Charts oder Mainstream, „hier“ ist Hip Hop. Mr. Smith ist es wichtig, dass er lange Teil der Kultur ist. Die Hip Hop-Kultur fußt auch 2016 auf Respekt und Anerkennung der individuellen Leistung, der Kreativität und Eigenständigkeit und gibt eben auch nach 30 Jahren den Stimmlosen eine Stimme. Diese reagieren etwas verstimmt, wenn ihnen ein Böhmermann oder Feuiliton-Redakteur diese Stimme nehmen will. Trotzdem blieben bisher alle kreativ und sportlich und Gangsta-Rap – zumindest sehr oft – ein cooler Macker. Anspieltipp Jalil – Karma (feat. Fler)

Wolf: Lieber Stevie, ich danke Dir für das beherzte Gegenhalten. Nun kann sich jeder seine eigene Ansicht basteln.

Ihnen hat dieser Artikel gefallen? Sie möchten die Arbeit der Kolumnisten unterstützen? Dann freuen wir uns über Ihre Spende:




Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

More Posts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert